Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir brauchen dringend ein vernünftiges Entsendegesetz. Ich bin froh, Herr Blüm, daß auch Sie das noch immer so sehen. Ich hoffe, daß auch eine ganze Reihe Ihrer Kolleginnen und Kollegen das so sehen.
Wir brauchen dieses Entsendegesetz, das gleichen Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit sicherstellt und den katastrophalen Zuständen auf den Baustellen ein Ende bereitet. Ich wollte heute eigentlich hier die Gesetzesinitiative der Bundesregierung als einen Schritt in die richtige Richtung begrüßen.
- Rühmen wollte ich sie nicht, nein. - Aber auch begrüßen kann ich sie nun nicht mehr, da sie schon vor der Beratung gescheitert ist. Ich meine, das Scheitern war selbstverschuldet: durch zu viele faule Kompromisse zwischen denjenigen, die sie grundsätzlich für nötig halten, und den Deregulierungsfraktionen in Ihren Reihen.
Vielleicht könnten Sie, Herr Blüm, noch einmal genauer erklären, warum Sie sich die Falle der Tarifkommission, in die Sie jetzt gestolpert sind, selbst in den Weg gestellt haben. Sie wissen genau, daß das überhaupt nicht nötig war. In der Expertenanhörung vom Juni war überdeutlich - das auch an Sie, Frau Babel -, daß es auch andere Wege nach Rom gibt. Der Gesetzentwurf aus Berlin und der der SPD schlagen diese Wege jetzt ein. Die müssen wir genauer diskutieren.
Haben Sie, Herr Blüm, wirklich erwartet, daß die Arbeitgeberseite zustimmt, nachdem sie schon in der Anhörung ihre Ablehnung deutlich zur Kenntnis gegeben hatte? Herr Murmann bringt jedesmal, wenn er sich äußert, eine neue Breitseite gegen Arbeitnehmerinneninteressen,
Tarifstandards, soziale Schutzrechte. Offensichtlich wollen diese Arbeitgeberfunktionäre die Fortsetzung von Lohn- und Sozialdumping.
- Ich rede jetzt weiter. - Diese Seite behauptet, das sei im Sinne und zum Schutz der Tarifautonomie. Wofür diese Begriffe herhalten müssen, ist immer wieder erstaunlich. Jetzt muß die Tarifautonomie sogar für ihre eigene Aushebelung herhalten.
Denn wenn wir diese Zustände auf den Baustellen zulassen, ist das das Ende von Tarifautonomie. Tarife und Vereinbarungen werden dort in Zukunft kaum noch eine Rolle spielen. Was soll die Gewerkschaft noch verhandeln? Die Aufgabe des Staates ist es, für
die vielbeschworene Säule der Tarifautonomie den ordnungsrechtlichen Rahmen sicherzustellen.
Diese Verantwortung liegt bei uns. Der können und dürfen wir uns nicht entziehen.
Genau das versuchen Sie, Herr Haungs, wenn Sie der Presse erklären: Die Bauindustrie ist selbst schuld; sie hat sich an Europa nicht angepaßt. Klartext - ich habe versucht, mir das zu übersetzen -: Die Löhne müssen runter.
Wenn alle unter so erbärmlichen Bedingungen arbeiten wie die aus den europäischen Ländern entsandten Arbeitnehmer auf dem Bau, dann gibt es doch kein Problem mehr.
Herrn Haungs, es ist jedoch kein Schwarzer-PeterSpiel, bei dem Sie sich erleichtert zurücklehnen können, weil Sie ihn los sind. Sie sind ihn nämlich nicht los. Es handelt sich hierbei um ein ausgesprochen ernstes Problem, das wir im Bundestag lösen müssen.
Wie sieht es auf den Baustellen zur Zeit aus? Ein immer größerer Teil der dort Beschäftigten arbeitet zu Dumpinglöhnen zwischen 5 DM und 10 DM in der Stunde. Die Unterbringung ist oft nicht einmal menschenwürdig. Unfall- und Arbeitsschutz sind nicht zu halten.
Zwischen scheinselbständigen Arbeitnehmern aus der EU und Werkvertragsarbeitnehmern aus Osteuropa blüht inzwischen die ganze Grauzone illegaler Leiharbeit. Obwohl z. B. die polnischen Werkvertragsarbeitnehmer rechtlichen Anspruch auf gleiche Bedingungen wie die hier beschäftigten inländischen haben, sind sie ganz offensichtlich trotzdem Lohn- und Sozialdumping ausgesetzt. Sie werden mit falschen Versprechungen angeworben, haben nichts Schriftliches in der Hand und werden nach Strich und Faden ausgenutzt, was Arbeitszeiten und Niedriglöhne angeht.
Konfliktfähigkeit und Rechtssicherheit der entsandten Arbeitnehmer müssen unbedingt gestärkt werden. Das gilt auch für die Arbeitnehmer aus den Ländern der EU; die unterscheiden sich von den polnischen Werkvertragsarbeitnehmern nämlich kaum. Es gibt auch hierzu Berichte aus den Botschaften: daß die Leute im Krankheitsfall sofort hinausgeworfen werden und daß bei Unfällen die Existenz von Verträgen bestritten wird.
Die Situation auf den Baustellen ist ausgesprochen explosiv. Die Kollegen werden gegeneinander ausgespielt, und zwar nach unterschiedlicher Herkunft und nach Paß. So entstehen nationale Ressentiments und nicht etwa ein weltoffenes Europa.
Die Unternehmen der Baubranche, die sich korrekt verhalten und noch Tariflöhne zahlen, werden durch dieses Sozialdumping in den Konkurs getrieben oder
Annelie Buntenbach
gezwungen, auch unter Tarif anzubieten. Wenn Herr Murmann diesen Prozeß des freien Falls will - wir wollen ihn nicht. Die Baubranche, und zwar beide Tarifparteien, will ihn auch nicht.
Ein nach Herkunft und Paß hierarchisch organisierter Arbeitsmarkt ist einfach nicht akzeptabel. Den vorübergehend in der Bundesrepublik beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen müssen die gleichen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen garantiert werden, wie sie für inländische Arbeitskräfte gelten. Alle am Einsatzort geltenden tariflichen, arbeits- und sozialrechtlichen Standards müssen ab dem Tag der Arbeitsaufnahme angewendet werden. Die soziale Lage der ausländischen Arbeitnehmer darf nicht länger für den Profit dubioser Subunternehmer oder zum Lohndumping gegenüber Kollegen ausgenutzt werden. Tarifliche und gesetzliche Standards können nur geschützt und ausgebaut werden, wenn sie für alle Beschäftigten am Produktionsort gelten und nicht unterlaufen werden können.
Auch wenn jetzt unklar ist, welcher Gesetzentwurf die Grundlage der weiteren Beratungen bilden wird, möchte ich hier einige wesentliche Kritikpunkte zum Entwurf der Bundesregierung anmerken, diesmal nicht zur Frage der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Vielmehr möchte ich die Chance nutzen, daß nach dem Scheitern noch die Möglichkeit besteht, andere Unstimmigkeiten schon zu diesem Zeitpunkt auszuräumen.
Da ist die Frage: Wer soll von dem Gesetz erfaßt werden? Der Entwurf sagt: das Bauhauptgewerbe. Ich halte diese Beschränkung für unsinnig.
Denn das Baunebengewerbe ist mindestens ebenso betroffen. Oder arbeiten etwa diejenigen nicht unter denselben Bedingungen auf den Baustellen, die den Estrich oder die Fliesen legen oder die Elektro-, Heizungs- und Sanitärinstallation durchführen?
Das ist ein weiterer fauler Kompromiß, der ausschließlich die Kontrollen erschwert und einfach jeder Logik widerspricht.
Zweite Frage: Welche Standards sollen gelten? Hier liegen sowohl in der Stellungnahme der IG Bau, Steine, Erden als auch in den Gesetzentwürfen der SPD und des Landes Berlin ausgesprochen vernünftige Vorschläge vor, die wir in den Beratungen im einzelnen prüfen müssen. Klar ist auf jeden Fall: Es kann sich nicht allein um den ortsüblichen Lohn handeln. Vielmehr muß es auch um die gesetzlichen Regelungen z. B. in den Bereichen Arbeitsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gehen.
- Das kommt noch.
Zu den im harten Kern einer Richtlinie zu regelnden Arbeitsbedingungen gehört auch - das möchte ich für die weiteren Beratungen ausdrücklich betonen - ein Verbot der Diskriminierung auf Grund von
Hautfarbe, Rasse, Religion, Überzeugung, staatlicher Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Damit können wir versuchen sicherzustellen, daß auch diejenigen Personen aus dem Ausland, die auf dem Arbeitsmarkt gleiche Chancen genießen sollen, wirksame soziale Schutzrechte in Not- und Härtefallen haben.
Um der illegalen Leiharbeit entgegenzutreten, ist es das mindeste, auch das Arbeitnehmerüberlassungsrecht, von dem ich sonst wirklich nicht viel halte, zur Geltung zu bringen und außerdem arbeitnehmerähnliche Personen, sprich: Scheinselbständige, mit einzubeziehen.
Wie sehr die jetzige erbärmliche Lage auf den Baustellen die Risiken von Unfällen verschärft, ist offensichtlich. Um so wichtiger ist es, daß auch für entsandte Arbeitnehmer die Unfallverhütungsvorschriften gelten müssen.
Die Einbeziehung der Sozialkassen hätte einen doppelten Sinn: zum einen, die Standards anzugleichen, und zum anderen, eine Kontrolle der Einhaltung der Gesetzesvorschriften zu erleichtern. Denn damit wäre eine Erfassung und Überprüfung ermöglicht, die nicht nur im nachhinein auf den Baustellen stattfindet.
Genau nach solchen strukturell eingebauten Kontrollmöglichkeiten müssen wir in den Beratungen suchen. Denn die Frage, wie die Kontrollen ablaufen sollen und ob sie Erfolg haben können, halte ich bei einem Entsendegesetz für ganz entscheidend. Der alte Entwurf der Bundesregierung sagt hier lediglich lapidar: Das sollen die Länder machen. Das mindeste ist doch, die Bundesanstalt für Arbeit einzubeziehen. Wer nicht einmal das tut, programmiert den Mißerfolg vor, um dann nach zwei Jahren sagen zu können: Seht ihr, es nützt doch gar nichts.
Damit komme ich zum schlagendsten Unsinn des Regierungsentwurfs, der Beschränkung auf zwei Jahre. Alle Experten und Expertinnen haben bei der Anhörung im Juni - gleich, was sonst ihre Meinung zum Entsendegesetz war - einhellig festgestellt, daß das überhaupt keinen Sinn mache. Wenn Sie in Ihrem Gesetzentwurf einfordern - das habe ich auch hier gehört -, daß sich die Baubranche auf europäische Standards umstellen soll und das in diesen zwei Jahren geschehen soll, dann, finde ich, muß man auch klar sagen, was das heißt: Dabei kommen nicht menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle im europäischen Rahmen, sondern Lohn- und Sozialdumping als gesellschaftlicher Normalfall heraus.
Herr Blüm, das mit den zwei Jahren können Sie doch eigentlich nicht ernst gemeint haben. Oder hoffen Sie, daß Sie nach der Berlin-Wahl - oder genauer: nach dem Berlin-Wahlergebnis von Herrn Rexrodt - aus dieser absolut schrägen Kompromißlage wieder herauskommen?
Ich bin auf die weiteren Beratungen insgesamt gespannt. Wir müssen zügig weiterkommen. Noch ein
Annelle Buntenbach
Sommer mit diesen schlimmen Bedingungen auf dem Bau ist nicht zu verantworten.
Für die Zielsetzung der Entsenderichtlinie, nicht für die von der Bundesregierung vorgelegte Ausgestaltung, gibt es zwar im Moment keine Mehrheit in den Regierungsfraktionen, aber im Parlament. Daraus kann man doch etwas machen. Dabei wünsche ich Ihnen, Herr Blüm, und uns allen viel Erfolg.