Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte, die wir heute geführt haben, hat deutlich gemacht, daß es bei einem ungewöhnlich komplizierten Thema manche Übereinstimmungen, aber auch viele Kontroversen gibt. Es liegt wahrscheinlich in der Natur jedenfalls dieses Themas, daß die Übereinstimmungen eher im Grundsätzlichen liegen und da, wo es um konkrete Schlußfolgerungen aus diesen prinzipiellen Positionen geht, die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen.
Ich will zum Schluß dieser Debatte den Versuch unternehmen, ganz ohne Polemik ein paar der Sachverhalte zu sortieren, bei denen wir hoffentlich in dem einen Bereich eine möglichst breite Übereinstimmung haben und uns in dem anderen Bereich, wo wir sie noch nicht haben, jedenfalls gemeinsam um Klärungen bemühen sollten. Wenn wir hier über eine Branche, über einen Sektor unserer Volkswirtschaft reden, von dem wir übereinstimmend sagen, daß wir auf ihn schwerlich verzichten können und schon gar nicht verzichten wollen, und von dem wir alle miteinander wissen, daß seine Wettbewerbs- und Überlebensbedingungen ohne politische Flankierung gar nicht vorstellbar sind, dann lohnt sich schon das gemeinsame Bemühen, eine möglichst breite Basis für das Maß an politischer Flankierung zu suchen, das dieser Sektor ohne Zweifel braucht.
Ich will deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus gutem Grund mit der Bemerkung beginnen: Wenn wir über Luft- und Raumfahrt in Deutschland reden, dann reden wir nicht nur über ein Großunternehmen, sondern wir reden auch über eine beachtliche Anzahl an kleineren und mittleren Untemehmen, die übrigens mit vollem Recht von der Politik erwarten, daß ihre Interessen genau so wahrgenommen und politisch genau so berücksichtigt werden, wie es für das Unternehmen gilt, das heute nicht zufällig im Mittelpunkt dieser Debatte gestanden hat.
Zweitens. Die Lage der Luft- und Raumfahrtindustrie ist schwierig, aber sie ist nicht dramatisch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein der Respekt gegenüber vielen Branchen und Sektoren unserer Volkswirtschaft, die sich auch ganz schwierigen Wettbewerbsbedingungen gegenübersehen und deren Überlebensaussichten und Wettbewerbsbedingungen im alten Teil der Republik und schon gar in den
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
neuen Ländern mindestens so schwierig und bestimmt nicht einfacher sind als bei den Firmen, über die wir heute reden, gebietet, diese Relativierung der Debatte vorzunehmen, zumal es im übrigen nicht viele Sektoren gibt, für die man mit gleicher Plausibilität sagen kann, daß sie ganz sicher nicht zu den sterbenden Industrien gehören, sondern zu einem Sektor, der unbestrittene Wachstumsperspektiven hat. Es ist übrigens gerade der zivile Bereich, von dem zu Recht gesagt worden ist, daß er die Zukunft dieser Industrie darstellt. Sowohl mit Blick auf den Flugzeugbereich wie mit Blick auf die Raumfahrttechnologien, bei denen wir gerade am Beginn der Kommerzialisierungsphase stehen, haben wir beachtliche Wachstumsperspektiven.
Von daher besteht überhaupt kein Anlaß, die unbestritten schwierige Situation, in der sich diese Branche befindet, in einer Weise zu dramatisieren, die die Proportionen vollständig verkennen und verkehren würde.
Das gebietet im übrigen auch, Herr Kollege Fischer, weil Sie das ja sicherlich meinen, eine gewisse Relativierung mancher aufgeregten Erwartungen hinsichtlich politischer Interventionen. Das will ich ausdrücklich auch an dieser Stelle festgehalten haben.
Wenn wir über die Luft- und Raumfahrtindustrie am Standort Deutschland reden - und da geht die Diskussion von der Abteilung Allgemeines in die Abteilung Konkretes -, dann dürfen wir nicht nur allgemein Sympathieerklärungen für einen Sektor unserer Volkswirtschaft abgeben, sondern dann muß jeder für sich, jede Partei für sich, jede politische Gruppierung für sich erklären, ob sie eigentlich Interesse an den Produkten hat, die an diesen Standorten hergestellt werden.
Jedenfalls ist es einigermaßen abenteuerlich, sich mit allgemeinen Generalerklärungen über die strategische Bedeutung dieser Industrie über Wasser halten zu wollen, aber bei jeder konkreten Frage nach dem Produkt einen fundamentalistischen Streit darüber zu beginnen, ob denn ausgerechnet an diesem Produkt in unserer Volkswirtschaft ein Interesse bestehen könne.
Das registrieren im übrigen die betroffenen Belegschaftsmitglieder mit großer Sensibilität.
Ich will beim Stichwort Belegschaft - ich führe in diesen Wochen sehr viele und sehr intensive Gespräche an vielen Standorten - an dieser Stelle einmal meinen großen Respekt nicht nur vor der ungewöhnlichen Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter in dieser Branche zum Ausdruck bringen, sondern auch vor
ihrer ganz ausgeprägten Bereitschaft, sich der schwierigen Situation, in der sich die Unternehmen befinden, aufgeschlossen zu stellen und ausdrücklich zu erklären, daß sie bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, was die Überwindung dieser Schwierigkeiten angeht.
Das, was gelegentlich auch in dieser Debatte an vordergründigem Bemühen zu erkennen war, den Schwarzen Peter irgend jemand anderem zuzuschieben, wird ausgerechnet auf seiten der unmittelbar betroffenen Belegschaft in einer bewundernswerten Weise vermieden, die sich nämlich den Fragen stellt, um die es tatsächlich geht.
Meine Damen und Herren, zur Relativierung des Problems gehört auch, daß präzise die gleiche Debatte, die wir hier führen, nicht nur in Deutschland, sondern gleichzeitig an jedem Luft- und Raumfahrtstandort in Europa und selbst in den Vereinigten Staaten geführt wird.
Wir befinden uns in einer gründlich veränderten Welt. Überall gibt es massive Konsequenzen dieser Veränderungen, gerade im Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie.
Nun haben wir im Unterschied zu manchen anderen Ländern diesen Bereich privatwirtschaftlich organisiert. Die Bundesregierung läßt auch keinen Zweifel daran, daß es bei dieser privatwirtschaftlichen Verfassung der Luft- und Raumfahrtindustrie in Deutschland bleiben soll. Dann heißt das aber im Klartext: Daraus ergeben sich spezifische Verantwortlichkeiten, die nicht beliebig, je nach Problemlage ausgewechselt werden können.
Die Frage, welche Produkte an welchem Standort mit wie vielen Arbeitsplätzen hergestellt werden können und hergestellt werden sollen, ist eben nicht von der Politik zu entscheiden, sondern von den betroffenen Unternehmen. Dies war der ausdrückliche Zweck der Operation Privatisierung. Wir täten weder der Politik noch der Industrie einen Gefallen, wenn wir dann, wenn diese Frage konkret wird, in Umkehrung unserer eigenen Absichten die umgekehrten Empfehlungen hier vortragen würden.
Deswegen halte ich es auch für vordergründig, wenn dann, wenn sich in einer solchen Situation die unmittelbar betroffenen Unternehmen um die unpopuläre Klärung solcher offener Fragen bemühen, hier mit der populären Forderung aufmarschiert wird, zunächst müsse das Unternehmen solche Planungen vom Tisch nehmen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, weswegen haben wir diesen Bereich denn privatwirtschaftlich organisiert? Damit endlich die Antwort auf die Frage, was an welcher Stelle mit am ehesten gegebener Aussicht auf Wettbewerbsfähigkeit hergestellt wird, nicht von dem Durchsetzungsvermögen von Wahlkreismatadoren abhängig gemacht wird, sondern von der nüchternen Einschätzung der tatsächlichen Marktchancen und der Wettbewerbsfähigkeit.
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
Meine Damen und Herren von der Opposition, bei manchem meiner Standortbesuche habe ich tatsächlich den Eindruck gehabt, daß die Belegschaften in der Einsicht in diese Zusammenhänge schon erheblich weiter sind, als es mancher Diskussionsbeitrag heute morgen erkennen ließ.
Es hat keinen Sinn, nun Durchhalteparolen zu formulieren: Wir halten die Luft- und Raumfahrtindustrie, koste es, was es wolle. Die Wahrheit ist: Wir halten sie nicht, koste es, was es wolle. Entweder wird sie an diesem Standort wettbewerbsfähig, oder es wird sie nicht geben.
In dem Zusammenhang können wir an einer Einsicht nicht vorbei, die allerdings erhebliche Veränderungen auf seiten der Politik erfordert, der Einsicht nämlich, daß die Zeiten vorbei sind, in denen das in nationaler Kompetenz oder in der Kompetenz einzelner Unternehmen bewältigt werden konnte.
Entweder wird die Luft- und Raumfahrt europäisch, oder sie wird irrelevant. Es wird sie nicht mehr geben, wenn wir nicht zu ganz neuen, sehr viel intensiveren Konzepten europäischer Zusammenarbeit kommen.
Wenn hier - auch von der Opposition - gesagt wird, wir seien ja bereit, an allem mitzuwirken, dann lade ich Sie herzlich ein, bei zwei ganz konkreten Fragen mitzuwirken, die wir in kürzester Zeit politisch klären müssen, weil nämlich keine Klärungsmöglichkeit für die Unternehmen gegeben ist, sondern es sich um eine originäre Entscheidungskompetenz der Politik handelt.
Erstens. So lange, wie es Luft- und Raumfahrt gibt, hat es einen engen Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Nutzung gegeben. Das muß einem nicht unbedingt gefallen, aber zur Kenntnis nehmen sollte man es schon.
Zu den Realitäten, über die wir reden, gehört, daß der Versuch einer sauberen Trennung zwischen zivilen und militärischen Forschungen, Entwicklungen und Nutzungen immer realitätsfremder wird. Jeder muß wissen, daß dann, wenn er auf einer solchen sauberen Trennung besteht, dies für die Luft- und Raumfahrtindustrie am Standort Deutschland bedeutet, daß sie sich von genau solchen Entwicklungen und solchen Produkten verabschieden muß, die tatsächlich Marktchancen für die Zukunft haben. Dies ist eine Klärung, die die Politik für die Industrie leisten muß. Herr Kollege Scharping, ich sehe mit großem Interesse der Diskussion mit der Opposition entgegen, die wir an dieser Stelle führen müssen.
Ich will unter dem Stichwort „Klärungsbedarf" einen zweiten Punkt nennen - wirklich ohne jeden Anflug von Polemik -, den Sie, wie nahezu jeder in dieser Debatte, völlig zu Recht angemerkt haben: Wir brauchen ganz andere, neue Formen europäischer Zusammenarbeit. Im übrigen ist es wahr: Es gibt Inkonsistenzen sowohl im Entwicklungsbereich als
auch im Forschungs- und im Beschaffungsbereich. Diese Inkonsistenzen gibt es nicht nur bei den Franzosen, den Niederländern oder den Briten. Die ganze Wahrheit ist: Es gibt sie gelegentlich auch bei uns.
Allerdings sollte man nicht einerseits die Beschaffungspolitik der Bundesregierung deswegen kritisieren, weil sie nicht in Deutschland kauft,
und andererseits die Erwartung zurückweisen, daß zur Sicherung von Beschäftigungschancen eine bestimmte Entscheidung zugunsten deutscher Unternehmen getroffen werden müßte. Hier muß man sich auch entschließen, welche Art der Argumentation man sich nun wirklich zu eigen machen will.
Wahr ist - deswegen habe ich das vorgetragen -: Es gibt Inkonsistenzen, und darüber müssen wir reden. Wenn wir in dieser Branche nur mit einer europäischen Perspektive überleben können, dann muß diese europäische Perspektive Forschung, Entwicklung, Beschaffung, Nutzung und zunehmend übrigens auch Wartung einschließen. Sonst werden wir das gar nicht durchhalten können.
Der zweite unverzichtbar anstehende Klärungsbedarf - ich sage das nur noch stichwortartig - betrifft die Exportregelung, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben. Herr Scharping, unter den gegebenen gesetzlichen Bestimmungen sind Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland nur begrenzt kooperationsfähig. Die gesamte Debatte über notwendige europäische Perspektiven bleibt eine pure Sympathieerklärung, wenn wir nicht bereit sind, uns ganz nüchtern, ganz unvoreingenommen, aber eben auch ganz konkret mit der Frage zu beschäftigen: Wo schaffen wir selber durch unsere gesetzlichen Bestimmungen, die aus der Vergangenheit stammen und damals vielleicht gut begründet waren, Verzerrungen von Wettbewerbsbedingungen, die eine der wesentlichen Hürden für die Leistungsfähigkeit unserer eigenen Unternehmen darstellen? Ich stelle mit Sympathie fest, daß es, jedenfalls in den Ländern, eine beachtliche Neigung gibt, sich dieser Frage ganz nüchtern und unvoreingenommen zu widmen. Wir werden das hoffentlich gemeinsam in diesem Hause tun.
Meine Damen und Herren, die Industrie weiß sehr wohl, daß die Bundesregierung keineswegs als Adressat beliebiger Anforderungen an öffentliche Kassen zur Verfügung steht. Ganz gewiß können die Renditeerwartungen von Unternehmen nicht durch einen Griff in öffentliche Kassen gedeckt werden. Wenn sie diese Rentabilitätsziele erreichen, à la bonne heure, aber dies darf ganz sicher nicht unter Rückgriff auf öffentliche Kassen geschehen.
Umgekehrt muß klar sein: Die Politik muß in den Funktionen, in denen sie originär allein entscheiden muß und das Unternehmen aus guten Gründen gar keine Entscheidungskompetenz hat, ihren eigenen
Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert
Aufgaben tatsächlich auch nachkommen. In genau diesem Sinne, mit genau dieser Perspektive wird die Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrtindustrie sicher kein bequemer, aber ganz gewiß ein verläßlicher Partner sein.