Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist hier mehrfach gesagt worden - dem stimmen wir zu -, daß die Luft- und Raumfahrtindustrie in Deutschland und in Europa eine strategische Schlüsselindustrie ist. Das war schon die Verständigung der Ministerpräsidenten im Jahr 1993. Der Satz hat allerdings überhaupt keinen Wert, wenn er nicht durch konkretes Handeln ergänzt wird.
Deshalb will ich zunächst sagen, daß das Konzept der DASA, bekannt unter dem Namen Dolores, ein unternehmerisch unverantwortliches Konzept ist.
Es ist aus mehreren Gründen unverantwortlich: Es unterstellt einen Dollarkurs, wie er Gott sei Dank in diesem Jahr bisher nicht erreicht worden ist und hoffentlich auch in Zukunft nicht erreicht wird; es unterstellt eine Kapitalrendite, wie sie in keinem deutschen Unternehmen üblich ist und schon gar nicht in einem Unternehmen üblich werden darf, das in hohem Umfang mit öffentlichen Mitteln gefördert wird;
und es informiert die Öffentlichkeit nicht über den banalen Umstand, daß jede verantwortliche Unternehmensführung sich gegenüber Währungsrisiken entsprechend absichert. Die Gewinne aus solchen Kurssicherungsgeschäften werden nicht erkennbar gemacht.
Vor diesem Hintergrund beschleicht mich der Verdacht, daß das Unternehmen hier und da den vorhandenen Druck vergrößern und jetzt zum Teil von der Politik Wünsche erfüllt bekommen will, die sich aus einer verantwortlichen zukunftsweisenden unternehmerischen Konzeption nicht ergeben.
Insofern will ich hier für die sozialdemokratische Seite festhalten, daß wir die Betriebsräte, die IG Metall sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei allen geeigneten Maßnahmen unterstützen, in dieser strategischen Schlüsselindustrie Arbeitsplätze zu erhalten, und zwar auf Dauer.
Damit ist man dann bei der zweiten Frage, nämlich: Gibt es noch etwas mehr als unternehmerische Verantwortung? Dies gibt es allerdings. Mir ist - der Kollege Stoiber kann aus guten Gründen nicht da sein - sehr wohl aufgefallen, daß der Kollege im Kern eine andere Konzeption verfolgt als die Bundesregierung.
Im Kern verfolgt er nämlich eine industriepolitische Vorstellung, die im Bereich Forschung und Entwicklung, im Bereich Beschaffung, im Bereich entsprechender Quersubventionen aus der Beschaffung und durch die offene Ausweisung von Subventionen darauf hinausläuft, in dieser strategischen Schlüsselindustrie dauerhaftes öffentliches Engagement zu ermöglichen.
Darüber kann man streiten. Diesen Streit will ich hier jetzt nicht führen. Aber wenn man hört, was Herr Rexrodt gesagt hat - dazu muß man, wie Sie wissen, Herr Rexrodt, nicht unbedingt hier vorne sitzen, sondern man kann auch einmal dahinten sitzen -, und dann Revue passieren läßt, was Herr Rüttgers dazu gesagt hat, ist überdeutlich, daß nicht nur eine Differenz besteht zu dem, was Herr Stoiber gesagt hat, sondern daß auch zwischen den Mitgliedern der Bundesregierung eine im Kern unterschiedliche Konzeption verfolgt wird.
Da ist es nicht verwunderlich, daß Sie von diesem und jenem ablenken wollen. Dafür haben Sie dann einen billigen Vorwand, wie leider häufig. Aber das ändert gar nichts daran, daß hier von den Mitgliedern der Bundesregierung und dem Ministerpräsidenten Stoiber drei unterschiedliche Varianten einer langfristigen Konzeption vertreten worden sind.
Wie in einer solchen Situation das Versprechen eingelöst werden soll, man tue etwas für die Erhaltung dieser strategischen Schlüsselindustrie, bleibt allerdings rätselhaft. Nur dann wird auch verständlich, wie sich die Bundesregierung in dem Punkt bisher verhalten hat.
Sie können immer zur Opposition kommen und sagen: Teilen Sie uns mit, wie Sie sich verhalten werden, wenn wir das und das auf den Tisch legen. Von uns werden Sie immer die Antwort hören: Wir sagen Ihnen das, wenn es auf dem Tisch liegt; denn erst einmal wollen wir wissen, was auf dem Tisch liegt.
Rudolf Scharping
Ihre Verantwortung ist mindestens die, gegenüber einem solchen Unternehmen - angesichts der Bedrohung von 15 000 Arbeitsplätzen, angesichts der Bedeutung dieser Industrie für den Mittelstand, angesichts der Bedeutung dieser Industrie weit über die Jahre 1995 und 1996 hinaus, angesichts der Bedeutung für Umweltüberwachung, Nachrichtentechnik, die nachgelagerten Industrien im Bereich der Telekommunikation usw. - klar dazu Stellung zu nehmen, ob sie ihm langfristig verläßliche Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen können.
Auch das tun Sie nicht. Das ist kein Wunder, wenn es einen konzeptionellen Streit gibt, bei dem auf der einen Seite ein Ministerpräsident sagt „Es muß ein dauerhaftes öffentliches Engagement geben" und auf der anderen Seite der Bundeswirtschaftsminister verkündet „Die müssen sich im Markt behaupten".
Wenn Sie als Bundesregierung eine solche Position vertreten - für die man durchaus Argumente finden kann -, dann ist es Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß ein im internationalen Wettbewerb stehendes Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen wie andere vorfindet. Noch nicht einmal das tun Sie.
Ich will Ihnen das jetzt an einigen wenigen Beispielen, die mit den Rahmenbedingungen zu tun haben, kurz demonstrieren. Sie haben in den GATT-Verhandlungen zugelassen, daß die direkte Förderung heruntergefahren und die Quersubvention nicht vernünftig limitiert wurde. Auf gut deutsch: Sie haben zugelassen, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika über den Rüstungshaushalt in erheblichem Umfang die zivile Luftfahrt, die zivile Raumfahrt subventionieren können. In Deutschland funktioniert das entweder mit dem Haushalt nicht oder ist nicht gewollt. Aus welchen Gründen auch immer: Sie haben ungleiche Wettbewerbsbedingungen zugelassen.
Ich finde es schon beachtlich: Da stellt sich ein Mitglied der Bundesregierung hier hin und weiß ganz genau, welche Vorwürfe es an die SPD zu adressieren hat. Aber wenn man nach dem Verhalten der Bundesregierung fragt - auf der Ebene der Beschaffung, bei der Marine, bei der Munition, bei den Hubschraubern usw. - und hier über einen Luft- und Raumfahrtkonzern diskutiert, ist es schon an der Grenze der Lächerlichkeit, daß ein Mitglied der Bundesregierung Unwissenheit vorschützt, während die Bundesregierung, der es angehört, gleichzeitig Beschaffungsvorhaben durchzieht, die im Kern die Arbeitsmöglichkeiten bei dem Unternehmen, über das wir reden, beschädigen.
Das ist die Tatsache. Dazu können Sie nichts sagen.
Ein Punkt bei den Rahmenbedingungen ist: Sie lassen ungleiche Wettbewerbsbedingungen zu. Sie tragen Verantwortung dafür, daß es sie gibt; denn so alt sind die GATT-Abkommen noch nicht.
Zweitens geht es um die europäische Kooperation. Alles, was wir hier über europäische Kooperation hören - namentlich mit Frankreich oder um europäische Konzerne aufzubauen -, ist richtig und wird von uns unterstützt werden. Es macht aber wenig Sinn, die eigene Unfähigkeit hinter Vorwürfen an die Opposition zu verstecken.
Das will ich an einem einzigen Beispiel deutlich machen. Es mag sein - übrigens so wie bei Ihnen, Herr Rüttgers -, daß es innerhalb der Sozialdemokratie zu Einzelfragen der bemannten Raumfahrt unterschiedliche Auffassungen gibt. Im Kern allerdings wollen wir, daß im Bereich des. Aufklärungssatelliten, im Bereich der Raumfahrt - im Zweifel auch der bemannten Raumfahrt -, der Luftfahrtforschung, der Frage nach neuen Antrieben, der Verwendung anderer Energiearten konsequent etwas gemacht wird. Denn wenn Sie diese zunächst und vor allen Dingen zivilen Entwicklungsrichtungen nicht konsequent fördern, dann können Sie Arbeitsplätze bei der DASA gar nicht auf Dauer retten, auch nicht mit militärischen Beschaffungsvorhaben. Das ist völlig ausgeschlossen.
Drittens gibt es so etwas wie eine politische Gesamtverantwortung. Was wir hier vorgeführt bekamen, war: Stoiber sagt a, Rexrodt sagt b, Rüttgers sagt c. Ob Rühe d sagt, darüber konnte man heute etwas lesen; darauf komme ich gleich noch zurück. Was Sie an Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben, hat wegen des Bruchs in den Währungsrelationen Zehntausende von Arbeitsplätzen in Deutschland gekostet.
Das wird im Zusammenhang mit der DASA überdeutlich bestätigt. Denn die ganze Konzeption Dolores, unverantwortlich, wie sie ist, hat doch nur einen wirklichen Bezugspunkt, nämlich einen Dollarkurs, von dem man, wenn Sie mit der internationalen Kooperation so weitermachen, befürchten kann - vielleicht begründet -, daß er erreicht wird. Wenn Sie weiter erlauben, daß die Amerikaner über die Währungsrelationen Industriepolitik machen, und nichts Anständiges dagegensetzen, dann könnte das sogar eintreten.
Was Sie hier machen, ist keine Konzeption, son-dem Muddling-through mit diesem oder jenem. Wenn Sie nämlich eine Konzeption hätten, dann würden Sie Ihre Beschaffungsentscheidungen auf die Existenzfähigkeit des Unternehmens konzentrieren und die Rahmenbedingungen entsprechend setzen.
Rudolf Scharping
Ich will als vierten Punkt hinzufügen: Ein Land, das Verteidigung braucht, braucht auch eine wehrtechnische Industrie; das ist unbestritten. Ein Land, das Verteidigung braucht und eine wehrtechnische Industrie hat, wird klugerweise dafür sorgen, daß es auch aus dem eigenen Land entsprechende Beschaffungsaufträge gibt. Das hat etwas mit der Industrie und ihrer Grundlage zu tun; das hat etwas mit Arbeitsplätzen zu tun; es hat übrigens auch mit dem notwendigen Maß an Unabhängigkeit zu tun, aller in Zukunft stattfindenden Integration zum Trotz. Mit all diesen Aspekten hat es zu tun.
Folgerichtig wäre es klug - vielleicht reden Sie, Herr Rüttgers, darüber einmal mit Ihrem Kollegen Rühe oder anderen -, solche Beschaffungsentscheidungen voranzubringen. Sie werden in der SPD keinen Widerstand, sondern Unterstützung finden, wenn es um bestimmte Beschaffungsvorhaben geht - nicht bei allen.
Ich stimme dem Bundesverteidigungsminister ausdrücklich zu, wenn er sagt: Der Eurofighter ist keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme; die Entscheidung kann frühestens Mitte 1996 getroffen werden. Es ist richtig: Rüstung und wehrtechnische Industrie bedeuten Arbeitsplätze. Aber niemals kann das auslösende Motiv für Rüstung und Beschaffungsvorhaben der Arbeitsplatz sein. Das ist vielmehr das notwendige Ergebnis.
Da offenkundig in bestimmten Fragen - ich nenne das zukünftige große Transportflugzeug - gar keine Differenzen bestehen, fragt man sich natürlich: Was bewegt die Mitglieder der Koalition, in diese Debatte jetzt diese eine Beschaffungsmaßnahme, den Eurofighter, einzuführen?
Die Vertreter der Bundesregierung sagen, daß frühestens 1996 über sie beschlossen werden könne. Wir wissen, daß der Vorstand der DASA aber schon in diesem Jahr bestimmte Entscheidungen treffen will. Auf gut deutsch: Der Verteidigungsminister bestätigt uns öffentlich, daß die Debatte über dieses Flugzeug überhaupt nichts mit der langfristigen Existenzfähigkeit der DASA zu tun hat.
Ich komme zu meinem letzten Satz: Ich kann sehr gut verstehen, daß man über diese Frage diskutiert. Ich halte die Position beispielsweise des Hamburger Bürgermeisters Voscherau für eine absolut rationale. Sie ist schriftlich niedergelegt; ich kann sie sehr gut nachvollziehen. Sie ist aus meiner Sicht politisch sehr gut vertretbar. Aber ich warne davor, die schwerwiegenden Mängel in der Politik der Bundesregierung, was die Rahmenbedingungen angeht, was die europäische Kooperation angeht und was das Beschaffungswesen angeht, hinter einer einzelnen Frage zu verstecken.
Kurzfristig ist das vielleicht parteipolitisch reizvoll; langfristig ist es für die industriellen, für die technologischen Kapazitäten und die daraus entstehenden
Arbeitsplätze in Deutschland gefährlich. Die Arbeitsplätze, die Technologie und die zukünftige Entwicklung sind wichtiger als dieser kleinkarierte, erbärmliche, kümmerliche parteipolitische Streit.