Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier für Niedersachsen, weil in unserem Bundesland drei bedeutende DASA-Standorte sind - Nordenham, Varel und Stade - und weil an den Standorten Hamburg und Bremen die Hälfte der dort Beschäftigten niedersächsische Bürger sind. Diese Beschäftigten schauen - das hat Herr Stoiber eben schon deutlich gemacht - in erster Linie auf die Landesregierungen, wenn es um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze geht.
Worum geht es? Es geht um die Sicherung von industriellen Arbeitsplätzen am Standort Deutschland, und zwar in einer Größenordnung, die die strukturellen Schwierigkeiten des Industriestandortes Deutschland drastisch verschärfen wird, wenn es nicht gelingt, diese Arbeitsplätze zu erhalten. Die Luft- und Raumfahrtindustrie ist ein Kern der industriellen Kompetenz in Deutschland und Europa und damit Voraussetzung für Forschung, Entwicklung und auch Beschäftigung. Ich bin dankbar, daß der Kollege Rexrodt dies zu Beginn seiner Ausführungen noch einmal deutlich unterstrichen hat.
Meine Damen und Herren, die Dolores-Studie ist ein Konzept eines Unternehmensberaters, das aufzeigt, wie man nach dessen Vorstellungen die Kosten so reduzieren kann, daß Gewinne erreicht werden. Das geht voll zu Lasten der Beschäftigten. Ich kritisiere bei einem solchen Vorgehen, daß eine umfassende unternehmenspolitische Bewertung außer acht gelassen wurde.
Ich möchte es einmal überspitzt ausdrücken: Für jedes Arbeitspaket findet man sicherlich irgendwo auf der Welt ein Unternehmen, das kostengünstiger produzieren kann. Wenn man das zu Ende denkt, dann
heißt das, daß in Deutschland der Vorstand und das Sekretariat verbleiben. Kein Mensch - ich sage bewußt: auch nicht die Vorstände dieser Unternehmen - wird ein solches Szenario ernsthaft wollen können.
Ich will hervorheben, daß die niedersächsische Landesregierung die gegenwärtige Situation der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie durchaus als dramatisch ansieht und deshalb auch anerkennt, daß für die Unternehmensführung der DASA die Notwendigkeit besteht, die Unternehmensstrukturen dem Weltmarktniveau anzugleichen. Dabei spielt aber auch die Frage eine Rolle, wer eigentlich die Verlustbringer im Unternehmen sind. Es muß sehr ernsthaft der Frage nachgegangen werden, was mit Fokker und mit Dornier ist; Frau Skarpelis-Sperk hat schon darauf hingewiesen.
Es geht allerdings auch nicht darum - da möchte ich Herrn Stoiber in seiner Aussage unterstützen -, den einen gegen den anderen Standort auszuspielen, ob er nun in Bayern oder in Niedersachsen liegt. Vielmehr geht es um die Herstellung von besseren Positionen eines jeden einzelnen Unternehmensteiles. Die zu ergreifenden Maßnahmen müssen die Basis eines jeden einzelnen Standortes sinnvoll stärken.
Das Dolores-Papier ist in meinen Augen ein wenig intelligentes Kahlschlagkonzept, und deshalb muß es kritisch bewertet werden.
In die Bewertung müssen vor allem die Bewertungen der Betriebsräte und der Gewerkschaften einfließen. Die haben ja bereits signalisiert, daß sie konstruktiv z. B. an neuen Arbeitszeitmodellen mitarbeiten wollen. Dies sollte von der Unternehmensleitung aufgegriffen werden.
Wie so etwas geht, hat Volkswagen vorgemacht.
Meine Damen und Herren, natürlich muß ein Konzernvorstand im Sinne seiner Aktionäre Entscheidungen treffen, die auch vor dem Markt zu verantworten sind. Aber hier geht es um mehr. Hier geht es um Entscheidungen, ob Arbeitsplätze vernichtet und ins Ausland verlagert werden, und zwar geht es um solche Arbeitsplätze - das ist heute schon mehrfach hervorgehoben worden -, die mit hohen öffentlichen Subventionen geschaffen worden sind. Ich will diese Zahlen nicht wiederholen. Es sind hohe Summen. Deshalb geht dieses Thema auch die Politik etwas an. Ich erkenne an, daß in kurzer Zeit in Deutschland der Aufbau einer Luftfahrtkompetenz entstanden ist, an der der Daimler-Konzern einen erheblichen Anteil hat. Ich fordere aber, daß bei den zu ergreifenden Maßnahmen alles unterlassen wird, was die Luftfahrtkompetenz der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie und hier insbesondere die Luftfahrtkompe-
Minister Dr. Peter Fischer
tenz von Airbus in Frage stellen könnte. Ganz im Gegenteil, die norddeutschen Länder erwarten, daß der weitere Weg zu einer dauerhaften Festigung des Unternehmens DASA und zu einer Festigung der deutschen Kompetenz der Luftfahrtindustrie in einem europäischen Verbund führt.
Meine Damen und Herren, ich sprach von der Verantwortung der Politik in diesem Zusammenhang. Am vergangenen Montag haben sich die Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer in München mit der Unternehmensführung, den Betriebsräten und dem Luftfahrtkoordinator der Bundesregierung an einen Tisch gesetzt und dabei auch an den Bund appelliert, tätig zu werden. Es bleiben für die Politik, so glaube ich, eine Menge von Handlungsmöglichkeiten zur Sicherung von Arbeitsplätzen, z. B. indem sie sich mit der Unternehmensleitung über weitere öffentliche Fördermaßnahmen unterhalten. Ich finde, es ist müßig, Graf Lambsdorff, hier über theoretische Lehrbuchweisheiten von Subventionswirkungen zu streiten. Die Amerikaner tun es, und zwar in ungleich größerem Umfang gegenüber unserer Förderung der Luft- und Raumfahrtindustrie, die sich in weltweitem Wettbewerb behaupten muß. Das GATT-Luftfahrtabkommen läßt auch bestimmte Spielräume zu. Die Amerikaner nutzen das aus, wir nicht. Im übrigen hängen - das muß man hier auch erwähnen, und ist auch von Herrn Stoiber schon gesagt worden - viele mittelständische Unternehmen an diesem großen Unternehmen, an diesem Konzern dran. Damit hängen auch mittelständische Arbeitsplätze von der Lösung dieses Problemes ab.
Wir müssen feststellen, daß in der Vergangenheit die Bundesregierung mit ihren Fördermaßnahmen geholfen hat, Unternehmensteile der DASA, insbesondere die norddeutschen Betriebsstätten, auf ein Niveau zu heben, das erlaubt, zu Weltmarktbedingungen zu produzieren. Für die Bundesregierung stellt sich aus meiner Sicht die doppelte Frage: Erstens: In welchem Umfang kann sie zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie weitere Finanzhilfen im Rahmen der GATT-Richtlinien bereitstellen? Zweitens: Wie kann in diesem Zusammenhang deutlich gemacht werden, daß es solche Mittel nur gibt, wenn damit die Arbeitsplätze bei uns gesichert werden?
Es gibt noch ein weiteres Problem, das nur hier in Bonn gelöst werden kann und muß. Das ist die Entscheidung über die Beschaffung von Militärflugzeugen. Darüber ist schon sehr viel geredet worden. Ich glaube, es gibt hier eine relativ große Übereinstimmung, was die Frage der Nachfolge der Transall betrifft. Dieses future large aircraft ist für die norddeutschen Standorte von besondere Relevanz, weil sie in diesem Programm mit umfangreichen Arbeitspaketen vertreten sind, die langfristig die Ertragslage des Konzerns und damit hochqualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland sichern. Über das future large aircraft haben die acht WEU-Staaten grundsätzlich Einigung
erzielt. Bei einer Bestellung von 75 Flugzeugen durch das Bundesverteidigungsministerium werden ab dem Jahr 2000 rund 3 000 Arbeitsplätze benötigt. Diese Arbeitsplätze fehlen, wenn man sie heute abbaut. Das muß sehr sorgfältig bedacht werden.
Hinsichtlich der Beschaffung des Eurofighters sieht das anders aus. Darüber ist heute diskutiert worden. Ich bin allerdings der Auffassung, man sollte dieses Thema nicht überstrapazieren. Es hat in diesem Gesamtzusammenhang nicht das Gewicht, wie es heute in der Diskussion erschien.
Die Italiener wollen ihn, die Briten wollen ihn, wir Deutsche tun uns - aus guten Gründen, glaube ich - noch schwer. Es gibt in den Parteien und unter den Fachleuten eine Diskussion, ob die Beschaffung aus militärischer Sicht vernünftig und notwendig ist oder nicht. Es gibt auch die Diskussion, ob man schwedische oder amerikanische Produkte kaufen sollte, die möglicherweise billiger sind. In diesem Falle - das möchte ich hier allerdings betonen - wird es nicht ganz einfach, den Beschäftigten der DASA zu erklären, nachdem Milliarden an Entwicklungsgeldern in den Eurofighter geflossen sind, warum im Falle einer Kaufentscheidung und auf Grund militärischer Notwendigkeiten ein solches Flugzeug nicht bei uns gebaut wird.
Wenn also die Bundesregierung eine Beschaffungsentscheidung fällt, die sie für militärisch sinnvoll und finanziell machbar hält, dann plädiere ich - wie mein Ministerpräsident - allerdings nachhaltig dafür, daß dieses Flugzeug auch in Deutschland produziert wird.
Nicht zuletzt will ich auch noch auf die Beschaffung der Hubschrauber hinweisen. Für sie gilt im Grundsatz das gleiche. Die norddeutschen Länder Hamburg, Bremen und Niedersachsen sind natürlich in erster Linie von der zivilen Luftfahrtstrategie und hier insbesondere von der Airbus-Zukunft berührt, und zwar im Gesamtzusammenhang mit Fokker und Dornier. Es wird immer deutlicher, daß bei der Luftfahrtindustrie zukünftig gesamteuropäische Strukturen entstehen müssen. Die Gründung von europäischen Kompetenzzentren, wie sie Herr Bischoff fordert, ist notwendig. Aber dabei muß darauf geachtet werden, daß die Airbus-Kompetenz zum Bau kompletter Flugzeuge in Norddeutschland erhalten wird. Mit der Endlinie für die 321 und die 319 sind - so glaube ich - gute Voraussetzungen dafür gegeben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Raumfahrt und zu den Aufklärungssystemen Helios und Horus noch einige allgemeine Ausführungen machen. Die süddeutschen Länder sind davon stärker betroffen. Die Entscheidungen der ESA zum Raumlabor und zum Raumtransporter sind nach wie vor nicht gesichert. Das ist hier auch schon mehrfach erwähnt worden. Ich finde, wenn dies nicht stattfin-
Minister Dr. Peter Fischer
den würde, wäre es für die Industriepolitik in Deutschland eine Katastrophe, und zwar nicht nur, weil rund tausend Arbeitsplätze in der Raumfahrt verloren gehen, sondern weil es um den Verlust zukunftsorientierter Potentiale geht. Die Raumfahrttechnologie ist eine Schlüsselindustrie in Deutschland.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend auf einen Punkt hinweisen: Die Länder haben - es ist von Herrn Stoiber schon erwähnt worden - bereits seit 1993 dem Bund Maßnahmen vorgeschlagen, die der Zukunftssicherung der Luft- und Raumfahrtindustrie dienen sollen. Bis heute sind einige Maßnahmen davon eingeleitet worden. Aber, wie Sie wissen, reicht das nicht aus. Die Länder werden daher ihre eigenen Bemühungen fortsetzen, die sie übrigens - Herr Rachel, das möchte ich auch noch einmal betonen - im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und ihrer finanziellen Möglichkeiten auch in der Vergangenheit zur Förderung der Luft- und Raumfahrtindustrie unternommen haben. Sie erwarten aber von der Bundesregierung, dem aktuellen Geschehen nicht länger bloß zuzusehen.
Es muß im Interesse der Beschäftigten und im Interesse des Industriestandorts Deutschland endlich etwas geschehen. Es ist schon, so meine ich, zuviel Zeit tatenlos verstrichen. Handeln Sie endlich.
Vielen Dank.