Rede von
Dr.
Winfried
Wolf
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen - interessanterweise sagen es bis auf Herrn Lambsdorff ja auch Rednerinnen und Redner aller hier im Hause vertretenen Fraktionen und Gruppen -: Das Arbeitsplatzvernichtungsprogramm Dolores muß vom Tisch. Die bei Daimler und bei DASA Beschäftigten kämpfen zu Recht um ihre Arbeitsplätze und gegen Arbeitsintensivierung. Ihnen gehört in diesem Kampf unsere uneingeschränkte Solidarität. Wir haben dies vor Ort durch Delegationen, Grußadressen usw. deutlich gemacht und machen es auch hier, im Deutschen Bundestag, deutlich.
Doch an diesem Punkt hören unsere Gemeinsamkeiten mit dem größten Teil dessen, was im Plenarsaal gesagt wurde, auf. Denn hier wird geheuchelt. Wir erleben eine Schmierenkomödie, eine höchst unmoralische Veranstaltung, wozu heute in der „WAZ", der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung", stand, daß versucht wird, den Staat mit Arbeitsplätzen zu erpressen.
Halten wir doch ganz nüchtern drei Fakten fest.
Erstens. Der DASA-Mutterkonzern ist die Daimler-Benz Aktiengesellschaft. Daimler ist der größte Konzern in diesem Land. Der Umsatz der Daimler-Benz AG übersteigt in diesem Jahr 100 Milliarden DM. Selbst die prognostizierten Verluste bei DASA von 1995 eingerechnet, wird der Gewinn des Daimler-Gesamtkonzerns zwar nicht bei 1,2 Milliarden DM, aber immerhin noch zwischen 100 und 200 Millionen DM 1995 liegen.
Wenn es denn weniger sein sollte, müßte die Bilanz genauer durchleuchtet werden. Der neue Daimler-Chef Schrempp macht doch das - das weiß Herr Lambsdorff ganz genau -, was alle neuen Topmanager in einer solchen Lage tun: Er produziert am Anfang seiner Karriere an der Spitze des Konzerns rote Zahlen. Ausgerechnet er, der den Milliarden-Flop Fokker drehte, klebt seinem Vorgänger Edzard Reuter das Etikett „Mißmanagement" ans Bein.
Schrempp erpreßt auf diese Weise die Belegschaften. Er will in den nächsten Jahren blendend dastehen. Massenhafter Arbeitsplatzabbau plus mehr Arbeitsintensität plus mehr Subventionen gleich Supergewinne und gleich Superkarriere für die eigentliche Ära Schrempp.
Allein mit Dolores sollen für 1998 und 1999 1,1 bis 1,2 Milliarden DM Gewinne eingefahren werden. Just dieser Zielsetzung sieht sich Schrempp verpflichtet. Bei Antritt seines neuen Jobs sagte er gegenüber der „Wirtschaftswoche", er kenne nur eine Philosophie, und sie heiße: „Profit, Profit, Profit."
Es geht der Regierung mit dieser Debatte also darum, ihre eigenen Gesetze der Marktwirtschaft zugunsten des mächtigsten Konzerns auszusetzen. Es geht darum, dieses Unternehmen, das übrigens das „Smart"-Auto in Frankreich und der neuen „All-Activity-Car" in den USA fertigen läßt, finanziell noch mehr zu unterstützen. Damit wahr bleibt, was wahr ist: Das größte Unternehmen in diesem Land ist zugleich der größte Subventionsempfänger. Ein Wirtschaftsminister der liberalen Partei präsentiert sich als Ritter der Marktwirtschaft in trauriger Gestalt - mit Ausnahmegesetzen für die ganz, ganz Großen.
Zweitens. Es geht um Arbeitsplätze. Richtig. Daimler-Benz hat allein seit 1990 70 000 Arbeitsplätze abgebaut. Darunter befinden sich auch einige tausend Arbeitsplätze in den Bereichen Bahnbau und Bahntechnik. Zusammengenommen wurden bei Daimler seit 1990 rund fünfmal mehr Arbeitsplätze abgebaut, als jetzt mit Dolores abgebaut werden sollen. Dazu gab es keine Parlamentsdebatte.
Es geht um Arbeitsplätze. Richtig. Die Deutsche Bundesbahn, die Deutsche Reichsbahn und jetzt die Deutsche Bahn AG haben allein seit 1990, seit der Wende, 300 000 Arbeitsplätze abgebaut. Die Deutsche Bahn AG baut pro Jahr 25 000 bis 30 000 Arbeitsplätze ab. Bis 1998 sollen weitere 100 000 abgebaut werden. Der Kollege Voscherau, der hier anwesend sein kann, hat damals, bei der Behandlung der Gesetze zur Bahnprivatisierung, gesagt: Das ist das Ende der schönen Eisenbahn. - Dazu gab es keine Parlamentsdebatte. Wo bleiben die wackeren Arbeitsplatzverteidiger?
Die im Bereich Post und Telekommunikation engagierten Kolleginnen und Kollegen - so z. B. unsere Kollegen Jüttemann und Bierstedt - haben mir die Zahlen der Arbeitsplätze genannt, die in diesem Bereich abgebaut wurden und noch zum Abbau anstehen: bisher mehr als 50 000, bis 1999 weitere 100 000.
Gestern war der Umweltausschuß in der Oberlausitz. Dort steht nochmals ein Abbau von 15 000 Arbeitsplätzen an. Wo ist die Oberlausitz-Debatte? Wo ist die Post/Telekommunikations-Debatte?
Richtig: Es geht um Steuergelder und andere Gelder, die von Millionen Menschen in diesem Land in Kassen eingezahlt werden.
Hier Subvention für Daimler. Doch warum reden diese Buchhalter der Nation nicht über die anderen gemeinschaftlich aufgebrachten Gelder? Allein der Arbeitsplatzabbau bei der Bahn, der seit 1990 stattfand, kostet diejenigen, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, jährlich rund 9 Milliarden DM. Dazu kommen die Menschen, die durch Dolores zusätzlich ihren Job verlieren sollen und die Gemeinschaftskassen mit rund 240 Millionen DM jährlich belasten werden.
Drittens. In welchen Bereichen findet mit Dolores denn auch Arbeitsplatzabbau statt? Wofür soll es mehr Steuergelder und Staatsknete geben? Exakt seit 1982, seit Antritt der Regierung Kohl, betrieb der Daimler-Konzern, unterstützt von der Deutschen Bank, Herrn Herrhausen, dann Herrn Hilmar Kopper, die Politik der Diversifizierung.
Ein Technologiekonzern sollte es werden. Daß es auch ein Rüstungskonzern wurde, sollte nicht gesagt werden. Eine strikte Anweisung der Daimler-Lobby-
Dr. Winfried Wolf
isten hier in der Bonner Flußlandschaft lautete: Der Sprachgebrauch „Technologiekonzern" ist durchzusetzen, das Wort „Rüstungsunternehmen" zu tilgen. Dabei wurden seither mit MTU, mit MBB, mit Dornier, mit Teilen von AEG Unternehmen aufgekauft, die in erster Linie Rüstungsgüter fertigen. Heute ist Daimler der größte deutsche Rüstungskonzern und der größte Rüstungsexporteur in diesem von einer angeblich christlichen Partei maßgeblich regierten Lande.
Exportiert wird auch in Länder, die aktiv Krieg führen, so in die Türkei. Exportiert wurde auch in Diktaturen, so in den Irak und nach Indonesien. Exportiert wurden Waffensysteme, U-Boot-Systeme, u. a. an das rassistische Apartheidssystem in Kapstadt. Der geschätzte Gast auf der Tribüne, für den auch ich geklatscht habe, weiß dies.
Die neuen Programme, für die jetzt zusätzliche Subventionen fließen sollen, sind Programme für neue militärische Beschaffungen. Es sind Programme, die sich hervorragend für Bundeswehreinsätze out of area eignen werden. Da ist der Jäger, der ständig umgetauft werden muß, um zu verschleiern, daß bereits 5 oder 7 Milliarden DM Steuergelder in ihn gepumpt wurden, der jetzt Eurofighter heißt und Kriege für das Konzept der Regierungskoalition für Europa führen soll. Da ist das Future Large Aircraft. Das heißt so, weil die „future", die Zukunft, im Führen neuer Kriege gesehen wird. Es handelt sich um ein riesiges Militärflugzeug, das u. a. Raum für den Transport von Panzern bietet. Da ist der Hubschrauber Uhu, der so verniedlichend bezeichnet wird, um zu verhüllen, daß es sich um einen Kampfhubschrauber handelt, usw.
Um diese todbringenden, um diese mörderischen Programme zu puschen, um hierfür zusätzlich im Jahr 1 Milliarde DM Subventionen aus den Rippen von Herrn Waigel herauszuleiern und an den größten Konzern fließen zu lassen, wird diese Debatte funktionalisiert. Dazu sollen die Beschäftigten bei DASA in ihrer Notlage instrumentalisiert werden.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, besteht jetzt ein Widerspruch zwischen meinen letzten und meinen ersten Sätzen? Vielleicht für die Herren Schrempp, Rachel, Rexrodt und Rühe, die nur noch in Kategorien denken können, bei denen sich Arbeitsplätze auf Kriegführen und Waffenproduzieren zu beschränken scheint, in deren Konzeptionen kaum Raum für weit sinnvollere Produkte und Dienstleistungen existiert.
- Sie wissen, ich bin immer für Zwischenanfragen ansprechbar, wenn die Zeit dafür nicht angerechnet wird.
Wir befinden uns in der Zeit zwischen der ersten und der zweiten bzw. dritten Lesung des Bundeshaushalts. Das ist doch eine sehr gute Gelegenheit, den Kolleginnen und Kollegen bei DASA zu Hilfe zu kommen und dem verbohrten Daimler-Vorstand wie folgt auf die Sprünge zu helfen.
Erstens. Die Subventionen, die an Daimler bzw. DASA direkt oder indirekt fließen, werden mit Wirkung des Haushalts 1996 folgendermaßen zweckgebunden vergeben: Daimler bzw. DASA wird veranlaßt, seine Rüstungssparte gezielt in friedliche Produktionen umzurüsten, zu konvergieren, z. B. in Schienenverkehrstechnik, in neue Energien, im medizinischen Bereich, eben dort, wo Daimler gerade im Ausstieg begriffen ist. Darauf hat meine Kollegin Simone Probst hingewiesen.
Zweitens. Daimler bzw. DASA wird auch im Bereich der zivilen Luftfahrt verstärkt auferlegt, in umweltverträglichere Techniken zu investieren, etwa in die Entwicklung weniger lauter und weniger energieintensiver Triebwerke.
Drittens. Daimler erhält diese Subventionen in Zukunft nur, wenn eine vertraglich vereinbarte verpflichtende Arbeitsplatzgarantie gegeben wird. Wenn schon die Marktwirtschaft ausgehebelt ist, dann richtig und im Interesse der Belegschaften.
Das sind übrigens Forderungen, wie sie im IG-Metall-Grundsatzprogramm stehen. Das sind Forderungen, wie sie unsere Gruppe in dem Antrag zum Verbot der Rüstungsexporte und zur Konversion der Rüstungsindustrie in den Bundestag einbrachte. Das sind die Forderungen, die die kirchlichen Gruppen und die Abrüstungsgruppen aufgestellt haben. Das sind die Forderungen, wie sie Jahr für Jahr bei den kritischen Aktionären auf den Hauptversammlungen der Daimler-Benz AG vorgetragen werden.
Das sind die einzigen Forderungen, die gerade auch im Interesse der Kolleginnen und Kollegen bei der DASA Zukunft bieten.
Ja, Herr Rachel, ja, Herr Rexrodt, ja, Herr Rühe, es geht um Zukunft - nicht in Kriegen, nicht für eine Raumfahrt im Himmel, nicht für Konzerninteressen. Es geht um Zukunft und Frieden auf Erden, um Arbeitsplätze für sinnvolle, dringend erforderliche Produktionen und Dienstleistungen. Dafür muß Dolores weg. Dafür brauchen wir ein Projekt DZZ: Daimlers Zivile Zukunft.
Danke schön.
Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)