Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler, Herr Minister Seehofer, hat schon sehr genau gewußt, warum er Sie mit der Zuständigkeit für die Sozialhilfe betraut hat.
- Hören Sie gut zu. Sie werden erfahren, was ich damit meine.
Die Cleverneß, mit der Sie in der letzten Legislaturperiode das Gesundheitsstrukturgesetz gegen den erbitterten Widerstand der Interessengruppen durchgesetzt haben, hat Ihnen reichlich Respekt eingebracht.
Auch bei der jetzt anstehenden sogenannten BSHG-Reform
- ich freue mich nicht so sehr, wenn von Ihrer Seite Beifall kommt, aber es tut mir gut -
muß man Ihnen, Herr Minister, wieder ein gehöriges Maß an Schlitzohrigkeit attestieren. Es ist wirklich beachtlich, wie Sie es fertigbringen, in der Öffentlichkeit etwas als Reformwerk, gar als große Verbesserung zu verkaufen, was in Wirklichkeit schamloses Kürzen und Zusammenstreichen sozialer Leistungen ist, meine Damen und Herren.
Insofern, Herr Seehofer, haben Sie in der Tat die Erwartungen Ihres Chefs erfüllt. Sie haben Ihren Gesetzentwurf zur BSHG-Novelle trotz der massiven Kritik ausnahmslos aller im Sozialbereich tätigen Verbände und Organisationen in den Bundestag eingebracht und in vielen Fällen gegenüber dem Reformentwurf sogar noch einmal verschlimmbessert.
- Das erkläre ich Ihnen.
Ob Ihnen, Herr Seehofer, diesmal auch wieder der Tapferkeitsorden für das Durchsetzen schwieriger Gesetzesvorhaben verliehen wird, wage ich zu bezweifeln. Nach Ihrer Rede heute morgen glaube ich aber, daß viele Stammtische in der Bundesrepublik Sie für den Orden wider den tierischen Ernst vorschlagen werden, Herr Minister.
Hier geht es nämlich nicht darum, Ärzten, Zahnärzten und Apothekern Spitzeneinkommen von einem sehr hohen Niveau herunterzudeckeln, hier geht es schlicht um das Existenzminimum, um das Nötigste zum Lebensunterhalt für dauerarbeitslose Menschen und Behinderte, meine Damen und Herren.
Frau Rönsch, nach Ihrem Vorschlag von heute morgen, der nicht ganz den Tatsachen und den Zahlen entsprach, mache ich Ihnen den Vorschlag, das zu tun, was kürzlich eine Journalistin getan hat, nämlich vier Wochen von der Sozialhilfe zu leben. Ich glaube, daß Sie dann hier anders reden würden, als Sie es getan haben.
Die Sozial- und Behindertenverbände haben Ihnen Ihr Reformwerk nicht von ungefähr förmlich um die Ohren gehauen. Sie haben heute morgen viele
Regina Schmidt-Zadel
Zitate von unseren Parteifreunden gebracht. Ich will Ihnen ein Zitat eines Ihrer Parteifreunde aus meinem Wahlkreis nennen. Ein CDU-Landtagsabgeordneter, der Aufsichtsratsvorsitzender einer Werkstatt für Behinderte ist, tritt vor die Presse und kündigt an, mit der eigenen Regierung in Bonn ganz schonungslos ins Gericht zu gehen. Die sogenannte Reform, so seine Kritik, werde die ohnehin schon schlechten Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter in Werkstätten für Behinderte noch unwürdiger machen. Recht hat er, dieser Kollege von Ihnen, meine Damen und Herren. Ich denke, wir können ihm zustimmen.
Herr Minister Seehofer, die vorliegende BSHG-Novelle bedeutet für die Behinderten und die Einrichtungen eine Katastrophe, und das gleich in zweierlei Hinsicht. Die Behinderten stehen nach dieser Novelle finanziell schlechter da als vorher
- ich zeige Ihnen das an Beispielen; die können Sie gerne haben, ich habe es schriftlich -, und die seit langem geforderte Verbesserung der Rechtsstellung der Behinderten, die im Referentenentwurf in weiten Teilen noch enthalten war, ist immer noch nicht verwirklicht.
Punkt 1 ist vor allem die Folge des geplanten neuen Verfahrens zur Regelsatzbestimmung und des konkretisierten Lohnabstandsgebots und trifft nicht nur die Behinderten, diese aber um so schlimmer, meine Damen und Herren.
Alle Verbände haben diese Pläne einmütig als Verabschiedung vom Bedarfsdeckungsprinzip gegeißelt. Sie, Herr Minister, haben das, was die Verbände dazu gesagt haben, als Horrormeldungen bezeichnet. Dazu kann ich nur sagen: Hört! Hört! - Sie werden doch wohl nicht ernsthaft bestreiten, daß Sie Pläne haben, die Regelsätze nach § 22 BSHG auch für 1996 bis 1999 strikt an die Entwicklung der Nettolöhne zu koppeln, und daß ab 1999 zusätzlich ein starrer Abstand zu den durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelten der unteren Lohn- und Gehaltsgruppen eingeführt wird. Das, Herr Minister und meine Damen und Herren, ist doch faktisch die Abkehr vom Prinzip der Bedarfsdeckung.
Bedarf ist schließlich das, was hilfsbedürftige Menschen zur Sicherung ihres Existenzminimums und zur Führung eines menschenwürdigen Lebens benötigen. Wenn die Kosten für diesen Lebensunterhalt, der wirklich alles andere als ein Leben in Saus und Braus ist, nun stärker steigen als die Nettolöhne, dann ist das keinesfalls eine Ungerechtigkeit, wie die Bundesregierung auch heute in den Reden nicht müde wird zu suggerieren. Die Ungerechtigkeit beginnt, wenn die Bundesregierung mit Hilfe statistischer Taschenspielertricks, mit einer unsinnigen Deckelung und mit einem starren Abstandsgebot das Existenzminimum zum Spielball der Politik macht. Das ist vorgesehen.
Ein weiterer zentraler Kritikpunkt der Behindertenverbände sind die neuen Regelungen im Bereich der Hilfsangebote der Einrichtungen für Behinderte. Auch hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Ich würde gern das Zentimetermaß meiner Kollegin auch jetzt noch einmal zeigen und demonstrieren, wie weit das auseinanderklafft.
Von Verbesserungen für die Behinderten, wie Sie, Herr Minister Seehofer, sie versprochen haben, kann überhaupt keine Rede sein, jedenfalls nicht in dem Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben. Im Gegenteil, werden diese Pläne Gesetz, sind die Auswirkungen auf die Einrichtungen für Behinderte verheerend.
Es sind vor allem drei Maßnahmen, die in Zukunft zu erheblichen Problemen für die Einrichtungen führen werden.
Da ist zum einen die geplante Deckelung der Pflegesätze in den Einrichtungen. Wie bei der Krankenhausfinanzierung soll nun auch im Behindertenbereich die Entwicklung der Pflegesätze an die Entwicklung der Beitragseinnahmen der Krankenkassen gekoppelt werden. Von seiten der Verbände wird dabei völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß sich die sozialhilfefinanzierten Einrichtungen für Behinderte mit den Krankenhäusern überhaupt nicht vergleichen lassen. Während wir es im Krankenhausbereich mit einem Überangebot an Betten zu tun haben, gibt es bei den Einrichtungen im Behindertenbereich einen riesigen Nachholbedarf. Das Netz an Wohnheimen, Tagesstätten, Werkstätten und ambulanten Diensten ist bei weitem noch nicht ausreichend; von „flächendeckend" kann hier überhaupt keine Rede sein. Die vorgesehene Deckelung der Pflegesätze bei gleichzeitig steigenden Personalkosten wird die Einrichtungen mittel- und langfristig zu einem Abbau ihrer Angebote zwingen müssen.
Die Bundesvereinigung der Lebenshilfe bemerkt in ihrer Stellungnahme zu Recht, daß die Behinderten schließlich lebenslang auf solche Hilfsangebote angewiesen sind, während die Behandlung in den Krankenhäusern nur eine zeitlich begrenzte Maßnahme ist. Ich denke, das ist der Unterschied.
Neben der Deckelung der Pflegesätze wird zudem auch die geplante Pauschalierung der Hilfen die Versorgung der Behinderten mit Hilfsangeboten erheblich beeinträchtigen. Ab 1999 sollen die Einrichtungen die Verantwortung für die Gewährung individueller bedarfsdeckender Leistungen von den Sozialhilfeträgern übernehmen. Dafür erhalten sie allerdings eine Vergütung, die gar nicht die Gewährung einer solchen bedarfsdeckenden Hilfe ermöglicht. Statt dessen wird eine pauschale Vergütung eingeführt.
Während also die Einrichtungen von der Deckelung in ihrem finanziellen Spielraum beschnitten werden, die Behinderten durch die Pauschalierung ihren Anspruch auf bedarfdeckende Leistungen verlieren, werden beide zusammen - ich nenne es ein-
Regina Schmidt-Zadel
mal so - von der dritten Keule Seehofers getroffen, der geplanten Rechtsgleichstellung von privatgewerblichen Einrichtungen mit den Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege.
Herr Fink, ich freue mich sehr, daß Sie heute angekündigt haben, darüber noch einmal nachzudenken. Hören Sie gut zu; ich liefere Ihnen jetzt die Argumente, die vielleicht dann Ihr Gesetzesvorhaben noch beeinflussen können.
Sie ebnen einer Entwicklung den Weg, die für die Versorgung behinderter Menschen unabsehbare Folgen haben wird. Die umfassende Versorgung aller Personengruppen, unabhängig vom Grad der Behinderung und auch unabhängig vom Aufwand für Pflege und Betreuung, war immer Ziel der am Gemeinwohl orientierten Träger der freien Wohlfahrtspflege. Die zwangsläufig am Gewinn orientierte Ausrichtung privatgewerblicher Träger wird, wie es die Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel zu Recht formuliert haben, zu einer Aufteilung in gewinnverheißend zu versorgende Menschen einerseits und mit hohem Aufwand und schwierig zu versorgende Personen andererseits führen. Eine solche Entwicklung kann doch nicht im Interesse der Behinderten und auch nicht in Ihrem Interesse sein.
Lassen Sie mich aber zum Schluß noch auf einen Punkt eingehen, der diese BSHG-Novelle aus Sicht aller in der Behindertenarbeit Tätigen völlig diskreditiert: das Fehlen jeglicher Verbesserung der Rechtsstellung der Behinderten. Es war schon sehr verwunderlich, daß im Regierungsentwurf die noch im Referentenentwurf enthaltenen Regelungen plötzlich verschwunden waren. Ich denke, daß das wirklich ein ganz wichtiger Punkt ist, der seit Jahren von den Behindertenverbänden eingefordert wird, daß die Behinderten in den Werkstätten den Arbeitnehmern rechtlich gleichgestellt werden.