Rede von
Waltraud
Lehn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich will dem selbstverständlich folgen. Aber lassen Sie mich auch sagen: Ein Redebeitrag ohne Gestik und Mimik scheint mir doch eine stocksteife Angelegenheit zu werden.
Waltraud Lehn
Aber inzwischen haben wir uns ja an das Maß gewöhnt,
und der Gebrauch der Hände ist mir nicht untersagt worden.
Wir könnten auch sagen: Soviel betrifft Hilfe in Einrichtungen, und soviel betrifft Hilfe außerhalb von Einrichtungen.
Und 50 % des Redebeitrags - Sie erinnern sich dieser 20 cm - entfällt auf soviel,
nämlich auf den Leistungsmißbrauch in der Sozialhilfe.
Dabei sagen auch Sie gelegentlich - zu selten -, daß der inzwischen häufigste Grund für den Bezug von Sozialhilfe außerhalb von Einrichtungen die Arbeitslosigkeit ist. Die Arbeitslosen sind die Gruppe mit der bei weitem höchsten Steigerungsrate in den letzten Jahren. Die Sozialhilfeausgaben wegen Arbeitslosigkeit liegen zwischenzeitlich bei über 6 Milliarden DM. Die Möglichkeit, eigenständig das Dasein zu sichern, hat sich verschlechtert, und zwar nicht nur für Randgruppen, sondern auch für sozial unauffällige Menschen, die bis vor wenigen Jahren noch als gesichert galten.
Das macht deutlich, daß nicht die Sozialhilfe das Problem ist. Vielmehr ist die Zahl der Menschen, die von Sozialhilfe leben müssen, Indikator eines gesellschaftlichen Problems. Besonders zu erwähnen ist hier, daß ein Drittel der Haushalte allein deswegen auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen ist, weil Menschen arbeitslos wurden. Das sind keine Drückeberger, keine Sozialhaie, die ihre Zeit damit verbringen, die üppigen Mittel der Sozialhilfe zu verprassen. Das sind über fünfzigjährige Männer und Frauen, die die Wirtschaft nicht mehr will, das sind junge Menschen, die keine Berufserfahrung, oft auch keine Ausbildung haben, das sind Frauen, die keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder finden, das sind chronisch Erkrankte, die ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben können. Meine Damen und Herren, das sind nahezu 700 000 Haushalte in diesem Land.
Die Bundesregierung, CDU/CSU und F.D.P. tun wenig bis gar nichts, um Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Statt dessen beklagen sie sich darüber, daß die Ausgaben für die soziale Sicherung steigen, daß die Menschen, die darauf angewiesen sind, die Sozialhilfe auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Mit der Verdächtigung des generellen Mißbrauchs und
der Anspruchsmentalität versuchen sie Leistungskürzungen zu legitimieren. Denn je weniger sie Ursachen bekämpfen, um so bedeutender werden Argumente für den Umbau des Sozialstaates, hinter dem nichts anderes als Abbau steht.
Hier hinein gehört auch Ihr Vorschlag, Sozialämter sollten noch mehr als bisher Arbeitsmöglichkeiten anbieten. Einmal abgesehen davon, daß Sozialämter auch keine Arbeitsplätze zaubern können, einmal abgesehen davon, daß sich Sozialämter neben den Arbeitsämtern den Zugang zur Wirtschaft erst noch erarbeiten müßten, einmal abgesehen davon, daß die in Sozialbehörden arbeitenden Kollegen und Kolleginnen durch den Anstieg der Fallzahlen ohnehin schon völlig überlastet sind, einmal abgesehen davon, daß den Sozialämtern - bislang jedenfalls - eine arbeitsmarktpolitische Kompetenz fehlt, einmal abgesehen von diesen Dingen verschieben Sie mit einem Federstrich auch noch die Kosten für einen großen Teil der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in die Kommunen. Das ist die konsequente Fortsetzung Ihrer Politik, meine Damen und Herren:
Selbst nichts tun, Mißerfolg abwarten und sich dann aus der Verantwortung stehlen.
Seit den achtziger Jahren wurden die Leistungen für Arbeitslose wiederholt gesenkt. Auf diese Art und Weise haben Sie künstlich Sozialhilfebedürftigkeit geschaffen. Auch Ihr Ansinnen, die Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre zu begrenzen, gehört in dieses Spektrum. Hören Sie endlich mit diesen unsinnigen Vorschlägen auf. Keine weiteren Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe. Keine zeitliche Befristung hilft weiter.
Wir brauchen eine Arbeitslosenhilfe, die das Existenzminimum sichert, so daß diese Menschen nicht mehr oft zusätzlich zu den Sozialämtern gehen müssen. Wir brauchen ein modernes, den heutigen Anforderungen gerecht werdendes Arbeitsförderungsgesetz. Wir müssen die Arbeit und nicht die Arbeitslosigkeit finanzieren.
Der von der SPD-Fraktion vorgelegte Entwurf eines Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes enthält wertvolle Bausteine auch für eine echte Sozialhilfereform. Wir fordern Sie auf, alle arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen in die aktive Arbeitsmarktpolitik einzubeziehen.
Herr Fink, das zu Ihrer Information: Allein dadurch fallen bei den Sozialhilfeträgern Minderausgaben in Höhe von rund 700 Millionen DM an. Zur Finanzierung von Beiträgen zur Arbeitlosenversicherung, die selbstverständlich Bestandteil des Vorschlages sind, fallen 200 Millionen DM an, so daß es letztendlich noch zu einer Einsparung in der Größenordnung von 500 Millionen DM kommt.
Waltraud Lehn
Wer fordert, muß auch fördern. Fördern müssen Sie, damit die große Mehrheit der arbeitswilligen Sozialhilfeempfänger überhaupt in die Lage versetzt wird, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Dazu bedarf es einer Erweiterung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Hierzu ist Kinderbetreuung erforderlich, und zwar ganztägige Betreuung genauso wie verläßliche Halbtags- und Ganztagsschulen.
Wir brauchen aber auch Teilzeitarbeitsplätze und Arbeitsplätze für Ungelernte. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, daß die Zahl der Arbeitsplätze für gering qualifizierte Personen kontinuierlich abgenommen hat und weiter abnimmt. Kluge Verteilung der vorhandenen Arbeit ist angesagt und nicht der Einstieg in eine neue Verdrängung. Subventionierte Sozialhilfeempfänger gegen bestehende Arbeitsverhältnisse, Personalabbau in den Kommunen im Arbeiterbereich und Pflege der Friedhöfe und Grünanlagen für 1,50 DM pro Stunde durch Sozialhilfeempfänger - das ist keine Problemlösung. Zeigen Sie den Menschen, die Hilfe brauchen, Perspektiven auf!
Ich komme zum Schluß.
Meine Damen und Herren, wer ankündigt, er wolle neue Schuhe anfertigen, damit er besser laufen kann, wer glaubt, daß es ausreiche, dafür die Länge der Zehen zu kennen, und die wohlmeinenden und hilfreichen Vorschläge von Fachleuten auch noch ignoriert, dem kann der fertige Schuh nicht passen. Da wird er wohl noch einmal neu anfangen müssen.
Insoweit kann ich nur sagen, meine Damen und Herren, Herr Minister Seehofer: Machen Sie sich mal an die Arbeit, arbeiten Sie - Sie erinnern sich - dieses Stück von diesem Stück auf, und kommen Sie dann mit einem besseren Ergebnis wieder!