Herr Kirschner, ich kann Ihnen eine ganz einfache Antwort geben. Ich war Sozialsenator in Berlin und habe mich um das Thema gekümmert. Der Erfolg ist, daß meine Nachfolgerin Frau Stahmer heute darauf verweisen kann, daß in Berlin 70 000 Arbeitsgelegenheiten im gemeinnützigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsfeld geschaffen worden sind.
Das kann man schaffen, wenn man sich wirklich darum kümmert. Das ist unser Thema.
Ich sage Ihnen: Es hilft den Gemeinden. Wer genau rechnet, stellt schnell fest, daß es die beste Investition ist, die man überhaupt machen kann. Aber darüber brauchen wir vielleicht nicht im einzelnen reden.
Reden wir über das Thema Mißbrauch. Mißbrauch gibt es überall. Mißbrauch gibt es auch in der Sozialhilfe. Wenn jemand auf Kosten des Steuerzahlers lebt, wenn er nicht alt ist, wenn er nicht krank ist, wenn er keine Kinder und keine Pflegebedürftigen zu versorgen hat und wenn er dann dennoch die ihm angebotene Arbeit ablehnt, dann ist es, wie ich meine, nicht mehr als recht und billig, daß ihm die Unterstützung des Staates zumindest teilweise entzogen wird.
- In den Studien des Deutschen Städtetages steht, daß jeder dritte Sozialhilfeempfänger die ihm angebotene Arbeit verweigert hat.
Ich frage Sie aber: Wie sind die Konsequenzen gewesen? Sie waren von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich. Ich finde, da muß man etwas tun.
Sie haben auch die Zumutbarkeit der Arbeit als Argument genannt. Ich frage Sie: Fällt denn jemandem ein Zacken aus der Krone, wenn er Grünanlagen pflegt, Büroarbeiten macht oder Behinderte begleitet? Das sind Arbeiten, die in Deutschland Millionen von Menschen tun, aus deren Steuergeldern die Sozialhilfe finanziert wird.
Etwas dafür zu leisten, daß die Gemeinschaft den notwendigen Lebensunterhalt sicherstellt, kann doch nicht zuviel verlangt sein.
Und dann gibt es das Argument der Bedarfsdekkung. Es ist richtig, für die Jahre bis 1998 wird davon abgewichen, 1999 gilt wieder das Bedarfsdeckungsprinzip.
Da gibt es Leute, die von Unterhöhlung des Sozialstaates und dem größten sozialen Anschlag sprechen.
Ja, meine Damen und Herren von der SPD, wir haben jetzt einmal die Möglichkeit nachzuprüfen, ob denn an Ihrem großen Geschrei etwas dran ist. Der Bundesrat hat ja am Freitag vergangener Woche zu dem Gesetzentwurf Stellung bezogen.
Was schlägt denn nun der Bundesrat vor? Wir können es ja einmal genau nachlesen. Wir wollen die Regelsätze entsprechend der Entwicklung der Nettolöhne erhöhen, der Bundesrat entsprechend der Entwicklung der Preise. Allerdings sagt der Bundesrat, die Deckelung in den Jahren 1993 bis 1996 solle nicht wieder aufgeholt werden. Das ist der Vorschlag des Bundesrates.
Rechnet man diesen Vorschlag nun einmal durch, dann kommt man zu erstaunlichen Feststellungen. Die Regelsätze würden sich nämlich nach dem Vorschlag des Bundesrates um kein Jota mehr erhöhen als nach dem Vorschlag der Bundesregierung.
Der Grund ist ganz einfach. Zwar fiele im nächsten Jahr die Erhöhung etwas höher aus, aber im Jahre 1997 kommt die Steigerungsrate der Nettolöhne aus dem Jahre 1996 zum Zuge, und dann kommt der ganze Jahressteuereffekt, die Entlastung der Arbeitnehmer zum Vorschein. Mit einer über 3%igen Erhöhung wird im Jahre 1997 wieder aufgeholt. Ja, meine Damen und Herren, wenn man einmal genau hinschaut, wird man feststellen: Über die Techniken der Regelsatzanpassung in diesen Jahren wird man sich verständigen können. Darüber können wir alle miteinander reden. Aber, meine Damen und Herren Sozialdemokraten, dann möchte ich Sie doch herzlich bitten, es etwas bescheidener zu machen, sonst geht es Ihnen wie in der Geschichte dem Kaiser mit den neuen Kleidern, nur daß die Leute merken, daß Sie nichts anhaben.
Zu diesen unwahrhaftigen Vorwürfen gehört übrigens auch der, die Bundesregierung wolle die Sozialhilfe kürzen, obwohl doch nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Wenn das Sozialamt wegen des Mangels an Arbeitsplätzen dem Sozialhilfeempfänger keinen Arbeitsplatz anbieten kann, dann kann der Sozialhilfeempfänger die Arbeit auch nicht verweigern, und dann kann ihm auch nichts gekürzt werden. So einfach ist das.
Ulf Fink
Nein, meine Damen und Herren, im Interesse der Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, müssen wir doch genau schauen, welche Wortwahl wir benutzen. Der Grundkonsens in Sachen Sozialstaat in Deutschland ist doch viel ausgeprägter, als es in den Debatten immer wieder zum Vorschein kommt.
Schauen wir uns nur einmal die Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika an. Auch dort macht man eine Sozialhilfereform. Aber was geschieht dort? Die Sozialhilfereform beinhaltet dort, daß die Betreffenden nach einem bestimmten Zeitraum - einem Jahr - keinerlei staatliche Unterstützung mehr erhalten. Das ist nicht nur ein Vorschlag der Republikaner, das sagen auch die Demokraten. Darüber besteht Konsens in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn so etwas hier vorgelegt worden wäre, dann wäre ich mit Ihnen einer Meinung, und wir gingen gemeinsam auf die Barrikaden. Aber solche Vorwürfe beim Gesetzentwurf der Bundesregierung zu erheben ist doch einfach absurd.
Meine Damen und Herren, wir sind zu Änderungen des Gesetzentwurfs im Rahmen der parlamentarischen Beratung bereit. Ich will auch schon gleich die ersten drei Änderungen nennen, die wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen.
Erstens. Um der besonderen Stellung der freien Wohlfahrtspflege gerecht zu werden, soll § 10 des Bundessozialhilfegesetzes in der geltenden Fassung beibehalten werden. Ich denke, daß sich dieses Zusammenspiel von Staat und freien Wohlfahrtsverbänden wohl bewährt hat. Das Problem, daß auch private Anbieter mit niedrigen Preisen zum Zuge kommen, wird nicht in § 10, sondern in § 93 geregelt. Auch wir sind der Meinung, daß das so sein soll.
Zweitens. Wir wollen den Behinderten mehr Rechte in den Werkstätten zukommen lassen; denn die Rechtsstellung der Behinderten in den Werkstätten ist ganz ungeklärt. Ich denke, auch sie haben ein Recht darauf, geschützte Rechte zu bekommen, Mitbestimmmungsrechte, Urlaubsrechte und dergleichen mehr. Das muß auch den Behinderten zugute kommen.
Drittens. Wir wollen, daß die Träger der Sozialhilfe ein möglichst umfassendes und effektives Spektrum von Instrumenten zur Hand haben.
Solche Einrichtungen wie z. B. START in Nordrhein-Westfalen mit Leiharbeit sind erfolgreich. Warum sollten sich die Sozialämter nicht dieser Hilfen bedienen können? Ich nenne z. B. Beschäftigungsgesellschaften. Jedes Wirtschaftsamt in den Städten und in den Gemeinden bedient sich solcher Hilfestellung. Denken Sie an Wirtschaftsförderungsgesellschaften und andere moderne Instrumentarien.
Ich finde, wir brauchen ganz moderne Instrumentarien für die Sozialämter, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden können, sich wirklich um die Armen zu kümmern, indem sie mit dem Thema, den Menschen zu helfen, Ernst machen, indem sie sich nicht nur dafür einsetzen, für die Sozialhilfeberechtigten ein paar Mark mehr Regelsatz zu bekommen, sondern vor allem die Hauptaufgabe bewältigen, dafür zu sorgen, daß Menschen befähigt werden, wieder aus eigener Kraft zu leben, daß sie eben nicht länger Sozialhilfeempfänger sein müssen. Das ist doch das wichtige Ziel. Die Sozialämter müssen da einfach einen Modernisierungsschub durchmachen.
Die Armut in Deutschland ist nicht so offensichtlich wie die Armut in der Dritten Welt. Deshalb fällt es leichter, sie zu verdrängen. Aber auch in unserem reichen Land gibt es Menschen, die sich nicht aus eigener Kraft helfen können. Wir sind zur Solidarität mit ihnen verpflichtet.
Der große Papst Johannes Paul II. spricht in seiner Enzyklika von der Option oder der vorrangigen Liebe für die Armen. Auch in dem gemeinsamen Papier von evangelischer und katholischer Kirche zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland werden drei Optionen benannt, wobei die Option für die Schwächsten an erster Stelle steht.
Es ist wahr: Die christliche Botschaft lenkt den Blick auf die Empfindung der Menschen, auf Kränkungen, auf Demütigungen, auf Benachteiligungen, auf das Unzumutbare, das Menschenunwürdige, auf strukturelle Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten.
Es war der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der als Vorsitzender der Grundsatzprogrammkommission der CDU eine wirklich wichtige Debatte in den 70er Jahren über das Verständnis von Solidarität geführt hat.
Es gibt ein sehr unterschiedliches Verständnis von Solidarität. Sozialdemokraten haben aus ihrer Tradition heraus immer das Solidaritätsverständnis zu dem ihren gemacht, das besagt: Solidarität wird letztlich nur von Gleichen empfunden. Deshalb haben sie das Programm der Gleichheit nach vorne gebracht.
Wir haben gesagt: Nein, Solidarität offenbart sich erst recht darin, daß es Solidarität nicht nur zwischen Gleichen, sondern auch zwischen Ungleichen gibt. Daß Reiche und Arme miteinander teilen, das ist unser christlich verstandener Solidaritätsbegriff. Das ist auch die eigentlich bewegende Idee des Bundessozialhilfegesetzes.
Wir, die Unionsparteien, waren es, die im Jahre 1961 das Bundessozialhilfegesetz geschaffen haben. Wir brauchten dazu keine Ermunterungen; denn wir haben damals allein die Regierung in der Bundesrepublik Deutschland getragen.
: Das waren
noch Zeiten!)
Es muß doch nachdenklich stimmen, daß es in dem Zeitraum, in dem die Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung in Bonn getragen haben, wiederum ein Christlicher Demokrat war, nämlich Hei-
Ulf Fink
ner Geißler, der die Sozialdemokraten überhaupt erst darauf aufmerksam machen mußte, daß es noch Armut in der Wohlfahrtsgesellschaft gibt. Das hatten sie über ihrem Regieren völlig vergessen.
Nein, meine Damen und Herren, unsere Überzeugung ist: Jeder Mensch hat - unabhängig von seiner Leistung, unabhängig von seinen Mißerfolgen und seinen Fehlern - ein unveräußerliches Recht: Das ist das Recht auf die Führung eines menschenwürdigen Lebens. Das ist unsere Grundüberzeugung.
Durch diese Sozialhilfereform sichern wir dieses Grundrecht des Menschen verläßlich ab.