Rede von
Horst
Seehofer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ja, bei der beabsichtigten Reform der Arbeitslosenhilfe wird es zu zusätzlichen Belastungen der Gemeinden kommen. Aber wir werden uns dafür einsetzen und dafür sorgen, daß diese Belastungen voll kompensiert werden.
Wir wissen, was Nachrangigkeit der Sozialhilfe heißt. Nachrangigkeit, meine Damen und Herren von der Opposition, kann doch nicht bedeuten, die notwendigen Reformen im Sozialhilferecht zu unterlassen, die Kosten der Sozialhilfe ungezügelt steigen zu lassen und lediglich dem Bund immer tiefer in die Tasche greifen zu wollen. Das kann Nachrangigkeit doch nicht bedeuten.
Das sehen Ihre Vorschläge im Kern aber vor.
Zu welchen Blüten dieser Versuch führt, kann man nachvollziehen, wenn man sich den SPD-Antrag, der heute auch zur Debatte steht, genau anschaut. Da wird doch allen Ernstes vorgeschlagen, die Sozialhilfeträger sollten zur Beitragsleistung für arbeitslose Sozialhilfeempfänger an die Bundesanstalt für Arbeit
verpflichtet werden - natürlich in der Erwartung, daß die Bundesanstalt für Arbeit dann die ganzen Kosten, die ganzen Ausgaben für arbeitslose Sozialhilfeempfänger übernimmt.
Hat denn die SPD-Fraktion, die sonst immer so sehr den Versicherungscharakter der Arbeitslosenversicherung betont und daraus zu Recht die Forderung ableitet, bestimmte Ausgaben nicht länger über den Versicherungsbeitrag zu finanzieren, den wichtigsten Grundsatz der Versicherung vergessen, nämlich daß ein Risiko nur dann versichert werden kann, wenn es nicht bereits eingetreten ist?
Das ist das eherne Prinzip jeder Versicherung.
Bei arbeitslosen Sozialhilfeempfängern ist aber genau das Gegenteil der Fall: Hier ist der Versicherungsfall bereits eingetreten; das ist gerade der Grund für die Sozialhilfebedürftigkeit dieses Personenkreises. Nein, meine Damen und Herren von der Opposition, die Vorschläge sollten schon etwas durchdachter sein, als nur dem Bund tiefer in die Tasche greifen zu wollen.
Wir brauchen Reformen in der Sozialhilfe selbst. Wir müssen den Kostenauftrieb begrenzen. Denn - das wissen auch Sie; Professor Krupp hat das in seinem Aufsatz deutlich gemacht - zweistellige Steigerungsraten kann sich kein System auf Dauer leisten, wenn die Steigerungsraten der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit allenfalls einstellig sind.
Das betrifft ganz besonders die Kosten im Heimbereich. Dort sind die Kosten so stark angestiegen, daß man es nicht auf Dauer so weiterlaufen lassen kann.
Deshalb schlagen wir eine vorübergehende Deckelung der Erhöhung der Pflegesätze für die Heime in Anlehnung an die Höhe der Bruttolohnsteigerungsraten für die nächsten Jahre vor. Das ist wahrhaftig ein maßvoller Vorschlag. Ergänzend soll in den Jahren danach dafür gesorgt werden, daß man sich nicht mehr vorrangig an den Kosten, sondern mehr an den Leistungen orientiert, die ein Heim erbringt. Auch das ist doch ein Vorschlag in die richtige Richtung, dient doch den wirtschaftlich arbeitenden und leistungsfähigen Heimen. Allein durch diese Maßnahmen wird die Sozialhilfe zusätzlich um 1 Milliarde DM jährlich entlastet.
Das zweite Maßnahmenbündel: Durch die vorübergehende Anbindung der Regelsatzerhöhung an die Nettolohnentwicklung wird noch einmal ein Einsparvolumen von rund 1 Milliarde DM erzielt - allerdings immer nur im Verhältnis dazu, daß nichts geschehen wäre.
Ich meine, daß diese beiden Maßnahmenbündel zur Verminderung des Kostenauftriebs vertretbar sind, zumal sie auf den Zeitraum bis 1998 begrenzt sind.
Ulf Fink
Dem stehen nun aber erhebliche Verbesserungen gegenüber, um die wir Sozialpolitiker uns seit Jahren leider bisher vergeblich bemüht haben. Sie stehen jetzt neu in diesem Gesetz. Umbau des Sozialstaates, Sparen, um zu gestalten - das sind die Stichworte für eine moderne Sozialpolitik.
Ich frage Sie: Wenn mit diesem Gesetzentwurf dafür gesorgt wird, daß über 300 000 Sozialhilfeempfänger nicht länger Sozialhilfeempfänger sind, weil die Arbeitsämter endlich die Arbeitslosengelder rechtzeitig auszahlen sollen, ist das ein Rückschritt, oder ist das ein Fortschritt? Ich sage, das ist ein erheblicher Fortschritt.
Wenn wir jetzt dafür sorgen, daß die Gemeinden zur Vermeidung von Obdachlosigkeit im Regelfall die rückständigen Mieten übernehmen, ist das ein Rückschritt, oder ist das ein Fortschritt? Ich sage, das ist ein deutlicher Fortschritt.
Kann denn jemand im Ernst bestreiten, daß es ein sehr großer Fortschritt ist, wenn die Rentner im Osten unseres Vaterlandes endlich den Mehrbedarfszuschlag bekommen, den die Rentner im Westen schon lange erhalten? 100 DM pro Monat mehr im Portemonnaie für einen Rentner im Osten, für einen Erwerbsunfähigen - achten Sie das gering?
Meine Damen und Herren, nur 1,50 DM betrug oft der Stundenlohn, den ein Behinderter in einer Behindertenwerkstätte bekam. Seit Jahren fordern die Behindertenverbände - wie ich meine, völlig zu Recht -, daß diesen Menschen Verbesserungen zuteil werden. Das tun wir jetzt. Fortschritt oder Rückschritt? Ich sage, das ist ein ganz großer Fortschritt.
Ist es nicht wirklich ein großer Fortschritt für die Sozialhilfeempfänger, wenn durch eine neue Rechtsverordnung sichergestellt wird, daß man nicht mehr für jedes einzelne Hemd, nicht mehr für jeden einzelnen Mantel zum Sozialamt laufen muß, daß nicht jedesmal ein neuer Antrag, jedesmal eine neue Einzelfallprüfung erfolgen muß?
Viel mehr als die mit großer Lautstärke vorgetragenen Forderungen zur Sozialhilfe dient dies der Würde und dem aufrechten Gang des Sozialhilfeempfängers. Das sind erhebliche Fortschritte. Das ist wichtig.
Der wichtigste Fortschritt bei der Sozialhilfereform sind die Brücken, die wir für arbeitslose Sozialhilfeempfänger neu in den Arbeitsmarkt bauen. Einarbeitungszuschüsse, Lohnkostenzuschüsse und Qualifikationsmaßnahmen sind das Herzstück der Sozialhilfereform.
Die Studien von Leibfried aus Bremen zeigen, daß das Vorurteil vom arbeitsunwilligen Sozialhilfeempfänger falsch ist. Gerade deshalb ist es notwendig, den arbeitslosen Sozialhilfeempfängern alle Chance zu geben, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Dagegen den Einwand zu erheben, es gäbe nicht genügend Arbeitsplätze, ist geradezu zynisch. Natürlich sind die Arbeitsplätze knapp, aber was folgt denn daraus? Soll das heißen, daß sich die Sozialhilfeempfänger im Kampf um die knappen Arbeitsplätze wie bisher ganz hinten in der Schlange einzureihen haben?
Das ist doch die Konsequenz Ihres Gedankenganges.
Nein, arbeitslose Sozialhilfeempfänger müssen wie jeder andere auch eine Chance im Kampf um die Arbeitsplätze haben.
Dann gibt es das - gelinde gesagt - nicht sehr durchdachte Argument, Sozialämter zu Ersatzarbeitsämtern zu machen.
Das will niemand. Aber umgekehrt: Die Arbeitsämter wären doch rettungslos überfordert, wenn man ihnen allein die Aufgabe zuweisen würde, die größte soziale Herausforderung in Deutschland zu bewältigen, nämlich Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Arbeitsämter zahlen Arbeitslosengeld, sorgen für Qualifikationen, führen Arbeitsmarktmaßnahmen durch, und sie vermitteln Arbeit. Aber Arbeitsämter schaffen keine Arbeit.
Neue Arbeit zu schaffen ist die große Herausforderung an die gesamte Gesellschaft. Es kann nicht angehen, eine so wichtige Institution wie die Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland, die einen ganz großen Einfluß haben, einfach draußen vor zu lassen. Sie sind es doch, die die Probleme, aber auch die Möglichkeiten vor Ort viel besser kennen als jeder andere. Sie sind es, die am ehesten Tätigkeitsfelder für den Personenkreis entdecken können, der sonst auf Grund des wirtschaftlichen Wandels keine Chance hat, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Tatsache ist: Viele Gemeinden verwirklichen das heute schon. Sie verdienen dafür Dank und Anerkennung.
Aber es gibt andere Gemeinden, die sich noch sehr vornehm zurückhalten. Ich finde, das muß geändert werden.