Rede von
Dr.
Gisela
Babel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts. Ich begrüße die Vorlage dieses Entwurfs.
Sie beruht auf der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und F.D.P. für die 13. Legislaturperiode. Dort haben wir schon festgehalten, daß das Ziel dieser Reform sein soll, Sozialhilfebedürftigkeit zu verhindern und neue Wege aus der Sozialhilfe zu eröffnen.
In der Koalitionsvereinbarung wird bereits deutlich, daß es uns in erster Linie darum geht, Sozialhilfeempfängern etwa durch konkrete Arbeitsangebote zur Selbständigkeit zu verhelfen und eine selbstverantwortete Lebensgestaltung zu ermöglichen.
Kosteneinsparungen sind nicht das Hauptmotiv, aber sie sollen auch angestrebt und erreicht werden.
Der Bundesgesundheitsminister hat bereits im Frühjahr den Koalitionsfraktionen die Eckpunkte seines Entwurfs vorgelegt, und diese sind auch von den Koalitionspartnern angenommen worden. Die Eckpunkte sind jetzt umgesetzt, und die FDP-Fraktion trägt den Gesetzentwurf grundsätzlich mit. Wir sehen allerdings in einigen Punkten Änderungs- und Diskussionsbedarf.
Meine Damen und Herren, die Entwicklung der Sozialhilfe in den letzten Jahren ist dadurch geprägt, daß sowohl die Zahl der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt als auch die Kosten erheblich angestiegen sind. Befindet sich aber deswegen unsere Gesellschaft auf dem Weg in die Armut? Manche Äußerungen in der letzten Zeit könnten das nahelegen. Aber gerade bei der Sozialhilfe muß man genauer hinsehen. Die Ursachen für Sozialhilfebedürfigkeit sind vielfältig, so vielfältig wie die unterschiedlichen Personen, die Sozialhilfe beziehen. Lassen Sie uns einmal einen Blick auf diese unterschiedlichen Personengruppen werfen.
1993 gaben die Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt zu 30 % als Grund für die Abhängigkeit das Fehlen einer Erwerbstätigkeit, also das Fehlen einer bezahlten Arbeit, an. Diese Arbeitsuchenden sind nochmals aufzuteilen. Es sind Jugendliche, die auf
Grund mangelnder schulischer und beruflicher Qualifikation keine Möglichkeit haben, in den regulären Arbeitsmarkt integriert zu werden. Es sind auch altere Menschen, die seit längerem aus der Erwerbstätigkeit herausgefallen sind und den Kontakt zur Arbeitswelt verloren haben. Immer mehr Familien, vor allem in Ballungsgebieten, werden zu Sozialhilfebeziehern, da sie auf Grund der hohen Mieten und den fehlenden bezahlbaren Wohnungen trotz eigenem Erwerbseinkommen zumindest ergänzend auf Sozialhilfe angewiesen sind.
Weiter gibt es die Gruppe der Älteren, den stationär pflegebedürftigen Menschen. Sie werden sozialhilfeabhängig, da sie die hohen Pflegekosten aus ihren Alterseinkünften nicht zahlen können. Für manche Menschen - darauf ist schon hingewiesen worden - ist die Sozialhilfe eine Art Durchgangsstation. Bei ihnen bestehen nämlich durchaus Ansprüche auf Leistungen, etwa nach dem Arbeitsförderungsgesetz oder dem Rentengesetz, aber es vergeht so viel Zeit, daß sie ohne Sozialhilfe in der Zwischenzeit verhungern müßten. Alleinerziehende, vor allem Frauen, können mangels Möglichkeiten zur Betreuung ihrer Kinder nicht arbeiten und werden deshalb zu Sozialhilfebeziehern. Hinzu kommt in vielen Fällen der Entzug der wirtschaftlichen Grundlage durch gescheiterte Familienbeziehungen wie Trennung und Scheidung.
Schließlich gibt es arbeitsfähige junge Leute, die sich in der Sozialhilfe „häuslich" eingerichtet haben, vielleicht ergänzt durch gelegentliche Schwarzarbeit, und bei denen ein gewisser Schubs aus der Fürsorge in die Eigenversorgung guttut.
Die öffentliche Diskussion über Sozialhilfe, die gerade in den letzten Monaten sehr polemisch geführt wurde, hat sich an diese notwendige differenzierte Betrachtung nicht gehalten. Es gab nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse. Die Reden, die hier gehalten worden sind, sind ein Beispiel dafür.
Meine Damen und Herren, die Sozialhilfe - das haben neueste Untersuchungen ergeben - ist besser als ihr Ruf. Sie leistet in vielen Fällen wertvolle und wirksame Hilfe. Ihr Bezug ist in der Regel von kurzer Dauer und stellt für viele Bezieher eine wichtige Brückenfunktion zur Überwindung von Notlagen dar. Im gegliederten System der sozialen Sicherheit muß die Eigenverantwortung der Sozialhilfe erhalten bleiben, wenn man nicht, wie es die F.D.P. vorschlägt, in ein umfassendes Konzept wie das Bürgergeldsystem umsteigt.
Erstes Ziel aller Bemühungen muß sein, den Eintritt von Sozialhilfebedürftigkeit zu verhindern.
Meine Damen und Herren, dies kann nicht allein die Sozialhilfe leisten. Dazu gehören auch andere Politikfelder: die Arbeitsmarkt-, die Familien-, die Steuer- und die Wohnungsbaupolitik. Sie sind besser miteinander zu verknüpfen. Die Koalition hat auch in dieser Legislaturperiode bereits einiges erreicht. Ich nenne einige Stichworte: die Steuerfreistellung des Existenzminimums und der deutlich verbesserte Fami-
Dr. Gisela Babel
lienleistungsausgleich. Dies wird sich ab 1996 auf das verfügbare Einkommen gerade in den unteren und mittleren Einkommensschichten auswirken. In vielen Fällen wird es dazu führen, daß Familien, die trotz Erwerbstätigkeit ergänzend Sozialhilfe bezogen haben, nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen sein werden.
Das Lohnabstandsgebot wird durch diese Maßnahmen in diesen Feldern hergestellt, meine Damen und Herren. Insofern sage ich auch, daß wir die Problematik des Lohnabstandsgebotes in diesem Gesetzentwurf gar nicht mehr in den Vordergrund zu stellen brauchen. Wir haben heute schon einen Abstand von 16 % zwischen Sozialhilfe und dem Lohn. Ich halte das für gut, denn ich glaube, es ist in unserer Gesellschaft wichtig - das sage ich auch an die Adresse der SPD -, den Anreiz zu erhalten und zu fördern, durch eigene Erwerbstätigkeit für sich selbst zu sorgen und nicht auf Fürsorge angewiesen zu sein.
Die Maßnahmen der Koalition zur Schaffung von mehr preiswertem Wohnraum, vor allem für Familien, halte ich für ein ganz wichtiges Präventionsmittel bei der Frage der Sozialhilfebedürftigkeit.
Der Mangel an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder darf auch nicht länger zur Sozialhilfeabhängigkeit von Alleinerziehenden führen. Es ist daher nicht akzeptabel, daß der zum 1. Januar 1996 verankerte Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz verschoben oder aufgeweicht wird.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion lehnt die vom Bundesrat geforderte Stichtagsregelung ab.
Mit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz steht und fällt die Neuregelung zum Schwangerschaftsabbruch.
Aber darüber hinaus das ist in diesem Zusammenhang wichtig - finden gerade auch alleinerziehende Mütter wieder zurück an ihren Arbeits- und Ausbildungsplatz und werden von der Sozialhilfe unabhängig.
Stationäre Pflege wird spätestens mit der Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung im Sommer 1996 nicht mehr regelmäßig zum Sozialhilfebezug führen. Nur noch in Ausnahmefällen werden das Alterseinkommen und die Leistungen der Pflegeversicherung nicht ausreichen, um Sozialhilfebezug zu verhindern.
Eine wesentliche Maßnahme zur Verhinderung des Sozialhilfebezugs ist sicher auch eine Wirtschaftspolitik, die Investoren in Deutschland ermutigt, Arbeitsplätze zu schaffen, und die dazu führt, daß wir insgesamt die Arbeitsmarktsituation etwas verbessern können.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zur Prävention im Sozialhilferecht selbst. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß zukünftig rückständige Mieten von der Sozialhilfe übernommen werden, wenn sonst Wohnungslosigkeit droht. Es ist vorgesehen, daß Räumungsklagen, die vor dem Amtsgericht landen, den Sozialhilfeträgern mitgeteilt werden, damit sie sozusagen präventiv einsteigen können, bevor es zur Katastrophe kommt.
Das ist sehr sinnvoll.
Ebenso sinnvoll ist es, daß die 400 000 Personen, die heute nur vorübergehend in der Sozialhilfe sozusagen einen Parkplatz haben, um in den Leistungsbezug zu kommen, in Zukunft schneller zu ihren eigentlichen Leistungsbezügen aus der Arbeitslosenoder Rentenversicherung kommen. Wenn wir davon ausgehen können, daß dann 80 % von diesen 400 000 aus der Sozialhilfe herausfallen, halte ich das für eine sehr wirksame und gute Maßnahme.
Einer der Schwerpunkte des Entwurfs ist auch ausdrücklich die Verbesserung der Instrumentarien zur Förderung der Arbeitsaufnahme schwer vermittelbarer Sozialhilfeempfänger. Hier denken wir an Zuschüsse, an befristete Lohnkosten- und Einarbeitungszuschüsse. Das soll der Sozialhilfeträger selbst organisieren oder mit dem Arbeitsamt zusammenarbeiten.
Auch das ist sinnvoll, aber die F.D.P. hat darauf gedrungen und durchgesetzt, daß das in der Finanzierung sauber bleibt. Es kann nicht angehen, daß solche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auf Kosten des Beitragszahlers zur Arbeitslosenversicherung gezahlt werden, d. h. die Tür zum Arbeitsamt geöffnet wird. Das muß in der Finanzierung getrennt bleiben.
Verweigert der arbeitslose Sozialhilfeempfänger zumutbare Arbeit, so sieht der Entwurf der Bundesregierung eine Kürzung des Regelsatzes um 25 % zwingend vor. Aus der vorher bestehenden Kann- ist eine Muß-Regelung geworden. Ich halte dies für gerechtfertigt, denn wir stellen dem Arbeitslosenhilfebezieher, der arbeitslos ist und dem Arbeit zugemutet werden kann, ein ganzes Instrumentarium von Fördermaßnahmen zur Verfügung. Verweigert er dennoch zumutbare Arbeit, so ist die Kürzung auch berechtigt.