Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen haben wir eine CDU/CSU in Kreuzzugsstimmung erlebt. Die Reaktionen auf das Karlsruher Kruzifix-Urteil haben der Republik deutlich vor Augen geführt, wie viele Unionspolitiker bereit sind, für den rechten Glauben die Rechtsordnung mit Füßen zu treten.
Meine Damen und Herren, auch uns gefällt so manches Urteil des Bundesverfassungsgerichts ganz und gar nicht. Natürlich darf man auch Karlsruhe kritisieren. Aber was Sie sich geleistet haben, das übersteigt jedes erträgliche Maß.
Volker Beck
Kollege Geis bezeichnete die Entscheidung als verfassungswidrig. Ein Bundestagskollege forderte die Enthebung von einzelnen Verfassungsrichtern. Der stellvertretende CSU-Vorsitzende forderte dazu auf, das Urteil des Verfassungsgerichts „nicht zu befolgen" . Bayerns Ministerpräsident Stoiber kündigt an, die Kreuze einfach hängen lassen zu wollen.
Da fragt man sich doch bange: Observieren demnächst Schlapphüte die Münchner Staatskanzlei? Wird die CSU ein Fall für den Verfassungsschutz?
Die Position des Verfassungsgerichts in Frage zu stellen, weil einem ein Urteil nicht paßt, gar zum Boykott gegen seine Entscheidungen aufzurufen - einen solchen Angriff auf die Unabhängigkeit und Autorität unseres obersten Gerichtes hat es bislang noch nicht gegeben.
Ich behaupte, das geschieht aus eiskaltem Kalkül. So mancher aus der CDU/CSU will schon einmal prophylaktisch das Bundesverfassungsgericht demontieren; denn nicht ohne Grund müssen Sie beim Verbrechensbekämpfungsgesetz wie beim Asylrecht eine Bauchlandung in Karlsruhe befürchten.
Eine einstweilige Anordnung gegen die Schnüffelei des BND haben Sie ja bereits kassiert.
Meine Damen und Herren von der Union, lassen Sie von einer Nötigung des Bundesverfassungsgerichtes ab! Sie spielen mit dem Feuer und beschwören einen Verfassungskonflikt.
Und Sie, Frau Justizministerin, kommen Sie endlich aus der Versenkung und rufen Sie Ihre Koalitionspartner bei solchen Tönen zur Ordnung! Heute haben Sie die Gelegenheit in dieser Debatte leider versäumt.
Aber nicht nur in der Kruzifix-Debatte fehlt es der Justizpolitik am liberalen Rückgrat. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wo bleibt denn die Umsetzung der Beschlüsse vom Mainzer F.D.P.-Parteitag? Als „Befreiungsschlag" wurden sie damals bezeichnet, als „just for show"-Beschlüsse haben sie sich heute herausgestellt, sie haben sich als reine Schaumschlägerei erwiesen.
Lediglich einen Referentenentwurf zur Reform des Kindschaftsrechts hat das Justizministerium in letzter Minute vor der Haushaltswoche präsentiert. Allerdings ist es Ihnen hierbei gelungen, das Votum nahezu aller Betroffenenverbände souverän zu überhören. Diese fordern nämlich zu Recht, ein gemeinsames Sorgerecht nach einer Scheidung auf Antrag zu ermöglichen. Statt dessen wollen Sie das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall verordnen. Damit schwächen Sie die Stellung der betroffenen Mütter massiv. So geht das nicht. Die längst überfällige Reform des Kindschaftsrechts darf nicht zu Lasten der Frauen gehen.
Wir zumindest machen das nicht mit.
Ansonsten wartet man vergebens auf die Umsetzung Ihrer Mainzer Beschlüsse. Wo bleibt denn Ihr Einsatz für den Abbau der Diskriminierung nichtehelicher Lebensgemeinschaften? Was ist mit dem Versprechen, die Lebenssituation von Lesben und Schwulen konkret zu verbessern? In welcher Schublade ist der Gesetzentwurf zur Vergewaltigung in der Ehe verschwunden? Die bisherige Debatte hat das immer noch nicht geklärt.
- Darauf hoffe ich.
Herr Geis, nach Ihren Ausführungen ist mir der Zusammenhang zwischen Familienförderung und Straffreiheit bei der Vergewaltigung in der Ehe immer noch nicht einsichtig, und ich finde, er gehört in diese Debatte nicht hinein.
Diese Rechtssituation ist keine Familienförderung, sondern es ist familienzerstörend, so etwas hinzunehmen.
Es ist im Justizministerium verdächtig still geworden. Anscheinend wirft der große Lauschangriff schon seine Schatten voraus. Herr Gerhardt will die Stimmung an der F.D.P.-Basis abhorchen, also Ring frei zur nächsten Runde im Grundrechteabbau. Die Botschaft an Sie, Frau Ministerin, ist leider klar. Sie sind angezählt.
Unterdessen darf Innenminister Kanther weiterhin unter dem Vorwand der sogenannten effektiven Verbrechensbekämpfung immer neue Horrorszenarien mit noch mehr Strafverschärfungen und noch mehr Demontage des Rechtsstaates ausbreiten. Seine Rede heute war wieder ein deutliches Beispiel dafür.
Besinnen Sie von der Koalition sich lieber einmal auf die Grundlagen unserer Verfassung: Grundrechte werden als Freiheits- und Abwehrrechte des einzelnen gegen die Allmacht eines übermächtigen Staates gewährleistet. Wenn in unserem Lande Grundrechte nur so lange Geltung beanspruchen dürfen, wie sie den Staat in seiner vermeintlichen Aufgabenerfüllung nicht tangieren, dann sind sie allerdings das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.
Noch ein letzter Punkt, Frau Justizministerin: Immer wieder hört man aus Ihrem Munde, der TäterOpfer-Ausgleich solle vorangetrieben werden. Heute haben Sie davon allerdings nichts gesagt. Wie verträgt sich das damit, daß im neuen Haushalt 300 000 DM für das Service-Büro der Deutschen Bewährungshilfe e. V. für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung gestrichen werden sollen? Von dieser Streichung betroffen ist eine Einrichtung, die sich maßgeblich mit der Koordination und Entwicklung von Standards für den Täter-Opfer-Ausgleich
Volker Beck
befaßt. Gerade das ist wegen der unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern unabdingbar. Wir hatten dazu kürzlich in Bonn eine Tagung, die sehr lehrreich war und bei der deren Notwendigkeit wirklich jedem drastisch vor Augen geführt wurde.
Vielleicht ist Ihnen der Widerspruch zwischen offizieller Verlautbarung und Praxis im Haushaltsplan nur schlichtweg nicht aufgefallen. So ganz überraschend fände ich das nicht. Schließlich haben Sie und Ihre Parteikollegen nach eigenem Bekunden erst vor kurzem im Kabinett die Abstimmung über das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz einfach verschlafen
und entgegen dem Votum Ihrer Partei Herrn Seehofers schäbigem Plan zugestimmt, die Sozialleistungen für Kriegsflüchtlinge zu streichen.
So versehen Sie Ihr liberales Wächteramt. Da kann man nur konstatieren: Ruhe sanft, liberale Rechtspolitik!