Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sonne brachte es an den Tag: Auf 15 Seiten hat der Herr Innenminister im Sommer sein Credo zur inneren Sicherheit vorgelegt, das er heute eigentlich nur sehr wolkig umschrieben hat. Die Lektüre dieses Papiers ließ alle Anhänger einer streitbaren Demokratie und eines liberalen Rechtsstaats trotz hochsommerlicher Hitze nachhaltig frösteln. Sie dokumentieren, was Sie unter innerer Sicherheit verstehen, nämlich einen weiteren Abbau von Bürgerrechten und Rechtsstaatlichkeit, so wie er mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz in der letzten Legislaturperiode mit Unterstützung der SPD und der F.D.P. eingeleitet wurde und offensichtlich jetzt von der Regierung Stück um Stück fortgesetzt werden soll.
Erfrischend anders sind da die Töne des neuen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der die Ansicht vertritt, in einer pluralistischen Gesellschaft könne sich auch ein Geheimdienst einer gewissen Offenheit nicht entziehen.
- Das hört sich gut an, und ich stimme ihm auch zu, wenngleich ich weitergehen würde. Der Schutz der Verfassung - das vertreten wir Grünen schon seit langem - ist besser bei den Bürgern, in der Öffentlichkeit und im öffentlichen demokratischen Diskurs als unter Schlapphüten und hinter hohen Mauern aufgehoben.
80 % ihrer Informationen sammeln die Verfassungsschützer, wie wir wissen, ohnehin aus öffentlichen Quellen, und es ist zu lesen, daß sie sich in Rheinland-Pfalz in Sachen Rechtsextremismus direkt bei den Grünen informieren.
Sie, Herr Kanther, präsentieren uns in Ihrem Beitrag zum Sommerloch einmal mehr die ganze Palette der Ladenhüter eines Obrigkeitsstaates. Wie sonst könnten Sie entgegen allem Sachverstand und aller Erfahrung der letzten Jahre bei der Drogenbekämplung mit einer Verschärfung von Strafvorschriften argumentieren, nachdem Sie erfahren haben, daß die Verschärfung des Strafrechts bei Drogen nicht den Drogenkonsum einschränkt und nicht das Drogenangebot vermindert, sondern ausweitet.
Beim Demonstrationsrecht, das Sie verschärfen wollen, geht es Ihnen nicht um die Sache, sondern um eine Demonstration gegen das Verfassungsgericht, mit dem Sie dokumentieren wollen, daß das Urteil bezüglich der Sitzblockaden für Sie offensichtlich nicht akzeptabel ist.
Auch der Lauschangriff darf in Ihrem Sicherheitsbauchladen natürlich nicht fehlen. Warten wir einmal ab, wie das liberale Outsourcing, die Befragung und Belauschung der Basis, ausgeht und wie es mit diesem Thema weitergeht.
Der Korruptionsbekämpfung will der Innenminister sich endlich annehmen. Jahrelang haben Sie Vorschläge, die Absetzbarkeit von Schmiergeldern zu streichen, ignoriert. Unter dem Druck der Ereignisse soll nun wenigstens im Inland von diesem aberwitzigen Tatbestand abgewichen werden, wobei mir die Logik, daß die Schmiergelder im Ausland weiterhin absetzbar sein sollen, überhaupt nicht eingängig ist.
Was mich in diesem Zusammenhang stört, Herr Kanther, ist der fremdenfeindliche Unterton, mit dem Sie dieses ernste Thema behandeln. Ich zitiere: Es seien „vor allem mafiose Banden" - darunter geht es bei Ihnen gar nicht: mafiose Banden, Gangsterwohnungen usw. - „aus Südeuropa, Südamerika und Staaten des früheren Ostblocks", die angeblich „den Staat durch Korruption unterwandern".
- Die Tatsachen sprechen eine ganz andere Sprache, Herr Kollege. Bei Siemens in München, der Opel-Affäre in Rüsselsheim, der Gebühreneinzugszentrale waren, glaube ich, Deutsche in den mittleren und oberen Etagen dieser Unternehmen beteiligt.
Gleichgültig, ob Telekom-Mitarbeiter am Telefonsex verdient haben oder Frankfurter und Berliner Bauunternehmer Beamte bestochen haben - von Ausländern findet sich für meine Begriffe in diesem Bereich keine Spur, soweit ich es übersehe. Herr Kanther, Sie bewegen sich da auf dünnem Eis und sollten dies in Zukunft etwas vorsichtiger behandeln.
Um der Korruption im öffentlichen Dienst etwas entgegenzusetzen, bedarf es nicht Ihres phantasielosen Dauervorschlags der Kronzeugenregelung, sondern Sie müssen Transparenz und strukturelle Vorkehrungen in der Verwaltung schaffen. Die Instrumente sind bekannt: öffentliche Ausschreibung, in-
Rezzo Schlauch
terne Betriebsprüfung, Stärkung der Rechnungshöfe, der Prüfungsämter, Rotation der Mitarbeiter im Beschaffungswesen, Ausschluß der Firmen, die bestochen haben, von öffentlichen Ausschreibungen etc.
- Dafür ist der Herr Innenminister auch zuständig, Herr Marschewski. Wenn er meint, daß er die Korruption mit der Kronzeugenregelung in den Griff bekommt, dann ist er jedenfalls falsch gewickelt.
Herr Kollege Marschewski, wie man erfolgreich organisierte Wirtschaftskriminalität aufklärt, haben die Grünen in Nordrhein-Westfalen vorgeführt,
als sie durch Hartnäckigkeit den Fall Balsam aus den Mühlen einer verschlafenen Justiz- und Steuerverwaltung an den Tag gezogen haben.
Ein starkes Gemeinwesen, Herr Kanther, braucht eine starke Position der Bürgerinnen und Bürger, eine starke Mitwirkungs- und Rechtsposition gegenüber dem Staat und nicht umgekehrt.
In der Strafprozeßordnung - das hat das Bundesverfassungsgericht Ihnen gerade erst ins Stammbuch geschrieben - ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bis heute, zwölf Jahre nach diesem Urteil, nicht umgesetzt.
In einem anderen Bereich haben der Innenminister und die Politik der Koalition aus unserer Sicht noch offenkundiger versagt.
Schauen wir ins politische Bayern - da werden Sie mir möglicherweise recht geben -: Dort wüten die politischen Repräsentanten der CSU in unerträglicher Weise gegen ein Urteil des Verfassungsgerichts, in dem es um ein christliches Symbol geht. Wenn es aber um die Umsetzung zutiefst christlicher Werte geht, dann stoßen wir auf totale Fehlanzeige.
Dieselben politischen Repräsentanten, die sich alle als praktizierende Christen bekennen und dies wie eine Monstranz vor sich hertragen, haben offensichtlich gar kein Problem damit, Brüder und Schwestern ihres Glaubens, nämlich die syrischen Christen, die wegen ihrer Religion von Türken und Kurden verfolgt werden, gnadenlos abzuschieben.
Das ist Heuchelei pur. Obwohl wir in der ganzen Bundesrepublik höchstrichterliche Rechtsprechung haben, daß die syrischen Christen verfolgt sind, handelt man so, wie gerade dargestellt, und streitet sich dann über ein Urteil des Verfassungsgerichts.
Wir bleiben in Bayern. Ich zitiere:
Ich habe nicht damit gerechnet, daß die Maschinerie so eiskalt läuft, wie ich es jetzt erlebt habe.
So urteilt ein früherer bayerischer Justizminister der CSU jetzt aus Anwaltssicht über die Abschiebepraxis in der Bundesrepublik.
Wir Abgeordneten und die Anwälte in den Kanzleien sind täglich mit Dutzenden von Einzelschicksalen konfrontiert: Bürgerkriegsflüchtlinge werden teilweise nach Kroatien, nach Bosnien, nach Serbien zurückgeschickt, obwohl sie verschiedener ethnischer Herkunft sind und sich dem Waffendienst entzogen haben.
Ich kann nur sagen: Was sich da an Einzelschicksalen summiert, das ist aus unserer Sicht nicht zu tolerieren. Der Innenminister brüstet sich damit, diese Menschen zurückzuschaffen, statt ein Bleiberecht zu schaffen,
statt zu ermöglichen, daß die geschundenen Bürgerkriegsflüchtlinge und Deserteure hierbleiben können und nicht in einen Zustand von Ungewißheit und Verfolgung zurückkehren müssen.
Nicht genug damit: Der Bundesinnenminister rügt auch das Bundesverfassungsgericht, es möge den so mühsam ausgehandelten Asylkompromiß nicht gefährden. Die Verfassungskonformität, Herr Innenminister, wird nicht am Grad der Mühe des Aushandelns gemessen.
Herr Innenminister und leider auch meine Damen und Herren Kollegen von der SPD: Ihr Asylkompromiß steht vor dem moralischen Aus und wahrscheinlich auch vor dem rechtlichen Aus. Das werden wir in den nächsten Monaten erwarten.
Ich hoffe, daß das Bundesverfassungsgericht dem politischen Druck, der auch ein Stück weit im Kalkül aufgebaut worden ist, widersteht und in dieser Frage unabhängig vom politischen Kalkül entscheidet.
Der Bundeskanzler führt neuerdings Gespräche mit den Bürgerrechtlerinnen aus der ehemaligen DDR.
Mal sehen, ob etwas dabei herauskommt. Ich denke, er sollte auch mit dem Innenminister reden, denn der Innenminister hat im Sommer auch gesagt: „Das Boot ist voll. Wir nehmen keine Flüchtlinge mehr aus
Rezzo Schlauch
Bosnien auf." Eine solche Position ist beschämend, auch für den Standort Deutschland, dessen allererste Verpflichtung der Humanität und Achtung der Menschenwürde gelten sollte.
Danke schön.