Rede von
Manfred
Kanther
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Wir haben ein großes Programm für die Innenpolitik der nächsten Jahre. Ich befasse mich mit zwei ganz herausragenden Aufgaben: Die erste ist die unermüdliche Verbesserung der Bedingungen für die innere Sicherheit, weil der Kampf gegen die Bedrohung von körperlicher Unversehrtheit, Eigentum und Freiheit der Bürger durch Straftaten im Vordergrund unserer
Anstrengungen stehen muß. Die zweite Aufgabe ist der entschlossene Einsatz bei Reformanstrengungen in der Verwaltungspolitik, im öffentlichen Dienst, in der Neustrukturierung von Verwaltungen, Stichwort: schlanker Staat.
Auf beiden Feldern wird die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Legislaturperiode sowohl fortgeführt als auch um neue Elemente bereichert werden müssen. In den wenigen Monaten seit der Bundestagswahl sind die Grundlagen hierfür weitgehend geschaffen worden.
Zum Thema innere Sicherheit, innerer Frieden: Die Gefährdungslage bei der Bewahrung der inneren Sicherheit ändert sich leider ständig. Das ist die schwierige Grundbedingung unserer Arbeit. Neue Verbrechensformen, neue Gangstergruppen, immer professionellere technische und Managementmethoden in deren Hand wenden sich gegen Recht und Gesetz. Folglich darf auch das Handwerkszeug des Staates, der seine Sicherheitsbringschuld gegenüber den Bürgern erfüllen muß, nicht statisch sein, sondern bedarf immer wieder der Anpassung an die Lage.
Ich nenne Ihnen Beispiele, bei denen das geschehen muß: Die Geldwäscheproblematik ist mit dem Ziel der Aktualisierung des geltenden Rechts auf Grund in zwei Jahren gewonnener praktischer Erfahrungen aufzugreifen. Die Kronzeugenregelung muß verlängert werden. Sie ist erst vor zehn Monaten in Kraft getreten und konnte von Polizei und Justiz in dieser Zeit beim allerbesten Willen nicht auf den Prüfstand gestellt werden.
Die Bekämpfung der Korruption in allen Bereichen von Verwaltungs-, Straf- und Wirtschaftsrecht muß verstärkt werden. Das Abhören von Gangsterwohnungen muß ermöglicht werden, um neue Verbrechermilieus zeitgerecht zu treffen.
Ich begrüße die Bewegung, die in diese Themen gekommen ist. Wir sollten in Ruhe und ohne Aufgeregtheiten über die fachlich beste Lösung sprechen, aber nicht um alte Fixierungen streiten.
In mehrfacher Hinsicht ist das alles eine Gemeinschaftsaufgabe, die nur von Bund und Ländern gemeinsam - ohne engherzigen Partikularismus - gelöst werden kann, weil die Bedrohung der Sicherheit von immer weiteren Grenzziehungen, größerer Mobilität und schwierigeren Aufklärungssituationen geprägt ist und nicht mehr bevorzugt oder gar allein auf regionaler Basis bewältigt werden kann.
Die Gemeinschaftsaufgabe kann nur durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn und schrittweise darüber hinaus mittels Ingangsetzung von Europol und praxisorientierter Anwendung sowie ständiger Verbesserung des Schengener Vertragswerks mit seiner gewaltigen Aufgabe der Grenzsicherung gegen illegale, überwiegend verbrecherisch organisierte Wanderungsbewegungen gelöst werden.
Bundesminister Manfred Kanther
Schließlich ist ein vernünftiges Miteinander von Regierung und Opposition notwendig, weil sich in unserem Lande mit seinen föderalen Strukturen in der Sicherheitspolitik die Grenzen nicht nach dieser billigen und einfachen Formel bestimmen lassen und die Bürger für Parteihickhack kein Verständnis aufbringen, wenn sie verletzt, beraubt oder von Extremisten bedroht werden.
Es zeigt sich, daß Sicherheitspolitik in unserer Zeit - unter grundlegend veränderten Bedingungen - einen integralen Ansatz braucht, der in viele Felder der Politik und der Gesellschaft hineinreicht, und keinen punktuellen, geradezu klassischen, der auf der Basis eines hundert Jahre alten Rechts beruht.
Dabei ist innere Sicherheit noch nicht alles. Innerer Frieden ist mehr. Er verlangt die Bekämpfung barbarischer Gewalt wie in Hannover, und zwar in einer anderen und verantwortungsbewußteren Form als dort geschehen,
ebenso wie von politisch getarntem Extremismus, gleichgültig, ob durch Deutsche oder Ausländer.
Hier stellt sich auch die europäische Gemeinschaftsaufgabe besonders klar. Es darf in Westeuropa keine durch nationale Grenzen getrennten Aktionsfelder einerseits und Ruheräume für Extremisten andererseits geben.
Besonders im Kampf gegen die gewalttätige PKK wird die Bundesregierung nicht nachlassen, alle Mittel des Rechtsstaats massiv einzusetzen, bis jedem klar ist, daß in unserem Land keine auswärtigen Konflikte mit Gewalt ausgetragen werden dürfen.
Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, daß die Bundesländer an dieser Aufgabe mit gleicher Entschiedenheit und flächendeckend teilnehmen. Dabei kommt es nicht auf die Einschätzung des kurdischen Konflikts in der Türkei an, sondern es geht um die gemeinsame Abwehr von Verbrechen und Gewalttätigkeit, deren wechselnde politische Mäntelchen insoweit ohne Bedeutung sind.
Wo es um die Bewahrung des inneren Friedens geht, ist der Konsens, das bürgerschaftliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern von herausragender Bedeutung. Hier hat der Asylkompromiß seinen unentbehrlichen Platz. Wer ihn rechtlich oder tatsächlich in Frage stellt, muß schwerwiegende Folgen bedenken.
Friedliches und freundschaftliches Zusammenleben von Deutschen und Ausländern ist glücklicherweise jahrzehntelang in Deutschland eine Selbstverständlichkeit gewesen, war kurzzeitig von Irritationen begleitet und entwickelt sich jetzt wieder in guter Tradition. Aber das setzt voraus, daß die Probleme auf der Zeitschiene und quantitativ beherrschbar bleiben und nicht durch ungebremsten, beliebigen Zustrom zunehmen. Deutschland ist kein Einwanderungsland, und seine gesellschaftliche Zukunftsvorstellung wird nicht von der „multikulturellen Gesellschaft" geprägt,
die gerade in unseren Tagen an so vielen Stellen der Welt schreckliche Zeugnisse ihrer Spannungen ablegt.
Unser Weg ist das Integrationsangebot der deutschen Gesellschaft an Millionen Ausländer in einer weltoffenen Mitbürgergesellschaft.
In diesem Sinne wird die Bundesregierung auch die hier schon vorgetragenen Grundsätze für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht einschließlich der Kinderstaatszugehörigkeit entsprechend der Koalitionsvereinbarung anpacken.
Wo immer man in diesem Feld des inneren Friedens und der inneren Sicherheit hinsieht, stoßen wir auf die Notwendigkeit, über eigene Grenzen hinwegzuschauen und uns der Probleme in Europa gemeinsam anzunehmen. Das ist etwas grundlegend Neues in der Entwicklung der letzten fünf Jahre, seit den großen Grenzöffnungen. Das ist auch noch nicht überall und gleichermaßen bewußt geworden. Das stößt auch auf unterschiedliche nationale Traditionen und Bedenken.
Das stellt Deutschland mit seinen föderativen Strukturen vor ganz eigene Herausforderungen, die nur mit Kreativität, Wachsamkeit und entschlossenem Handeln bei wechselnden Situationen bewältigt werden können. Es kann in der Sicherheitspolitik keine Patentrezepte geben, sondern nur sehr viele wirksame Ansätze. Das ist wirklich ein Feld, in dem die Politik dicke Bretter zu bohren hat.
Unter dem Arbeitstitel „schlanker Staat" wird von uns in einem anderen Bereich kein Modewort verstanden, sondern ein ernster und bedeutsamer Auftrag. Gleichermaßen verlangen die Ebbe in den öffentlichen Kassen, die Sicherung des wirtschaftlichen Standorts Deutschland und die Bewahrung bürgerschaftlicher Freiheitsräume ein Zupacken in vielen öffentlichen Bereichen: im Genehmigungs- und Verfahrensrecht, im Haushaltswesen und bei der Statistik; aufgerufen sind innerstaatliche und europäische Fragestellungen, traditionelle Strukturen ebenso wie besondere Anlässe, etwa der Berlin-Umzug.
Bundesminister Manfred Kanther
Die Bundesregierung hat sich seit längerem an diese Herkules-Aufgabe herangemacht. Besonderen Fortschritt erwarten wir uns von der Kommission unter dem Vorsitz von Professor Scholz, in der die Fragestellungen und Antworten gebündelt werden sollen.
Weit voran sind wir in einem Sektor, der in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist: beim öffentlichen Dienstrecht, bei dem wir mit der Verstärkung des Leistungsgedankens, der Verbesserung von Mobilität und der Intensivierung von Führungskraft modernste Maßstäbe setzen wollen.
Jetzt im Ansatz und im nächsten Jahr auf der Basis eines noch zu erstellenden Versorgungsberichts wird uns die große Problematik der Versorgungslasten im öffentlichen Dienst, die nur ein Teilbereich der Versorgungslasten überhaupt ist, besonders beschäftigen. Ich weiß, daß das Herangehen an die Fragen des öffentlichen Dienstes und an viele Strukturen in den Verwaltungen gewaltig an die Besitzstände herangeht und mancherlei Widersprüche auslöst. Es ist immer ein Unterschied, ob man sich nur über Bürokratie beschwert oder ob man im einzelnen darangeht, sie zu mindern. Deshalb beabsichtigen wir auch nicht, meterdicke neue Gutachten zu fertigen und Verwaltungsbibliotheken damit zu füllen, sondern möglichst viele Einzelpunkte schnellstens in die Praxis umzusetzen.
Das kann bei dem verhältnismäßig kleinen Anteil, den die Bundesverwaltung an der Gesamtverwaltung hat, und auch bei dem im Verhältnis zu den Bediensteten der Länder und Kommunen sehr kleinen Anteil der Beschäftigten, die im Dienste des Bundes stehen, nur gelingen, wenn auch dieses Feld als eine Gemeinschaftsaufgabe aller staatlichen Ebenen begriffen wird und die angestaubten Fetische in der Besenkammer dem Vergessen überlassen werden.
Es berührt mich gar nicht, wenn es in diesem Zusammenhang Hakeleien gibt und sich aus allen möglichen Landesteilen die verehrten Kollegen Sozialdemokraten
- Kolleginnen sind dabei auf Zwischenruf besonders dankbar anzunehmen, „meerumschlungen" - mit neuen Programmen und Profilvorstellungen melden. In der Sache ist festzustellen, daß sie im wesentlichen das Konzept der Koalition, das auf meinen Eckpunkten beruhte, abgeschrieben haben.
Ich freue mich über diese Übereinstimmung, bis auf den Punkt, in dem, wie gesagt, die alten Fetische fröhliche Urständ feiern, nämlich die alte Streitfrage über die Abschaffung des Beamtenrechts, die bar jeglicher Vernunft ist und nur noch mit Reminiszenzen, aber nicht mehr mit Argumenten begründet werden kann.
- Das steht in dicken Papieren, die von vielen sozialdemokratischen Matadoren dieses Feldes vorgelegt werden. Der Abschaffungsgrad ist unterschiedlich, Herr Kollege. Da mögen am Ende vielleicht die Richter übrigbleiben. Den Problemen wird man auf diese Weise nicht gerecht.
Ich suche hier keinen Schlagabtausch. Wenn der Bund etwa 13 % aller öffentlichen Bediensteten stellt und die Länder, die Kommunen und die Sonderverwaltungen den großen Rest, dann ist selbstverständlich, daß man so etwas nur zusammen tun kann.
Das, was wir jetzt anpacken, stellt seit Jahrzehnten den größten Reformschritt im öffentlichen Dienstrecht dar. Darauf wird kein Patent ausgestellt; alle sind eingeladen, sich mit Vorschlägen in diesem Feld zu tummeln und das vorgelegte Werk dann zu einem hochbedeutsamen zu machen. Aber wir werden uns nicht von Dogmatismus oder Veränderungswut leiten lassen. Wir werden nicht Bewährtes über Bord werfen, nur um etwas Neues zu tun.
Die Strukturen der öffentlichen Verwaltung stehen allerdings rundum auf dem Prüfstand.
Sie müssen sich in der Bewältigung neuer Fragestellungen bewähren, die sich aus dem Wirtschaftsleben, der Öffnung von Grenzen, der Entwicklung der Kommunikationstechnik, aus gesellschaftlichen Veränderungen und aus dem Lebensgefühl der Zeit ergeben.
Dazu gehört nicht zuletzt, daß Haushalts-, Dienst- und Organisationsrecht zusammengreifen müssen, um die Stellenpläne und die Größe der öffentlichen Verwaltungen zu verringern. -
Ich verstehe, Herr Kollege Fischer, Ihr Defizit an Zwischenrufen. Denn wenn Ihnen jemand sachlich begegnet, fällt Ihnen in aller Regel ohnehin nichts ein. Infolgedessen sind Sie bei diesem Thema natürlich etwas notleidend.
- Na ja, wir hatten gelegentlich das Vergnügen auch schon bei anderen Gelegenheiten.
Bundesminister Manfred Kanther
Es ist nicht mein Ziel, die Innenpolitik in den Bereich des Schlagabtausches zu führen, sondern in den Bereich effizienter Lösungen, mit denen der Bürger etwas anfangen kann.
Zu diesen effizienten Lösungen gehört, daß wir die Stellenpläne und die Größe der öffentlichen Verwaltungen verringern müssen. Das ist eine vordringliche Aufgabe. Das ist nicht nur ein Gebot der finanzwirtschaftlichen Vernunft, sondern auch eine besondere Chance für antibürokratischen Erfolg.
Ich erinnere - nicht vorwurfsvoll - an die Vollmundigkeiten, die wir noch vor zwei, drei Jahren in diesem Zusammenhang von Ihnen, verehrte Kollegen, gehört haben, wenn es darum ging, den öffentlichen Dienst als Arbeitsmarktreservoir zur Aufnahme zusätzlicher Stellen zu verstehen.
Heute ist völlig unumstritten, daß Bund, Länder, Kommunen und alle Verwaltungen im Interesse der Finanzen und der Effizienz an die Verringerung der Stellenpläne herangehen müssen - eine der schwierigsten Aufgaben, die überhaupt angepackt werden können, weil sie auf die erbittertste Verteidigung von Besitzständen stößt.
Der Haushaltsentwurf für 1996 folgt in der Innenpolitik diesen Leitsätzen. Sein besonderer Schwerpunkt liegt im Bereich der inneren Sicherheit mit einem hohen Wachstum, was angesichts der geringen Verteilungsspielräume, die wir derzeit nutzen können, schwergefallen ist. Aber mit der Einsparung von Personal, neuen Formen seiner Umsetzung und der Fortbildung von Mitarbeitern in Schwerpunktbereichen sowie ersten Schritten zu einem leichtgängigeren Haushaltsrecht gehen wir den richtigen Weg. Er wird zielsicher, entschlossen und schnell weitergegangen werden. Alle sind eingeladen, sich dem im Interesse der Sache anzuschließen.
Danke sehr.