Rede von
Ursula
Eid-Simon
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, eine Reform und Neuordnung der deutschen Entwicklungspolitik ist überfällig. Leider haben Sie zu Beginn dieser Legislaturperiode die Chance dazu nicht genutzt. Der von Ihnen vorgelegte Haushaltsentwurf beweist, daß diese Regierung nicht die Kraft zu Reformen hat, und das ist bedauerlich.
Wir wissen alle: Die traditionelle Entwicklungspolitik ist gescheitert. Wichtige Reformschritte sind deshalb nötig. Nur einige möchte ich nennen.
Erstens. Die Personalbindung in der Entwicklungszusammenarbeit ist endlich aufzugeben. Es geht nicht an, daß Frauen und Männer aus Afrika, Asien und Lateinamerika seit 30 Jahren an deutschen Fachschulen, an deutschen Universitäten ausgebildet werden und wir immer noch in deutsche Entwicklungsprojekte im Süden deutsche Experten schicken.
Die Bildungsinvestitionen in Menschen aus dem Süden müssen auch im Süden produktiv umgesetzt werden. Das deutsche Expertenwesen verhindert dies, und damit muß endlich Schluß gemacht werden.
Zweitens. Unsere Zusammenarbeit mit Süd und Ost muß zu einer politischen Querschnittsaufgabe werden. Dies setzt eine Stärkung der Bedeutung der Entwicklungspolitik im Kabinett voraus. Den Willen sehe ich nicht; ich höre zwar überall gute Absichten dazu, aber bisher wurden sie nicht umgesetzt.
Drittens. Kohärenz in allen Politikbereichen ist nötig, damit die Politik aller Ressorts entwicklungsverträglich ist.
Viertens. Die auf verschiedene Ressorts verteilten Aufgaben müssen zusammengefaßt werden und beim BMZ ressortieren.
Dies setzt natürlich voraus, daß das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung das zuständige Fachressort für fachlich-technische Entwicklungsaufgaben ist und auch bleibt.
Selbstverständlich werden die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik durch die Diplomatie mit ihrer Kommunikations- und Vermittlungsfunktion, durch die Verteidigungspolitik, aber auch durch die Kooperation mit ihrer Entwicklungsfunktion getragen.
Die Diplomatie - das ist entscheidend - soll nicht über die anderen Bereiche mitverfügen, sondern den Rahmen setzen, in denen die anderen beiden agieren. Jüngste Äußerungen des Außenministers weisen in eine ganz andere, meines Erachtens falsche Richtung. Ich denke, ich habe das, was der Außenminister im Gastbeitrag in der „Frankfurter Rundschau" vom 19. Juli 1995 geschrieben hat, nicht mißverstanden.
Seit 1961 gibt es die Entwicklungspolitik als eigenen institutionalisierten Politikbereich in der Bundesregierung. Sie hat in dieser Zeit trotz aller Kritik internationales Renommee gewonnen. Dies muß so bleiben bzw. ausgebaut werden. Deswegen, Herr Kinkel: Hände weg vom BMZ!
Das möchte ich aber auch ins Stammbuch von Herrn Scharping schreiben, Herr Kollege Schuster.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der Reformunfähigkeit beweist der Haushaltsentwurf auch, daß diese Bundesregierung trotz vollmundiger Zusagen des Kanzlers bei internationalen Konferenzen - fernab von Bonn - gar nicht den politischen Willen hat, sich den Herausforderungen zu stellen, die durch globale Umwälzungen entstehen. Der von Ihnen, Herr Spranger, vorgelegte Haushaltsentwurf ist ebenso mickrig wie die Etats der letzten Jahre. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß der Haushalt gegenüber dem letzten Jahr um 134 Millionen DM erhöht wurde. Berücksichtigt man nämlich, daß diese Erhöhung durch internationale Verpflichtungen bereits gebunden ist, wird verständlich, daß es mir schwerfällt, in dem vorgelegten Haushaltsentwurf eine positive Wende zu sehen.
Dr. Uschi Eid
Die Erhöhung um 1,7 % ist eine Lächerlichkeit gegenüber der Dimension der Probleme, die wir am Ende dieses Jahrhunderts mit zu lösen haben, weil wir sie auch hauptsächlich mit verursacht haben.
Wenn Sie, Herr Minister, behaupten, übergeordnetes Ziel der deutschen Entwicklungspolitik bleibe die Armutsbekämpfung, so müssen Sie sich fragen lassen: Weshalb kommt dann unter den zehn größten Empfängerländern der Finanziellen Zusammenarbeit erst an zehnter Stelle ein schwarzafrikanisches Land, nämlich Tansania? Die Länderliste zeigt, daß Exportinteressen und nicht Armutsbekämpfung im Vordergrund stehen.