Rede von
Prof. Dr.
Ingomar
Hauchler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sie sprechen von Tendenzen. Wir haben gerade eine Frauenkonferenz in China. Ich sehe keine große Tendenz der Chinesen zu mehr Menschenrechten, Herr Kollege Pinger; im Gegenteil. Das bestätigt, was ich sage.
- Ich habe nie gesagt, daß für mich Menschenrechte und Demokratisierung das wichtigste Kriterium für Entwicklungshilfe ist. Ich habe auch in meiner Fraktion immer gesagt: Entwicklungspolitik ist überfordert, wenn sie zum wichtigsten Instrument von Menschenrechtspolitik gemacht werden soll. Entwicklungspolitik hat viel zu geringe Mittel, wenn die Wirtschaftspolitik und die Diplomatie bei der Menschenrechtspolitik nicht grundlegend mitmachen. Aber Sie, Herr Minister, haben ja die Menschenrechte zu einem der wichtigsten Kriterien erhoben. Und ich messe Sie nun an Ihren eigenen Kriterien.
Dr. Ingomar Hauchler
Das Wichtigste für die Entwicklungspolitik ist, daß die Entwicklungshilfe bei den Menschen direkt ankommt und der breiten Bevölkerung hilft.
Dann helfe ich eventuell auch in einem Lande, in dem ein Diktator die Menschen unterdrückt, die sich gar nicht mehr äußern können. Da müssen wir auch einmal im Kopf frei werden. Es kommt darauf an, daß die Hilfe ankommt. Auch in Diktaturen muß die Hilfe ankommen, gerade dort, weil dann die Menschen die Chance haben zu partizipieren, aufrecht zu stehen und politisch selbst das Heft in die Hand zu nehmen.
Daß Sie zum Teil die Prioritäten falsch setzen, haben wir immer wieder betont. Aber zumindest eines sollten Sie nicht tun: Sie sollten den Menschen nicht Sand in die Augen streuen. Wenn Sie ein Kriterium propagieren, dann richten Sie sich bitte auch danach.
Zum Schluß möchte ich noch auf eine Sorge zu sprechen kommen, die mich persönlich zunehmend bewegt. Diese Sorge gilt dem Umfang und der Qualität der multilateralen Zusammenarbeit. Meine Sorge beruht ganz konkret darauf, daß in den letzten Jahren eine historische Bewegung zum Stillstand gekommen ist, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Gründung der UNO eingesetzt hat und von großen Hoffnungen auf internationale Zusammenarbeit, auf ein Zusammenwachsen von multilateralen Strukturen, auf internationale Politik-, Steuerungs- und Kontrollfähigkeit begleitet war, und daß wir sogar einen Rückfall in nationalstaatliches Denken erleben.
Die historische Bewegung ist jetzt 50 Jahre alt. In diesem Jahr feiern wir den 50. Jahrestag der Gründung der UNO und anderer Institutionen. In dieser Zeit sind globale Institutionen entstanden; ich nenne die Weltbank, den IWF, die Sonderorganisationen der UNO und regionale Einheiten. Die UNO ist in den siebziger Jahren zu einem Forum des internationalen Dialogs, vor allem des Dialogs zwischen Nord und Süd, ausgebaut worden, und es hat sich beispielsweise mit dem UNDP, aber auch mit anderen Organisationen, ebenso mit der Weltbank - das muß man zugeben, auch wenn man sie kritisch betrachtet - ein Ansatz multilateraler Politik entwickelt.
Dies droht derzeit in Frage gestellt zu werden bzw. zum Stillstand zu kommen. Das muß tatsächlich besorgt machen, weil es dann zu einer neuen historischen Zäsur in der internationalen Politik käme. Die Welt hat sich bisher dahin entwickelt, daß die Nationalstaaten erkannt haben, daß sie nicht mehr alle Probleme selbst bewältigen können, daß sie zusammenarbeiten müssen, aber nicht nur bilateral durch Verträge, sondern eben auch durch Institutionen, die rechtsverbindlich und möglichst mit Sanktionsgewalt vorgehen können. Das ist, denke ich, zum Stillstand gekommen.
Die internationalen Institutionen werden zunehmend von Nichtregierungsorganisationen, aber auch von Regierungen und Parlamenten in Frage gestellt. Ich verweise vor allem darauf, daß es in den
USA eine Absetzbewegung von der UNO, von der Weltbank und von anderen Institutionen gibt.
- Auch in der Interparlamentarischen Union gibt es Risse.
Die größte Supermacht, die USA, zieht sich mehr und mehr aus multilateralen Engagements zurück. Es drohen noch mehr Einschnitte, als es bisher schon gibt. Wir erwarten, daß von seiten der USA bei der dritten Rate der IDA-Auffüllung verbindliche völkerrechtliche Verträge gebrochen werden, daß Versprechen nicht mehr eingehalten werden.
Die USA sind bei der UNO und ihren Sonderorganisationen gewaltig im Rückstand. Ich frage Sie: Sprechen Sie mit den amerikanischen Freunden darüber? Wie kommen Sie mit dieser Lage zurecht, Herr Minister? Der Herr Außenminister ist jetzt leider nicht mehr da, der mehr dazu sagen könnte.
Dies muß uns sehr besorgt machen. Mich macht auch besorgt, daß es eventuell zu einer Kettenreaktion kommen könnte: Wenn die größte Macht, die politisch dominiert, die wirtschaftlich dominieren will, die immer noch militärisch als Hauptordnungsfaktor eingreifen möchte, bei der Unterstützung der internationalen Institutionen ausfällt, dann könnten wir insgesamt auf eine schiefe Ebene geraten.
Es sind aber nicht nur die USA; auch bei uns, in diesem Parlament, gehen Stimmungen und Stimmen in die Richtung: Eigentlich könnten wir doch selbst alles besser. Herr Minister, auch Sie haben dem heute wieder etwas Vorschub geleistet. Ich empfand es doch als sehr arrogant, wie Sie auftraten: Wir sind die Besten, wir sind vorbildlich in der ganzen Welt! - Ich denke: Andere sind auch ganz gut. Nehmen Sie doch einmal die Holländer, die Skandinavier, auch andere, auch UN-Organisationen, die hervorragende Projekte haben.
Jetzt soll die Entwicklungswelt wieder am deutschen Wesen genesen - so lese und höre ich das jetzt öfter von Ihnen. Überlegen Sie, ob Ihnen, der Regierung, uns Deutschen das nützt. Man schaut aufmerksam auf uns, wie wir uns in einem vereinten Deutschland international präsentieren. Dieser Stil der Arroganz ist nicht angemessen, glaube ich. Und er kann sich als kontraproduktiv erweisen.
Der Bundeskanzler hat heute ganz anders als Sie, Herr Spranger, gesprochen. Das hat mich gefreut. Er hat gesagt, wir müssen aufpassen, daß wir Deutsche uns in die internationale Gemeinschaft einordnen und nicht denken, wir könnten von unserer Seite her alles bestimmen. Ich betone: Wenn wir das tun, kann das kontraproduktiv werden, denn wer sich zu sehr aufspielt, wird vielleicht von anderen auf die Dauer doch nicht so akzeptiert, wie er es möchte.
Auch der Außenminister hat übrigens heute darauf hingewiesen und gesagt: Wir dürfen auf keinen Fall
Dr. Ingomar Hauchler
die internationalen Institutionen schwächen; wir brauchen sie für eine internationale Politik.
Meine Damen und Herren, das wollte ich einfach einmal thematisieren und nachdenklich, vielleicht nicht nur als Vorwurf, sondern als Frage an uns alle richten: Wo stehen wir Deutsche heute international? Wie ordnen wir uns ein? Wie glauben wir unseren Einfluß international ausüben zu können, wie am besten helfen zu können?
Ich denke, eine gemeinsame Anstrengung der Deutschen, die multilaterale Politik zu stärken, ist nicht nur notwendig, sondern kann in einem Vakuum, das die Amerikaner international durch ihren Rückzug hinterlassen, unseren Interessen und unserem Einfluß sogar nutzen.
Ich hoffe, daß wir über diese Fragen weiter ins Gespräch kommen und im multilateralen Bereich nicht wild aus Arroganz herumgekürzt wird. - Neben den Gemeinsamkeiten wollte ich Ihnen meine Kritik und ein bißchen Sorge um diesen Bereich vortragen.
Vielen Dank.