Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst auf Gemeinsamkeiten in der Entwicklungspolitik hinweisen und heute auch dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein gewisses Lob aussprechen.
Anschließend muß ich aber Kritik üben. Das werden Sie mir nicht übelnehmen. Es ist guter Brauch, daß die Opposition kritisch die Regierungsarbeit beleuchtet.
- Es ist nötig, Herr Feilcke.
Dann will ich noch eine ganz persönliche Sorge im Zusammenhang mit der Entwicklung der multilateralen Zusammenarbeit äußern.
Herr Minister, die Gemeinsamkeiten zuerst. Ich habe den Erfolg, den Sie im Nahen Osten erzielt haben, respektiert. Ich halte es für respektabel, daß Sie jetzt doch stärker auf regionale Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit setzen. Ich halte es für sehr gut, daß die 140 Millionen DM, die Israel bisher jährlich zur Verfügung standen, für länderübergreifende Projekte zur Verfügung gestellt werden, also für den Friedensprozeß in Palästina, in Jordanien und in Israel. Ich finde auch einige Äußerungen von Ihnen in der letzten Zeit richtig. Sie haben gelernt, daß Entwicklungspolitik nicht nur Projektpolitik ist, sondern zur Strukturpolitik weiterentwickelt werden muß und daß viele die Entwicklungspolitik - da sind
Dr. Ingomar Hauchler
wir uns einig - immer noch mit falschen Augen sehen, nämlich vorwiegend als Sozialhilfepolitik, als Projektpolitik, als Transfer. Dabei ist Entwicklungspolitik tatsächlich Strukturpolitik. Ich bescheinige: Sie haben doch einiges gelernt, auch von uns aus den Debatten. Herzlichen Dank.
Aber nach dem Lob ist jetzt die Zeit für massive Kritik an der Bundesregierung insgesamt. Diese Kritik macht sich heute am Haushalt fest. Die Regierung stellt die ganz leichte Erhöhung des Einzelplans 23 im Haushalt 1996 als eine Wende hin. Sie, Herr Minister, lassen sich bereits in der Öffentlichkeit für diese Wende feiern. Hoffentlich ist es dafür nicht zu früh.
Der Ansatz im Regierungsentwurf 1996 beläuft sich auf 8,23 Milliarden DM. Das sind ganze 200 Millionen DM unter dem Ansatz von 1993.
- Es sind nominal 200 Millionen DM unter dem Ansatz von 1993 und 900 Millionen DM unter der mittelfristigen Finanzplanung nach der Konferenz von Rio, die Sie selbst vorgelegt haben. So muß man die Dinge ansehen. Kleine Prozentsätze in der kurzfristigen Betrachtung sagen nicht viel. Man muß vielmehr in der Langfristbetrachtung sehen: Wofür gibt diese Bundesregierung Geld aus; welche Prioritäten setzt sie?
Die Entwicklungspolitik gehörte in den letzten Jahren nicht dazu. Und ich sage Ihnen mit Blick auf Ihre eigene neue mittelfristige Finanzplanung bis 1999: Sie gehört auch in Zukunft nicht dazu. Denn was veranschlagt die Regierung in der mittelfristigen Finanzplanung für Entwicklungspolitik?
Der Gesamthaushalt soll um 2 % bis 2,5 % jährlich bis 1999 steigen. Der Entwicklungshaushalt soll jährlich nur um 0,5 % bzw 1 % steigen. Also soll in Zukunft wieder das gleiche Lied gespielt werden. Die Entwicklungspolitik soll schwächer wachsen als der Gesamthaushalt. In sechs Jahren, von 1993 bis 1999, soll praktisch nichts draufgelegt werden, und das angesichts der Situation, daß wir in diesem Zeitraum 400 bis 500 Millionen mehr Menschen in der Dritten Welt haben, die Umweltverschmutzung global weiter ansteigt, Kriege um uns herum sind, Gewalt, Flucht, Bevölkerungsexplosion, tiefere Armut. Ich finde, die Planung im Bereich Entwicklungspolitik ist kein Ruhmesblatt. Das kann nicht als Wende in der Entwicklungspolitik bezeichnet werden, was Sie jetzt für die Zeit von 1996 bis 1999 vorsehen.
Ich finde es töricht und kurzsichtig, ja blind, daß diese Bundesregierung nicht endlich begreift, daß gerade im Bereich der Entwicklungspolitik, über den wir heute sprechen, Investitionen in die Zukunft am besten angelegt wären. Lernen Sie einfach, daß wir, wenn wir Kriege vermeiden wollen - wir reden in x Debatten über Bosnien, über Kriege, über Gewalt -, mehr vorbeugende Friedenspolitik betreiben müssen, d. h. letzten Endes auch Entwicklungspolitik.
Mein zweiter Kritikpunkt ist: Sie setzen immer noch falsche Prioritäten, Herr Minister. Ich habe in die Rahmenplanung hineingeschaut und stelle fest, daß die zehn größten Empfängerländer im nächsten Jahr 100 Millionen DM mehr bekommen sollen. Wer ist unter diesen zehn größten? Indonesien, China, Indien, Türkei: nicht gerade die Staaten, die unsere eigenen Kriterien am besten erfüllen. Ich nehme an, daß Sie mir hier beipflichten.
Sie flunkern hier, Sie streuen den Menschen Sand in die Augen. Seien Sie endlich einmal ehrlich! Wenn Sie etwas für die Türkei, für China tun wollen, dann reden Sie nicht gleichzeitig von Menschenrechten und von Demokratisierung. Das ist unehrlich; das heißt Sand in die Augen der Menschen streuen. Das dürfen Sie nicht tun.