Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Beer! Ich bin dankbar, daß der Kollege Duve sicher für die ganz große Mehrheit des deutschen Parlaments klargestellt hat, worum es geht.
Frau Beer, Sie müssen begreifen, daß es sehr unmoralisch sein kann, Soldaten einzusetzen, daß es aber auch sehr unmoralisch sein kann, Soldaten nicht einzusetzen, und mit dieser Lage haben wir es zu tun.
Herr Fischer selbst hat deutlich gemacht, was Srebrenica für ihn bedeutet hat. Das waren Massaker, Menschenrechtsverletzungen, wie viele sie nicht mehr für möglich gehalten haben in diesem Jahrhundert, vielleicht nie mehr nach dem, was in diesem Jahrhundert alles geschehen ist.
Wenn Sie nicht begreifen, daß es unmoralisch wäre, Soldaten dort nicht einzusetzen, dann haben Sie nicht verstanden, was Moral unter den konkreten Bedingungen unserer Zeit heißt. Darum geht es.
Im übrigen muß ich sagen, daß Sie viel nachdenklicher und klüger sind, als Sie leider im Plenum immer wieder erkennen lassen.
Es gibt auch eine relativ große Übereinstimmung. Zunächst darf ich mich für all das bedanken, was an Positivem über die Bundeswehrsoldaten gesagt worden ist. Ich glaube, sie haben jedes Wort verdient.
Bundesminister Volker Rühe
Es gibt Übereinstimmung auch von seiten der Sozialdemokraten. Scharping, Verheugen und Voigt haben übereinstimmend gesagt: Der Militäreinsatz der NATO ist unvermeidlich und erforderlich.
Der Fraktionsvorstand der Grünen hat gestern erklärt: Die Luftangriffe der NATO sind jedoch die logische und grausame Konsequenz aus den jüngsten Massakern der bosnischen Serben an der moslemischen Zivilbevölkerung. Auch das ist richtig festgestellt.
Ich habe auch zur Kenntnis genommen, daß es weder von Herrn Scharping noch von Herrn Verheugen Kritik an dem Einsatz der Bundeswehr gegeben hat. Ich hätte mir gewünscht, daß sie sich an die Soldaten gewendet hätten. Sie brauchen nämlich die Zuwendung, und sie sind im Einsatz, auch heute; das darf man nie vergessen.
Ich habe nie von Symbolik gesprochen. Wenn ein deutscher Pilot - das habe ich immer geschildert - innerhalb von 15 Sekunden entscheiden muß, ob er eine Rakete auslöst, darin hat das wenig mit Symbolik zu tun. Vielmehr habe ich gesagt: Wir sind seit dem 1. August im Einsatz, und wir haben nie einen Zweifel daran gelassen.
Da der Kollege Voigt zu denen gehört - da habe ich den allergrößten Respekt -, die mit viel Mut am 30. Juni zugestimmt haben und damit, wie ich finde, der eigenen Partei eine Brücke in die Zukunft gebaut haben - das wird noch deutlich werden -, hat er auch einen Anspruch darauf, daß man sachlich auf das eingeht, was er hier an Fragen geäußert hat.
Es ist eine Tatsache, daß unsere Tornados im notwendigen Bezug zur Mandatslage sowie zu den Beschlüssen der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages fliegen. Wir sind davon überhaupt nicht abgewichen.
Das heißt, Aufträge durch den schnellen Einsatzverband allein sind der Bezugspunkt unserer Einsätze. Ebenso dienen die Ergebnisse unserer Einsätze der Handlungsfähigkeit des schnellen Einsatzverbandes.
Die rechtliche Grundlage ist so, daß der schnelle Einsatzverband auf der Grundlage der bekannten UN-Sicherheitsratsresolutionen integraler Bestandteil von UNPROFOR ist und ermächtigt ist, bewaffnete Gewalt zur Unterstützung der UN-Friedenstruppen und zum Schutz der Schutzzonen einzusetzen. Das heißt, der Artilleriebeschuß durch den schnellen Einsatzverband diente dem Schutz der Schutzzone und dem Schutz und der Hilfe für die darin befindlichen Einheiten von UNPROFOR. So war auch die Auskunft der UNO uns gegenüber.
Die Operationen des schnellen Eingreifverbandes stellen damit keine Vergeltung und keine Parteinahme dar, sondern es handelt sich um eine rechtmäßige Wahrnehmung von Befugnissen auf der Grundlage bestehender Mandate.
Die deutschen Tornados unterstützen den im Rahmen seines Mandats handelnden schnellen Einsatzverband nur auf dessen Anforderung gemäß dem Beschluß der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages. Das ist hier korrekt zitiert worden.
Der Einsatz der deutschen Tornados ist und war damit an die Operationen gebunden, einschließlich der dafür militärisch erforderlichen Maßnahmen des schnellen Einsatzverbandes. Die deutschen Tornados sind nicht an der Durchführung von „air strikes" im Rahmen der Operation „Deny Flight" beteiligt. Sie operieren ausschließlich zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbandes.
Nun kommt ein bißchen eine Ironie der Geschichte: Die ersten Flüge am 22. August, die von der NATO als Einsätze klassifiziert worden sind, haben die Aufklärungs-Tornados durchgeführt. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß das Flugzeuge sind, deren Einsatz die gesamte SPD-Fraktion zugestimmt hat.
Ich habe noch im Juni mein Befremden geäußert, wie man dem Einsatz von Aufklärungs-Tornados zustimmen kann und ECR-Tornados ablehnen kann.
Den Ausgangspunkt bilden aber die Flugzeuge, deren Einsatz - ich betone: Einsatz; es geht hier nicht um den symbolischen Einsatz - die gesamte SPD-Fraktion zugestimmt hat; das spielt im Augenblick die entscheidende Rolle. Nur zu ihrem Schutz - und ich glaube, den werden Sie wohl nicht verweigern - fliegen die ECR-Tornados mit. Deswegen, glaube ich, haben wir eine ganz klare Grundlage. Das ist das erste.
Die ECR-Tornados sind seit dem 1. August einsatzbereit und haben zahlreiche Ausbildungs- und Übungsflüge durchgeführt. Ich habe mich bei meinem Aufenthalt im Piacenza über manchen Journalisten geärgert, der gesagt hat, es sei hier wegen des schönen Wetters fast wie im Urlaub, obwohl ich sie darauf hingewiesen habe, daß sich die Soldaten seit dem 1. August im Einsatz befinden.
Als ich am 9. August in Piacenza zu Besuch war, habe ich selbst eine Besatzung zehn Minuten nach ihrer Landung, nach der Rückkehr von einem Flug über Bosnien, getroffen und die Bedingungen genau sehen können. Ich habe den Journalisten erzählt, daß die Piloten innerhalb von 15 Sekunden reagieren müssen, wenn sie vom serbischen Radar angestrahlt werden, und daß sie dann keinen Verteidigungsminister mehr fragen können. Sie haben die Schießerlaubnis. - Es sind Übungsflüge, um das Zusammenspiel zwischen dem schnellen Eingreifverband und diesen und anderen Flugzeugen zu üben, die aber innerhalb von 15 Sekunden zu einem scharfen Einsatz führen können. All das ist damals dargestellt worden.
Nun kommt noch eine schöne Geschichte, lieber Karsten Voigt: Wir haben überhaupt nichts verschwiegen. Die Ironie der Geschichte ist, daß in dem Bericht, den wir in der letzten Woche planmäßig an den Bundestag gegeben haben, die Zahlen enthalten waren, die dann der „Spiegel" von denjenigen, die diesen Bericht am letzten Freitag erhalten haben, bekommen hat. Es ist nun wirklich sehr ungewöhnlich,
Bundesminister Volker Rühe
daß, wenn der „Spiegel" Informationen erhält, die wir zuvor dem Parlament gegeben haben, dann auch noch behauptet wird, wir hätten niemanden informiert. Diese „Spiegel"-Informationen stammen von uns; sie sind lediglich aus dem Parlament weitergegeben worden.
Am letzten Freitag ist auf Grund der NATO-Statistik der Unterschied zwischen Übungsflügen unter Einsatzbedingungen und Einsatzflügen gemacht worden. Das erklärt sich ganz einfach: Fotografieren muß man nicht üben. Deswegen sind die Flüge der Aufklärungstornados, denen alle Sozialdemokraten zugestimmt haben, in der NATO-Statistik seit dem 22. August als Einsätze geführt worden, die Flüge der ECR-Tornados, denen die Sozialdemokraten nur mit 50 Stimmen zugestimmt haben, nur als Übungsflüge unter Einsatzbedingungen - aber mit der Nähe zum scharfen Einsatz, wie ich das gerade klar gesagt habe. Es gibt also keine Ausweitung des Beschlusses. Wir handeln vielmehr glasklar auf der Grundlage des Parlamentsbeschlusses vom 30. Juni.
Das, was wir von den Sozialdemokraten heute erwartet hätten - und zwar insgesamt, nicht nur von den 50 Mitgliedern, die damals den Mut gehabt haben zuzustimmen -, ist: Wenn Sie sagen, die NATO-Operationen seien erforderlich und notwendig, auch um den Friedensprozeß voranzutreiben, dann sollten Sie sich als gesamte Fraktion jetzt endlich auch voll hinter den Einsatz der Bundeswehr stellen. Das ist das, was Sie uns noch immer schulden.