Rede von
Graf
Heinrich
von
Einsiedel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist für einen Parlamentsneuling wie mich schwer, nach diesen endlosen Debatten noch irgend etwas Neues zu sagen und Sie nicht zu langweilen.
- Dann würde ich eher das wiederholen, was die Kollegin Angelika Beer gesagt hat.
Das entspricht vollkommen meiner Anschauung. Aber ich will Sie damit nicht langweilen.
Zu Ihren Bedenken gegenüber den Einsätzen, den sogenannten Übungsflügen, Kollege Karsten Voigt. Ich habe mir vorgestellt, die Übungsflieger haben ein „L" aufgemalt, Learner, damit man unterscheiden konnte: Wer ist im Einsatz, und wer fliegt lediglich manövermäßig herum.
- Es ist ein geschlossenes Weltbild, ja. Wenn ich diese Debatte zusammenfasse, wie sich Opposition und Regierung und Kollegen innerhalb der Regierungskoalition gegenseitig vorwerfen, was jemand gestern, vorgestern, vor zwei Jahren, vor drei Jahren
in bezug auf Jugoslawien, auf Einsätze in Jugoslawien usw. gesagt hat, dann kann man bloß noch feststellen: Das ist ein solcher Wirrwarr von Widersprüchen, daß man von einer klaren Konzeption gar nicht reden kann. Man kann nur den Hut ziehen vor Herrn
Heinrich Graf von Einsiedel
Schwarz-Schilling, der aus der Regierung ausgetreten ist, weil er genau das verlangt hat, was jetzt plötzlich für notwendig erklärt, begrüßt und als Sieg gefeiert wird. Damals haben Sie es alle abgelehnt.
Aber lassen wir das. Diese Diskussion ist ja schon bis zum Ende geführt worden.
Ich möchte etwas Grundsätzliches sagen. Bei der Beurteilung des Rüstungshaushalts dieser Bundesrepublik gibt es für mich ein entscheidendes Kriterium. Die Bundesrepublik ist seit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts, den ich aufrichtig begrüßt habe, nur noch von Freunden und Partnern umgeben. Ein Angriff auf ihr Territorium ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Selbst die Bundesregierung wird nicht müde, dies immer wieder zu betonen. Als eine Folge des KSE-Vertrages, aber auch weit darüber hinaus, hat gerade im Osten unseres Kontinents eine erhebliche Rüstungsminderung stattgefunden.
Diese dramatisch veränderte Sicherheitslage - so hat sich der Verteidigungsminister geäußert - hätte meiner und der Ansicht meiner Partei nach eine drastische Senkung der Rüstungsausgaben und der Streitkräfte in der Bundesrepublik gestattet.
- Nein, keine drastische, und jetzt steigt es ja schon wieder an. Ich habe hier und heute nicht die Zeit, mich mit den einzelnen Posten des Rüstungshaushalts im Detail auseinanderzusetzen. Wir sind aber der Meinung, nachdem wir uns das genau angeschaut haben, daß in den kommenden Jahren jährlich ohne weiteres 5 bis 10 Milliarden DM in diesem Rüstungshaushalt gekürzt werden könnten, ohne daß die Sicherheitslage der Bundesrepublik im geringsten beeinträchtigt würde.
Der Finanzminister hat gestern schon vorsorglich die Frage ironisiert, was man mit dem Geld für einen Eurofighter anfangen könnte, um soziale, kulturelle, wissenschaftliche Probleme dieser Gesellschaft zu lösen. Hier ist Ironie überhaupt nicht am Platz; denn es geht um Milliardenbeträge. Wie wir in der gesamten Haushaltsdiskussion gehört haben, hat die Bundesrepublik eine riesige Verschuldung, deren Verzinsung aus den Steuergeldern der arbeitenden Bevölkerung bedient wird. Diese Zinsen kassieren die Kreditgeber, und das sind sicherlich nicht die Arbeitnehmer, sondern das sind die Banken, die Großunternehmen, das Finanzkapital. Das ist gar keine Erfindung der PDS. Wirtschaftsinstitute, aber auch die Kirchen haben festgestellt, daß eine ungeheure Konzentration des Kapitals in den Händen von 5 bis 10 % erfolgt ist.
- Die haben so viele Möglichkeiten, den Steuern auszuweichen, daß jeder einzelne, der eine Lohnsteuerkarte in der Hand hat, unendlich mehr Steuern zahlt als jeder Selbständige.
Der kann genug von seinem persönlichen Konsum in den Geschäftskosten verstecken, und das ist ja nur ein Steuerschlupfloch. Es gibt Hunderte anderer.
Wir sind der Meinung, der Bundeshaushalt könnte gekürzt werden, ohne die Sicherheitslage der Bundesrepublik zu beeinträchtigen. Stattdessen ist es aber das erklärte Ziel, die Bundeswehr soll eine Interventionsarmee werden, die weltweit als Krisenreaktionskraft eingesetzt werden kann. Der Bürgerkrieg in Jugoslawien wird erfolgreich instrumentalisiert, um diese Politik kurz- und langfristig zu legitimieren und das deutsche Volk allmählich darauf vorzubereiten, daß wir als Krisenreaktionskraft weltweit eingreifen.
In den Debatten im Verteidigungsausschuß über eine eventuelle und jetzt Tatsache gewordene deutsche Beteiligung am Eingreifen der NATO in Jugoslawien habe ich einmal gesagt: Wie immer man das beurteilen will, wenn man Krieg führen muß, ist das nicht die Fortsetzung der Politik, sondern der Bankrott der vorhergegangenen Politik. Der IBuK, der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt - ich habe gehört, daß der Verteidigungsminister jetzt so bezeichnet wird und diese Rolle hat -, hat damals geantwortet, die Notwendigkeit, gegen Hitler Krieg zu führen, sei doch ein Beweis dafür, welch eine dumme Geschichtsauffassung ich hätte. Die Situation von 1939 ist selbstverständlich eine Bankrotterklärung der internationalen Politik von vor 1933, der innerdeutschen Politik der Weimarer Demokratie und erst recht ein Bankrott der Nazipolitik.
Das war wirklich der schlimmste Bankrott der Politik in diesem Jahrhundert.
Angesichts eines solchen Geschichtsbildes, wie es Herr Rühe dort geäußert hat, ist man natürlich sprachlos.
Die jetzt angeblich notwendig gewordenen NATO-Luftschläge in Jugoslawien sind doch nun wirklich eine Bankrotterklärung aller vorangegangenen Politik, in deren Verlauf man uns x-mal von seiten der Militärfachleute auseinandergesetzt hat, ein Eingreifen der NATO oder der UNO mit militärischen Mitteln in Jugoslawien sei unmöglich und sinnlos.
Da gibt es ja unglaubliche Widersprüche. Kollege Fischer bezeichnet den Serbenstaat als einen faschistischen Staat. Das mag zutreffen. Ich meine, das ist
Heinrich Graf von Einsiedel
ja auch so ein Schlagwort. Was heißt faschistisch? Ein nationalistischer Staat, aber ist Kroatien einen Deut besser? Wer ist denn Herr Tudjman? - Das ist auf einmal unser Lieblingskind?
Warum hat man überhaupt keinen Druck ausgeübt? Wie ist die Reaktion auf diese Vertreibung der Menschen gewesen? Hier wird bloß von 120 000 Menschen gesprochen; in der Presse habe ich Zahlen von über 200 000 gelesen, 150 000, 160 000. Ich habe sie nicht gezählt, niemand hier hat sie gezählt. 100 000, 50 000 wären zuviel. Man hat das klaglos hingenommen. Warum müssen denn bloß die Serben einlenken, wieso nicht die Kroaten?
Der Herr Außenminister sieht Licht am Ende des Tunnels. Man kann natürlich daran zweifeln, ob solche militärischen Einsätze aus der Luft einen Frieden in Jugoslawien erzwingen können. Die Wehrmacht ist mit Jugoslawien nicht fertig geworden. Selbst Stalin hat, als Tito aus dem Ostblock, aus dem Kominternblock ausschied, es nicht gewagt, dort einzugreifen. Ich frage mich, ob man aus der Luft wirklich Frieden erzwingen kann.
Man sieht ja in Israel und Palästina, daß es dort Friedenserklärungen gibt und immer wieder genügend Terroristen da sind, die diesen Friedenswillen zu unterlaufen versuchen. Wie wollte man Derartiges, selbst wenn es zu Vereinbarungen kommen sollte, in Jugoslawien verhindern?
Wer weiß genau, von wo aus die Granaten, die dort in Sarajevo niedergegangen sind und diese Blutbäder angerichtet haben, abgefeuert worden sind? Sie sind jetzt der Anlaß für das Eingreifen der NATO. Aber solche Angriffe hat es ja vor zwei, vor drei Jahren schon gegeben. Wieso war das damals nicht möglich?
Es wird hier davon gesprochen, der Einsatz der deutschen Tornados sei nur ein symbolischer. Natürlich, die NATO brauchte das sicher nicht, auch wenn dieser Herr General dem Kollegen Rose erklärt hat, daß das absolut notwendig sei.
Ich bin der Meinung, daß das, obwohl es nur symbolisch ist, ein Schritt, ein Signal ist, das hier gesetzt wird, daß die Bundesrepublik wieder als militärische Großmacht auftreten will.
Das wäre denkbar, wenn sie in ein wirkliches, echtes Bündnissystem eingebunden wäre, aber die Entwicklung des Jugoslawienkrieges hat ja bewiesen, daß die Großmächte, auch in der UNO die entscheidenden Mächte, auch diese Fünfergruppe, sich in der Behandlung der Jugoslawienfrage überhaupt nicht einig waren. Deshalb ist es ja nie zu entscheidenden Schritten in Jugoslawien gekommen. Diese Einbindung einer militärisch stärker gewordenen Bundesrepublik ist doch eine reine Illusion.
Es ist hier und auch im Verteidigungsausschuß darüber gesprochen worden, wie wir schrittweise in diesen Einsatz einbezogen worden sind. Ich will auf das verweisen, was Kollegin Beer dazu gesagt hat.
Wir sind schrittweise in diesen Einsatz hineingekommen, und dann haben auch Pazifisten den Stahlhelm bei sich auf den Schreibtisch gelegt oder aufgesetzt.