Kollegin Lederer, darauf eine klare Antwort: Ich habe in meinem Diskussionsbeitrag die Einsätze der Bundesluftwaffe nicht kritisiert. Ich habe auch nicht gesagt, daß ich einem Beschluß nicht zugestimmt hätte, wenn der Bundesaußenminister und der Bundesverteidigungsminister das angekündigt hätten, was sie jetzt tun. Ich habe nur gesagt, daß diese beiden den vollen Umfang der Einsätze meiner Meinung nach damals nicht richtig vorausgesehen haben, der, wie ich meine, aber voraussehbar war, nämlich daß sich die restriktiven Bedingungen, die sie hier im Parlament, um eine breite Mehrheit zu erreichen, angekündigt
Karsten D. Voigt
haben, im weiteren Verlauf der Ereignisse so nicht einhalten ließen.
Aus diesem Grund habe ich im Auswärtigen Ausschuß gesagt, es handele sich eher um eine politischsymbolische Sache mit militärischer Substanz als um einen militärisch-substantiellen Beitrag der Bundesluftwaffe. Ich vermute, daß schrittweise eine immer größere militärische Substanz angestrebt wird. Dafür möchte ich die politischen Begründungen kennen. Das kann man nämlich nicht einfach ohne eine politische Debatte durchgehen lassen.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben in einem Brief an Herrn Granic zu Recht das Verhalten der Kroaten in bezug auf die Krajina kritisiert. Ich hätte gewünscht, daß Sie die Verbrechen, die von den Kroaten in der Krajina begangen wurden, früher und auch öffentlich kritisiert hätten. Es sind Morde vorgekommen. Es hat dort nicht nur Flucht, sondern auch Vertreibung gegeben. Der Umfang der Morde ist nicht gleichermaßen schwerwiegend wie das, was die Serben wahrscheinlich in Srebrenica gemacht haben. Trotzdem müßten gerade die Deutschen in dieser Frage ein Interesse daran haben, das Verhalten der Kroaten öffentlich vernehmbar und frühzeitig zu verurteilen.
Darüber hinaus halte ich es für sehr wichtig, daß wir in diesen Tagen Druck auf die Kroaten ausüben, um zu erreichen, daß sie in Ostslawonien nicht militärisch agieren und auch nicht in der Umgebung von Dubrovnik.
Es ist auch wichtig - Sie haben das angedeutet -, daß wir den Serben frühzeitig signalisieren, daß wir bei einer Friedenslösung nicht nur zum Wiederaufbau und zur ökonomischen Zusammenarbeit mit den Kroaten und der bosnischen Regierung, sondern auch mit den Serben bereit sind.
Es gibt in diesem Hause hoffentlich keine antiserbischen Emotionen. Wir haben nichts gegen das serbische Volk.
Ich wäre sehr dafür, wenn alle Parteien dieses Hauses ihre Kontakte nicht nur zu den bosnischen Parteien, nicht nur zu den Kroaten, sondern zu den verschiedenen politischen Gruppierungen und Parteien in Belgrad intensivieren würden.
Obwohl mir der Mann persönlich nicht schmeckt und er einer der Hauptverursacher dieses Krieges war, glaube ich, daß das Milošević nicht ausschließen kann. Ich bin der Meinung, daß die Bonner Politik klug beraten ist, wenn sie die Kontakte zu Milošević nicht nur Holbrooke überläßt, sondern wenn sie im Sinne eines Einwirkens auf eine Friedenslösung auch mit Belgrad Kontakte aufnimmt oder intensiviert.
Mein zweites Thema ist die Wiederaufnahme der französischen Nukleartests. Die deutsch-französische Zusammenarbeit und Aussöhnung ist, wenn es so etwas überhaupt gibt, die Staatsräson, die nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern die auch das vereinigte Deutschland neuer Art binden sollte. Ohne die deutsch-französische Aussöhnung würde Europa in alte Rivalitäten zurückfallen, ohne die deutsch-französische Aussöhnung gibt es keine europäische Einigung.
Aus diesem Grunde ist alles, was zwischen den Franzosen und uns strittig ist, sehr sorgfältig zu behandeln. Es gibt in zunehmendem Maße strittige Punkte. Bei der Welthandelsorganisation gab es ebenso wie bei der Osterweiterung der Europäischen Union und bei bestimmten Aspekten der Balkanpolitik strittige Punkte.
Um so wichtiger wäre es gewesen, daß die Bundesregierung sehr frühzeitig die französische Regierung, auch Herrn Chirac, darauf aufmerksam gemacht hätte, daß die Wiederaufnahme der Nukleartests in Europa insgesamt und in Deutschland insbesondere zu einer Protestwelle gegen die französische Politik führen würde. Herr Chirac hat das offensichtlich völlig falsch eingeschätzt.
Es gehört zur deutsch-französischen Freundschaft und zur Kultur des Dialogs zwischen diesen beiden Staaten, daß man solche Probleme frühzeitig benennt und nicht verschweigt. Ich werfe der Bundesregierung vor, daß sie das nicht bereits während des Wahlkampfes auf informellen Kanälen und auch nicht, als Chirac das angekündigt hat, gemacht hat.
Ich fände es sehr gut, wenn sich die Partner in Paris und Bonn hinsichtlich ihrer jeweiligen Politik kritisieren könnten - das sollte völlig normal sein - und das nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten empfunden würde. Ich habe es deshalb als schädlich empfunden, daß der französische Botschafter, François Scheer, im Außenministerium einbestellt wurde, als er zu einer bestimmten Frage der deutschen Innenpolitik Stellung genommen hat. Ich halte das für einen Fehler.
- Er hat sich seitdem auch nicht wieder geäußert.
Ich glaube, daß umgekehrt eine solche wechselseitige Einmischung in sogenannte innere Angelegenheiten insofern erforderlich ist, als sie in Wahrheit europäische Angelegenheiten sind. Man kann nicht von einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, für die wir sind, reden, ohne daß man solche Fragen wie die französischen Nukleartests europäisch diskutiert und auch im Entscheidungsprozeß letztendlich europäisiert, indem man die französische Regierung frühzeitig auf die europäische Dimension ihrer Entscheidung hinweist.
Trotzdem sage ich: Es gibt ein Manko - weniger bei der Bevölkerung; die französische Bevölkerung ist in der Mehrheit gegen die Tests - in der sicherheitspolitischen Kultur bei den Leuten, die Außen- und Sicherheitspolitik in Frankreich und Deutschland diskutieren. Die Kollegen Seiters und Duve und
Karsten D. Voigt
ich werden in der übernächsten Woche in Paris sein, um über diese Frage zu diskutieren. Wir müssen eine gemeinsame deutsch-französische Kultur der Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln; denn ohne eine solche gemeinsame deutsch-französische Kultur in diesem Bereich wird es keine substantiellen Erfolge in der Außen- und Sicherheitspolitik Europas geben, selbst wenn es die Institutionen dafür gibt.
Abschließend noch drei kurze Bemerkungen. Die erste bezieht sich auf die Frage der transatlantischen Beziehungen. Dort wird sehr viel von einer nordatlantischen Freihandelszone, von neuen Verträgen und Vereinbarungen geredet. Ich empfehle der Bundesregierung, weniger über neue Verträge und Vereinbarungen, sondern mehr über die Substanz zu reden. Die Substanz ist, daß wir nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die im NATO-Vertrag angelegten zivilen Teile aktivieren müssen.
Wir müssen zusätzlich zu der militärischen NATO nicht nur eine politische, sondern eine zivile NATO entwickeln. So etwas machen wir in der Nordatlantischen Versammlung, das reicht aber nicht aus. Dazu gehört ein wachsender Austausch im kulturellen Bereich. Dazu gehört gemeinsames Agieren im wirtschaftspolitischen Bereich. Auf beiden Seiten gehört der Abbau einiger protektionistischer Vorschriften bei Textil, Stahl und Kohle dazu, was auch uns treffen würde. Auch eine Reform der Landwirtschaftspolitik ist erforderlich. Wir müssen - das ist meine Kernthese - in den transatlantischen Beziehungen einen Neuanfang finden, der besonders den Ausbau der zivilen transatlantischen Beziehungen und nicht primär die militärischen Beziehungen betrifft.
Zweitens. Ende dieses Jahres läuft die Frist aus, in der die Staaten Europas ihre konventionelle Abrüstung umgesetzt haben müssen. Es besteht die Gefahr, daß diese Limits in einigen Gebieten Rußlands nicht eingehalten werden. Ich fordere die Russen auf, diese Limits einzuhalten. Gleichwohl meine ich, daß man auf dem Verhandlungswege darüber reden müßte, ob der eine oder andere Wunsch der Russen nach Veränderung der Limits berechtigt ist.
Aber entscheidend ist, Herr Bundesaußenminister, daß eine Nichteinhaltung des Zeitpunkts Ende November dieses Jahres - es ist nicht mehr lange hin - zu einer Erosion und einer Krise des wichtigsten rüstungskontrollpolitischen Vertrags im konventionellen Bereich, der in Europa verabschiedet worden ist, führen könnte. Deshalb ist es erforderlich, daß wir nicht in eine solche Krise hineinschlittern, sondern frühzeitig vorbeugen und zu Lösungen und Vereinbarungen kommen. Sie haben zu diesem Thema heute nichts gesagt. Ich hoffe, daß das nicht bedeutet, daß Sie sich dafür nicht interessieren.
Zuallerletzt: Der Bundeskanzler hat mit Boris Jelzin über chemische Waffen geredet. Die Russen und die Amerikaner haben den entsprechenden internationalen Abrüstungsvertrag immer noch nicht ratifiziert. Wir haben ein Recht, darauf zu drängen, daß sie es endlich tun. Der Bundeskanzler hat sich gerühmt, daß die Bundesrepublik in Zukunft Mittel bereitstellt, um den Russen bei der chemischen Abrüstung zu helfen. Ich wollte ihm nur sagen, daß das ein alter Hut ist. Der Bundestag hat das mit Unterstützung aller in ihm vertretenen Parteien schon lange bewilligt. Ich finde es zwar gut, daß er Jelzin das zusagt, aber er sollte es in seinen Gesprächen nicht als großes neues Ereignis darstellen.
Vielen Dank.