Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesaußenminister hat in seiner Rede voller Betroffenheit und Empörung gesagt, daß ihn Saddam Hussein jahrelang belogen hat. Auch ich finde das empörend. Aber noch schlimmer finde ich, daß er ihm jahrelang geglaubt hat.
Am allerschlimmsten finde ich, daß der Dienst, dem Sie eine Reihe von Jahren vorgestanden haben, nämlich der Bundesnachrichtendienst, zusammen mit anderen Diensten - wofür haben wir sie eigentlich? -
nicht in der Lage war, diese Lügen rechtzeitig zu entlarven.
Ich möchte mich auf die beiden Kernpunkte konzentrieren, die in der deutschen und internationalen Debatte heute am meisten Aufmerksamkeit gewinnen, nämlich die Entwicklung in Bosnien und die französischen Nukleartests.
In Bosnien steht im Vordergrund der Aufmerksamkeit, daß die NATO im Auftrage der und in Abstimmung mit der UNO Kampfeinsätze geflogen hat. Ich glaube, daß ein Datum, das noch bevorsteht, viel wichtiger ist: Am Freitag dieser Woche beginnt in Genf nämlich die erste Runde der Gespräche - Sie haben darauf hingewiesen: 3 + 5 -, in denen nicht nur die bosnischen Serben in einer Gesamtdelegation unter Leitung der Belgrader Serben über eine Friedenslösung verhandeln, sondern in denen auch aller Voraussicht nach Karadzic und Mladic nicht in der Delegation der bosnischen Serben sein werden.
Karsten D. Voigt
Wenn dies zutrifft, dann zeigt es, daß die Belgrader Serben, aber auch die bosnischen Serben zu begreifen beginnen, daß ihre bisherige Politik zu einem immer größeren Schaden für die Serben in Belgrad, aber auch für die Serben insgesamt wird.
Dies steht allerdings in einem Zusammenhang mit den Bombenangriffen der NATO. Ich habe sie nicht begrüßt, wir haben sie nicht begrüßt - man kann solche Bombenangriffe nie begrüßen -, aber sie waren unvermeidlich und erforderlich, um der Führung der bosnischen Serben zu zeigen, daß militärische Eingriffe nicht mehr zur Durchsetzung ihrer Ziele führen können. Sie waren nicht etwa deshalb erforderlich, weil es eine militärische Lösung gäbe - es gibt keine militärische Lösung! -, sondern um denjenigen, die bisher auf eine militärische Lösung gesetzt haben, diese militärische Lösung zu verweigern.
Sie waren nötig, um politische Verhandlungen zu ermöglichen und um dem Schutzzonenkonzept zum Durchbruch zu verhelfen.
Das heißt: Das ist das Gegenteil von Militarisierung. Die Politik von NATO und UNO ist der Versuch, primär mit politischen Mitteln, aber unter Beimischung militärischer Mittel deutlich zu machen, daß man nur am Verhandlungstisch und nicht durch Gewalt irgendeine Lösung erzwingen kann.
Trotzdem bleiben Fragen an die Bundesregierung, zuerst in bezug auf die Informationspolitik. Wir haben gestern, mehr oder weniger per Eilbrief, vom Bundesverteidigungsminister eine Reihe von detaillierten Angaben über Ausbildungsflüge, Übungsflüge und Einsatzflüge - eine Differenzierung, die ich so nicht übernehmen kann - bekommen, die sich überwiegend auf Tatbestände beziehen, die bereits vor dem 4. September stattgefunden haben. Es ist schlicht und ergreifend nicht hinnehmbar und ein Skandal, wenn die Bundesregierung das Parlament erst informiert, nachdem im „Spiegel" Details durchgesickert sind, über die sie schon Tage und Wochen zuvor hätten informieren müssen.
Ich prangere also die mangelnde, fehler- und lückenhafte Informationspolitik der Bundesregierung in den letzten Wochen an.
Zweitens. Herr Kinkel, es geht nicht um ein Mäkeln an irgendwelchen rechtlichen Grundlagen. Es geht primär um politische Fragen. Es geht nicht um den Beschluß des Bundestags, sondern primär um das, was Sie und Herr Rühe in der Debatte, in der wir den Beschluß gefaßt haben, gesagt haben. Dort haben Sie gesagt, der Einsatz der Bundesluftwaffe wird nur stattfinden, wenn Blauhelme gefährdet oder angegriffen werden, wenn die schnelle Einsatztruppe zu deren Schutz angefordert wird und wenn zu deren Schutz die Bundesluftwaffe als Unterstützung in der Luft angefordert wird. Wir haben das „den Schutz des Schutzes des Schutzes" genannt.
Im Auswärtigen Ausschuß habe ich auf Grund dieser Bemerkung gesagt: Wenn diese nach meiner Meinung restriktiven Einsatzbedingungen, von denen ich nicht weiß, ob sie ausreichen, tatsächlich eingehalten werden, dann ist der Einsatz der Bundesluftwaffe mehr ein Symbol der Solidarität mit den Bündnispartnern als von militärisch-substantieller Bedeutung.
Mein Eindruck ist, daß Sie Ihre Befugnisse, die an diese von Ihnen selbst formulierten restriktiven Bedingungen gebunden sind, überschritten haben, ohne die Ausschüsse des Bundestages und den Bundestag insgesamt vorher darüber zu informieren, nachdem Sie zuvor durch Ihre Stellungnahmen einen anderen Eindruck erweckt hatten. Das ist ein politisches, kein primär rechtliches Problem.
Ich muß Sie fragen, ob das Bündnis inzwischen weitergehende Anforderungen gestellt hat, ob Sie glauben, daß die Bündnisloyalität zusätzliche, darüber hinausgehende Einsätze der Bundeswehr erforderlich macht oder ob Sie der Meinung sind, daß die Bundeswehr in Zukunft in diesem Bosnien-Konflikt militärischer agieren sollte, als Sie es in der Debatte noch für erforderlich gehalten haben.