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    Plenarprotokoll 13/51 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 51. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 6. September 1995 Inhalt: Begrüßung des Erzbischofs von Kapstadt, Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu sowie des Abgeordneten Jan Nico Scholten (Niederlande) . . . . . . 4240 B Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 Haushaltsgesetz 1996) (Drucksache 13/2000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 (Drucksache 13/2001) Rudolf Scharping SPD . . . . . . . . . 4217 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 4226 C Peter Dreßen SPD 4231 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4235 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 4240 B Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . 4246 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 4249 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS . . . . 4260 A, 4340 B Günter Verheugen SPD . . . . . . . . 4260 C Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister (Berlin) 4266 A Thomas Krüger SPD 4268 A Dr. Christa Luft PDS 4269 B Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4271 A, 4278 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . . 4272 C Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 4278 C Andrea Lederer PDS 4279 D Dr. Klaus Rose CDU/CSU 4281 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . 4283 C, 4289 B Jürgen Koppelin F.D.P 4285 A Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 4286 C Freimut Duve SPD 4288 C Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 4289 C Norbert Gansel SPD 4291 B Walter Kolbow SPD 4292 A Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . 4295 D Dietrich Austermann CDU/CSU . 4296 A, 4299 B Walter Kolbow SPD 4297 A Paul Breuer CDU/CSU 4297 D Manfred Opel SPD 4298 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 4299 C Dr. Ingomar Hauchler SPD 4300 D Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . 4301 D, 4304 A Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4303 B Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . 4304 C Roland Kohn F.D.P. 4305 A Dr. Ingomar Hauchler SPD . . . 4305C, 4308 B Dr. Willibald Jacob PDS 4306 C Michael von Schmude CDU/CSU . . . 4307 D Manfred Kanther, Bundesminister BMI 4309 B Otto Schily SPD . . . . . . . . . . 4312 B Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4316A Ina Albowitz F.D.P. 4318 A Ulla Jelpke PDS 4320 C Horst Eylmann CDU/CSU 4322 A Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 4322 D Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . 4323 B Fritz Rudolf Körper SPD . . . . . . 4326 A Heinz Dieter Eßmann CDU/CSU . 4327 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . 4329 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 4331 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 4332 C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU 4335 C Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . 4336 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . 4337 D Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 4339 A Manfred Kolbe CDU/CSU 4341 B Nächste Sitzung 4342 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4343* A Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. September 1995 4217 51. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 6. September 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 6. 9. 95 Andres, Gerd SPD 6. 9. 95 Behrendt, Wolfgang SPD 6. 9. 95 * Blunck, Lilo SPD 6. 9. 95 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 6. 9. 95 Frick, Gisela F.D.P. 6. 9. 95 Grießhaber, Rita BÜNDNIS 6. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 6. 9. 95 Hoffmann (Chemnitz), SPD 6. 9. 95 Jelena Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 6. 9. 95 Dr. Jork, Rainer CDU/CSU 6. 9. 95 Dr. Knake-Werner, PDS 6. 9. 95 Heidi Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 6. 9. 95 Angelika 90/DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 6. 9. 95 Karl-Hans Leidinger, Robert SPD 6. 9. 95 Lemke, Steffi BÜNDNIS 6. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 6. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lenzer, Christian CDU/CSU 6. 9. 95 Lotz, Erika SPD 6. 9. 95 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lüth, Heidemarie PDS 6. 9. 95 Neuhäuser, Rosel PDS 6. 9.95 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 6. 9. 95 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 6. 9. 95 Hermann Schätzle, Ortrun CDU/CSU 6. 9. 95 Schenk, Christa PDS 6. 9. 95 Schewe-Gerigk, BÜNDNIS 6.9.95 Irmingard 90/DIE GRÜNEN Schmidt (Aachen), SPD 6. 9. 95 Ursula Schmitt (Langenfeld), BÜNDNIS 6. 9. 95 Wolfgang 90/DIE GRÜNEN Schultz (Everswinkel), SPD 6. 9. 95 Reinhard Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 6. 9. 95 Simm, Erika SPD 6. 9. 95 Dr. Solms, F.D.P. 6. 9. 95 Hermann Otto Thieser, Dietmar SPD 6. 9. 95 Thönnes, Franz SPD 6. 9. 95 Tippach, Steffen PDS 6. 9. 95 Tröscher, Adelheid SPD 6. 9. 95 Vosen, Josef SPD 6. 9. 95 Wieczorek-Zeul, SPD 6.9.95 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 6. 9. 95 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Kollege, ich habe erstens gesagt, daß der Staat für die Vollbeschäftigung das Seine tun und Rahmenbedingungen schaffen müsse, daß aber die Tarifpartner einen wesentlichen Teil der Verantwortung trügen.

    (Zuruf von der SPD)

    - Ich will wenigstens richtig zitiert werden, wenn Sie schon nicht zuhören können.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Zweitens schließt ja Tarifautonomie nicht aus, daß man seine Meinung zu dem, was die Tarifpartner machen oder nicht machen, auch sagt, und das habe ich für mich auch in Anspruch genommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU) Das gilt auch für den Bundeskanzler.

    Allerdings glaube auch ich - manche bei Ihnen haben es ja inzwischen auch begriffen -, daß die Politik der Arbeitszeitverkürzung, der Verkürzung der Wochenarbeitszeit der falsche Weg ist, um mehr Beschäftigung zu erreichen.
    Unser Problem ist nicht, daß wir einen Mangel an Arbeit in Deutschland haben - das haben manche immer noch nicht begriffen -, sondern unser Problem ist, daß bei uns Arbeit teilweise so teuer geworden ist, daß die Nachfrage nach Arbeit zu diesen Preisen geringer wird und somit das Problem der Arbeitslosigkeit verschärft wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Die Verringerung der Wochenarbeitszeit verteuert die Arbeit, und damit ist sie kein Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern sie verschärft sie.
    Ich habe mir ziemlich kopfschüttelnd in den letzten Wochen etwas anderes aus Ihrer Partei angesehen. Man muß ja über alles reden; ich finde, es darf keine Tabus geben. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten - das ist die Aufgabe der kommenden Monate - Schritt für Schritt durch die Reform des Gesundheitswesens den Anteil der Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzen müssen. Das ist schwierig, aber notwendig.
    Wir müssen durch die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes einschließlich der Arbeitslosenhilfe einen weiteren Schritt zur Begrenzung von Lohnnebenkosten leisten. Wir müssen die Sozialhilfereform voran- und zustande bringen. Und wir müssen auch in anderen Fragen ohne Tabus über alles reden, auch mit den Tarifpartnern, was möglich, notwendig und geeignet ist, um Beiträge zur Begrenzung von Lohnnebenkosten und damit zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und zur Schaffung von neuen, zusätzlichen Arbeitsplätzen zu leisten.
    Wer aber all dies immer vom Tisch wischt und immer nur sagt, etwas sei unmöglich und komme nicht in Frage, der verweigert sich der Zukunft unseres Landes und leistet keinen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
    Ich lese Ihnen jetzt vor, was Herr Spöri in diesen Tagen gesagt hat. Er hat gesagt, daß die Hängepartie zwischen Herrn Scharping und Herrn Schröder eine Unentschiedenheit in der Partei überlagert habe, die für die Zukunftschancen der SPD von weit fundamentalerer Bedeutung sei. Die SPD habe aus den Folgen des radikalen wirtschaftlichen Wandels, der Globalisierung von Arbeitsmarkt und Produktion noch nicht die entscheidenden Folgerungen gezogen. Die SPD müsse die Standortattraktivität Deutschlands mit seinen unbestreitbaren Vorzügen wieder an die Attraktivität anderer hochentwickelter Länder angleichen. Wenn Einkommens- und Arbeitsplatzverluste vermieden werden sollten, seien eine Flexibilisierung der Arbeitsorganisation, konkurrenzfähige Unternehmensbesteuerung und eine Senkung der Lohnnebenkosten durch Strukturreform des Sozialstaats dringend notwendig. Wenn Herr Spöri bei dem Interview schon die Rede von Herrn Scharping gekannt hätte, hätte er das wahrscheinlich noch schärfer formuliert.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ich will Ihnen einmal vorlesen, was - übrigens überwiegend zu Vorschlägen aus Ihrer eigenen Partei; den Samstag als Regelarbeitstag haben in den letzten Wochen doch Sozialdemokraten gefordert; ich habe die Zitate da -

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hermann Rappel)

    der dafür zuständige stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Herr Dreßler, gesagt hat. Er hat eine bemerkenswerte Art zu formulieren:
    Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - schlicht unsinnig, Verlängerung der Lebensarbeitszeit - auch unsinnig, Deregulierung beim Ladenschluß - kurios, geradezu grotesk, Einführung des Samstags als Arbeitstag - ein Hohn,
    - das letzte hat er auch als Antwort auf Schröder gesagt, das vorletzte als Antwort auf Lafontaine -
    Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung - ein Irrsinn, Sozialhilfereform - ein Hirngespinst
    usw. usw.

    Dr. Wolfgang Schäuble
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir jeden denkbaren Ansatz für ein Stück mehr Beweglichkeit und ein Stück Senkung der Lohnnebenkosten mit einer solchen Sprache blockieren und tabuisieren, werden wir die Zukunft unseres Landes nicht gewinnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Kollege Scharping, Sie haben heute einen Satz gesagt, den ich aufgreifen will, weil er am Ende eines quälenden Verfahrens um das Jahressteuergesetz steht. Sie haben gesagt, Sie hätten es auch manchmal als schmerzlich empfunden, daß das Bund-Länder-Verhältnis etwas überstrapaziert worden sei. Das ist in Ordnung. Auch ich empfinde das - bis zu der Grundgesetzänderung, die leider ein notwendiger Preis für das Vermittlungsergebnis war, gegen die wir alle erhebliche Bedenken haben.
    Herr Kollege Scharping, zuerst hatten Sie die Hoffnung, mit den relativ knappen Mehrheitsverhältnissen - wenn man die PDS bei Ihnen mitzählt, ist die Mehrheit der Koalition nicht so groß; das tun Sie, da feiern Sie sogar Jubiläum - hier große Erfolge erzielen zu können. In dieser Hinsicht sind Sie bisher ein bißchen enttäuscht worden. Dann haben Sie, niemand sonst, die Parole ausgegeben, daß die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat zum Instrument gemacht wird, um sozialdemokratische Politik gegen die Bundestagsmehrheit, die Bundesregierung, die Koalition durchzusetzen. Jetzt haben Sie festgestellt, daß das auch nicht funktioniert, und geben es wieder auf. Das ist in Ordnung, aber es muß noch einmal quittiert werden.

    (Dr. Peter Struck falsch! Scharping hat immer von den eigenen Interessen der Bundesländer im Bundesrat gesprochen! Lachen bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)

    - Herr Kollege Struck, ich bewundere Ihren Mut, diesen Zwischenruf hier zu machen und mich in Versuchung zu führen, zu zitieren, was Ihr Landesvorsitzender von Ihnen hält.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Peter Struck [SPD]: Nichts gegen meinen Freund Gerhard Schröder!)

    - Nein, nein.


Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Jetzt sind wir nicht nur bei Zwischenrufen, sondern bei Zwischendialogen angekommen.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Aber nicht uninteressante! Heiterkeit)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin, dann nehme ich jetzt einmal - man muß ja auswählen bei den vielen Zitaten -

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    eine Meldung vom 3. März. Dort heißt es:
    Gleichzeitig deutete Scharping an, daß die SPD es im Streit um das Jahressteuergesetz '96 notfalls auf eine Blockade der gesamten Steuerpolitik ankommen lassen werde.
    Eine Blockade geht nur über den Bundesrat.
    Nein, es hilft nichts. Wir sollten alle miteinander wirklich begreifen, daß wir im Bundesstaat darauf angewiesen sind, daß die Organe und Institutionen ihrer Verantwortung gerecht werden und daß eine Mehrheit im Bundesrat nicht dazu angetan ist, die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, die der Wähler in den Bundestagswahlen entschieden hat, und die Zuständigkeitsverteilung zwischen Regierung und Opposition durch Bundesratsobstruktionspolitik zu korrigieren. Das funktioniert nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch wir haben damit unsere schlechten Erfahrungen gemacht. Deswegen habe ich Ihnen schon wiederholt geraten: Tun Sie das nicht, lassen Sie das bleiben. Deswegen begrüße ich jetzt ausdrücklich, daß Sie da ein Stück weitergekommen sind.
    Jetzt haben Sie gesagt: Das Zentrum der Auseinandersetzung mit der Regierung ist die Bundestagsfraktion, und das Machtzentrum der Partei sind die gewählten Gremien. Hoffentlich ist es kein Ohnmachtszentrum.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber das ist eine andere Geschichte.
    Wir müssen aber im Deutschen Bundestag und auch mit Vertretern der Bundesländer darüber reden, daß unser Bundesstaat und unser freiheitlicher Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn die jeweiligen Positionen mißbraucht werden. Wir haben in den letzten Jahren, Herr Bundesfinanzminister, im Grunde seit dem Jahre 1990, wegen einer unzureichenden Bereitschaft der deutschen Bundesländer, solidarisch ihren Teil an den Lasten zur Überwindung der deutschen Teilung zu tragen, zunehmend eine Verschiebung vom Bund weg zu den Ländern. Das kann niemanden, der für die Bundespolitik Verantwortung trägt, ruhig halten.
    Dies wird von einer Entwicklung begleitet - insbesondere, Herr Bundesinnenminister, auf dem Felde der inneren Sicherheit -, wo Länder immer weniger die Bundesgesetze vollziehen, wofür sie nach dem Grundgesetz zuständig sind, und die zuständigen Bundesministerien immer mehr mit dem Instrument der Weisung an Bundesländer - was eigentlich die Ausnahme ist - arbeiten müssen. Der Rechtsstaat verkommt, wenn die Bundesländer in Niedersachsen, in Hessen und anderswo die Praxis fortsetzen, sich nicht mehr an Gesetze des Bundes zu halten, sondern einen ausstiegsorientierten oder sonstwie gearteten Vollzug machen. Nein, so geht das nicht.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einmal etwas zur CSU, wie die CSU mit dem Bundesverfassungsgericht umgegangen ist!)


    Dr. Wolfgang Schäuble
    Wir werden bei der inneren Sicherheit unserer Verantwortung nur dann gerecht werden, wenn jeder seinen Teil zur gemeinschaftlichen Verantwortung trägt.
    Wenn dies nicht geschieht, wenn die Bürger erleben, daß Bund und Länder ohne Rücksicht auf Verfassung und Recht ihre jeweilige Position gegeneinander überstrapazieren, dann verkommt ein wenig von der notwendigen Einstellung, die wir brauchen, wenn unser demokratischer, freiheitlicher Bundesstaat nicht Schaden nehmen soll.
    Ich bekenne: Natürlich haben wir auch Schadenfreude über Ihr Personaltheater in den letzten Wochen und Monaten empfunden; das können Sie auch nicht anders erwarten.

    (Joachim Poß [SPD]: Das ist Ihnen sonst fremd!)

    - Nein, menschliche Regungen sind auch uns nicht fremd. - Aber ich will Ihnen doch sagen: Über die Schadenfreude hinaus macht mich für das Ansehen von Politik und demokratischen Institutionen besorgt, daß durch dieses Theater, das Sie alle miteinander aufgeführt haben, bei den Bürgern in unserem Lande der Eindruck entsteht, daß es Politikern wie Ihnen und Herrn Schröder und anderen nur um ihre eigenen, persönlichen Interessen und sonst um gar nichts geht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der SPD: Das haben wir auch bei der Regierung schon erlebt!)

    Auch persönliche Interessen - wer wollte es leugnen - spielen immer eine Rolle. Wenn aber politische Verantwortung nur noch zur Durchsetzung egoistischer, persönlicher Interessen verkommt, dann leidet unsere Demokratie Schaden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deshalb frage ich Sie: Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, Herr Parteivorsitzender Scharping, im Präsidium der SPD zu beschließen und dies dann auch noch zu verkünden, der Parteivorsitzende habe - man achte auf diese Worte - das Recht des ersten Zugriffs auf die Kanzlerkandidatur. Wer so denkt und so redet, ist nicht in der Lage, gesamtstaatliche, demokratische Verantwortung zu übernehmen. Das ist der Punkt.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Sie brauchen sich doch nicht zu wundern, wenn in Teilen unserer Bevölkerung der Eindruck entsteht - wir leiden alle unter dieser Sorge -, daß als Folge des langanhaltenden Wohlstands, des äußeren und inneren Wohlergehens, Tendenzen zum Egoismus, zur Ellenbogengesellschaft, zum Hedonismus oder wie immer man das nennen mag, um sich greifen.

    (Zurufe von der SPD)

    - Das wird doch in allen Teilen unserer Öffentlichkeit ernsthaft reflektiert. Man muß, wenn man über die Lage der Nation und die Zukunftsmöglichkeiten Auskunft geben will, darüber nachdenken, ob das nicht vielleicht auch eine Folge des Wohlstands ist.
    Dabei muß man ebenfalls danach fragen: Welchen Beitrag leisten eigentlich diejenigen, die eine herausgehobene öffentliche Verantwortung haben und die öffentlich anders wahrgenommen werden als irgendwelche Schulbuben oder Kinder, die im Sandkasten ihre Spiele treiben, wie dies Frau Simonis gesagt hat? Dazu müssen Sie und wir alle unsere Verantwortung ein Stück weit stärker wahrnehmen, weil wir ohne die Einübung von Tugenden und gemeinschaftsverträglichen Verhaltensweisen am Ende unseren freiheitlichen, demokratischen Staat nicht werden bewahren können.
    Deswegen finde ich, daß das Personaltheater, das Sie und Ihre Partei in den letzten Wochen und Monaten aufgeführt haben, nicht nur ein Schaden für die SPD war; es hat am Ende uns allen nicht genützt. Ich meine, wir alle sollten mehr daran denken, daß wir über den Tag hinaus eine Verantwortung für die Zukunft unserer Demokratie und für die Zukunft unseres Landes haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wir werden in den kommenden Wochen, Monaten und auch Jahren in vielen schwierigen Fragen schwierige Auseinandersetzungen haben.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Haben Sie auch etwas zum Haushalt zu sagen?)

    Die Union, die Koalition und die Regierung - wir werden diese Auseinandersetzungen nicht scheuen.
    Es geht eben nicht so einfach, wie Sie, Herr Scharping, das gesagt haben, daß man z. B. die Lohnnebenkosten senken könne, indem man möglichst viele, auch versicherungsfremde Leistungen auf den Bundeshaushalt überträgt. Das klingt abstrakt nicht so ganz falsch. In einer Zeit aber, in der wir eine so hohe Belastung durch Steuern und Abgaben haben und die öffentlichen Haushalte so angespannt sind, sind die Spielräume für solche Umschichtungen geringer, als wir es alle wünschen. Wir müssen vor allen Dingen darauf achten, daß, wenn wir Leistungen auf den Bundeshaushalt, d. h. auf die Allgemeinheit der Steuerzahler, übertragen, die Gefahr besteht, daß dann der Anreiz zur Sparsamkeit und Eigenverantwortung noch geringer wird. Deswegen wird das nicht so einfach sein.
    Auch bezüglich der Erhaltung der Umwelt - wir haben oft darüber debattiert und werden das auch weiterhin tun - ist es nicht so einfach, wie man es in manchen Parteitagspapieren oder Resolutionen darstellen kann - ob bei Grün oder Rot. Wir werden jeden möglichen Schritt, auch im Steuerrecht, mitgehen, um Sparsamkeit beim Verbrauch von Ressourcen, Natur und Umwelt zu fördern, und uns dafür einsetzen.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Richtig!)


    Dr. Wolfgang Schäuble
    Wir werden aber alle diese Schritte abklopfen und überprüfen und sie nur dann gehen, wenn sie nicht die Gefahr beinhalten, die Chancen für mehr Arbeitsplätze, mehr Wirtschaftswachstum und mehr soziale Sicherheit zu gefährden. Das ist der Zielkonflikt.
    Deswegen ist das Umsteuern nicht so einfach. Deswegen kann man nur Schritt um Schritt und mit großer Eindringlichkeit vorangehen. Wer meint, die einfachen Patentrezepte zu haben und er bräuchte nur an diesem oder jenem Rädchen des staatlichen Dirigismus zu drehen - wenn man aber Ihre Papiere liest, sieht man, daß das nicht so funktioniert - und in ein paar Jahren könne der Benzinpreis auf 5 DM erhöht werden, dem sage ich, was er damit erreicht: nicht einen Funken an Verbesserung für die Umwelt, sondern lediglich eine Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlage, eine Verlagerung der Produktion ins Ausland, wo sie zu weniger .umweltfreundlichen Bedingungen erfolgt. Dann haben wir eine größere Luftbelastung und eine größere Schadstoffbelastung von Luft und Wasser. So dienen wir der Umwelt nicht und werden unserer Verantwortung nicht gerecht. Wir müssen Schritt für Schritt gehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch werden wir unserer Verantwortung für die Zukunft nicht gerecht und werden wir die Umweltprobleme und die Arbeitsmarktprobleme nicht lösen, wenn wir nicht dafür eintreten, daß die Eigenverantwortung, auch die freiwillige Solidarität der Menschen wichtig ist. Das gilt in der Sozialpolitik wie in der Umweltpolitik. Wir können nicht alles auf das anonyme Kollektiv abschieben, sondern sind alle selbstverantwortlich. Wenn wir nicht dafür eintreten, daß es auch Bescheidenheit, Sparsamkeit, Bereitschaft auch zum Verzicht auf hohem Niveau in unserem Lande gibt - es ist keiner Generation vergleichbar gut gegangen wie uns Deutschen im Jahr 1995 -, wenn wir das Subsidiaritätsprinzip nicht auch in der Sozialpolitik wieder ernstnehmen, wenn wir Familien nicht stärken, wenn alles beliebig werden soll, wenn alles auf den Staat abgeschoben wird, dann werden wir weder der Umwelt noch der sozialen Sicherheit dienen.
    Das hat mit der Rolle von führenden Politikern zu tun. Deswegen sage ich in diesem Zusammenhang: Wir müssen uns auch ein wenig darüber im klaren sein, daß wir selbst, wie wir uns verhalten und behandeln, Entwicklungen mit beeinflussen. Deswegen ist es für mich so wichtig. Deswegen bemühen wir uns in unserer Fraktion, ehrenamtliches Engagement zu stärken.
    Sie können überall etwas, von Amerika bis Europa, über die Diskussion, wie wir soziales Kapital stärken, wie Netzwerke der freiwilligen Solidarität stärker gemacht werden, lesen. Unsere Gesellschaft wird ärmer, wenn man alles nur auf die großen Institutionen abschiebt und wenn Nachbarschaftshilfe oder freiwillige Solidarität in der Familie auch zwischen Generationen geschwächt wird. Deswegen müssen wir stärker darauf setzen und die Bürger auch ermuntern, daß sie diesen Weg mitgehen, dürfen auch nicht alles kommerzialisieren, sondern müssen darauf setzen, daß freiwillige Solidarität, auch ehrenamtliches Engagement in Vereinen, Verbänden, sozial, sportlich und kulturell wichtige Bausteine sozialen Kapitals und wichtige Bausteine für unsere Zukunft sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. - Zuruf von der SPD)

    - Das ist praktische Politik. Zum Kollegen Scharping noch einmal: Sie können mir nicht zustimmen, aber Sie werden insgeheim gar nicht widersprechen. Die Art, wie sich führende Repräsentanten Ihrer Partei in den letzten Wochen und Monaten aufgeführt haben, ist das genaue Gegenteil von dem, was in diesem Sinne notwendig ist. Es ist das genaue Gegenteil.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wer mit dem höchsten Regierungsamt in unserem Lande, mit dem Amt des Chefs der Bundesregierung, des Bundeskanzlers, als Parteipräsidium in einer Sprache umgeht, wo er vom Recht des ersten Zugriffs redet, hat nichts von dem verstanden, wofür ich werben möchte.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, werden in dieser Koalition mit der F.D.P., in der wir gut vorangekommen sind, gute Erfolge erreicht haben - der Haushalt 1996 ist Ausdruck der erreichten Erfolge -, gemeinsam auf diesem Wege vorangehen. Wir werden, Herr Kollege Gerhardt, auch manche schwierige Auseinandersetzung und Diskussion zu bestehen haben, aber wir werden sie in einer fairen und verläßlichen Partnerschaft miteinander betreiben.
    Herr Bundeskanzler, wir setzen auf diese Regierung, und wir werden mit dieser und in dieser Koalition Schritt für Schritt die notwendigen Entscheidungen mit durchsetzen und mittragen, für die Zukunft unseres Landes, für einen sicheren Frieden in Freiheit, durch eine Entwicklung der europäischen Einigung, durch die Festigung der atlantischen Allianz, auch durch deutsche Beiträge mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten, für eine Entwicklung der sozialen Sicherheit auch bei dramatischen Veränderungen in der wirtschaftlichen Entwicklung weltweit wie auch im Altersaufbau unserer Bevölkerung - das muß man ja bei dem Thema „soziale Sicherheit" auch einmal erwähnen -, durch Stärkung der Familien und des Subsidiaritätsprinzips, auch der Freiwilligkeit, durch Erhalt der wirtschaftlichen Grundlagen, ohne die soziale Leistungen nicht zu finanzieren sind, durch eine Politik, die sich Schritt für Schritt der Bewahrung der Umwelt verpflichtet fühlt. Wenn man darüber redet, sollte man zwischendurch von seiten der Opposition auch einmal feststellen: Zu keiner Zeit hat eine Regierung mehr für den Erhalt der Umwelt geleistet als die Bundesregierung, seit Helmut Kohl Bundeskanzler ist. Genau auf diesem Weg werden wir fortfahren, miteinander und gemeinsam, um unserer Zukunft willen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Dr. Wolfgang Schäuble
    Dazu wünschen wir uns eine starke Opposition.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Aber eine dauerhafte! Zuruf des Abg. Dr. Peter Struck [SPD])

    - Glauben Sie es mir, Herr Struck, das Theater, das in den letzten Wochen von Ihrer Partei aufgeführt worden ist,

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Wem sagen Sie das, Herr Schäuble! Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    hat uns allen am Ende nicht gedient. Aber eines ist ja wohl sicher - dem werden Sie ja wohl nicht widersprechen -: Solange die SPD und die Opposition in einem Zustand, wie eben beschrieben und erlebt, sind, so lange ist sie nicht regierungsfähig.