Frau Präsidentin, dann nehme ich jetzt einmal - man muß ja auswählen bei den vielen Zitaten -
eine Meldung vom 3. März. Dort heißt es:
Gleichzeitig deutete Scharping an, daß die SPD es im Streit um das Jahressteuergesetz '96 notfalls auf eine Blockade der gesamten Steuerpolitik ankommen lassen werde.
Eine Blockade geht nur über den Bundesrat.
Nein, es hilft nichts. Wir sollten alle miteinander wirklich begreifen, daß wir im Bundesstaat darauf angewiesen sind, daß die Organe und Institutionen ihrer Verantwortung gerecht werden und daß eine Mehrheit im Bundesrat nicht dazu angetan ist, die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, die der Wähler in den Bundestagswahlen entschieden hat, und die Zuständigkeitsverteilung zwischen Regierung und Opposition durch Bundesratsobstruktionspolitik zu korrigieren. Das funktioniert nicht.
Auch wir haben damit unsere schlechten Erfahrungen gemacht. Deswegen habe ich Ihnen schon wiederholt geraten: Tun Sie das nicht, lassen Sie das bleiben. Deswegen begrüße ich jetzt ausdrücklich, daß Sie da ein Stück weitergekommen sind.
Jetzt haben Sie gesagt: Das Zentrum der Auseinandersetzung mit der Regierung ist die Bundestagsfraktion, und das Machtzentrum der Partei sind die gewählten Gremien. Hoffentlich ist es kein Ohnmachtszentrum.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir müssen aber im Deutschen Bundestag und auch mit Vertretern der Bundesländer darüber reden, daß unser Bundesstaat und unser freiheitlicher Rechtsstaat Schaden nimmt, wenn die jeweiligen Positionen mißbraucht werden. Wir haben in den letzten Jahren, Herr Bundesfinanzminister, im Grunde seit dem Jahre 1990, wegen einer unzureichenden Bereitschaft der deutschen Bundesländer, solidarisch ihren Teil an den Lasten zur Überwindung der deutschen Teilung zu tragen, zunehmend eine Verschiebung vom Bund weg zu den Ländern. Das kann niemanden, der für die Bundespolitik Verantwortung trägt, ruhig halten.
Dies wird von einer Entwicklung begleitet - insbesondere, Herr Bundesinnenminister, auf dem Felde der inneren Sicherheit -, wo Länder immer weniger die Bundesgesetze vollziehen, wofür sie nach dem Grundgesetz zuständig sind, und die zuständigen Bundesministerien immer mehr mit dem Instrument der Weisung an Bundesländer - was eigentlich die Ausnahme ist - arbeiten müssen. Der Rechtsstaat verkommt, wenn die Bundesländer in Niedersachsen, in Hessen und anderswo die Praxis fortsetzen, sich nicht mehr an Gesetze des Bundes zu halten, sondern einen ausstiegsorientierten oder sonstwie gearteten Vollzug machen. Nein, so geht das nicht.
Dr. Wolfgang Schäuble
Wir werden bei der inneren Sicherheit unserer Verantwortung nur dann gerecht werden, wenn jeder seinen Teil zur gemeinschaftlichen Verantwortung trägt.
Wenn dies nicht geschieht, wenn die Bürger erleben, daß Bund und Länder ohne Rücksicht auf Verfassung und Recht ihre jeweilige Position gegeneinander überstrapazieren, dann verkommt ein wenig von der notwendigen Einstellung, die wir brauchen, wenn unser demokratischer, freiheitlicher Bundesstaat nicht Schaden nehmen soll.
Ich bekenne: Natürlich haben wir auch Schadenfreude über Ihr Personaltheater in den letzten Wochen und Monaten empfunden; das können Sie auch nicht anders erwarten.
- Nein, menschliche Regungen sind auch uns nicht fremd. - Aber ich will Ihnen doch sagen: Über die Schadenfreude hinaus macht mich für das Ansehen von Politik und demokratischen Institutionen besorgt, daß durch dieses Theater, das Sie alle miteinander aufgeführt haben, bei den Bürgern in unserem Lande der Eindruck entsteht, daß es Politikern wie Ihnen und Herrn Schröder und anderen nur um ihre eigenen, persönlichen Interessen und sonst um gar nichts geht.
Auch persönliche Interessen - wer wollte es leugnen - spielen immer eine Rolle. Wenn aber politische Verantwortung nur noch zur Durchsetzung egoistischer, persönlicher Interessen verkommt, dann leidet unsere Demokratie Schaden.
Deshalb frage ich Sie: Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, Herr Parteivorsitzender Scharping, im Präsidium der SPD zu beschließen und dies dann auch noch zu verkünden, der Parteivorsitzende habe - man achte auf diese Worte - das Recht des ersten Zugriffs auf die Kanzlerkandidatur. Wer so denkt und so redet, ist nicht in der Lage, gesamtstaatliche, demokratische Verantwortung zu übernehmen. Das ist der Punkt.
Sie brauchen sich doch nicht zu wundern, wenn in Teilen unserer Bevölkerung der Eindruck entsteht - wir leiden alle unter dieser Sorge -, daß als Folge des langanhaltenden Wohlstands, des äußeren und inneren Wohlergehens, Tendenzen zum Egoismus, zur Ellenbogengesellschaft, zum Hedonismus oder wie immer man das nennen mag, um sich greifen.
- Das wird doch in allen Teilen unserer Öffentlichkeit ernsthaft reflektiert. Man muß, wenn man über die Lage der Nation und die Zukunftsmöglichkeiten Auskunft geben will, darüber nachdenken, ob das nicht vielleicht auch eine Folge des Wohlstands ist.
Dabei muß man ebenfalls danach fragen: Welchen Beitrag leisten eigentlich diejenigen, die eine herausgehobene öffentliche Verantwortung haben und die öffentlich anders wahrgenommen werden als irgendwelche Schulbuben oder Kinder, die im Sandkasten ihre Spiele treiben, wie dies Frau Simonis gesagt hat? Dazu müssen Sie und wir alle unsere Verantwortung ein Stück weit stärker wahrnehmen, weil wir ohne die Einübung von Tugenden und gemeinschaftsverträglichen Verhaltensweisen am Ende unseren freiheitlichen, demokratischen Staat nicht werden bewahren können.
Deswegen finde ich, daß das Personaltheater, das Sie und Ihre Partei in den letzten Wochen und Monaten aufgeführt haben, nicht nur ein Schaden für die SPD war; es hat am Ende uns allen nicht genützt. Ich meine, wir alle sollten mehr daran denken, daß wir über den Tag hinaus eine Verantwortung für die Zukunft unserer Demokratie und für die Zukunft unseres Landes haben.
Wir werden in den kommenden Wochen, Monaten und auch Jahren in vielen schwierigen Fragen schwierige Auseinandersetzungen haben.
Die Union, die Koalition und die Regierung - wir werden diese Auseinandersetzungen nicht scheuen.
Es geht eben nicht so einfach, wie Sie, Herr Scharping, das gesagt haben, daß man z. B. die Lohnnebenkosten senken könne, indem man möglichst viele, auch versicherungsfremde Leistungen auf den Bundeshaushalt überträgt. Das klingt abstrakt nicht so ganz falsch. In einer Zeit aber, in der wir eine so hohe Belastung durch Steuern und Abgaben haben und die öffentlichen Haushalte so angespannt sind, sind die Spielräume für solche Umschichtungen geringer, als wir es alle wünschen. Wir müssen vor allen Dingen darauf achten, daß, wenn wir Leistungen auf den Bundeshaushalt, d. h. auf die Allgemeinheit der Steuerzahler, übertragen, die Gefahr besteht, daß dann der Anreiz zur Sparsamkeit und Eigenverantwortung noch geringer wird. Deswegen wird das nicht so einfach sein.
Auch bezüglich der Erhaltung der Umwelt - wir haben oft darüber debattiert und werden das auch weiterhin tun - ist es nicht so einfach, wie man es in manchen Parteitagspapieren oder Resolutionen darstellen kann - ob bei Grün oder Rot. Wir werden jeden möglichen Schritt, auch im Steuerrecht, mitgehen, um Sparsamkeit beim Verbrauch von Ressourcen, Natur und Umwelt zu fördern, und uns dafür einsetzen.
Dr. Wolfgang Schäuble
Wir werden aber alle diese Schritte abklopfen und überprüfen und sie nur dann gehen, wenn sie nicht die Gefahr beinhalten, die Chancen für mehr Arbeitsplätze, mehr Wirtschaftswachstum und mehr soziale Sicherheit zu gefährden. Das ist der Zielkonflikt.
Deswegen ist das Umsteuern nicht so einfach. Deswegen kann man nur Schritt um Schritt und mit großer Eindringlichkeit vorangehen. Wer meint, die einfachen Patentrezepte zu haben und er bräuchte nur an diesem oder jenem Rädchen des staatlichen Dirigismus zu drehen - wenn man aber Ihre Papiere liest, sieht man, daß das nicht so funktioniert - und in ein paar Jahren könne der Benzinpreis auf 5 DM erhöht werden, dem sage ich, was er damit erreicht: nicht einen Funken an Verbesserung für die Umwelt, sondern lediglich eine Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlage, eine Verlagerung der Produktion ins Ausland, wo sie zu weniger .umweltfreundlichen Bedingungen erfolgt. Dann haben wir eine größere Luftbelastung und eine größere Schadstoffbelastung von Luft und Wasser. So dienen wir der Umwelt nicht und werden unserer Verantwortung nicht gerecht. Wir müssen Schritt für Schritt gehen.
Auch werden wir unserer Verantwortung für die Zukunft nicht gerecht und werden wir die Umweltprobleme und die Arbeitsmarktprobleme nicht lösen, wenn wir nicht dafür eintreten, daß die Eigenverantwortung, auch die freiwillige Solidarität der Menschen wichtig ist. Das gilt in der Sozialpolitik wie in der Umweltpolitik. Wir können nicht alles auf das anonyme Kollektiv abschieben, sondern sind alle selbstverantwortlich. Wenn wir nicht dafür eintreten, daß es auch Bescheidenheit, Sparsamkeit, Bereitschaft auch zum Verzicht auf hohem Niveau in unserem Lande gibt - es ist keiner Generation vergleichbar gut gegangen wie uns Deutschen im Jahr 1995 -, wenn wir das Subsidiaritätsprinzip nicht auch in der Sozialpolitik wieder ernstnehmen, wenn wir Familien nicht stärken, wenn alles beliebig werden soll, wenn alles auf den Staat abgeschoben wird, dann werden wir weder der Umwelt noch der sozialen Sicherheit dienen.
Das hat mit der Rolle von führenden Politikern zu tun. Deswegen sage ich in diesem Zusammenhang: Wir müssen uns auch ein wenig darüber im klaren sein, daß wir selbst, wie wir uns verhalten und behandeln, Entwicklungen mit beeinflussen. Deswegen ist es für mich so wichtig. Deswegen bemühen wir uns in unserer Fraktion, ehrenamtliches Engagement zu stärken.
Sie können überall etwas, von Amerika bis Europa, über die Diskussion, wie wir soziales Kapital stärken, wie Netzwerke der freiwilligen Solidarität stärker gemacht werden, lesen. Unsere Gesellschaft wird ärmer, wenn man alles nur auf die großen Institutionen abschiebt und wenn Nachbarschaftshilfe oder freiwillige Solidarität in der Familie auch zwischen Generationen geschwächt wird. Deswegen müssen wir stärker darauf setzen und die Bürger auch ermuntern, daß sie diesen Weg mitgehen, dürfen auch nicht alles kommerzialisieren, sondern müssen darauf setzen, daß freiwillige Solidarität, auch ehrenamtliches Engagement in Vereinen, Verbänden, sozial, sportlich und kulturell wichtige Bausteine sozialen Kapitals und wichtige Bausteine für unsere Zukunft sind.
- Das ist praktische Politik. Zum Kollegen Scharping noch einmal: Sie können mir nicht zustimmen, aber Sie werden insgeheim gar nicht widersprechen. Die Art, wie sich führende Repräsentanten Ihrer Partei in den letzten Wochen und Monaten aufgeführt haben, ist das genaue Gegenteil von dem, was in diesem Sinne notwendig ist. Es ist das genaue Gegenteil.
Wer mit dem höchsten Regierungsamt in unserem Lande, mit dem Amt des Chefs der Bundesregierung, des Bundeskanzlers, als Parteipräsidium in einer Sprache umgeht, wo er vom Recht des ersten Zugriffs redet, hat nichts von dem verstanden, wofür ich werben möchte.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, werden in dieser Koalition mit der F.D.P., in der wir gut vorangekommen sind, gute Erfolge erreicht haben - der Haushalt 1996 ist Ausdruck der erreichten Erfolge -, gemeinsam auf diesem Wege vorangehen. Wir werden, Herr Kollege Gerhardt, auch manche schwierige Auseinandersetzung und Diskussion zu bestehen haben, aber wir werden sie in einer fairen und verläßlichen Partnerschaft miteinander betreiben.
Herr Bundeskanzler, wir setzen auf diese Regierung, und wir werden mit dieser und in dieser Koalition Schritt für Schritt die notwendigen Entscheidungen mit durchsetzen und mittragen, für die Zukunft unseres Landes, für einen sicheren Frieden in Freiheit, durch eine Entwicklung der europäischen Einigung, durch die Festigung der atlantischen Allianz, auch durch deutsche Beiträge mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten, für eine Entwicklung der sozialen Sicherheit auch bei dramatischen Veränderungen in der wirtschaftlichen Entwicklung weltweit wie auch im Altersaufbau unserer Bevölkerung - das muß man ja bei dem Thema „soziale Sicherheit" auch einmal erwähnen -, durch Stärkung der Familien und des Subsidiaritätsprinzips, auch der Freiwilligkeit, durch Erhalt der wirtschaftlichen Grundlagen, ohne die soziale Leistungen nicht zu finanzieren sind, durch eine Politik, die sich Schritt für Schritt der Bewahrung der Umwelt verpflichtet fühlt. Wenn man darüber redet, sollte man zwischendurch von seiten der Opposition auch einmal feststellen: Zu keiner Zeit hat eine Regierung mehr für den Erhalt der Umwelt geleistet als die Bundesregierung, seit Helmut Kohl Bundeskanzler ist. Genau auf diesem Weg werden wir fortfahren, miteinander und gemeinsam, um unserer Zukunft willen.
Dr. Wolfgang Schäuble
Dazu wünschen wir uns eine starke Opposition.
- Glauben Sie es mir, Herr Struck, das Theater, das in den letzten Wochen von Ihrer Partei aufgeführt worden ist,
hat uns allen am Ende nicht gedient. Aber eines ist ja wohl sicher - dem werden Sie ja wohl nicht widersprechen -: Solange die SPD und die Opposition in einem Zustand, wie eben beschrieben und erlebt, sind, so lange ist sie nicht regierungsfähig.