Herr Kollege, ich habe erstens gesagt, daß der Staat für die Vollbeschäftigung das Seine tun und Rahmenbedingungen schaffen müsse, daß aber die Tarifpartner einen wesentlichen Teil der Verantwortung trügen.
- Ich will wenigstens richtig zitiert werden, wenn Sie schon nicht zuhören können.
Zweitens schließt ja Tarifautonomie nicht aus, daß man seine Meinung zu dem, was die Tarifpartner machen oder nicht machen, auch sagt, und das habe ich für mich auch in Anspruch genommen.
Das gilt auch für den Bundeskanzler.
Allerdings glaube auch ich - manche bei Ihnen haben es ja inzwischen auch begriffen -, daß die Politik der Arbeitszeitverkürzung, der Verkürzung der Wochenarbeitszeit der falsche Weg ist, um mehr Beschäftigung zu erreichen.
Unser Problem ist nicht, daß wir einen Mangel an Arbeit in Deutschland haben - das haben manche immer noch nicht begriffen -, sondern unser Problem ist, daß bei uns Arbeit teilweise so teuer geworden ist, daß die Nachfrage nach Arbeit zu diesen Preisen geringer wird und somit das Problem der Arbeitslosigkeit verschärft wird.
Die Verringerung der Wochenarbeitszeit verteuert die Arbeit, und damit ist sie kein Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern sie verschärft sie.
Ich habe mir ziemlich kopfschüttelnd in den letzten Wochen etwas anderes aus Ihrer Partei angesehen. Man muß ja über alles reden; ich finde, es darf keine Tabus geben. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten - das ist die Aufgabe der kommenden Monate - Schritt für Schritt durch die Reform des Gesundheitswesens den Anteil der Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzen müssen. Das ist schwierig, aber notwendig.
Wir müssen durch die Reform des Arbeitsförderungsgesetzes einschließlich der Arbeitslosenhilfe einen weiteren Schritt zur Begrenzung von Lohnnebenkosten leisten. Wir müssen die Sozialhilfereform voran- und zustande bringen. Und wir müssen auch in anderen Fragen ohne Tabus über alles reden, auch mit den Tarifpartnern, was möglich, notwendig und geeignet ist, um Beiträge zur Begrenzung von Lohnnebenkosten und damit zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und zur Schaffung von neuen, zusätzlichen Arbeitsplätzen zu leisten.
Wer aber all dies immer vom Tisch wischt und immer nur sagt, etwas sei unmöglich und komme nicht in Frage, der verweigert sich der Zukunft unseres Landes und leistet keinen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Ich lese Ihnen jetzt vor, was Herr Spöri in diesen Tagen gesagt hat. Er hat gesagt, daß die Hängepartie zwischen Herrn Scharping und Herrn Schröder eine Unentschiedenheit in der Partei überlagert habe, die für die Zukunftschancen der SPD von weit fundamentalerer Bedeutung sei. Die SPD habe aus den Folgen des radikalen wirtschaftlichen Wandels, der Globalisierung von Arbeitsmarkt und Produktion noch nicht die entscheidenden Folgerungen gezogen. Die SPD müsse die Standortattraktivität Deutschlands mit seinen unbestreitbaren Vorzügen wieder an die Attraktivität anderer hochentwickelter Länder angleichen. Wenn Einkommens- und Arbeitsplatzverluste vermieden werden sollten, seien eine Flexibilisierung der Arbeitsorganisation, konkurrenzfähige Unternehmensbesteuerung und eine Senkung der Lohnnebenkosten durch Strukturreform des Sozialstaats dringend notwendig. Wenn Herr Spöri bei dem Interview schon die Rede von Herrn Scharping gekannt hätte, hätte er das wahrscheinlich noch schärfer formuliert.
Ich will Ihnen einmal vorlesen, was - übrigens überwiegend zu Vorschlägen aus Ihrer eigenen Partei; den Samstag als Regelarbeitstag haben in den letzten Wochen doch Sozialdemokraten gefordert; ich habe die Zitate da -
der dafür zuständige stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Herr Dreßler, gesagt hat. Er hat eine bemerkenswerte Art zu formulieren:
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall - schlicht unsinnig, Verlängerung der Lebensarbeitszeit - auch unsinnig, Deregulierung beim Ladenschluß - kurios, geradezu grotesk, Einführung des Samstags als Arbeitstag - ein Hohn,
- das letzte hat er auch als Antwort auf Schröder gesagt, das vorletzte als Antwort auf Lafontaine -
Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung - ein Irrsinn, Sozialhilfereform - ein Hirngespinst
usw. usw.
Dr. Wolfgang Schäuble
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir jeden denkbaren Ansatz für ein Stück mehr Beweglichkeit und ein Stück Senkung der Lohnnebenkosten mit einer solchen Sprache blockieren und tabuisieren, werden wir die Zukunft unseres Landes nicht gewinnen.
Herr Kollege Scharping, Sie haben heute einen Satz gesagt, den ich aufgreifen will, weil er am Ende eines quälenden Verfahrens um das Jahressteuergesetz steht. Sie haben gesagt, Sie hätten es auch manchmal als schmerzlich empfunden, daß das Bund-Länder-Verhältnis etwas überstrapaziert worden sei. Das ist in Ordnung. Auch ich empfinde das - bis zu der Grundgesetzänderung, die leider ein notwendiger Preis für das Vermittlungsergebnis war, gegen die wir alle erhebliche Bedenken haben.
Herr Kollege Scharping, zuerst hatten Sie die Hoffnung, mit den relativ knappen Mehrheitsverhältnissen - wenn man die PDS bei Ihnen mitzählt, ist die Mehrheit der Koalition nicht so groß; das tun Sie, da feiern Sie sogar Jubiläum - hier große Erfolge erzielen zu können. In dieser Hinsicht sind Sie bisher ein bißchen enttäuscht worden. Dann haben Sie, niemand sonst, die Parole ausgegeben, daß die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat zum Instrument gemacht wird, um sozialdemokratische Politik gegen die Bundestagsmehrheit, die Bundesregierung, die Koalition durchzusetzen. Jetzt haben Sie festgestellt, daß das auch nicht funktioniert, und geben es wieder auf. Das ist in Ordnung, aber es muß noch einmal quittiert werden.
- Herr Kollege Struck, ich bewundere Ihren Mut, diesen Zwischenruf hier zu machen und mich in Versuchung zu führen, zu zitieren, was Ihr Landesvorsitzender von Ihnen hält.
- Nein, nein.