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    Plenarprotokoll 13/51 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 51. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 6. September 1995 Inhalt: Begrüßung des Erzbischofs von Kapstadt, Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu sowie des Abgeordneten Jan Nico Scholten (Niederlande) . . . . . . 4240 B Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 Haushaltsgesetz 1996) (Drucksache 13/2000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 (Drucksache 13/2001) Rudolf Scharping SPD . . . . . . . . . 4217 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 4226 C Peter Dreßen SPD 4231 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4235 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 4240 B Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . 4246 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 4249 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS . . . . 4260 A, 4340 B Günter Verheugen SPD . . . . . . . . 4260 C Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister (Berlin) 4266 A Thomas Krüger SPD 4268 A Dr. Christa Luft PDS 4269 B Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4271 A, 4278 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . . 4272 C Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 4278 C Andrea Lederer PDS 4279 D Dr. Klaus Rose CDU/CSU 4281 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . 4283 C, 4289 B Jürgen Koppelin F.D.P 4285 A Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 4286 C Freimut Duve SPD 4288 C Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 4289 C Norbert Gansel SPD 4291 B Walter Kolbow SPD 4292 A Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . 4295 D Dietrich Austermann CDU/CSU . 4296 A, 4299 B Walter Kolbow SPD 4297 A Paul Breuer CDU/CSU 4297 D Manfred Opel SPD 4298 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 4299 C Dr. Ingomar Hauchler SPD 4300 D Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . 4301 D, 4304 A Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4303 B Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . 4304 C Roland Kohn F.D.P. 4305 A Dr. Ingomar Hauchler SPD . . . 4305C, 4308 B Dr. Willibald Jacob PDS 4306 C Michael von Schmude CDU/CSU . . . 4307 D Manfred Kanther, Bundesminister BMI 4309 B Otto Schily SPD . . . . . . . . . . 4312 B Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4316A Ina Albowitz F.D.P. 4318 A Ulla Jelpke PDS 4320 C Horst Eylmann CDU/CSU 4322 A Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 4322 D Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . 4323 B Fritz Rudolf Körper SPD . . . . . . 4326 A Heinz Dieter Eßmann CDU/CSU . 4327 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . 4329 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 4331 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 4332 C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU 4335 C Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . 4336 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . 4337 D Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 4339 A Manfred Kolbe CDU/CSU 4341 B Nächste Sitzung 4342 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4343* A Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. September 1995 4217 51. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 6. September 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 6. 9. 95 Andres, Gerd SPD 6. 9. 95 Behrendt, Wolfgang SPD 6. 9. 95 * Blunck, Lilo SPD 6. 9. 95 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 6. 9. 95 Frick, Gisela F.D.P. 6. 9. 95 Grießhaber, Rita BÜNDNIS 6. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 6. 9. 95 Hoffmann (Chemnitz), SPD 6. 9. 95 Jelena Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 6. 9. 95 Dr. Jork, Rainer CDU/CSU 6. 9. 95 Dr. Knake-Werner, PDS 6. 9. 95 Heidi Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 6. 9. 95 Angelika 90/DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 6. 9. 95 Karl-Hans Leidinger, Robert SPD 6. 9. 95 Lemke, Steffi BÜNDNIS 6. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 6. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lenzer, Christian CDU/CSU 6. 9. 95 Lotz, Erika SPD 6. 9. 95 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lüth, Heidemarie PDS 6. 9. 95 Neuhäuser, Rosel PDS 6. 9.95 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 6. 9. 95 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 6. 9. 95 Hermann Schätzle, Ortrun CDU/CSU 6. 9. 95 Schenk, Christa PDS 6. 9. 95 Schewe-Gerigk, BÜNDNIS 6.9.95 Irmingard 90/DIE GRÜNEN Schmidt (Aachen), SPD 6. 9. 95 Ursula Schmitt (Langenfeld), BÜNDNIS 6. 9. 95 Wolfgang 90/DIE GRÜNEN Schultz (Everswinkel), SPD 6. 9. 95 Reinhard Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 6. 9. 95 Simm, Erika SPD 6. 9. 95 Dr. Solms, F.D.P. 6. 9. 95 Hermann Otto Thieser, Dietmar SPD 6. 9. 95 Thönnes, Franz SPD 6. 9. 95 Tippach, Steffen PDS 6. 9. 95 Tröscher, Adelheid SPD 6. 9. 95 Vosen, Josef SPD 6. 9. 95 Wieczorek-Zeul, SPD 6.9.95 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 6. 9. 95 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Sie haben zur Zeit Grund zum Lächeln.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Gott sei Dank! Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P]: Das macht er auch!)

    Es ist leider auch wahr: Einige wenige von uns haben Ihnen einen außerordentlich bequemen Sommer verschafft.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Freilich - ich weiß, das wird ja kommen, und es kam ja auch schon -: Gönnerhafte Ratschläge in der Attitüde des Besorgten,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das wird auch weitergehen!)

    wahrscheinlich geboren aus der Erinnerung, das würde bei mir dieselbe Wirkung haben wie die Bleichlautenden Ratschläge von Helmut Schmidt an Sie,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wäre aber gut!)

    werden uns nicht weiterhelfen, und sie werden vor allen Dingen eines nicht verdecken, nämlich daß diese Bundesregierung die falschen Prioritäten setzt.

    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    - Mit Ihrem Lachen bestätigen Sie: Es ist ja durchaus nicht als Hilfe gemeint. Wie wollte man das auch erwarten?
    Viel wichtiger scheint mir zu sein, daß eine Debatte in Deutschland, wenn sie politisch fruchtbar sein soll, sich auf den Zustand der Politik, auf die Erwartung der Menschen, auf ihre Hoffnungen angesichts schwerer sozialer Bedrängnisse konzentrieren sollte, statt sich in vordergründigen Personalkleinigkeiten zu erschöpfen,

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    und das alles in einer Situation, in der ja ohnehin viel zu viele fragen, ob die Bundesregierung oder das Parlament überhaupt noch gestalten kann, was gestaltet werden soll. Und so ganz von der Hand zu weisen ist diese Frage ja nicht.
    Die Versenkung der Ölplattform „Brent Spar" ist ja nicht durch kluges politisches Handeln, durch entschlossenes Eingreifen der Regierungen verhindert worden, sondern durch die Entfaltung von Verbrauchermacht durch die vielen verantwortungsbewußten Bürgerinnen und Bürger.

    (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Die umweltbewußte Erneuerung unseres Landes folgt ja nicht der klugen Zielsetzung der Regierung, sondern ist häufig nichts anderes als das Ergebnis von großem Druck innerhalb der Bevölkerung. Auch insofern ist z. B. die Entscheidung über die Ozongesetzgebung eher eine Niederlage als ein politischer Fortschritt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die Bekämpfung rechtsradikaler Gewalttaten ist politisch entschlossen erst dadurch zustande gekommen, daß viele hunderttausend Bürgerinnen und Bürger in diesem Land sich engagiert haben, bei Lichterketten, in praktischer Solidarität mit den Men-

    Rudolf Scharping
    schen. Vieles andere, was an Fortschritt in Deutschland durchgesetzt wird, ist nur wegen des konsequenten zivilen Engagements vieler Bürgerinnen und Bürger durchsetzbar.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Deshalb scheint es mir fruchtbarer zu sein, über die Erwartungen zu reden, die in diesem Engagement stecken, und über die Antworten, die die Bundesregierung verweigert - Antworten auf fünf zentrale Fragen unseres Landes.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Jetzt kommt's!)

    Erstens. Können wir überhaupt noch den Lebensstandort Deutschland mit einer kräftigen Wirtschaft und der Fähigkeit, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sichern? Das ist und bleibt die Priorität Nummer eins sozialdemokratischer Politik.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Haben wir angesichts des globalisierten Wettbewerbs noch die Chance, wirtschaftliche Kraft so einzusetzen, daß den Schwächeren solidarisch geholfen wird, oder müssen wir unter den Bedingungen des internationalen Wettbewerbs tatsächlich jedes soziale Recht und jede soziale Schranke gefährden?
    Drittens. Haben wir noch die Chance, umweltbewußt unser gesamtes Leben, nicht nur unser Wirtschaften, zu gestalten und damit Vorsorge für die Zukunft zu treffen?
    Viertens: Welche Möglichkeiten bietet der Staat für Mitbestimmung, Partizipation, für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, die alltäglich beweisen, daß sie an den Belangen des Gemeinwesens stärker interessiert sind, als die modische Rede von der Politikverdrossenheit nahelegt?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Und nicht zuletzt: Welche Chancen haben wir, sozialen Frieden im Inneren mit Engagement für den Frieden insgesamt zu verbinden?
    Eine Politik, die solche Fragen aufgreift, Entwicklungen ermöglicht, Engagement fördert, wäre zukunftsträchtig. Herr Bundeskanzler, Ihre Politik ist nicht mehr zukunftsträchtig, sie ist nach hinten gewandt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

    Wir wissen alle: In diesem Land leben viele Menschen noch sicher mit einer enormen beruflichen Leistung, mit gesicherten Einkommen. Aber angesichts dieser durchaus begrüßenswerten Situation zu vergessen, daß es viele andere gibt, die zunehmend stärker von der gleichberechtigten Teilhabe an dieser Entwicklung ausgeschlossen werden, angesichts dieses Zustandes sogar zu sagen, das sei keine neue Nachricht mehr, das halte ich für einen sozialen Zynismus, den kein verantwortungsbewußter Mensch vertreten kann.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Die Zahlen sind hier oft genannt worden. Es geht aber nicht um die Zahlen, sondern um die Schicksale von Menschen, die damit verbunden sind. Wie soll eine Wirtschaftspolitik glaubwürdig vermittelt werden, wenn sie keine Antwort mehr darauf geben will, daß 3,7 Millionen Menschen keine Arbeit haben? Welche Perspektive ergibt sich aus den Entscheidungen der Bundesregierung bei der Arbeitslosenhilfe und bei vielen anderen Maßnahmen für die Menschen, die 51, 52 Jahre alt sind und ihren Arbeitsplatz nicht aus persönlichen Gründen verlassen müssen, sondern weil ihr Betrieb oder Teile davon geschlossen werden?
    Wer so kaltherzig mit Menschen umgeht, darf sich nicht wundern, wenn daraus Enttäuschung, Resignation, irgendwann Protest und Zorn entstehen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Christa Luft [PDS])

    Wer hinter den Zahlen noch die Menschen sieht, der wird sich über die Unverfrorenheit wundern, mit der die Koalition und einige ihrer Vertreter sich im Sommer dieses Themas zugewendet haben. Da ist von der Aufweichung des Kündigungsschutzes, von der Kürzung der Lohnfortzahlung, von der Reduzierung sozialer Hilfe, von der alleinigen Belastung der Arbeitnehmer mit den steigenden Kosten in der Krankenversicherung geredet worden. Es ist davon gesprochen worden, die Tarifautonomie, also das Grundgesetz, sei nicht mehr zeitgemäß. Manche haben nach dem Samstag als einem normalen Werktag gerufen.
    Ich weiß wohl, diese Regierung, diese Koalition versucht, den Eindruck zu erwecken: Alles, was bei uns debattiert wird, ist zweitrangig; wichtig wird es erst dann, wenn sich der Bundeskanzler damit beschäftigt.
    Also fordere ich Sie auf, Herr Kohl, hier in diesem Hause einmal zu sagen - und zwar etwas schneller als beim Schürmann-Bau; da hat es 600 Tage gedauert -:

    (Beifall bei der SPD)

    Soll das wirklich so weitergehen? Sind Sie dafür, daß der Kündigungsschutz aufgeweicht wird? Sind Sie dafür, daß die Lohnfortzahlung gekürzt wird? Sind Sie für die Reduzierung sozialer Leistungen? Halten Sie die Tarifautonomie nicht mehr für zeitgemäß? Wollen Sie, daß die Arbeitnehmer den Samstag wieder als Werktag erfahren?
    Wenn Sie sich den Schuh schnüren, daß nur entscheidend ist, was der Kanzler in dieser Koalition sagt und entscheidet, dann müssen Sie auch Rede

    Rudolf Scharping
    und Antwort dazu stehen, was Sie zu diesen Vorschlägen des sozialen Abbaus sagen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Es ist gut und richtig, wenn Sie sich für die europäische Integration engagieren; das respektieren und anerkennen wir. Es ist gut und richtig, wenn Sie sich für den Nahen Osten engagieren und dort eine kluge Politik betreiben. Es ist gut und richtig, wenn Sie den Versuch machen, das deutsch-französische Verhältnis zu verbessern - obwohl nach unserer Auffassung der Versuch nicht sonderlich gut gelingt. Noch besser wäre es, eine transatlantische Agenda zu formulieren.
    Aber, Herr Bundeskanzler, nur auf die Position im Ausland - so wichtig sie sein mag - zu setzen, das reicht angesichts der enormen Schwierigkeiten unseres Landes nicht mehr aus. Hier sind Hausaufgaben zu machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn uns gesagt wird, das alles sei notwendig, um die wirtschaftlichen Grundlagen zu befestigen, dann antworten wir Ihnen: Sie bekämpfen nicht mehr die Arbeitslosigkeit, Sie mißbrauchen sie als Rammbock gegen den sozialen Frieden.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Was haben Sie uns denn alles versprochen: Wenn nur anständig dereguliert werde, dann ginge es schon voran. Die Beispiele dafür sind Legion: Im Mietenrecht müsse man nur zur anständigen Deregulierung kommen;. dann wären mehr Wohnungen zu preiswerten Mieten da. Das Gegenteil ist eingetreten: Wir haben weit über zwei Millionen Wohnungssuchende in Deutschland. In Ballungsräumen ist es für einen Normalverdiener kaum mehr möglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gleichzeitig kürzen Sie das Wohngeld.

    Sie haben uns gesagt: Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt, private Arbeitsvermittlung. Während des Sommers ist ein Bericht dazu gekommen. Was ist denn daraus geworden?

    (Zurufe von der SPD: Nichts!) Nicht einmal Peanuts sind dabei entstanden.

    Ihre Deregulierungspolitik zu Lasten der sozialen Sicherheit und zu Lasten des sozialen Friedens hat die Spirale nach unten immer stärker in Gang gesetzt. Sie hat nicht den gemeinsamen Vorteil, die gemeinsame Entwicklung, den gemeinsamen Wohlstand und die gleichberechtigte Teilhabe gefördert, sondern die soziale Erosion und die Spaltung von Lebensmöglichkeiten vorangebracht.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Früher wurde das einmal andersherum gesagt. Heute muß man den Eindruck haben: Sie wollen die Lebensrisiken der Menschen vollständig privatisieren und die unternehmerischen Risiken immer stärker sozialisieren. Soll das wirklich so weitergehen?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wir halten dagegen: Der soziale Friede ist kein bürokratisches Kunstprodukt. Er ist ein stabiler Anker unserer Gesellschaft und ein unverzichtbarer Faktor für wirtschaftlichen Erfolg.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Ludwig Erhard wußte das, Konrad Adenauer akzeptierte es, Helmut Kohl ignoriert es.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Rexrodt kann es nicht ignorieren; er hat es nie gewußt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Ludwig Erhard schrieb: Maßstab und Richter über Gut und Böse der Wirtschaftspolitik sind nicht Dogmen oder Gruppenstandpunkte; es ist ausschließlich der Mensch, der Verbraucher, das Volk. Eine Wirtschaftspolitik ist nur dann und nur so lange für gut zu erachten, als sie den Menschen schlechthin zum Nutzen und Segen gereicht.
    Wo ist der Segen, wo ist der Nutzen bei gekürzter Lohnfortzahlung? Wo ist der Segen bei der Aufweichung des Kündigungsschutzes, wo der Nutzen bei der Verabschiedung von der Tarifautonomie? Sie haben sich schon lange von der Sozialen Marktwirtschaft, von den Ideen Ludwig Erhards, verabschiedet. Ihre Praxis ist genau entgegengesetzt.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Christa Luft [PDS])

    Täuschen Sie sich nicht: Wenn Ruhe herrscht, dann hat das nichts mit Frieden, sondern eher viel mit Resignation zu tun.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Es hat viel mit dem Gefühl der Menschen zu tun, daß es bei den Regierenden gar nicht mehr ankommt, daß sie überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nehmen, wie die Wirklichkeit in Deutschland aussieht.
    Das hat durchaus seine praktischen Seiten. Wenn in diesem Jahr die Renten um kümmerliche 0,61 % steigen, dann ist das auch die Frucht einer Politik, die die Arbeitslosigkeit nicht mehr bekämpft und die Einkommen der Arbeitnehmer immer stärker mit Steuern und Abgaben belastet hat.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Rudolf Scharping
    Wenn die Steuern immer noch und trotz des Jahressteuergesetzes 1996 steigen, dann muß man sich einmal Ihre Debatte über den Solidaritätszuschlag anschauen. Ich schicke eines voraus: Der Transfer in den Osten Deutschlands ist und bleibt auf absehbare Zeit notwendig.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Christa Luft [PDS])

    In den letzten fünf Jahren wurden rund 1 000 Milliarden DM in den Osten Deutschlands transferiert, davon 750 Milliarden DM im Sinne eines sozialen Transfers und nur 250 Milliarden DM für Investitionen bei Unternehmen oder in die Infrastruktur.

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Was heißt denn hier „nur"?)

    Eine ordnungspolitisch saubere Entscheidung hätte bedeutet, die Investitionen verantwortbar durch Kredite zu finanzieren und damit eine Zukunftsaufgabe zu lösen, den sozialen Transfer jedoch nicht durch Schulden und schon gar nicht durch eine einseitige Belastung der Sozialversicherung zu finanzieren.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Christa Luft [PDS])

    Da hat Ihnen aber der Mut gefehlt. Wir reden ja nicht nur über einen Haushalt für das Jahr 1996, sondern über Fragen einer langfristig angelegten Politik.
    Herr Bundeskanzler, wie erklären Sie uns denn die Debatte in Ihrer Koalition über den Solidaritätszuschlag, bei der die einen von 1997 reden, die anderen von 1998, die nächsten meinen: Das geht gar nicht! und der Rest sagt: Vielleicht in zehn Jahren!, während Sie selbst im Deutschen Bundestag eine mittelfristige Finanzplanung vorlegen, in der in bezug auf dieses Thema bis 1999 kein einziges Wort, geschweige denn eine Zahl steht?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Also erwarten wir von Ihnen hier eine klare Äußerung zu diesem Thema, denn es kann nicht sein, daß jede Gruppe in dieser Koalition vermeintlich die eine oder andere Klientel bedient, der Bundeskanzler sich selbstgefällig zurücklehnt, freundlich lächelt und sagt: Na wartet, irgendwann sage ich euch schon, was gilt. Hier und heute wollen wir wissen, was im Zusammenhang mit dem Solidaritätszuschlag gilt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich finde, die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf die Antwort zu einer anderen Frage. Es ist wahr: Der Sozialstaat kann auf Dauer nur behauptet werden, wenn er modernisiert wird. Er kann noch besser behauptet werden, wenn das gemeinsam in Europa geschieht. Sind Sie denn bereit, die notwendige Modernisierung voranzubringen, wenigstens dem zu folgen, was auch innerhalb Ihrer Koalition diskutiert wird?
    Manches wird ja nicht dadurch zur Nachricht, daß der eine oder andere etwas sagt, sondern dadurch, daß es in seinem „Laden" als etwas scheinbar Neues gilt oder gegen jemand anders gerichtet ist.
    Da schreibt der Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm am 31. August 1995 an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im übrigen sei zu beachten, daß eine auf die Rückführung der Staatsquote gerichtete Politik gefährdet ist, wenn die sozialen Sicherungssysteme zielwidrig genutzt werden. Und etwas später: Gleichermaßen von Wirtschaft und öffentlicher Hand sind intelligentere personalpolitische Strategien gefordert, die nicht die Verschrottung von Humankapital bei Privatisierung, Beförderungsstau, Unternehmenszusammenschlüssen und Rationalisierungsvorhaben als alleinige Lösung vorsehen.
    Eine so klare Bestätigung langjährig formulierter sozialdemokratischer Politik habe ich aus den Reihen der Regierung noch selten gehört. Nur: Was tun Sie denn, um diesen Weg zu ändern?

    (Beifall bei der SPD)

    Ganz am Ende seines Briefes schreibt Norbert Blüm:
    Anders sind dagegen die Effekte strukturell sich ändernder Abgabenbelastungen auf Unternehmen und Arbeitnehmer zu bewerten. Dies gilt um so mehr, wenn gesamtgesellschaftliche Aufgaben über Sozialversicherungsbeiträge finanziert werden. Dadurch steigen für die Unternehmen die Arbeitskosten. Zunehmend werden die sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer zum Teil unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit belastet.
    Wann zieht die Bundesregierung, wann ziehen Sie, Herr Bundeskanzler, endlich den dringend notwendigen Schluß, den wir seit langem vorschlagen? Er lautet: Entlastet endlich die Arbeit von Kosten, die dort nicht hingehören, und beteiligt alle an der gemeinsamen Aufgabe, nicht nur die Arbeitnehmer und die Arbeitsplätze!

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])

    Es ist doch, Herr Bundeskanzler, nicht der Sozialstaat zu teuer. Diesem Land kommt Ihre Unfähigkeit zu teuer, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Müller [Berlin] [PDS])

    Bei aller Notwendigkeit der Modernisierung sozialstaatlicher Strukturen fehlt einem Land, das jeden Tag über 380 Millionen DM aufwendet, um Arbeitslosigkeit zu finanzieren, nicht das Geld; ihm fehlt es auch nicht an Arbeit. Dieser Bundesregierung fehlt es an Mut, Kreativität und Phantasie, das Krebsübel anzugehen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Der

    Rudolf Scharping
    Bundeskanzler, der sich nur selbstgefällig und lächelnd zurücklehnt, versäumt seine wichtigste innenpolitische, gesellschaftspolitische Aufgabe, wenn er dazu nicht einen klaren Kurs vorgibt.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Jawohl, wir reden über lange Linien der Politik, nicht nur über den Haushalt 1996. Ich erinnere Sie, Herr Bundeskanzler, an Ihren eigenen Anspruch, 1982 formuliert, der auf die Gegenwart angewendet bedeutet: Sie sind der Kanzler der 3,5 Millionen Arbeitslosen. Sie sind der Kanzler der 1 Million Kinder, die mit Sozialhilfe großwerden müssen.

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Der Kanzler der Einheit!)

    Sie sind der Kanzler der Obdachlosigkeit und vieler anderer Mißstände.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wenn Ihr eigener Maßstab gilt, dann wenden Sie ihn nicht nur gegen die Sozialdemokratie!
    Die Bundesregierung kommt schon wieder zu spät. Herr Blüm schlägt jetzt vor, das Arbeitsförderungsgesetz zu novellieren. Da ist das Stichwort vom sogenannten Marktwert von Arbeitnehmern in die Debatte gekommen. Ich muß Ihnen sagen: Eine kaltherzigere Formulierung habe ich noch selten gehört.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Ich will gar nicht nach dem Marktwert der Regierung fragen. Die Umfragewerte, der Schein, sind zur Zeit wesentlich besser als die Substanz.

    (Joachim Hörster [CDU/CSU j: Ihr Marktwert ist viel interessanter!)

    - Verehrter Kollege Hörster, Sie wissen doch, daß ich mit solchen Fragen gänzlich unbefangen umgehe.

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich weiß schon, daß einige in der SPD Ihren Umfragewert deutlich gesteigert und den unseren deutlich gesenkt haben. Das ändert an den substantiellen Unterschieden zwischen Ihrer und unserer Politik nichts und auch nichts daran, daß sich die Umfragewerte wieder den Marktwerten anpassen werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wären ja durchaus bereit, mit Herrn Blüm beispielsweise über die Frage zu reden, wie denn eine moderne Arbeitsmarktpolitik aussehen könnte. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat ihre Vorschläge auf den Tisch gelegt. Das waren im Januar der Vorschlag für eine breit angelegte Anstrengung im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und vor wenigen Wochen der Entwurf eines neuen Arbeitsförderungsgesetzes. Die Regierung verharrt und schaut. Sie wartet ab, wie die Vorschläge der Opposition aussehen könnten und ob sie sich darüber zu streiten beginnt, um dann einen Teil dieser Vorschläge zu übernehmen und sich dafür als erfolgreich feiern zu lassen.
    So war das mit dem Jahressteuergesetz.

    (Beifall bei der SPD)

    Noch im Frühjahr 1995 hat die Regierung jede Erhöhung des Kindergeldes abgelehnt. Es wird jetzt deutlich erhöht. Damit ist ja nicht nur eine Zahl verbunden, sondern auch die Durchsetzung einer Logik, die wir für die gesamte Modernisierung des Sozialstaates durchsetzen wollen: Die Besteuerung richtet sich nach der Leistungsfähigkeit. Die soziale Leistung der Allgemeinheit für jeden einzelnen Bürger wird frei von Vorteilen aus der Steuerprogression; sie ist unabhängig vom Einkommen; sie wird zielgenau und effektiv eingesetzt. Beim Kindergeld haben wir das für 95 % der Bevölkerung durchgesetzt.
    Beim Wohnungsbau übernimmt die Bundesregierung nach jahrelanger Debatte die Vorschläge der Sozialdemokratie, nachdem sie vorher beschimpft, verteufelt und als unsachgemäß abqualifiziert worden sind.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Plötzlich soll es eine einheitliche, progressionsunabhängige Förderung geben. Herr Bundeskanzler, man kann Sie und Ihre Regierung durchaus zu dieser Einsicht beglückwünschen. Ärgerlich bleibt, daß die zukunftsgewandten Einsichten bei Ihnen durch einen jahrelangen Prozeß gemangelt werden müssen und deswegen vieles nicht rechtzeitig und nicht zielbewußt geschieht, sondern zögerlich und verspätet.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich bin übrigens ganz sicher: Der Kollege Rüttgers wird noch häufiger darüber nachdenken, ob es nicht klug wäre, den Vorschlag der Sozialdemokratie zu übernehmen, die Ausbildungsförderung unabhängig vom Einkommen und direkt an jene zu geben, die in ihrer Ausbildung gefördert werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Bei diesem Thema will ich etwas zu den Jüngeren in Deutschland sagen. Sie hatten versprochen, jeder werde einen Ausbildungsplatz bekommen. Sie haben sich mit der Wirtschaft zusammengesetzt und eine Trendumkehr verkündet. Dann haben Sie wirklich im allerletzten Moment, am 1. September, für den Osten Deutschlands ein Notprogramm, ein dringend notwendiges Programm, verkündet. Tatsache ist jedoch, daß eine unverantwortlich große Zahl junger Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz bleibt und daß sich dieses Spiel Jahr für Jahr wiederholt. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, nicht endlich bereit sind, von den schönen Runden der Erörterung mit irgendwelchen wichtigen - das will ich nicht bestreiten - Verbandsfunktionären der deutschen Wirtschaft zur Tat zu schreiten, nicht jedes Jahr dieses Theater zu wiederholen, dann werden junge Menschen enttäuscht und frustriert

    Rudolf Scharping
    bleiben. Wie soll ein junger Mensch dieses Gemeinwesen als den Ort für soziale Sicherheit, der Entfaltung seiner eigenen Leistung, seiner persönlichen Fähigkeiten wahrnehmen, wenn wir zigtausenden Jugendlichen am Ende ihres Schülerdaseins signalisieren: Jetzt müßt ihr 100 Bewerbungen schreiben, und dann habt ihr immer noch keine Gewißheit, daß ihr Ausbildung und Sicherheit für die Zukunft erhaltet? Das ist ein unwürdiges, die Jugend belastendes Spiel.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Was große Industrieunternehmen tun - nicht alle, beispielsweise nicht die der chemischen Industrie, wo das übrigens tarifvertraglich gesichert worden ist -, mag einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung standhalten, den langfristigen, gemeinsamen Nutzen, den gemeinsamen Fortschritt, den gemeinsamen Wohlstand aus gemeinsam erarbeiteter wirtschaftlicher Kraft hat es nicht im Auge. Wer in dieser Situation das humanitäre Engagement von Jugendlichen übersieht, einen Keil treibt zwischen Wehrpflichtigen, die einen Dienst für die Allgemeinheit tun, und Zivildienstleistenden, die auch einen Dienst für die Allgemeinheit tun, der begeht einen groben Fehler. Das sind keine Egoisten, sondern Menschen, die helfen wollen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Also schlagen wir Ihnen vor: ein neues Arbeitsförderungsgesetz, das die Verantwortung der Tarifpartner steigert, Gemeinden und andere mit einbezieht; eine Reform der Sozialhilfe, die die Nachrangigkeit der Sozialhilfe betont und klarmacht, daß sich ein Leben aus Arbeitseinkommen auch finanziell mehr lohnt als das Leben aus einem sozialen Transfer;

    (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das wollen wir! Joachim Hörster [CDU/CSU]: Oh! Neue Erkenntnisse!)

    eine Änderung der Ausbildungsförderung, die progressionsabhängige Tatbestände beseitigt und jedem Auszubildenden einen gleichen Förderbetrag zur Verfügung stellt, das andere Notwendige als Darlehen obendrauf.
    Also schlagen wir Ihnen vor, für die Zukunft zu beachten, das, was uns im Jahressteuergesetz - uns in der SPD ja übrigens auch - Schwierigkeiten gemacht hat, nämlich das Bund-Länder-Verhältnis, nicht überzustrapazieren und aufzuhören mit einer Politik, die den Ärger und den Frust über den März 1993, den Solidarpakt und das Föderale Konsolidierungskonzept,

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das haben Sie doch mitbeschlossen als Ministerpräsident, Herr Scharping!)

    jetzt in immer neuen Volten abzureagieren versucht
    zu Lasten der finanziellen Kraft der Länder und Gemeinden. Im übrigen: Verlangen Sie nicht immer Beweglichkeit von den Bürgerinnen und Bürgern, werden Sie selbst einmal etwas beweglicher!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Das gilt auch für Wirtschaft und ökologische Erneuerung. Die Lohnnebenkosten in Deutschland sind eindeutig zu hoch. Das ist aber nur ein Element einer klaren ordnungspolitischen Entscheidung, die getroffen werden muß. Beim Stichwort Ordnungspolitik fällt mir auf, daß der Kollege Lambsdorff eine klare Ordnungspolitik formuliert - aber eine aus unserer Sicht falsche -,

    (Jörg Tauss [SPD]: Unanständige!)

    während der Bundeswirtschaftsminister nur formuliert, weder klar noch ordnungspolitisch.

    (Beifall bei der SPD)

    Das erste, was erreicht werden muß, ist diese ordnungspolitische Grundentscheidung: Die Belastung der Arbeitsplätze und der Arbeitseinkommen in Deutschland ist zu hoch. Das schädigt Freiheit und Verantwortungsbewußtsein der betroffenen Menschen. Es ist ganz eindeutig eine zu große Belastung für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber. Wer die Arbeitskosten durch Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entlastet, entlastet nicht nur die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, die Unternehmen, sondern er entlastet auch die Tarifpolitik. Ich sage Ihnen voraus, daß wir auch diese Entlastung in den nächsten Jahren dringend brauchen werden.
    Deshalb schlagen wir Ihnen vor, alle versicherungsfremden Leistungen aus der Sozialversicherung herauszunehmen und sie allgemein, und zwar auch mit Blick auf die notwendige, umweltbewußte Modernisierung unseres Lebens und Wirtschaftens, zu finanzieren. Diese zusätzliche Antriebskraft für Rationalisierung muß weg. Der Nachteil für lohn- und beschäftigungsintensive Betriebe - namentlich in Handwerk und Mittelstand - muß weg.
    Wir stimmen ausdrücklich zu, wenn Herr Blüm davon redet, daß die „Verschrottung von Humankapital" ein Ende haben muß.

    (Beifall bei der SPD)

    Kluge Manager und Unternehmer wissen: Der größte Standortvorteil Deutschlands liegt in der Qualifikation, dem Können, der Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Ingenieure, der Selbständigen. In dieses Kapital haben wir am meisten investiert. Es ist ein grober wirtschaftspolitischer Fehler - übrigens auch eine menschliche Unanständigkeit; so empfinde ich es jedenfalls -, den Jüngeren den Eintritt in das Berufsleben zu erschweren und die Älteren mit 50 oder 52 Jahren entweder über Sozialpläne oder - schlimmer noch - über Arbeitslosigkeit hinauszuwerfen und nicht nach Methoden zu suchen, wie Arbeit in Deutschland wettbewerbsfähiger gemacht werden kann. Das hat die unangenehme Antwort zur Folge, daß der Konsum verteuert werden muß, vor allem dann, wenn er zu Lasten der Umwelt geht.

    Rudolf Scharping
    Sie, Herr Bundeskanzler, waren 1990 nicht in der Lage, die unangenehme Wahrheit auszusprechen, nämlich daß der Aufbau in Deutschland von allen gemeinsam geleistet werden muß. Sie haben mit den dafür erforderlichen Mitteln die Sozialkassen belastet und die Verschuldung erhöht. Sie sind auch heute nicht in der Lage, die unangenehme Wahrheit auszusprechen, nämlich daß die Wettbewerbsfähigkeit unserer Arbeitsplätze nicht die Demontage des Sozialstaates voraussetzt, wohl aber eine gemeinsame Anstrengung, die auch von allen gemeinsam finanziert werden muß.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Was also, Herr Bundeskanzler, sagen Sie zu den Vorschlägen Ihres Arbeitsministers? Sind Sie bereit, der „Verschrottung von Humankapital" ein Ende zu bereiten? Sind Sie bereit, die Arbeitsplätze von Kosten zu entlasten? Sind Sie bereit - auch im Interesse der Rentnerinnen und Rentner -, die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer zu steigern? Sind Sie bereit, die daraus notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen und für den Verbrauch von Umwelt und Natur endlich den Preis zugrunde zu legen, der der Wahrheit und nicht irgendeiner betriebswirtschaftlichen Fiktion entspricht? Wenn Sie zu dieser klaren ordnungspolitischen Entscheidung fähig sind, dann werden wir Sie loben; Ihre bisherige Haltung war leider - -

    (Beifall bei der SPD Zurufe von der CDU/ CSU und der F.D.P.)

    - Was haben Sie, Herr Gerhardt, eigentlich dagegen, daß es in den Grundfragen unserer wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen politischen Entwicklung den Versuch der Gemeinsamkeit gibt? Es ist doch nicht so, daß das an unserem guten Willen oder an unseren Vorschlägen scheitert. Sie haben sich mittlerweile ideologisch doch so verrannt, daß Sie nur noch den sozialen Frieden und den Sozialstaat im Auge haben, aber nicht mehr in der Lage sind, sorgfältig und zukunftsweisend zu verknüpfen, was zusammengehört, nämlich wirtschaftliche, soziale und umweltbewußte Entwicklung.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wenn Sie bereit sind, auf der Grundlage einer solchen - ordnungspolitisch klaren - Entscheidung eine weitere zu treffen, dann könnten wir auch hier zu gemeinsamen Positionen kommen, obwohl ich da nicht sehr optimistisch bin.
    Es ist genauso klar, daß eine ordnungspolitisch und damit auch wirtschaftspolitisch saubere Linie die Senkung und die Umstrukturierung der Steuerbelastung für Unternehmen erfordert. Nominell kann das geschehen, indem viele Einzelregelungen des Steuerrechts beseitigt werden. Das würde jedenfalls ein wichtiges psychologisches Hindernis für ausländische Investoren beseitigen.
    Tatsächlich brauchen wir aber die Konzentration auf drei große Zukunftsfelder, Felder, auf denen sich entscheiden wird, ob die deutsche Volkswirtschaft dauerhaft wettbewerbsfähig bleiben kann: Investitionen als erstes, vor allen Dingen dann, wenn sie einen Umweltnutzen versprechen, Forschung und Entwicklung als zweites und Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung als drittes.
    Der Staat kann nicht unternehmerische Initiative ersetzen. Er kann nicht Innovation in den Unternehmen schaffen, aber er kann dafür sorgen, daß für diese Initiative, für diese Innovation ein fester Rahmen da ist, einer, der auch für die Zukunft verläßlich gilt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die Steuer- und Finanzpolitik der Bundesregierung, das Hin und Her bei der Körperschaftsteuer, beim Solidaritätszuschlag, bei der Abschaffung des Meister-BAföG und seiner Wiedereinführung, bei der Streichung der Erfindervergütung - für die bisher noch kein Ersatz geschaffen wurde - hat nur eines bewirkt: Die Innovationskraft wird nicht gefördert, die Risikobereitschaft eher gemindert.
    In den Unternehmen gibt es reichlich Menschen, kluge, verantwortungsbewußte Unternehmer und Manager, die genau das einklagen, was ich hier gerade eingeklagt habe: Wo ist die klare, wirtschaftspolitische Orientierung, die Verläßlichkeit für unternehmerische Initiative und Innovation bietet?

    (Beifall bei der SPD)

    Damit wir uns nicht falsch verstehen: Branchendialoge, wie sie Herr Rexrodt führt, ersetzen diese wirtschaftspolitische Initiative nicht. Das dicke Brett muß auch gebohrt werden, nicht nur die „dünnen Dinger" .
    Wenn Sie dann den Druck von den Arbeitsplätzen zwar nicht nehmen, aber mindern und für eine klare Orientierung sorgen, für eine Umstrukturierung und damit für die Chance einer allmählichen Senkung der Unternehmensbesteuerung, dann hätten wir noch eine weitere Sache miteinander zu besprechen: Was sind die Zukunftsfelder wirtschaftlicher Entwicklung? Normalerweise müßte eine Bundesregierung, die 330 Millionen DM zusätzlich für wehrtechnische Erprobungen in den Haushalt einstellt, sofort mit einer Initiative im Deutschen Bundestag sein und sagen: Es darf nicht geschehen, daß der letzte größere Hersteller von Solarzellen dieses Land verläßt und wir damit den Anschluß an eine entscheidende Zukunftstechnik verlieren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Herr Bundeskanzler, Sie haben einmal gesagt, Sie fühlten sich wie ein Förster.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Frage ist: Wer ist der Dackel?)

    Man müsse heute vieles tun, dessen Ertrag erst in den nächsten 70, 80 Jahren - meinetwegen auch in etwas kürzeren Fristen - zu sehen sei. - Wenn das wahr ist, dann würde ich doch anraten: Legen Sie

    Rudolf Scharping
    einmal diese gefällige, sich selbst bescheinende, sich wohlfühlende Attitüde zur Seite und kümmern Sie sich wieder entschlossen um die Entwicklung, die in Deutschland stattfindet!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Kümmern Sie sich entschlossen um die Zukunftsfelder der wirtschaftlichen Entwicklung wie den Umstieg in eine Energieversorgung, die umweltverträgliche Energiearten endlich nutzt, die Wachstum ermöglicht, das Probleme löst, statt neue Probleme zu schaffen!
    So wie die Sozialstaatlichkeit dem wirtschaftlichen Fortschritt Sinn und Richtung gegeben hat, so wird in Zukunft nur die Verbindung aus sozialer und ökologischer Entwicklung dem Wirtschaften Sinn und Richtung geben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Der Generationenvertrag wird ein doppelter. Er hat seine soziale und notwendigerweise auch seine ökologische Seite: klare Ordnungspolitik, Ermunterung von Risikobereitschaft und Leistungswillen, Anschluß an Zukunftsfelder, an Zukunftstechnologien und schließlichaktive Arbeitsmarktpolitik. So wie ich den französischen Präsidenten wegen seiner Entscheidung, Atomwaffentests wiederaufzunehmen, kritisiere, stelle ich genauso fest: In Frankreich beispielsweise hat eine konservative Regierung den Stellenwert aktiver Arbeitsmarktpolitik wesentlich besser begriffen als die Bundesregierung hier in Deutschland.
    Wenn Sie schon darüber nachdenken, wie aktive Arbeitspolitik aussehen könnte - wir warten gespannt auf die Vorlage eines neuen Arbeitsförderungsgesetzes -, dann bleibt noch ein Hinweis: Es hat im Sommer eine Debatte über den Ladenschluß gegeben, als sei das die zentrale Frage der wirtschaftlichen Zukunft unseres Landes. Ich will nicht bestreiten: Mit Lebensqualität und anderem mag das hier und da etwas zu tun haben. Dennoch ist sorgfältig zu prüfen: Für wen eigentlich hat das mit Lebensqualität zu tun?

    (Beifall bei der SPD)

    Manches könnte man viel unbefangener besprechen, wenn sich der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nicht nur hier hinstellte und monierte - wie häufig geschehen -, wir hingen bei den Teilzeitarbeitsplätzen nach, manches auf dem Arbeitsmarkt könnte besser sein, wenn mehr Teilzeitmöglichkeiten angeboten würden; dann wird der Hinweis auf die Niederlande gegeben und anderes mehr. Herr Bundeskanzler, solange Sie eine Gesetzgebung dulden, die den Unternehmen die Möglichkeit bietet, ganz schmale Stammbelegschaften zu beschäftigen und über 4 Millionen Frauen ohne jede soziale Sicherheit daneben einzusetzen, werden keine Teilzeitarbeitsplätze entstehen, weil gar kein ökonomischer Anreiz dafür da ist, wenn diese Möglichkeit der Ausbeutung so bleibt, wie sie ist. Und es ist Ausbeutung!

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die Politik der Bundesregierung mehrt den allgemeinen Nutzen nicht. Der Bundesfinanzminister sagt, er wolle sparen und Steuern senken, „symmetrische Finanzpolitik". Das hört sich gut an. Der Haushalt enthält hier - mit Ausnahme der durch das Jahressteuergesetz erzwungenen Möglichkeiten - nichts, die mittelfristige Finanzplanung schon gar nicht.
    Die Wirtschaft unseres Landes ist leistungsfähig, aber sie ist in ihrer Leistungsfähigkeit auch gefährdet. Gerade gestern sind von dem Davoser Forum Zahlen dazu veröffentlicht worden, und sie machen wie viele andere Studien deutlich: Das größte Problem unserer wirtschaftlichen Entwicklung ist die Belastung von Arbeitsplätzen mit Kosten, die ihnen nicht zugerechnet werden dürften, und der Unwille im Management, sich auf flexible Lösungen einzulassen. Flexibilität, die von den Arbeitnehmern gefordert wird, wird von diesen längst erbracht. Flexible Arbeitszeitmodelle gibt es reichlich. Man wird den Tarifpartnern Unterstützung signalisieren müssen, wenn sie diesen Weg fortsetzen wollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Dazu gehören Lebensarbeitszeitkonten, dazu gehört variable Wochenarbeitszeit, dazu gehört aber nicht eine Politik, die den Arbeitnehmern signalisiert, daß ihre Bereitschaft zur Flexibilisierung und zum sorgfältigen Umgang mit den eigenen Arbeitsplätzen von der Politik noch dadurch bestraft wird, daß die Lohnnebenkosten zu hoch bleiben und gleichzeitig der soziale Frieden demontiert wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Samstag wird kein Werktag, hoffen wir alle. Wenn Politik signalisiert, daß die Bereitschaft zur Verantwortung, zum flexiblen Handeln in den einzelnen Unternehmen nicht flankiert und unterstützt wird, sondern mit Abbau des sozialen Staates, des sozialen Friedens beantwortet wird, dann werden Sie diese Bereitschaft zur Verantwortung hemmen, anstatt sie zu fördern.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Bundeskanzler, wir erwarten von Ihnen Antwort auf Fragen der gesellschaftlichen, der wirtschaftlichen, der sozialen und der inneren Entwicklung unseres Landes, Antworten, die die Grundlagen des sozialen Friedens, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft sowie eine dauerhafte, nachhaltige und für die Zukunft tragfähige Entwicklung betreffen.
    Der Haushalt, den Sie uns vorgelegt haben, ist Ausdruck einer Falle. Er verschärft einen risikoreichen Trend. Es liegt ihm keine klare Ordnungspolitik, schon gar nicht Mut zugrunde. Es fehlt ihm und dieser Bundesregierung folglich damit auch die Fähigkeit, schwierige, im Zweifel auch belastende Einzelentscheidungen zu begründen. Die Falle, in die Sie uns über Jahre hinweg manövriert haben, besteht haushaltspolitisch aus steigender Zinsbelastung, steigenden zwangsweisen Verpflichtungen

    Rudolf Scharping
    und sinkenden Investitionen - allein im Haushalt 1996 um über 5 Milliarden DM, was faktisch bedeutet, zwischen 130 000 und 150 000 Arbeitsplätze zusätzlich aufzugeben.
    Der Haushalt, wie er uns für 1996 vorliegt, ist Ergebnis einer längeren Entwicklung. Er ist kein Zeichen der Korrektur,

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Zeichen der Hoffnung!)

    weder mit Blick auf den sozialen Frieden noch mit Blick auf eine klare Ordnungspolitik, die zu Innovation, Leistung und Risikobereitschaft ermuntert. Er ist auch keine Korrektur hinsichtlich der Umweltpolitik. Im Gegenteil: Er ist Ergebnis mangelnden Mutes und mangelnder Zukunftsvorsorge.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wir rechnen, Herr Bundeskanzler, nicht damit, daß Sie in Ihrer Rede heute in irgendeiner Weise Korrektur andeuten könnten. Wir rechnen auch nicht damit, daß Sie auf die zentralen Fragen, auch auf die inneren Widersprüche Ihrer Koalition, Antwort geben. Wir rechnen damit, daß das - so wie in vielen Fällen - eher eine Debatte wird, die sich an Vordergründigkeiten festhält. -

    (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir haben Ihnen dazu durch die Art und Weise, wie manchmal auch in meiner Partei diskutiert wird, das eine oder andere vordergründige Stichwort geliefert. - Was wir allerdings erwarten, ist, daß Sie sich der Auseinandersetzung darüber stellen, daß wirtschaftliche Leistung gefördert und Risikobereitschaft ermuntert wird. Wir erwarten, daß Sie sich der Auseinandersetzung darüber stellen, daß eine klare Ordnungspolitik verfolgt und die Fähigkeit der Bundesregierung zur Begleitung von Initiative sowohl in der Bevölkerung als auch in den Unternehmen wieder gestärkt wird. Sonst führen wir eine Debatte, die sich an den personalpolitischen Aufgeregtheiten und Aufmerksamkeiten orientiert. Wichtiger ist die Debatte über die Zukunft unseres Landes.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir fordern Sie auf, Herr Bundeskanzler, sich endlich wieder der Zukunft dieses Landes und den Grundentscheidungen, die zu treffen sind, zu stellen und wenigstens, wenn Sie schon Ihre Politik in den Grundlinien nicht korrigieren, Klarheit darüber zu schaffen, wie Sie mit den einzelnen Vorschlägen und Widersprüchen in Ihrer Koalition umgehen wollen. Dann hätten die Debatte und Ihr Beitrag einen gewissen Ertrag.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
In der Debatte spricht jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Wolfgang Schäuble.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war nicht überraschend, daß Kollege Scharping ein Interesse daran hat, von der Horrorshow, die seine Partei in den letzten Wochen und Monaten geboten hat, abzulenken, und daß er verlangt, man solle das Ganze beenden. Ein bißchen überraschend war, daß er sagt, die Bundesregierung, der Bundeskanzler und die Koalition mögen sich den Fragen der Zukunft zuwenden. Sie haben sich doch in den letzten Monaten nur mit sich selbst beschäftigt und mit niemand anderem.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will Ihnen ehrlich sagen, Herr Kollege Scharping, ich habe nicht sympathisch gefunden, was der niedersächsische Ministerpräsident Schröder getrieben hat. Das kann auch niemand sympathisch finden. Aber die letzte Dreiviertelstunde hat in mir eher Verständnis geweckt als verringert.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Krokodil, dein Name sei Wolfgang! Zurufe von der SPD)

    - Es hilft ja nichts. Man müßte hier einen Spiegel aufstellen, damit Sie sich in Ihre eigenen Gesichter schauen könnten. Ich will das Thema gar nicht vertiefen.

    (Zuruf von der SPD: Unverschämtheit! - Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    - Verehrte leidgeprüfte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, je länger Sie Zwischenrufe machen, um so länger bleiben wir bei dem Thema. Es hilft nichts.
    Eines, Herr Scharping, geht wirklich nicht. Wenn Sie in der Aussprache zum Bundeshaushalt 1996 beim Einzelplan des Kanzleramtes in der Generalaussprache über deutsche Politik sagen, wir sollten von den Zukunftsfragen unseres Landes reden, Sie aber zum Bereich der Außenpolitik gerade eineinhalb Sätze in sechzig Minuten zustande bringen, dann zeigt das etwas von der Verkommenheit des Denkens über Prioritäten in Ihrer Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

    - Doch, das zeigt die Verkommenheit des Denkens über politische Prioritäten in unserem Lande. Wenn man sich einmal vor Augen führt, daß, während Sie ein solches Theater aufgeführt haben, entsetzliche Verbrechen in unserer Nachbarschaft in Europa begangen worden sind, daß der Friede in Europa bedroht ist,

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Das hat er doch gesagt!)

    und Sie dazu keine zwei Sätze in sechzig Minuten zustande bringen, dann zeigt das, daß die Prioritäten in der Politik verkommen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


    Dr. Wolfgang Schäuble
    Wir haben die französische Entscheidung, Atomwaffenversuche wiederaufzunehmen, bedauert und davon abgeraten, dies zu tun.

    (Lilo Blunck [SPD]: Das ist Ihre Antwort?)

    - Das ist meine Antwort. Ja, natürlich! Verehrte Frau Kollegin, regen Sie sich ab! Sie haben mich gefragt, und da mußte ich antworten. Ob Ihnen die Antwort gefällt, ist eine andere Frage. Herr Scharping hat, anstatt Antworten zu geben, nur Fragen an den Bundeskanzler gerichtet. Das ist verständlich. Auch ich würde an seiner Stelle die Hoffnung auf den Bundeskanzler setzen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr arrogant!)

    Herr Kollege Scharping, ich halte wenig von dem Gedanken, in einer Bundestagsresolution zum Ausdruck zu bringen, was wir alle lange und frühzeitig und klar gesagt haben:

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na ja!)

    daß wir der französischen Regierung von dieser Entscheidung abgeraten haben, daß wir aber zugleich die deutsch-französische Freundschaft davon unberührt halten wollen und daß wir im übrigen begrüßen, daß die französische Regierung und der französische Präsident für den Abschluß und für die Beendigung aller Atomwaffenversuche - sobald wie möglich - eintreten und daß Frankreich angeboten hat, im Rahmen der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, wenn wir sie endlich haben - wir müssen sie erst noch schaffen -, auch über den Beitrag der französischen Nuklearstreitmacht für europäische Sicherheit gemeinsam zu reden; auch dies begrüßen wir ausdrücklich.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei aller Enttäuschung über die Entwicklung in den letzten Stunden muß ich sagen: Ich kann mir, nachdem ich die Berichte des UNO-Abrüstungsbeauftragten aus dem Irak in den letzten Wochen zur Kenntnis genommen habe, in der Welt, in der wir leben, für die absehbare Zukunft europäische Sicherheit nicht ohne eine nukleare Komponente vorstellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer hat denn in den Irak exportiert?)

    - Ach, lenken Sie doch nicht ab!

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch unglaublich! Über zehn Jahre hinweg wurde dort aufgerüstet! Gegenruf von der CDU/CSU: Ruhe!)

    - Jetzt ist der Kollege Fischer wach geworden. Dazu bedurfte es einer besonderen Anstrengung.

    (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich will ein Zweites sagen. Ich glaube, wir sollten gerade in diesen Tagen, in denen die klare und entschiedene Haltung der NATO zum erstenmal die Aussichten für eine politische Lösung des elenden Kriegs in Bosnien und im ehemaligen Jugoslawien zu verbessern scheint, anerkennen, daß gerade Frankreich und der französische Präsident einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, daß die Haltung der NATO so klar und so entschieden geworden ist. Ich will mich dafür bedanken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Aber, Herr Kollege Scharping und Herr Kollege Fischer - Sie haben ja einen dreizehnseitigen Brief zu dieser Debatte beigesteuert; das war Dünndruck in jeder Hinsicht -, was ist es denn für eine Haltung, auf der einen Seite jetzt die Entscheidung und die Maßnahmen der NATO zu begrüßen - Sie, Herr Scharping, haben in Ihrer Rede gesagt, die Antwort der NATO sei klar und richtig gewesen; dem ist zuzustimmen -, aber zugleich kein Wort dazu zu sagen, daß Sie in der Debatte und Entscheidung des Deutschen Bundestags am 30. Juni den notwendigen deutschen Beitrag dazu verweigert haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir können doch nicht, wie Ihnen, Herr Fischer, aus Ihrer eigenen Fraktion und Partei zu Ihrem Papier vorgehalten worden ist, sagen: Wir kämpfen bis zum letzten Franzosen. So wird der Friede in Europa nicht sicher werden, und so werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Deswegen, Herr Kollege Scharping, wäre heute die Stunde gewesen, die falsche Verweigerungshaltung Ihrer Partei und Fraktion zum Einsatz und zum Beitrag der Bundeswehr und der deutschen Soldaten zum Frieden in Jugoslawien und in Europa aufzugeben, zu korrigieren und zurückzunehmen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich will an dieser Stelle den Soldaten der Bundeswehr, den Soldaten der Luftwaffe wie auch denen des Sanitätsverbandes in Split und allen anderen, meinen Dank, den Dank meiner Fraktion und den Respekt für ihren Mut und ihre Besonnenheit zugleich ausdrücken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich finde, sie haben gerade mit ihrer klaren, ruhigen und besonnenen Haltung zugleich ein Beispiel gegeben. Ich habe mir bei manchen Fernsehinterviews gedacht: Wenn alle Verantwortlichen von großen Verbänden aus Wirtschaft, Politik und sonstwo bei öffentlichen Äußerungen so besonnen und verantwortlich wären, wie sich die Soldaten der Bundeswehr, Herr Bundesverteidigungsminister, in diesen schwierigen Tagen und Wochen gezeigt haben, stünde es besser um die gesellschaftliche Wirklichkeit in unserem Lande.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Dr. Wolfgang Schäuble
    Ich will genauso der Bundesregierung, dem Bundeskanzler, dem Bundesverteidigungsminister und dem Bundesaußenminister danken, daß sie in diesen schwierigen Wochen mit Ruhe, Besonnenheit, Zurückhaltung und zugleich Entschiedenheit den uns Deutschen möglichen Beitrag zu einer besseren Entwicklung in diesem Elend von Gewalt und Verbrechen geleistet haben und weiter leisten. Dabei unterstützen wir die Bundesregierung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist die Schicksalsfrage unseres Landes; denn wenn der Friede in Europa nicht gesichert bleibt oder wieder gesichert wird, wenn Gewalt und unsägliche Verletzungen von Menschenrechten Schule machen, dann ist alles andere nichts. Herr Kollege Scharping, Sie haben zum 1. September an den Satz von einem Ihrer Vorgänger im Amt, Willy Brandt, erinnert, daß der Friede nicht alles ist, aber daß ohne Frieden alles nichts ist. Das ist wahr. Aber dann dürfen wir Deutschen unseren Beitrag dazu nicht verweigern, sonst werden wir unserer Verantwortung für den Frieden nicht gerecht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie haben so wundersame Wandlungen gehabt. Ende vergangenen Jahres haben Sie in Ihrem Weihnachtsbrief noch geschrieben, daß ein deutscher Beitrag zwingend notwendig sei. Im Juni haben Sie dann gesagt, daß man mit Luftangriffen den Frieden auf der Erde nicht erreichen könnte. Das war einer dieser Sätze, die anzuhören einem morgens zwischen 9 und 10 Uhr so schwerfällt, wenn sie so aneinandergereiht werden, weil sie so bedeutungsschwer inhaltlos sind. Sie helfen nämlich keinen Schritt weiter. Jetzt haben Sie wieder gesagt, daß genau dieses die klare, richtige und notwendige Antwort war. Nein, wir müssen ohne jeden falschen Eifer unseren Beitrag leisten, weil wir sonst unserer Verantwortung für unsere und unserer Kinder Zukunft nicht gerecht werden. Deswegen ist es im Interesse der Zukunft unseres Landes mindestens genauso wichtig - so schwer das auch sein mag und so groß die Widerstände bleiben mögen -, daß wir in der europäischen Einigung weiter vorankommen. Herr Bundeskanzler, wir setzen wie Herr Scharping alle Hoffnung auf Sie und Ihre Regierung. Wir werden Sie mit allen Kräften dabei unterstützen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir müssen gegen alle Widerstände, gegen alles, was uns auch im einzelnen nicht gefällt, in dem Prozeß der europäischen Einigung unumkehrbar weiter vorankommen, wenn wir die Verantwortung unserer Generation für eine Zukunft in Frieden und Freiheit nicht versagen wollen.
    Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, eine dritte Bemerkung zu dem machen, was wirklich Zukunftsfragen unseres Landes sind. Es ist in diesen Tagen fünf Jahre her, seit wir den Vertrag über die deutsche Einheit unterzeichnet haben. Ich denke, daß wir bei der Vollendung der deutschen Einheit gut vorangekommen sind. Es ist schwieriger geworden, als wir 1990 geglaubt haben. Aber wir sind viel weiter, Herr Kollege Scharping, als wir es alle miteinander 1992 für möglich gehalten hätten. Was ich allerdings schlimm finde, ist, daß es Ihrem Stellvertreter, Herrn Thierse, aus Anlaß der Unterzeichnung des Einigungsvertrags vor fünf Jahren aus der Feder läuft, daß der Einigungsvertrag auch ein Dokument ideologischen Denkens und Resultat erfolgreicher westlicher Lobbyarbeit sei. Wenn man so mit der deutschen Einheit umgeht, dann ist man unfähig, die Einheit in Deutschland zu vollenden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Im übrigen, Herr Kollege Scharping, was Sie heute zu dem notwendigen Beitrag aus Westdeutschland für den Aufbau in den neuen Bundesländern gesagt haben, das haben wir schon lange gesagt. Ich begrüße, daß Sie es auch gesagt haben. Aber ich habe die Pressemeldungen noch in Erinnerung, in denen Sie Anfang des Jahres gesagt haben, daß der Solidaritätszuschlag nicht notwendig sei und daß Sie ihn bekämpfen würden.
    Ich habe diese Meldungen sogar dabei. Aber wir wollen das nicht vertiefen. Wenn Sie jetzt mit uns gemeinsam die notwendigen Lasten nach vierzig Jahren Teilung sowie sozialistischer Diktatur in einem Teil Deutschlands solidarisch zu tragen bereit sind, ist es gut. Es gilt das, was der Bundesfinanzminister Theo Waigel in seiner so vorzüglichen Rede gestern zum Abbau des Solidaritätszuschlags gesagt hat: So rasch wie möglich wird er abgebaut, aber so lange wie nötig bleibt er erhalten, und er muß solidarisch getragen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Daß Ihre Partei den „Geschmack" aufgebracht hat, das einjährige Jubiläum der Zusammenarbeit von Sozialdemokraten mit Kommunisten in Sachsen-Anhalt mit Sekt im Landtagshof in Magdeburg zu feiern, das, so finde ich, gehört nun wirklich zu den unglaublichen Dingen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie feiern das Jubiläum der Zusammenarbeit mit der kommunistischen PDS. Ich finde, eine Schweigeminute der Schande und der Scham wäre eher angebracht gewesen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Schämt euch! Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie müssen jetzt eine Minute schweigen!)

    - Herr Kollege Fischer, Sie sind nicht mehr allein. Dank der Großzügigkeit der Sozialdemokraten brauchen Sie nicht mehr allein zu sitzen. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, jetzt brauchen Sie nicht mehr soviel zu schreien.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schweigen Sie doch jetzt eine Minute!)

    - Das machen wir während Ihrer Rede. Dort paßt es auch gut.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)


    Dr. Wolfgang Schäuble
    Wenn die so nichtssagend ist wie Ihr Brief, dann ist es auch besser.
    Herr Kollege Scharping, ich habe mir den schönen Satz aus Ihrer Rede gemerkt, daß Deutschland nicht zum Tummelplatz von Gewalttätern werden darf. Aber dann hätte ich mir schon gewünscht, daß Sie ein Wort zu den unglaublichen Vorfällen in Hannover gesagt hätten.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Ob und wie die Bundesratsbank besetzt ist, das wechselt hin und her. Das nehmen wir mit geziemender Demut hin. Aber ich erwarte schon, daß der Ministerpräsident des Landes, der die Verantwortung dafür trägt, daß der Rechtsstaat und der innere Frieden in unserem Lande in einer unerträglichen Weise Schaden gelitten haben, hierherkommt und zu seiner Verantwortung für die Schädigung unseres freiheitlichen Rechtsstaates steht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Tagelang wurden im Fernsehen Bilder gezeigt, übrigens rund um die Welt, wie Hunderte von Polizisten auf Geheiß der Verantwortlichen für die innere Sicherheit im Lande Niedersachsen zugesehen haben, wie Ladengeschäfte geplündert worden sind. In Berichten von Polizisten, die aus anderen Ländern angefordert worden sind, wird beschrieben, wie es ihnen ergangen ist: Sie mußten sich während dieser Tage in Sportgeschäften Eishockeyschoner beschaffen, weil die Ausrüstung der Polizei für diese gewalttätige Auseinandersetzung völlig unzureichend gewesen ist.
    Meine Damen und Herren, das ist keine Sache von Hannover und von Niedersachsen. Wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, das Gewaltmonopol wahrzunehmen, verkommen der innere Frieden und der freiheitliche Rechtsstaat. Das ist eine Frage von gesamtstaatlicher Bedeutung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir treiben Schindluder mit den Polizisten, und wir treiben Schindluder mit den Interessen der Bürger, die darauf vertrauen, daß ihr Staat Frieden, Freiheit, Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum schützt, wenn durch die Entscheidung der Verantwortlichen der innere Frieden und die innere Sicherheit nicht mehr gewahrt werden. Das hätten Sie sagen müssen, Herr Scharping. Denn es ist eine Sache, die Sie als Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands betrifft.

    (Günter Verheugen [SPD]: Aber es gibt auch so etwas wie Gewaltenteilung in diesem Land!)

    - Wenn irgend etwas schiefgeht, wird sofort nach der Bundesverantwortung gerufen. Herr Bundesgeschäftsführer der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, was in Hannover geschehen ist, wirkt weit über das Land Niedersachsen hinaus. Deswegen muß vor dem Forum der Nation, im Deutschen
    Bundestag, darüber geredet werden. Es darf sich nicht wiederholen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Niemand kann ja von Herrn Schröder sagen, daß er in den letzten Wochen und Monaten nicht hinreichend in allen Medien präsent gewesen sei. Aber daß er tagelang zu diesen unglaublichen Vorkommnissen trotz Handy und Hillu kein Wort gefunden hat, ist ein unglaublicher Skandal.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Am Ende sagte er nach tagelangem Wegtauchen: Na ja, wenn solche Ereignisse nur durch eine Änderung des geltenden Rechts zu unterbinden sind, muß man das tun. Und ebenfalls erst nach Tagen sagte er, die Menschen in Hannover hätten ein Recht darauf, daß es zu solchen Gewalttätigkeiten nicht kommt, und es sei die Pflicht der Landesregierung, das ihr Mögliche zu tun, diese zu verhindern. Gegen genau diese Pflicht hat sie verstoßen, genau diese Pflicht hat sie sträflich verletzt.
    Meine Damen und Herren, daß Niedersachsen den Verfassungsschutz in einer unverantwortlichen Weise abgebaut hat, daß die Bereitschaftspolizei in Niedersachsen kaum noch funktionsfähig ist, daß die Ausrüstung der niedersächsischen Polizei nichts taugt, daß das niedersächsische Polizeigesetz nicht die notwendigen rechtlichen Möglichkeiten aufwies und man diese jetzt erst schaffen will,

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: In NRW wird es genauso!)

    das alles, Herr Kollege Fischer, ist eine Folge rotgrüner Politik, an der Ihre Partei ja großen Anteil hat.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Da hilft es wenig, hinterher, wenn das Kind im Brunnen liegt, zu sagen, jetzt müßten Korrekturen vorgenommen werden. Herr Kollege Scharping, weil rot-grüne Politik, ob in Niedersachsen oder in Hessen oder wo immer, stets solche katastrophalen Ergebnisse erzielt, ist es ein solches Desaster, daß wir jetzt im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen auch eine rot-grüne Regierung haben.

    (Zuruf von der SPD: Die werden wir auch in Bonn haben! Stefan Heym [PDS]: Reden Sie über die Arbeitslosigkeit!)

    - Ja, ich wollte gerade dazu kommen. Wenn wir über Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, soziale Sicherheit reden, meine Damen und Herren, dann ist das Allerwichtigste, daß es uns weiterhin gelingt, unsere Wirtschaft in Ordnung zu halten. Wir sind ja gegenwärtig in einer wirtschaftlich guten Lage. Sie haben wenig zum Haushalt gesagt; es fiele Ihnen ja auch schwer.

    (Günter Verheugen [SPD]: Aber Sie! Joachim Poß [SPD]: Sie haben schon viel dazu gesagt, nicht? Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie reden dauernd über den Haushalt!)


    Dr. Wolfgang Schäuble
    Sie hätten ja vielleicht noch sagen können, was Sie von den Rahmendaten der deutschen Finanzpolitik - das hat ja etwas mit dem Haushalt zu tun - halten. Sie werden ja wohl nicht darüber hinwegsehen können, daß wir die niedrigste Preissteigerungsrate seit Jahren haben, daß wir dank der Finanzpolitik der Bundesregierung, des Finanzministers Theo Waigel und der Koalition die niedrigsten Zinsen seit Jahren haben - das alles trotz der gewaltigen und historisch einmaligen Sonderbelastungen nach 40 Jahren deutscher Teilung -, daß OECD wie Weltbank der Finanzpolitik dieser Bundesregierung Gütezeichen verliehen und sie als vorbildlich für alle Industrieländer bezeichnet haben. Dazu haben Sie natürlich nichts gesagt.
    Aber das ist ja das Entscheidende, denn das sind die Rahmendaten, die die Weichen dafür stellen und die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir wirtschaftlich in einer guten Entwicklung sind, daß wir Schwankungen des Dollarkurses verkraften und eine stetige konjunkturelle Aufwärtsentwicklung verzeichnen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das ist noch nicht alles; aber das ist die Voraussetzung dafür, daß wir überhaupt in der Lage bleiben, weiterhin an der Lösung der vorhandenen Probleme zu arbeiten. Wir hätten nicht die Kraft für die Überwindung der Folgen der deutschen Teilung, für den Aufbau der neuen Bundesländer, wenn wir nicht in einer guten wirtschaftlichen Entwicklung wären. Wir haben nicht die Kraft, in einem weltweit härter werdenden Wettbewerb um Arbeitsplätze und den Standort von Investitionen wettbewerbsfähig und konkurrenzfähig zu bleiben, wenn wir nicht eine gute wirtschaftliche Entwicklung haben.
    Aber wir müssen - auch darüber ist zu reden - diese gute wirtschaftliche Entwicklung weiterhin nutzen. Deswegen muß auch die Finanzpolitik genauso fortgesetzt werden, und deswegen unterstützen wir diesen Bundeshaushalt und werden ihn durchsetzen. Wir müssen sie nutzen, um in einer sich so schnell verändernden Welt die Grundlagen für Wohlstand, für soziale Sicherheit und das Ziel „Arbeit für alle" nicht aus den Augen zu verlieren. Daran muß gearbeitet werden.
    Herr Kollege Scharping, es geht nicht, daß man auf der einen Seite Ludwig Erhard zitiert - das war übrigens die beste Passage Ihrer Rede; das ist kein Wunder -

    (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

    und den Wert der Tarifautonomie verteidigt und dann anschließend in derselben Rede für alle Fehlentwicklungen der Tarifpartner die Bundesregierung verantwortlich macht. Entweder wir haben Tarif autonomie, oder wir haben sie nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wenn wir Tarifautonomie haben - und wir verteidigen sie -, dann müssen wir allerdings die Tarifpartner auch für das in Anspruch nehmen, wofür sie die Verantwortung tragen. Die Tarifpartner tragen in erster Linie die Verantwortung für Vollbeschäftigung in unserem Lande. Das muß gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Zuruf von der SPD: Sie verabschieden sich doch davon!)

    - Nein, ich wehre mich doch nur gegen den Widerspruch. Ich weiß nicht, ob Sie nicht lernfähig sind; wahrscheinlich sind Sie es nicht.
    Der schlimmste Fehler, den Bundeskanzler Brandt 1969 insoweit gemacht hat, war die Abgabe einer Vollbeschäftigungsgarantie durch den Staat. Damit hat er nämlich die Tarifpartner von der Verantwortung für die Vollbeschäftigung scheinbar entbunden,

    (Widerspruch bei der SPD)

    und mit dem Elend haben wir es seitdem zu tun.
    In einem freiheitlichen Staat, in einer Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft mit Tarifautonomie muß der Staat das Seine tun, aber er kann die Tarifpartner nicht von ihrer Verantwortung entbinden. Wer so redet wie Sie, treibt die Entwicklung genau in die falsche Richtung.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wie stellt sich die Situation bei den Investitionsentscheidungen dar? Lassen Sie sich die Zahlen doch einmal geben: Wo sind Investitionen in Arbeitsplätze in Deutschland möglich? Wie ist die Gefahr der Abwanderung?
    Wir wissen doch, daß angesichts einer nicht befriedigenden Lage auf dem Arbeitsmarkt die Gefahr, daß weitere Arbeitsplätze abwandern, nicht gebannt ist, weil jeder Investor, jeder Betrieb immer wieder neu prüfen muß: Bin ich überhaupt noch wettbewerbsfähig?
    Deswegen hilft es doch gar nichts: Wir müssen auch bei den Lohn- und Lohnnebenkosten konkurrenzfähig bleiben oder teilweise erst wieder werden. Auch dafür tragen übrigens in allererster Linie die Tarifpartner Verantwortung.
    Wir kommen deshalb nicht darum herum, flexibler zu werden, zu deregulieren und Lohn- und Lohnnebenkosten zu begrenzen und, wo möglich, auch abzubauen.
    Dazu haben Sie zwar Fragen gestellt, aber nicht eine einzige Antwort gegeben. Ich bitte Sie herzlich: Wenn man den Anspruch hat, deutsche Politik mitgestalten zu wollen, darf man sich nicht darauf beschränken, nur Fragen zu stellen, sondern man sollte gelegentlich auch die eine oder andere Antwort geben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)