Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier, für mich ist es ein unglaublicher Vorgang in diesen Wochen, mit welcher Chuzpe Sie sich verhalten in Interviews, in Reden am heutigen Tage und auch in Ihrem Beifall, als Herr Finanzminister Waigel davon gesprochen hat, daß diese Sondersitzung so unnötig wie ein Kropf sei.
Meine sehr verehrte Kollegin Matthäus-Maier, es wird Ihnen mit noch so viel Rabulistik in diesen Tagen und Wochen nicht gelingen, die tatsächliche Verantwortung für das Scheitern Ihrer Vorstellungen auch am heutigen Tage zu verwischen. Deshalb werde ich mich mehr, als es der Inhalt Ihrer Rede eigentlich verdient hätte, mit Ihren Ausführungen, gerade auch denen von heute, befassen.
Hans-Peter Repnik
Wir werden nämlich nicht zulassen, daß Sie vor laufenden Fernsehkameras die Bürger mit Ihren Ausführungen einmal mehr hinters Licht führen.
- Ich werde dies Punkt für Punkt begründen.
Geben Sie es doch ganz einfach zu: Wir, diese Koalition, haben vor, die Bürger zum 1. Januar 1996 um mehr als 22 Milliarden DM zu entlasten. Sie kommen mit Ihrem Vorschlag, der heute zur Abstimmung steht, nur hin, wenn Sie Steuern erhöhen. Wir senken Steuern, Sie erhöhen Steuern. Dies ist die einfache Wahrheit.
Nachdem Sie so aufgetreten sind, wie es hier der Fall war - ich hätte das gar nicht für möglich gehalten -, kann ich nur sagen: Ihre Reden, Ihre Interviews und Ihre Vorschläge stehen in einem diametralen Widerspruch zu Ihrem Beitrag im Verfahren der Lösungssuche. Ich wünschte mir mehr Konstruktives,
als Sie es in diesen Wochen gezeigt haben.
Ihr Vorschlag, so wie er heute auf dem Tisch liegt - auch darauf hat der Finanzminister hingewiesen -, erzeugt eine Deckungslücke von mehr als 10 Milliarden DM in einem Jahr.
Sie haben darauf keine Antwort gegeben.
Sie satteln drauf, auch heute wieder, während die Ministerpräsidenten Ihrer Partei darauf hinweisen, daß sie nicht mehr als 7 Milliarden DM verkraften können. Werden Sie sich einmal einig: Wer hat das Sagen, Scharping, Matthäus-Maier oder Lafontaine? Bis heute sind Sie uns auch darauf eine Antwort schuldig geblieben.
Was Sie uns heute hier vorgeführt haben, ist noch mieser als ein mieser Taschenspielertrick. Wir werden darauf nicht hereinfallen.
- Ich antworte nur auf Ihre Anwürfe, Frau MatthäusMaier.
Herr Fraktionsvorsitzender Scharping, Sie fahren genau in dem Stil fort, den Frau Matthäus-Maier heute gepflegt hat, nämlich die Bürger hinters Licht zu führen.
Mir liegt der Entwurf einer Anzeige vor, die Sie offensichtlich morgen bundesweit schalten. Er war heute Gegenstand Ihrer Fraktionssitzung. Hier wird den Bürgern einmal mehr versprochen, was sie bekämen, wenn man Ihren Vorschlag annimmt,
und es wird beklagt, was wir nicht zu geben bereit seien.
Herr Kollege Scharping, zur Wahrheit gehört auch, dem Bürger zu sagen, wie alle diese Versprechungen finanziert werden sollen.
- Ich werde Ihnen die Antwort geben, ich habe sorgfältig hingehört.
Wenn Sie all dies, was Gegenstand dieses Gesetzentwurfes ist, umsetzen wollen, dann haben Sie nur die eine Möglichkeit - sie wurde in den Verhandlungen wiederholt angedeutet -, nämlich die Steuern zu erhöhen: Entweder Sie schaffen eine Stromsteuer, oder Sie erhöhen die Mineralölsteuer. Beide Steuerarten treffen die von Ihnen angeblich so sehr geschützten Bürgerinnen und Bürger, die Familien und den Kleinverdiener, unverhältnismäßig.
Ich bin auch deshalb so enttäuscht, und dieser Vorgang ist um so ärgerlicher, weil eine Einigung doch zum Greifen nahe war.
- Ich werde dies begründen. - Deshalb ist das Verhalten der SPD im Vermittlungsausschuß nicht nur falsch; es ist unverantwortlich. Und es ist zynisch, SPD-interne Konflikte auf dem Rücken der Bürger auszutragen.
Sie haben ein unnötiges Ende des Vermittlungsverfahrens erzwungen. Wir hätten die ganze Woche verhandeln können, heute hätten wir vielleicht ein Ergebnis.
Hans-Peter Repnik
An uns hat es nicht gelegen, sondern an Ihrem Unwillen und an der Tatsache, daß Ihr Verhandlungsführer den Urlaub dem Verhandeln vorgezogen hat.
Ausschließlich Ihrem Verhalten am vergangenen Freitag mit diesem erzwungenen Abbrechen des Verfahrens ist die Verunsicherung der Bürger zuzuschreiben. Sie gefährden Steuerentlastungen ab 1. Januar 1996 von 22 Milliarden DM. Das haben Sie und nicht Theo Waigel - er möchte sie den Bürgern geben - zu verantworten, niemand anders.
Sie tragen eine unverantwortliche Verunsicherung in die Finanzverwaltung hinein, weil Sie wissen, daß sie Vorlaufzeiten benötigt, um all die Tabellen umzusetzen. Auch dies haben Sie mit Fleiß - so möchte ich fast sagen - gemacht.
Sie haben diese Bundestagssondersitzung provoziert, die Sie uns und dem Steuerzahler hätten ersparen können.
Frau Matthäus-Maier, Sie haben vorher die Frage an uns gestellt, warum wir diese Sondersitzung beantragt haben.
Aus einem einzigen Grund: weil wir uns im Gegensatz zu Ihnen der Verfassung unterwerfen und beachten, daß das Verfassungsgericht uns aufgetragen hat, bis zum 1. Januar 1996 die Frage des Existenzminimums zu klären.
Wenn wir nicht sofort wieder in die Verhandlungen gehen, ist dieser Termin gefährdet.
Wir wollen dem Bürger Klarheit über seine Steuerentlastungen geben - schnell, nicht erst irgendwann im November. Wir wollen der Steuerverwaltung die Chance geben, sich darauf einzustellen. Deshalb brauchen wir heute diese Sitzung.
Sie sind heute auf alte Maximalforderungen zurückgefallen.
Lafontaine, Ihr Verhandlungsführer, hat den Partei- und Fraktionsvorsitzenden, die gesamte Fraktion am laufenden Band brüskiert. Sie sitzen da; Sie schweigen; Sie kommentieren das noch nicht einmal.
Auch das führt zu dieser Situation.
Der niedersächsische Ministerpräsident Schröder hat sich in wesentlichen Punkten der Meinung dieser Koalition angeschlossen.
Klugerweise ist er der entscheidenden Sitzung ferngeblieben, weil er dies nicht mitverantworten und nicht mittragen wollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben am vergangenen Freitag bis zum Schluß sämtliche Türen offengehalten. Der Bundesfinanzminister hat Angebote gemacht, auf die selbst der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Schleußer, gern eingegangen wäre, wenn er das Mandat gehabt hätte. Man hat ihm dieses Mandat nicht gegeben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten ein Verfahren im Vermittlungsausschuß. Was heißt eigentlich Vermittlungsausschuß? Der Vermittlungsausschuß soll vermitteln. Er hat den Auftrag, die Pflicht, ergebnisorientiert zu arbeiten. Sie haben mit Ihrem Verhalten die Aufgabe des Vermittlungsausschusses geradezu pervertiert. Sie haben das Verfassungsorgan Bundesrat und den Vermittlungsausschuß zu parteipolitischen Zwecken mißbraucht.
Dies spricht sich übrigens langsam herum - auch in Kommentaren. Ich möchte mit Erlaubnis der Frau Präsidentin noch einmal die heutige „Süddeutsche Zeitung" zitieren. Ich glaube, es lohnt sich, das nachzulesen. Die Überschrift des Artikels lautet: „Und Oskar rastet in Kanada". Ich möchte nur die letzten beiden Sätze zitieren:
Denn wäre die Opposition tatsächlich um das Wohl von Geringverdienern und Familien so besorgt, wie sie es ständig betont, dann würde sie ab sofort - mit oder ohne Oskar - auf Biegen und Brechen für ihre Positionen weiterkämpfen. Indem sie darauf verzichtet, demonstriert sie, daß bei ihr nicht die Sache, sondern das machtpolitische Kalkül im Vordergrund steht.
Solche und ähnliche Kommentare, Herr Kollege Scharping, können Sie auch mit noch so heftigem Klatschen nicht aus der Welt schaffen. Dies wird Sie treffen.
Ich betone noch einmal und unterstreiche das, was der Finanzminister hier vorgestellt hat: Das Konzept der Koalition ist schlüssig.
Hans-Peter Repnik
Wir wollen 22,4 Milliarden DM Nettoentlastung. Jeder, der dieses Konzept angeschaut hat - Frau Matthäus-Maier weiß es besser, als sie es hier dargestellt hat -, weiß, daß mit diesem Konzept gerade untere und mittlere Einkommensschichten in besonderem Maße bedacht werden.
Was ich angesichts der Auseinandersetzung mit den Ländern für genauso wichtig halte, ist: Wir haben das Leistungsverhältnis im Rahmen des Familienleistungsausgleichs zwischen Bund und Ländern eindeutig geregelt. Frau Matthäus-Maier, wir sind Ihnen entgegengekommen. Sie können uns hier nicht in eine Sündenbockrolle hineinreden. Wir sind beim Existenzminimum so gut wie zusammengekommen. Wir waren beim Kindergeld ganz nahe zusammen. Wir haben den Schlüssel für die Festschreibung der Anteile von Bund und Ländern garantiert: 74 % zu 26 %. Dies haben doch die Finanzminister der Länder ebenfalls goutiert. Ich gehe davon aus, Herr Kollege Kühbacher wird nachher dazu etwas sagen. Der Finanzminister war bereit, diesen Schlüssel sogar in das Finanzausgleichsgesetz hineinzunehmen, um ihn damit gesetzlich festzuschreiben.
Wir haben Ihnen angeboten, den Umsatzsteueranteil ohne irgendeine Revisionsklausel um 5 Prozentpunkte anzuheben. Wir haben Ihnen in den Verhandlungen vorgerechnet, daß durch eine Anhebung des Umsatzsteueranteils um 5 Prozentpunkte auch künftige Anpassungen beim Existenzminimum genauso wie Anpassungen beim Kindergeld durch die dynamisch wachsende Umsatzsteuer für die Länder gewährleistet werden. Die Länder und die Gemeinden hätten damit nur einen Gewinn erzielen können.
Der Finanzminister ging weiter: Er hat angeboten, daß wir den Gemeinden zusätzlich 1 % der Einkommensteuer einräumen, um die Gemeindeausfälle damit zu kompensieren. Sie sind auf diesen Vorschlag gar nicht eingegangen. Das Schicksal der Kommunen in diesem Zusammenhang hat Sie gar nicht interessiert.
Wir waren uns auch hinsichtlich des Subventionsabbaus weitgehend einig.
Wie sieht dieses Vermittlungsergebnis heute aus? Der Finanzminister hat schon darauf hingewiesen: Wir haben eine unglaubliche Defiziterhöhung des Bundes.
Frau Matthäus-Maier, Theo Waigel hat nichts zurückzunehmen.
Sie haben ihn aufgefordert, etwas zurückzunehmen. Wir haben durchgerechnet, was Ihr Gesetzentwurf bedeuten würde. Ich spreche nicht von dem, was Sie in Interviews oder sonstwo zum Besten geben. Ich beziehe mich ausschließlich auf Ihren Gesetzentwurf, der heute hier zur Beratung und zur Abstimmung steht.
Nach diesem Gesetzentwurf sieht es wie folgt aus: Wenn er jetzt Wirklichkeit würde, hätten wir damit für das Jahr 1996, für das Entstehungsjahr, im Vergleich zu unserem Gesetzentwurf ein um 10,98 Milliarden DM höheres Defizit des Bundes. Wenn ich die Beträge für die Zeit von 1996 bis 1999 zusammenrechne, dann kommen wir auf der Grundlage Ihres Entwurfs zu einem um 47,2 Milliarden DM höheren Defizit.
Dies ist doch ein unverantwortliches Handeln. Auch deshalb müssen wir den Entwurf ablehnen.
Sie haben das Thema der Bereitschaft der Länder zum Ausgleich angesprochen. Verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, der Bundesfinanzminister hat in den Verhandlungen angeboten, den gesamten Ausgleich nicht nur vorzunehmen, sondern ihn auch gesetzlich festzuschreiben. Wenn man weiß, daß alle Finanzgesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig sind, dann weiß man auch, daß die Länder den Hebel in der Hand haben und entscheiden können, ob solch ein Gesetz geändert wird oder nicht. Das heißt, man hat sich mit dieser gesetzlichen Garantie in die Hand der Länder begeben.
Was haben Sie jetzt gemacht? In Ihrem Gesetzentwurf steht, daß der Ausgleich durch einen um 2 % höheren Umsatzsteueranteil erfolgen soll. Wir haben aber ausgerechnet, daß der Ausgleich 5 Prozentpunkte bei der Umsatzsteuer ausmacht. Das war das Angebot des Finanzministers. Sie bieten 2 %, und den Rest soll wieder der Bund finanzieren.
Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Auch deshalb ist dieser Vorschlag unseriös.
Ich möchte gerne noch eine Anmerkung zum Thema Ehegattensplitting machen, die über das hinausgeht, was der Finanzminister gesagt hat. Wir wissen doch, daß das Ehegattensplitting keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung ist, wie das von der SPD immer wieder dargestellt wird. Das Ehegattensplitting steht unter dem Schutzgebot des Art. 6. Was Sie zu diesem Thema heute hier gesagt haben, war purer Klassenkampf. Sie sollten sich schämen, denn Sie wissen es doch besser, Frau MatthäusMaier.
Sie wissen doch ganz genau, daß das Ehegattensplitting insbesondere dort Wirkung entfaltet, wo ein Ehegatte auf außerhäusliche Arbeit verzichtet, z. B. wegen Kindererziehung, Betreuung von Enkelkindern oder von pflegebedürftigen Angehörigen. Denen wollen Sie jetzt diesen Vorteil nehmen. Das kann doch kein ehrlicher Vorschlag sein.
Hans-Peter Repnik
Kollege Thiele hat darauf hingewiesen: Wir machen uns derzeit Gedanken darüber, den Standort Deutschland zu verbessern. Das geht nur, wenn wir die Staatsquote abbauen. Das geht nur, wenn wir die Bürger auf Dauer steuerlich entlasten.
Sie haben den Eindruck vermittelt, das, was Sie vorgeschlagen haben, sei ein Einstieg in die ökologische Steuerreform. Das ist alles andere als ein Einstieg in die ökologische Steuerreform; denn wenn sie wirken soll, wenn wir der Wirtschaft gerecht werden wollen und damit Arbeitsplätze sichern und die Umweltherausforderungen ebenfalls annehmen wollen, dann bedeutet das, daß eine ökologische Steuerreform, wenn sie kommt, nur aufkommensneutral funktionieren kann. Sie wollen das Aufkommen aus einer Stromsteuer oder einer Erhöhung der Mineralölsteuer einseitig zur Finanzierung von Sozialausgaben einsetzen.
- Kindergeld.
- Ja, das gehört zum sozialen Bereich. Herr Kollege Scharping, wenn wir den Standort Deutschland nicht gefährden wollen, wenn wir Arbeitsplätze sichern wollen, dann dürfen wir nicht neue Steuern einführen, sondern dann müssen wir vorhandene Steuern abbauen.
Wenn sie eine ökologische Wirkung haben soll, dann müssen wir ökologisch bedingte Steuern auf der anderen Seite wieder zurückgeben. Nur dann macht das ganze Verfahren einen Sinn. Ihr Verfahren ist auf jeden Fall kontraproduktiv.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus all diesen Gründen sind wir nicht bereit, diesem Gesetz zuzustimmen. Wir tragen Steuererhöhungen nicht mit, und wir werden - stellen Sie sich bitte darauf ein - auch in einem weiteren Vermittlungsverfahren, das vor uns liegt, diesen Weg nicht mitbeschreiten.
Wir bitten Sie herzlich, Herr Kollege Struck: Geben Sie Ihre Blockadepolitik auf,
suchen Sie mit uns eine gemeinsame Lösung zum Wohle der Bürger, eine Lösung insbesondere zum Wohle der Familie.
Wir sind dazu bereit, aber wir reichen Ihnen nicht die
Hand zu höherer Verschuldung und zu höheren
Steuern. Deshalb lehnen wir ab und fordern Sie auf,
so schnell als möglich wieder an den Tisch zu kommen, um gemeinsam eine konstruktive Lösung im Sinne und zum Wohle der Bürger zu finden.