Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Waigel, Sie haben Ihre Rede mit den Worten begonnen: Die Bürger haben kein Verständnis für diese Sondersitzung. - Wir haben zwar geklatscht. Aber ich frage mich, warum Sie sie überhaupt beantragt haben.
Um was geht es heute in der Sache? Die Regierungskoalition hat vor wenigen Wochen, gegen die Minderheit der SPD, hier im Bundestag das Jahressteuergesetz 1996 beschlossen. Die SPD hat im Vermittlungsausschuß mit ihrer Mehrheit gegen Sie als Minderheit Verbesserungen durchgesetzt: deutlich höhere steuerliche Entlastungen für den Durchschnittsverdiener und eine stufenweise Anhebung des Kindergeldes auf 250 DM.
Da es immer etwas theoretisch klingt, wenn man von „steuerfreiem Existenzminimum" redet, und die Bürger nicht genau wissen, was mit einer Freistellung von 12 000 oder 13 000 DM gemeint ist, will ich das einmal umrechnen. Das, was die SPD im Vermittlungsausschuß gegen Ihren erbitterten Widerstand durchgesetzt hat, bedeutet für eine durchschnittliche Familie mit zwei Kindern: im Jahre 1996 eine zusätzliche Entlastung von 480 DM, im Jahre 1997 eine zusätzliche Entlastung von 640 DM, im Jahre 1998 eine zusätzliche Entlastung von 830 DM und schließlich im Jahre 1999 im Vergleich zu Ihrem Bundestagsbeschluß eine zusätzliche Entlastung von 1 700 DM.
Sie könnten dem heute zustimmen. Wir appellieren an Sie: Tun Sie es! Aber Sie haben die Sondersitzung beantragt, um diese Verbesserungen für Durchschnittssteuerzahler und Familien mit Kindern zu verhindern.
Wer diese Entlastungen blockieren will, der handelt unverantwortlich. Wenn Herr Schäuble das, was wir hier diskutieren, ein „Affentheater" nennt, dann macht dies nur deutlich, daß Sie nicht mehr wissen, wie es im Portemonnaie von Otto Normalverbraucher und Eltern mit Kindern aussieht.
Warum ist die Einigung bisher nicht gelungen? Es waren insbesondere drei Punkte. Der erste Punkt: Sie waren und sind bis heute nicht bereit, das Kindergeld schon in 1996 auf 220 DM anzuheben. Erinnern Sie sich noch an die Debatten der letzten Jahre? Sie haben scharfe ideologische Auseinandersetzungen geführt, als wir - ich selber - unzählige Male hier gefordert haben, den Kinderfreibetrag bei der Steuer abzuschaffen, weil die Entlastung mit steigendem Einkommen der Eltern steigt, und statt dessen ein einheitliches Kindergeld einzuführen. Das haben Sie alles abgelehnt. Sie haben sich inzwischen bewegt, Gott sei Dank! Das haben wir begrüßt. Durch Ihren Vorschlag, 200 DM Kindergeld vom ersten Kind an zu zahlen, erhalten 95 % der Familien in Zukunft ein Bleichhohes Kindergeld. Ich bin ganz sicher: Ohne unsere Hartnäckigkeit im Bundestagswahlkampf
Ingrid Matthäus-Maier
und hier im Bundestag hätten wir die 200 DM bei Ihnen nicht herausgeholt.
Aber: Können Sie mir sagen, warum Sie sich so penetrant gegen die Anhebung auf 220 DM sperren? Für Spitzenverdiener sehen Sie die Anhebung des Kinderfreibetrages bei der Steuer vor mit der Folge, daß Spitzenverdiener - damit das klar ist: Das sind Leute, die im Jahr mehr als 240 000 DM zu versteuerndes Einkommen haben; das können brutto über 300 000 DM sein - durch die Erhöhung des Kinderfreibetrages eine Entlastung von monatlich 277 DM bekommen. Das heißt: Sie haben für 277 DM Entlastung für die Spitzenverdiener gekämpft und wehren sich gegen 220 DM Kindergeld für Otto Normalverbraucher!
Allein diese Kindergelderhöhung für 1996 bedeutet für eine Familie mit zwei Kindern 480 DM im Jahr. Sie aber sagen, wir wollten alles oder nichts. Herr Waigel, wir sind Ihnen doch entgegengekommen. Wir haben gar nicht verlangt, daß Sie gleich für 1996 die 250 DM ansetzen. Vielmehr haben wir einen Stufenplan vorgestellt, der 250 DM für 1990 vorsieht.
- 1999, natürlich rückwirkend können auch wir das leider nicht. Da alle Familienverbände Ihnen und uns sagen, Ihre 200 DM reichten nicht aus, appellieren wir an Sie: Blockieren Sie nicht länger diese Verbesserungen für die Familien mit Kindern! Stimmen Sie unserem Beschluß heute zu! Dann wissen die Familien, woran sie sind.
Wir bleiben auch dabei, daß das Kindergeld gleich mit der Steuerschuld verrechnet werden sollte. Bei 250 DM Kindergeld würde das bei einer Familie mit zwei Kindern bedeuten, daß die Eltern gleich 2 x 250 DM = 500 DM weniger Lohnsteuern zahlen würden. Das sogenannte Zuordnungsmodell führt aber, wie wir alle wissen, zu milliardenschweren Verschiebungen zu Lasten von Ländern und Gemeinden.
Meine Damen und Herren, es ist keine parteipolitische Auseinandersetzung, sondern eine Frage der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, wie wir dieses Problem lösen. Seien wir doch ehrlich miteinander: Ich war in den Vorgesprächen und im Vermittlungsausschuß dabei, als Ihr Herr Stoiber aus Bayern oder Ihr Herr Mayer-Vorfelder aus BadenWürttemberg genau die gleichen Bedenken geltend gemacht haben. Herr Waigel, solange Sie den Ländern keine Garantie geben, daß sie nicht nach wenigen Jahren wieder mit höheren Beträgen belastet werden, als jetzt zugesagt, werden Sie keine Zustimmung der Länder bekommen - seien sie SPD-geführt, seien sie CDU- bzw. CSU-geführt.
Hinzu kommt, Herr Waigel - das muß ich einfach mal sagen, der ich ja, wie Sie sich gut erinnern, das Zuordnungsmodell in allen Gesprächen und auch hier im Bundestag vertreten habe; daher ist das überhaupt kein Widerspruch -: Sie haben in den letzten Wochen - wie ich finde, völlig unnötigerweise - Mißtrauen in den Ländern gesät. Das fängt damit an, daß Sie im März gesagt haben, die Länder sollten Bittsteller sein und nicht Sie. Sie fordern 14 Milliarden DM aus dem Solidarpakt zurück, den Sie mit unterschrieben haben. Sie haben in Ihrem Entwurf für den Haushalt 1996 erneut die Kürzung der Arbeitslosenhilfe vorgesehen, wobei jeder weiß, daß Milliarden auf die Gemeinden verschoben werden. Sie sehen im Etat 1996 mal so eben vor, daß die finanzielle Verantwortung für die unentgeltliche Beförderung der Schwerbehinderten im Personennahverkehr aus dem Bundeshaushalt in die Länderhaushalte verschoben wird. Sie weigern sich, zu einem von uns beantragten zeitlich befristeten Investitionsprogramm zur Erfüllung des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz beizutragen.
Da kann ich nur sagen, meine Damen und Herren: Wer die Länder so provoziert, der darf nicht hoffen, daß er eine Woche später von ihnen Zustimmung erhält.
Der Beschluß des Vermittlungsausschusses führt - Sie haben es hier zu Recht dargelegt - zu erheblichen überproportionalen Belastungen des Bundes. Aber Sie wissen, daß wir das ausgleichen wollen. Wir haben mit unserer Mehrheit im Vermittlungsausschuß folgendes beschlossen: Die Länder erklären sich bereit, die dem Bund durch das Ländermodell entstehenden überproportionalen Belastungen fair und angemessen auszugleichen.
Gegenseitige Schuldzuweisungen und auch dieses Gelächter führen uns nicht weiter.
Ich wiederhole: Wir müssen uns einigen. Das scheinen Sie manchmal zu vergessen, habe ich den Eindruck, wenn ich den Ton dieser Debatte höre.
Nach dem Waigel-Modell müssen die Länder entlastet werden, weil sie überproportional belastet werden. Nach dem Vermittlungsausschußmodell ist die ganze Chose umgekehrt, d. h., auf jeden Fall muß ausgeglichen werden, so oder so herum. Das kann im Laufe der nächsten Gesetzgebungsverfahren geschehen.
Ich halte den Föderalismus für die tragende Säule unseres demokratischen Systems. Es wäre aber ein Armutszeugnis für den Föderalismus - auch die Bürger würden das nicht verstehen -, wenn eine sinnvolle Reform an Finanzausgleichsproblemen scheitern würde. Deswegen lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, daß wir zu einer vernünftigen Lösung kommen. Wenn schon Zuordnungsmodell, Herr Waigel, dann aber bitte auch die 220 DM Kindergeld, die Sie gerne vergessen.
Ingrid Matthäus-Maier
Zweiter Streitpunkt: das steuerfreie Existenzminimum. Sie haben sich in diesem Punkt bewegt, Gott sei Dank. Aber Sie tun so, als sei das ein großes Entgegenkommen gegenüber der SPD. Ihr erster Tarifvorschlag im September war verfassungswidrig. Er hatte diesen häßlichen Buckel. Ein bestimmtes Wort lieben Sie nicht; aber alle Leute wissen, daß das der Tarifbuckel war, der unerträglich war.
Dann haben Sie einen zweiten Tarifvorschlag vorgelegt; den fanden selbst Ihre eigenen Leute unerträglich. Im März sind Sie dann endlich mit einem neuen Tarifvorschlag übergekommen. Wir haben das begrüßt. Aber er reicht noch nicht aus.
Bürgerinnen und Bürger verstehen meist nicht, was das heißt: 12 000 DM oder 13 000 DM steuerfrei, bei Verheirateten 24 000 DM oder 26 000 DM. Das bedeutet, daß der Staat beim Bürger nicht das über Steuern abkassieren darf, was ihm als Existenzminimum zusteht. Sie wollen auch 1997 ein steuerfreies Existenzminimum von 12 000 DM. Aber in Ihren eigenen Papieren steht: Bei dieser Art der Anpassung, nämlich 1997 keine Erhöhung, liegt der Grundfreibetrag im Jahr 1997 voraussichtlich etwas unter dem Sozialhilfeniveau.
Als wir in den Gesprächen entgegengehalten haben, das ginge doch nicht, das verstieße doch gegen die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes, daß man die Menschen so scharf besteuert, daß sie unter das Sozialhilfeniveau sinken, haben Sie wörtlich gesagt, das Verfassungsgericht erlaube vorübergehend einen Durchhänger, d. h. eine Unterschreitung des verfassungsrechtlichen Minimums um 10 % bis 15 %. Herr Waigel, wohin sind wir denn eigentlich gekommen?
Ich teile auch als Juristin Ihre Meinung ausdrücklich nicht. Ich halte das Festhalten an 12 000 DM Grundfreibetrag 1997 für verfassungswidrig. Der Staat darf den Menschen nicht durch Steuern abnehmen, was sie als Existenzminimum brauchen, und da reichen die 12 000 DM 1997 nicht.
Wenn Sie sehenden Auges dagegen verstoßen, dann - das wissen wir doch jetzt schon - wird es eine Flut von Beschwerden, Einsprüchen und Klagen geben. Sollen wir denn nicht endlich damit Schluß machen, daß Karlsruhe in unserem Land die Steuerpolitik bestimmt, weil sich der Finanzminister hartnäckig weigert, das Existenzminimum freizustellen?
1 000 DM Grundfreibetrag mehr bedeuten beim Alleinstehenden im Jahr eine Entlastung von etwa 250 DM, bei Verheirateten von etwa 500 DM. Auch das, Herr Schäuble, ist kein Affentheater, sondern eine echte Entlastungsdiskussion.
Übrigens geht es mir bei dieser Frage nicht nur um Juristerei. Schauen Sie einmal: Sie sind es doch, die in den letzten Jahren immer wieder gesagt haben, das Lohnabstandsgebot sei nicht gewahrt. Was heißt das auf deutsch? Das heißt, daß niedrige Einkommen sehr nah an die Schwelle der Sozialhilfe oder sogar darunter rutschen.
Aber mit Ihrem Tarif verschärfen Sie die Situation. Gegen das Lohnabstandsgebot wird in Einzelfällen nicht deswegen verstoßen, weil die Sozialhilfe in diesem Land besonders üppig ist, sondern deswegen, weil Sie in verfassungswidriger Weise sogar niedrige Einkommen so hoch besteuern. Das werden wir nicht hinnehmen.
Wir werden nicht zulassen, daß Sie die Menschen mit diesem scharfen Steuertarif in die Schwarzarbeit treiben. Leistung muß sich wieder lohnen. Das ist völlig richtig.
Aber bitte schön nicht nur für Leute mit Einkommen von über 240 000 DM im Jahr, sondern auch für Otto Normalverbraucher!
Dritter und letzter Streitpunkt: die Finanzierung.
Herr Waigel hat soeben gesagt, bei uns bestehe ein Finanzierungsloch von über 40 Milliarden DM. Herr Waigel, ich bitte Sie, das zurückzunehmen; denn Sie wissen, daß es die Unwahrheit ist.
Ich nenne ein Beispiel: Im Jahr 1996 heben wir das Kindergeld um 20 DM mehr an als Sie, und zwar auf 220 DM. Das kostet dreieinhalb Milliarden DM. Gleichzeitig haben wir einen steuerlichen Subventionsabbau von fast 4 Milliarden DM vorgelegt und beschlossen. Wir haben die Deckung gleich mitgeliefert.
Wir sind auch, wie Sie wissen, bereit weiter zu gehen. Wenn wir eine Gegenfinanzierung vorschlagen, dann ist das doch keine Boshaftigkeit. Angesichts von zwei Billionen DM Staatsschulden aller Gebietskörperschaften, angesichts von 143 Milliarden DM Zinsen, die alle öffentlichen Hände 1996 zu zahlen haben, sind wir der Ansicht, daß man ein solches Steuersenkungspaket nicht einfach über neue Schulden finanzieren kann. Es ist gerechtfertigt und politisch seriös, auch andere Finanzierungsmöglichkeiten einzubringen.
Beim Subventionsabbau kann es mit unseren Stimmen weiter gehen. Warum muß es bei den vier Milliarden DM bleiben? Ich darf Sie daran erinnern, daß
Ingrid Matthäus-Maier
beim Vorgespräch zwischen CDU/CSU und SPD schon 5,6 Milliarden DM vereinbart waren. Dann war es die F.D.P., die Sie im Koalitionsgespräch davon weggebracht hat. Dazu kann ich Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P., nur sagen: Tag und Nacht von Subventionsabbau zu sprechen und dann zum hartnäckigsten Lobbyisten von Steuersubventionen zu werden, sollten Sie sich endlich einmal abschminken.
Unsere lange Liste zum Subventionsabbau liegt auf dem Tisch: von der Gewinnermittlung bei Land- und Forstwirtschaft über das sogenannte Dienstmädchenprivileg und die Einschränkung von Veräußerungsgewinnen bis zur Verlängerung von Spekulationsfristen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: Das folgende Beispiel bringt zwar nur 100 Millionen DM, aber 100 Millionen DM sind auch Geld.
Daß Sie sich sogar angesichts des letzten Bestechungsskandals bei Opel bis heute weigern, die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern abzuschaffen, ist wirklich ein Skandal.
Schließlich und auch nur nebenbei: Wenn Sie endlich bereit wären, aktiv gegen die Steuerhinterziehung vorzugehen, dann hätten wir auch Milliarden DM mehr, mit denen wir den ehrlichen Steuerzahlern die viel zu hohen Steuern senken können, Herr Waigel.
Wir haben auch andere Finanzierungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Ich erinnere an unsere Forderung nach einem Einstieg in die ökologische Steuerreform. Sie können ja dagegen sein. Aber ich bin der festen Überzeugung: Die kommt. In unserem Land wird die Arbeit mit Steuern und Sozialabgaben vergleichsweise zu hoch belastet.
Gleichzeitig ist die Situation eingetreten, daß die Strompreise im nächsten Jahr wegen der Verfassungswidrigkeit des Kohlepfennigs sinken. Das ist ökologisch ein falsches Signal. Ich zitiere Herrn Schäuble, der gesagt hat, das sei doch nun wirklich nicht der Weisheit letzter Schluß. - Wir geben Ihnen die Chance, in diesem Verfahren etwas weiser zu werden und mit uns für den Einstieg in die ökologische Steuerreform zu sorgen.
Auch für die Anhebung des Kindergeldes auf 250 DM im Jahr 1999 haben wir Ihnen einen konkreten Finanzierungsvorschlag mitgeliefert - Sie haben es erwähnt -: eine maßvolle Begrenzung des Ehegattensplittings. Meine Damen und Herren, bis weit in Ihre Reihen hinein wissen die Leute - ich erinnere an den Vorstoß des CDU-Generalsekretärs Hintze im letzten
Dezember -, daß es schlicht und einfach nicht in Ordnung ist, daß ein Spitzenverdiener durch die pure Heirat, auch wenn er überhaupt keine Kinder hat, im Jahr eine Entlastung von 22 842 DM erhält, während wir gleichzeitig nicht genug Geld haben, um die Familien mit Kindern endlich angemessen zu entschädigen.
Wir sehen eine begrenzte Splittingregelung vor, die nur oberhalb von zu versteuernden Einkommen von 93 500 DM greift; brutto sind das etwa 110 000 bis 120 000 DM. Auch diese Einkommen würden nach wie vor einen Splittingvorteil erhalten, aber er würde sich nicht mehr auf die immensen 22 842 DM belaufen. Das dadurch eingesparte Geld benutzen wir, um endlich 250 DM Kindergeld zu zahlen.
Selbstverständlich kennen wir die Urteile, in denen steht, das Splitting sei keine beliebig veränderbare Steuersubvention. Beliebig wollen wir Sozialdemokraten das auch nicht ändern. Aber aus dem Steuerausfall von über 30 Milliarden DM 5 Milliarden herauszunehmen, um damit das Kindergeld anzuheben, ist sehr wohl sachgerecht.
Ich darf an dieser Stelle, was ich selten tue, dem geschätzten Journalisten Mundorf im „Handelsblatt" widersprechen. Er hat nämlich gesagt, das Splitting müsse so bleiben, damit es dem Zivilrecht folge. Auch im Zivilrecht, im Bürgerlichen Gesetzbuch, sei es nämlich so, daß das, was eine Familie verdiene, automatisch zur Hälfte an Mann und Frau gehe. Wenn es so wäre, wäre es schön. Aber das ist nicht der Fall. Wenn er 100 000 DM nach Hause bringt und sie null, dann hat sie zwar einen Unterhaltsanspruch, aber daß ihr die Hälfte der 100 000 DM gehöre, davon ist überhaupt keine Rede. Ich sage an Ihre Adresse einmal ein bißchen spöttisch: Wenn Sie endlich bereit sind, das Zivilrecht zu ändern, so daß der Frau immer die Hälfte zusteht, dann werden wir nicht mehr fordern, den Splittingvorteil zu ändern.
Wir bedauern die heutige Sondersitzung.
Wir sind der Ansicht, wir hätten uns einigen können. In der Sache bleibt es dabei, daß es um folgendes geht: Die Koalition hat ihren Gesetzesbeschluß mit Mehrheit durchgesetzt; die SPD hat im Vermittlungsausschuß mit ihrer Mehrheit einen anderen Gesetzesbeschluß durchgesetzt. Der Unterschied ist der, daß nach dem SPD-Beschluß Familien mit Kindern und Durchschnittsverdiener um mehrere hundert D- Mark jährlich zusätzlich entlastet werden.
Sie werden nicht erwarten, daß wir Ihrem Beschluß folgen. Wir appellieren an Sie: Folgen Sie heute un-
Ingrid Matthäus-Maier
serem Beschluß! Dann hat die ganze Sondersitzung wenigstens einen Sinn gehabt!