Rede von
Antje
Hermenau
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was kann ich der Bundesregierung und damit auch der Koalition bescheinigen, wenn ich sie an ihrem Haushalt - und damit auch am Einzelplan 09, Bundeswirtschaftsministerium - messe? Zunächst einen unglaublichen Mut gegenüber der Presse, damit überhaupt an die Öffentlichkeit gegangen zu sein; sicher auch eine leicht herauszulesende Entscheidungsunfähigkeit, die sozusagen eine von Argwohn dominierte Dauerstarre der Koalition signalisiert. Handeln Sie eigentlich noch zielorientiert, meine Damen und Herren, Herr Rexrodt, oder hecheln Sie den wirtschaftlichen Bedürfnissen mit tagespolitischen - im Zweifel übrigens eher schlechten - Kompromissen atemlos hinterher?
Sie können mir glauben, daß mir an einer fundierten und progressiven Debatte um den Standort Deutschland gelegen ist, nicht zuletzt, weil ich aus dem Osten komme und in den letzten vier Jahren im sächsischen Landtag diverse Erfahrungen zu diesem Thema sammeln konnte.
- Mir ist natürlich auch klar, Herr Weng, daß eine voranschreitende wirtschaftliche Entwicklung im Ostteil Deutschlands, in Wechselwirkung verknüpft mit der Stabilität im Westteil, einfach nur so kommen kann. - Ich werde also über die Bedingungen für den Mittelstand sprechen, den wir übrigens für einen der wichtigsten Faktoren für die Zukunft Deutschlands halten,
Antje Hermenau
über die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern, über notwendige neue Wege auch in der Arbeitsmarktpolitik und über Handelsbeziehungen zu Osteuropa, um einmal Bestandteile unserer Vision von einem zukünftigen Deutschland aufzuzeigen.
Im Jahre 5 nach der Wende können Ost und West von einer differenzierten Analyse eigentlich gleichermaßen profitieren. Die erste Etappe Aufbau Ost ist vorbei. Wir könnten jetzt differenziert in die zweite Etappe Aufbau Ost gehen und dabei auch das, was zu lernen ist, auf Gesamtdeutschland ausdehnen.
Wir gehen davon aus, daß der Mittelstand gesamtdeutsch sowieso systematisch benachteiligt ist. Industrienahe Forschung läßt sich in Großbetrieben leichter fördern, wenn es hart auf hart kommt. Für den Mittelstand bleibt von Ihrer Seite offenbar nur Rhetorik. Dabei wären industrienahe Forschung und selbständige Unternehmensberatung gerade als wichtige Faktoren für einen innovativen und starken Mittelstand gezielt zu fördern. Das differenzierte Konzept für den Aufbau Ost - Phase II - müßte also u. a. beinhalten: Wir müssen eine gewisse Struktur an Beratungs- und Entwicklungsgesellschaften im Osten noch so lange vorhalten, bis der Mittelstand durch kontinuierliche Nutzung diese Struktur durch Nachfrage stabilisiert.
Ein Standort wird auch dadurch zerstört, daß die industrienahe Forschung vernachlässigt wird. Vielleicht hat der Verband Innovativer Unternehmen recht, wenn er behauptet, er erkenne einen „haushälterisch inszenierten Ausstieg aus der Mittelstandsförderung" - der natürlich gut getarnt ist. Wie Sie sehen, sitzt kaum noch einer im Plenum und nimmt wahr, was hier eigentlich passiert.
Bei der industriellen Gemeinschaftsförderung wird der Ostanteil am Gesamtfördervolumen zwar gehalten; aber die Forschungs- und Entwicklungspersonalförderung Ost wurde vorerst auf 1996 befristet. Ich nehme an, das Bundeswirtschaftsministerium wird dann prüfen, ob und gegebenenfalls wie dann weiter gefördert werden könnte. Das kann ich Ihnen schon jetzt sagen, Herr Rexrodt: Im 96er Haushalt wird für die Wirtschaft nicht mehr viel zu prüfen sein; denn Herr Waigel wird sich die Milliarden für die Steinkohleverstromung sicherlich nicht zuletzt aus Ihrem Haus holen.
Die Innovationsförderprogramme laufen Ende 1995 planmäßig aus. Mal abgesehen davon, daß der ganze Aufbau Ost nicht planmäßig verlaufen ist, ist nach Darstellung des Wirtschaftsministeriums mit den neuen Bundesländern vereinbart worden, daß diese die Förderung weiterführen sollen. Das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Ihnen ist doch bewußt, daß sich die Landeshaushalte in den fünf neuen Ländern lediglich zu 30 % bis 40 % selbst decken. Das ist also keine seriöse Politik. Was machen Sie, wenn diese Staffelübergabe am Jahresende nicht funktioniert? Wird dann wieder einmal mit der heißen Nadel
notdürftig ein Kompromiß gestrickt - und das vor dem Hintergrund der Belastungen, die für den 96er Haushalt zu erwarten sind? Dasselbe gilt auch für den Technologietransfer, aus dem Sie sich bis Ende 1996 ebenfalls vollständig zurückziehen wollen, um ihn den Ländern zu übergeben, die sich das nicht leisten können.
Ich hätte noch Verständnis dafür, meine Damen und Herren von der Koalition, wenn jetzt auch wieder einmal den alten Ländern, die - das muß ich zugeben - ebenfalls, wenn auch nicht einem so gravierenden, aber immerhin doch einem Branchenumbruch unterworfen sind, dies und jenes an infrastruktureller und differenzierter wirtschaftlicher Unterstützung verstärkt zuteil werden sollte. Aber darum wird es offensichtlich im „Supersparprogramm 96", einer Gemeinschaftsinitiative von CDU/CSU und F.D.P., kaum gehen. Ist das eigentlich noch seriös, was hier passiert?
Welche konzeptionellen Linien der deutschen Wirtschaftspolitik würden wir uns wünschen, um nicht zuletzt auch die Bedingungen zu schaffen, die der Mittelstand insgesamt braucht, um sich zu entfalten? Lege ich die vorliegenden Erfahrungen aus den neuen Bundesländern zugrunde und prüfe, was tauglich ist und was nicht, dann komme ich zu folgenden konzeptionellen Schwerpunkten für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Es geht erstens um differenzierte Förderungsnotwendigkeiten für den ostdeutschen Mittelstand. Der Absatz ostdeutscher Produkte darf nicht im Ansatz um 5 Millionen DM, wie das hier locker passiert, gekürzt werden, sondern die Mittel müssen auf den Absatz der Produkte der kleineren und mittleren ostdeutschen Unternehmen auf dem gewerblichen Sektor konzentriert werden. Nur so können diese Unternehmen als stabile Kristallisationskerne Bedingungen für einen starken Dienstleistungsbereich schaffen.
Ich rede hier nicht von chic gewordenen „Zukunftstechnologien", sondern von in den Regionen historisch gewachsenen Gewerben, z. B. dem Maschinenbau in Sachsen, die die Bedingung erfüllen, einer westdeutschen und westeuropäischen Konkurrenz durch Qualität und Service gewachsen zu sein. Diese Gewerbe mit den Forschungs-GmbHs zu verflechten und gezielt mit Risikokapital auszustatten und sie vor allem in Phasen der Ausreifung erneuerter Produkte und deren Markteinführung zu fördern, das wäre ein wirkliches Konzept.
Aber das habe ich bei der Regierung nicht gesehen.
Die spezifischen Probleme im Osten liegen doch auf der Hand: Eigenkapital, Grundstückserwerb, Kreditsicherheiten und Abwanderung von Fachkräften. Ich erzähle hier doch nichts Neues.
Antje Hermenau
Sie können ein mittelständisches Unternehmen im Osten über Jahre hinweg mit gleichbleibenden Summen vor dem Konkurs bewahren - das tun Sie im Moment bzw. Sie versuchen es; aber Sie wissen genau, wie hoch die Gewerbeabmeldungen im Osten sind -, oder aber Sie helfen ihm beim Springen und zahlen dann vielleicht in den Folgejahren nichts mehr. Vielleicht spielen hier auch verschiedene Lobbyinteressen aus den alten Bundesländern eine so gravierende Rolle, daß keine klare Konzeption mehr ungestraft verfolgt werden darf.
Die Banken haben ihren Ostfilialen sowieso eine deutliche Richtlinienverschärfung bei der Kreditvergabe im Osten befohlen; von dieser Seite ist also nicht mehr viel zu erwarten. Die Finanzämter folgen sicher der Weisung des Herrn Waigel, kleineren und mittleren Unternehmen nichts zu stunden und auch Ratenabzahlungen von Steuern nicht zu gewähren. Damit kriegen Sie natürlich Ihr Geld für dieses Jahr, Herr Finanzminister. Aber ich weiß nicht, wo es im nächsten Jahr herkommen soll, wenn die Betriebe pleite sind. Dem wird auch nicht entgegengewirkt. Im Gegenteil: Die Koalition kürzt 65 Millionen DM bei den Zinszuschüssen und Erstattungen von Darlehensausfällen im Rahmen des Eigenkapitalhilfeprogramms - konzeptionslos, zufällig, verantwortungslos.
Zweitens. Mehr Flexibilität in der Beschäftigungsstruktur wäre angesagt. Die fünf neuen Bundesländer, aber nicht nur diese, haben mehr oder weniger erfolgreiche Experimente beigesteuert - die zumindest die richtigen Fragen aufwerfen, wenn sie auch nicht immer die richtigen Antworten geboten haben -, gerade bezüglich der Entlastung von Lohnnebenkosten oder auch des Job-sharings. Es geht um produktive Arbeitsförderung statt Zahlungen für Lohnnebenkosten. Warum diskutieren wir dort nicht weiter, anstatt einen sehr hohen Sockel von Dauerarbeitslosen einfach hinzunehmen? Warum fällt der Koalition nichts anderes ein, als den Töchtern nicht mehr zu erlauben, so zu sein und zu leben wie ihre Mütter? Warum ist ihr Hauptansinnen die konservative weibliche Erwerbsbiographie, die vor allem auf Gotteslohn und Mindestrente abzielt?
Wir werden uns dieser Themen verstärkt annehmen. Auf diese Konzepte werden Sie nicht Jahrzehnte warten müssen.
Drittens. Die Innovationsschwäche ist im Osten und Westen abzubauen, indem man in Deutschland klar und zügig zum nachhaltigen Wirtschaften übergeht. Es liegt doch soviel zur Nachhaltigkeit in den Schubladen, auch hier im westdeutschen Gebiet. Die GRÜNEN haben in den letzten 15 Jahren ihren ersten Beitrag geleistet, indem sie das Thema Umweltschutz zum bundespolitischen Wirtschaftsfaktor gemacht haben, was den Deutschen eine gewisse Vorreiterrolle in Europa ermöglicht hat. Diesen historischen Vorsprung können wir jetzt nur halten, wenn wir einen Heimmarkt schaffen. Also werden wir jetzt wohl auch die zweite Phase einleiten müssen, indem wir das Aufbruchsignal für die ganzen Schubladengeister, die auf bessere Bedingungen in Deutschland warten, geben.
Sie können nur froh sein, daß das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wieder so stark im Bundestag vertreten ist.
- Das dachte ich mir.
Keiner scheint sich in diesem Land zu trauen, jetzt die historische Chance zu nutzen, z. B. aus der staatlichen Subventionierung von Atomtechnik auszusteigen und mit den Geldern lieber die Entwicklung erneuerbarer Energien zu unterstützen, wo doch die unbezahlbare Solarzelle längst als Mär entlarvt ist.
Unser Änderungsantrag zu den erneuerbaren Energien, den Sie natürlich mit tausend kleinen Gründen mehr oder weniger geschickt ablehnen werden, bezieht sich genau auf diese Chance.
Bei der Förderung von produktintegriertem Umweltschutz, der ebenfalls zur zweiten Phase gehört, werden wir Ihnen genausowenig Atempause gönnen. Mit plausiblen Vorschlägen zu einer Energiesteuer, die die Produktion bei hohem Energieverbrauch, aber nicht bei einer hohen Anzahl von Arbeitskräften teuer macht, werden wir Ihnen ebenfalls kräftig einheizen. Sagen Sie einmal, macht Ihnen das Regieren eigentlich noch Spaß?
Immer diese Hetze!
Viertens. Ich fordere die Entwicklung eines Exportförderinstrumentariums, unabhängig von der Entwicklungshilfe, die ganz andere Aufgaben hat. Es wäre doch ehrlicher und auch übersichtlicher, ein Exportförderinstrumentarium im Bereich Wirtschaft zu entwickeln. Auch wenn der Osthandel im Moment noch eine eher untergeordnete Größe in der Gesamthandelsbilanz darstellt, macht ein Vergleich der letzten vier Jahre einiges deutlich. Natürlich haben sich die Außenhandelsbilanzen westdeutscher Unternehmen deutlich verbessert - bis auf 150 % -, und die der ostdeutschen sanken natürlich in den Keller - bis auf ungefähr 10 %.
Es grassiert in den ostdeutschen Bundesländern die Vorstellung von der „Erschöpfung" der westdeutschen und westeuropäischen Märkte, die den Ostunternehmen als letzte Rettung nur den schwunghaften Osthandel ließe. Das ist natürlich eine Verschwö-
Antje Hermenau
rungstheorie. Ich wäre froh, wenn vom Bundestag ein Signal ausginge, daß das nicht so ist, damit Sie die Leute ermutigen. Es ist eigentlich nur der Versuch, nichts großartig zu verändern. Natürlich ist das alles noch Gedankengut aus der Planwirtschaft. Im ehemaligen Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe hat natürlich eine strenge Arbeitsteilung geherrscht, die nun überhaupt nicht mehr existiert. Daß auch die Länder im Osten Europas inzwischen dieselben Ansprüche an Qualität und Service stellen wie Handelspartner in Westeuropa, wird bei unseren Leuten gerne übersehen. - Soviel zur Selbstkritik.
Nur Unternehmen, die auch auf den westdeutschen und westeuropäischen Märkten konkurrenzfähig sind, können langfristig auf ein Standbein im Osthandel setzen. Ich habe auf die psychologischen Relikte aus planwirtschaftlichen Zeiten hinzuweisen versucht. Man muß jetzt diese Förderlücke sinnvoll ausfüllen, gerade auch nach der Bloßlegung durch die Erfahrungen mit der Zweckentfremdung der Hermes-Kredite.
Was wäre denn ein solcher Ersatz? Was wäre denn eine solche Absicherung des Risikos? Wie könnte man diese Förderlücke schließen? Ich habe wirklich noch keinen den Außenhandel revolutionierenden Gedanken einzubringen. Aber was mich ärgert, meine Damen und Herren von der Koalition, ist, daß Sie über dieses Problem nicht einmal konzentriert nachzudenken scheinen.
Vor diesem Hintergrund noch einmal zur finanziellen Unterstützung von Transaktionen im Kompensationsverfahren: Natürlich zahlen die Deutschen, salopp gesprochen, bei diesen Ware-Ware-Geschäften erst einmal drauf. Aber langfristig dürfte sich der Erhalt von stabilen Handelsbeziehungen nach Osteuropa deutlich auszahlen, nicht nur der - im Vergleich zu vielen anderen westeuropäischen Staaten - kürzeren Transportwege wegen oder auch wegen der Möglichkeit für die ostdeutschen Unternehmen, nach einer weiteren Stabilisierung bemerkbar in diese Handelsbeziehungen einzusteigen, sondern weil diese Kompensationsgeschäfte für den Aufbau und die Restrukturierung der dortigen Industrie natürlich in den osteuropäischen Staaten auch zur wirtschaftlichen Stabilisierung beitragen. Betrachten wir diese finanziellen Zuschüsse also als eine lohnende Investition in die Zukunft.
Zur Kokskohle möchte ich kurz anmerken, daß die Fraktion sich entschlossen hat, nun erst einmal das zu verteidigen, was den Bundesbürgern zugesichert worden ist, von dem jetzt alle Abstand genommen haben. Solange das Gesamtpaket nicht verhandelt worden ist und wir nicht wissen, welches der Preis ist, der bei der Atompolitik dafür gezahlt werden muß, daß dieser Kompromiß zustande gekommen ist, werden wir an den Versprechen, die hier gegeben worden sind, festhalten.
Und Sie wissen genau, daß wir bei den Fragen der Atomenergie nicht kompromißbereit sind.
Wir können innerhalb von fünf Monaten natürlich nicht alles in Ordnung bringen, was im Jahre 13 der Koalition in der Wirtschaftspolitik so alles vonstatten geht. Ich freue mich auf Ihre Rede, Graf Lambsdorff, in der Sie einmal die Vorgaben und Konzeptionen für die Budgetlösung der Verstromung und des Wegfalls des Kohlepfennigs darstellen können.
Wahrscheinlich wird man die Haushaltspläne im Bundeskanzleramt nächstes Jahr an die Wand nageln und mit Wurfpfeilen und verbundenen Augen die Einsparungsposten markieren. Da wird es im Wirtschaftsbereich bestimmt die Mittelstandsförderung treffen, Herr Rexrodt. Herr Blüm wird Ihnen vorschlagen, ein zweimonatiges Praktikum im „Ministerium für Soziales und keine Arbeit" zu machen, damit Sie mit den Grundprinzipien der Kausalität vertraut werden.
Schönen Dank.