Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen Tagen, Herr Bundeskanzler, war im Bulletin Ihre Rede zum Jubiläum der Deutschen Bank zu lesen. Das Motto: Wir brauchen zukunftsorientiertes Denken in Wirtschaft und Gesellschaft. Herr Bundeskanzler, mit diesem Satz haben Sie auch das zentrale Defizit Ihrer Regierung beschrieben.
Was Ihrer Regierung nämlich fehlt, ist nicht nur zukunftsorientiertes Denken. Was unser Land braucht, ist zukunftsorientiertes Handeln in Wirtschaft, in Staat und in Gesellschaft.
Davon sind Sie heute weiter denn je entfernt.
Die Haushaltsberatungen zeigten erneut, wie sehr diese Bundesregierung in den letzten Jahren die Handlungsmöglichkeiten des Staates durch eine beispiellose Verschuldungspolitik in verantwortungsloser Weise eingeschränkt, ja aufs Spiel gesetzt hat. In keinem gesellschafts- und wirtschaftspolitisch zukunftsträchtigen Bereich, sei es die Wirtschaftsförderung Ost, die Wohnungspolitik, die Steuerpolitik, die Forschungsförderung, die Modernisierung der sozialpolitischen Instrumente, kommen Sie über das Stadium der Berichte und der Expertenkommissionen hinaus, Herr Bundeskanzler. Wo Sie so etwas wie Initiative entfalten, fetzt es in dieser Koalition, kommt es zu halbherzigen Übernahmen sozialdemokratischer Vorstellungen. Wo Ihnen die Ergebnisse nicht passen, wie bei der von Ihnen berufenen wohnungspolitischen Kommission und der Bareis-Kommission zur Steuerpolitik, wird den zunächst hochgelobten Experten anschließend der Sachverstand rundum abgesprochen, und das nur, weil sie Ihnen den Spiegel vorhalten, wie weit mittlerweile die Lücke zwischen den notwendigen Reformansätzen einerseits und Ihrem politischen Handlungswillen andererseits klafft.
Karl Diller
Sie beharren darauf, die Probleme von heute und morgen mit den Lösungen von gestern beantworten zu wollen. Deshalb sind Sie die Koalition der Stagnation.
Der Bundeshaushalt 1995 ist Abbild dieser Stagnation. Was nach der Bundestagswahl ein programmatischer Auftakt für einen Aufbruch in die Zukunft hätte sein müssen, ist ein Ladenhüter aus der letzten Wahlperiode. Alle die öffentliche Finanzwirtschaft im Kern berührenden Fragen, die zentralen Fragen der Lebensgestaltung unserer Bürger von B wie Bildung bis W wie Wohnen werden auf 1996 oder danach geschoben, und ihre Finanzierung wird leider Gottes weitgehend im dunkeln gelassen.
Ein durchgreifender dauerhafter Schritt zur Konsolidierung der Staatsfinanzen ist ausgeblieben. Die Begrenzung der Neuverschuldung auf knapp 50 Milliarden DM und damit auf Vorjahresniveau ist nicht das Ergebnis struktureller Einsparungen, sondern, Herr Waigel, das Ergebnis trickreicher Buchungen von der Mineralölsteuer bis zu einmaligen Einnahmen aus Privatisierungen und Verkäufen in Höhe von 15 Milliarden DM.
Dabei stoßen wir auf ein bisher unbekanntes Phänomen: die Schuldenwäsche. Nicht die Geldwäsche, sondern die Schuldenwäsche! Die dem Bundeshaushalt zufließenden Einnahmen aus den Verkäufen der Kreditbank der früheren DDR in Höhe von über 5 Milliarden DM sind letztlich durch Schuldenaufnahme des heutigen Erblastentilgungsfonds finanziert. Dieses Kapital wurde nämlich im Wege der Eigenkapitalzuführung nach dem D-Markbilanzgesetz überhaupt erst geschaffen. Was Sie hier als Einnahme aus Kapitalherabsetzung verbuchen, Herr Waigel, ist in Wahrheit durch Schulden finanziert und deshalb Schuldenwäsche.
In Höhe von 3,6 Milliarden DM buchen Sie ungedeckte Schecks als Einnahmen. Weder gibt es wegen der eindeutigen Absage unserer Fraktion die von Ihnen angekündigte Initiative zur Begrenzung der Arbeitslosenhilfe von 1 Milliarde DM noch wegen des Widerstandes der Ölkonzerne die Änderung des Mineralölsteuergesetzes, mit der Sie sich zusätzlich 2,6 Milliarden DM in die Tasche rechnen. Wo bleiben die Gesetzentwürfe, die Sie für dieses Jahr angekündigt haben? Da ist doch Fehlanzeige auf der ganzen Linie. Deshalb wäre es ehrlicher gewesen, auch diese Luftbuchung mit Ihrem vorliegenden Antrag zur Erhöhung der Nettokreditaufnahme gleich zu erfassen.
Eine nach politischen Prioritäten gestaffelte Durchforstung der Ausgabenstruktur findet nicht statt. Wie ein führerloses Schiff treibt die Haushaltspolitik im zufälligen Strom der Ausgabenentwicklung. Selbst die Ausgabenkürzungen von rund 1 Milliarde DM entpuppen sich bei näherem Hinsehen als rein mechanische Anpassung der für 1995 geplanten Ausgaben an die Ist-Entwicklung des Jahres 1994. Für eine solche Haushaltspolitik, Herr Waigel, braucht man weder einen Minister noch eine Bundesregierung; dafür braucht man nur tüchtige Oberamtsräte.
Inzwischen sind für unsere wirtschaftliche Zukunft entscheidende und für den gesellschaftlichen Frieden des Landes bestimmende Aufgabenbereiche völlig unterfinanziert. Das betrifft die Forschungs-, die Bildungs- und die Wohnungspolitik in besonderem Maße. Deshalb ist Ihr Etikett „Sparhaushalt" irreführend. Das ist kein Sparen, das ist die Weigerung der Bundesregierung, ihrer Verantwortung für die Menschen in diesem Land gerecht zu werden, meine Damen und Herren.
Beispiel Wohngeld: Im Haushalt 1994 waren 3,6 Milliarden DM veranschlagt; 3,1 Milliarden DM wurden eingesetzt. Die Minderausgabe von 0,5 Milliarden DM entstand nicht, weil es den Menschen besser ginge, sondern weil seit 1990 das Wohngeld nicht mehr an die Einkommens- und die Mietenentwicklung angepaßt wurde und damit Hunderttausende von Familien aus der Wohngeldberechtigung herausgefallen sind. Nur auf dem Papier haben die Familien mehr Geld in der Tasche. In der Wirklichkeit klafft längst eine große Schere zwischen der 22prozentigen Steigerung der Mietbelastung einerseits und dem sinkenden Realeinkommen andererseits.
Es ist ein Skandal, daß die Koalition im Vorgriff auf diese Entwicklung im übrigen das Wohngeld in diesem Jahr wiederum um 300 Millionen DM zusätzlich kürzen will. Niemand in dieser Republik, Herr Waigel, nimmt Ihnen ab, daß die Mieter leer ausgehen müssen, während Sie gleichzeitig das Geld für das Dienstmädchenprivileg nur so zum Fenster hinauswerfen.
Das ist die Grundlinie Ihrer Politik: Wenn es um Ihre politische Klientel geht, Herr Waigel, dann ist auch in Zeiten leerer Kassen plötzlich das Geld da. Ich verweise nur auf das Jahressteuergesetz, in dem Sie eine neue Steuersubvention für die Bauern in Höhe von 1 Milliarde DM beschließen wollen. Erklären Sie doch andererseits einmal den Kumpeln in Nordrhein-Westfalen und im Saarland, warum Sie drauf und dran waren, auf vertraglicher und gesetzlicher Grundlage getroffene Finanzierungsvereinbarungen einfach zu Lasten der Steinkohle und damit der Arbeitsplätze im Bergbau beiseite zu schieben!
Wie Sie Ihre Haushaltspolitik auch drehen und wenden, Herr Waigel: Der Schuldenberg des Bundes wächst immer dramatischer. Ende 1995 wird die unmittelbare Verschuldung rund 760 Milliarden DM betragen, praktisch doppelt so viel wie vor der Einheit. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, weil Sie weitere 665 Milliarden DM Schulden in Nebenhaushalte ge-
Karl Diller
packt haben. Insgesamt muß diese Regierung inzwischen für über 1 400 Milliarden DM Schulden geradestehen. Herr Waigel, Sie sind sozusagen der erste Schuldenbillionär der Republik.
Mit der Übernahme des Erblastentilgungsfonds in den Bundeshaushalt hat das Vertuschen der wahren Zinslast allerdings ein vorläufiges Ende. Die Zinszahlungen des Bundes springen auf rund 94 Milliarden DM in diesem Jahr. Reichte 1990 noch jede achte Steuermark, um die Zinslast des Bundes zu bedienen, müssen Sie in diesem Jahr jede vierte Steuermark für Zinszahlungen aufwenden. Diese dramatische Verdoppelung innerhalb von nur fünf Jahren zeigt, in welchem Ausmaß die Bundesregierung die Gestaltung der Zukunft uns allen verbaut hat.
Allein der Anstieg der Zinslast dieses Jahres liegt mit rund 26 Milliarden DM etwa so hoch wie die Ansätze des Zukunftsministeriums, des Umweltministeriums und des Bauministeriums zusammengenommen. Herr Waigel, Ihre Politik steckt in der Zinsfalle. Zinsen statt Zukunft, Zinsen statt Umweltschutz, Zinsen statt Wohngeld - das sind die Ungleichungen der Politik von Herrn Waigel.
Kommen Sie nicht mit der Erblastenlegende! Mindestens genauso entscheidend waren Ihre Fehler bei der Gestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion, die Investitionshemmnisse aufgrund einer falschen Eigentumspolitik, Ihre Fehlentscheidungen bei der Treuhandanstalt und die jahrelang geduldete Überschuldung der Wohnungswirtschaft.
Herr Waigel, ein Rückgang der Zinslastquote zeichnet sich auch für die nächsten Jahre nicht ab. Im Gegenteil, sie wird weiter ansteigen. Die von Ihnen betriebene Politik der Stagnation mündet nicht in eine finanzielle Konsolidierung des Staates; sie behindert und erschwert sie. Der Schuldenfalle werden wir nur entkommen, wenn die öffentlichen Mittel innovativer, kreativer und damit wirtschaftlicher eingesetzt werden.
Wie sieht es bei Ihnen damit aus? Nr. 1 Ihres Regierungsprogramms lautet: „Staat schlanker machen - Bürokratie abbauen". Was fällt Ihnen dazu ein? Sie wollen die Stellen im Bundeshaushalt linear um 1,5 % kürzen. Dabei war doch die größte Inflationsrate in Ihrer Regierungszeit beim Aufwuchs der Staatssekretäre zu verzeichnen: Von 1982 bis 1995 legten sie um 30 % zu. Wenn Sie ein Zeichen für den schlanken Staat setzen wollen, dann fangen Sie gründlich bei der politischen Spitze an; denn jeder dieser überflüssigen Staatssekretäre kostet den Steuerzahler rund eine halbe Million DM im Jahr, meine Damen und Herren.
Im Kern geht es um die grundsätzliche Durchforstung der Staatsaufgaben. Dazu fallen Ihnen nur ein paar kleine Modellversuche ein. Letztlich geht es Ihnen in der Koalition nicht um das Modernisieren der staatlichen Tätigkeit; mit Ihrer Kritik am Staat, am öffentlichen Dienst, zielen Sie nämlich auf den Ausverkauf des Staates. Sie bereiten den Boden für die Zurücknahme staatlicher und kommunaler Leistungen. Leistungen müssen aber immer bezahlt werden, ob sie privat oder kommunal erbracht werden. Privat heißt immer: mit Gewinn. Wer den Bürger vor Überlastungen schützen will, darf deshalb nicht den Ausverkauf des Staates propagieren, sondern muß seine Modernisierung, die Steigerung seiner Effizienz propagieren.
Sie wollen den Ausverkauf; wir wollen die Effizienzsteigerung.
Weil das so ist, hören wir von Ihrer Seite keine Vorschläge. Konkrete Projekte kommen aus sozialdemokratischen Ländern, beispielsweise aus Schleswig-Holstein zur Reform des öffentlichen Dienstes oder aus meinem Bundesland zur drastischen Verringerung der Zahl der Ministerien.
Nummer zwei Ihres Regierungsprogramms: Steuerreform fortsetzen: Herr Waigel, das steuerpolitische Trauerspiel, das Sie seit einigen Wochen auf der Bonner Bühne aufführen, wandelt sich allmählich zum absurden Theater. Dies ist einer Bundesregierung unwürdig und dem steuer- und gesellschaftspolitischen Ernst dieser Aufgabe völlig unangemessen.
Mit den jetzt anstehenden Entscheidungen werden die Weichen für viele Jahre gestellt. Mit dem Jahressteuergesetz entscheidet sich, ob zumindest der Einstieg in die längst überfällige Neuorientierung der Steuerpolitik gelingt oder ob diese Bundesregierung so weiterwurstelt wie bisher. Wie schrieb eine Zeitung? „Der Herr der Haushaltslöcher, der Bundesfinanzminister, ist nicht mehr Herr des Verfahrens."
Mit Ihrer Steuer- und Abgabenwalze der letzten Jahre von 116 Milliarden DM jährlich, Herr Minister, haben Sie die Abgabenlast des Normalverdieners auf fast 50 % des Einkommens getrieben. Sie weigern sich, die kleinen und mittleren Einkommen vom Solidaritätszuschlag freizustellen. Dies ist nicht nur unsozial, sondern auch konjunkturschädlich. Jetzt weigern Sie sich erneut, wenigstens das Existenzminimum steuerfrei zu stellen und einem gerechten Familienleistungsausgleich den Weg zu ebnen. Herr Waigel, mit Ihrem häßlichen Buckeltarif zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums sind Sie gescheitert. Auch Ihr jetziger Versuch ist mißlungen. Die steuerliche Entlastung beim Grundfreibetrag von 12 000 DM für Ledige bzw. 24 000 DM für Verheiratete ist zu gering und muß auf 13 000 DM bzw. 26 000 DM angehoben werden.
Karl Diller
Mit Ihrer halbherzigen Übernahme sozialdemokratischer Vorstellungen zum Kindergeld ist den Familien nur unzureichend geholfen. Unsere Forderung bleibt: 250 DM Kindergeld für jedes Kind bei Abschaffung der steuerlichen Freibeträge. Denn dem Staat muß jedes Kind gleich viel wert sein.
Mit der geplanten Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sind Sie ohne jede Chance. Weil Sie das wissen, leiten Sie ein Gesetzgebungsverfahren ein, ohne ein tragfähiges und für die Gemeinden überschaubares Finanzierungskonzept vorzulegen. Sie propagieren zwar die aufkommensneutrale Unternehmenssteuerreform, aber in Wirklichkeit ist das doch nur der politische Büchsenöffner für die Abschaffung der Gewerbesteuer bei gleichzeitiger Anhebung der Umsatzsteuer. Ohne uns, Herr Waigel!
Die Koalition befindet sich auf dem Wege in einen Lohnsteuer- und Abgabenstaat, wie die Zahlen belegen: Steigerung des Steueraufkommens in den Jahren 1983 bis 1993 um 89 %, bei der Lohnsteuer um 100 %, bei der Mineralölsteuer auf Grund der permanenten Steuererhöhungen zur Deckung Ihrer Haushaltslöcher sogar 140 %. Die Entwicklung des Steueraufkommens aus der Wirtschaft dagegen verlief unterproportional. Das Gewerbesteueraufkommen erhöhte sich nur noch um 60 %, das Körperschaftsteueraufkommen sogar nur um 17 %. Vor weiteren Unternehmensteuerentlastungen muß Priorität deshalb die Rückführung der Lohnsteuer- und Abgabenbelastung haben. Ihr jüngstes Vorhaben, die Müllsteuer, hätte nach Berechnungen des Deutschen Städtetages eine vierköpfige Familie mit bis zu 200 DM im Jahr zusätzlich belastet,
ist aber zum Glück vom Tisch.
Bei diesem steuerpolitischen Wirrwarr bleibt es Ihr Geheimnis, wie der Bürger wieder Zutrauen zum Staat haben soll. Die ständig steigenden Belastungen mit Steuern und Abgaben und die mangelnde Gerechtigkeit und Überschaubarkeit Ihrer Steuerpolitik haben die Steuermoral der Bürger nachhaltig untergraben. Mit den von Ihnen vorgelegten steuerpolitischen Entwürfen wurde die Chance zur Neuorientierung leichtfertig vertan. Sicher ist nur eines: Ihr Stückwerk, das wir am Freitag dieser Woche hier in erster Lesung beraten, wird so nie im Gesetzblatt stehen!
Der nächste Punkt Ihres Regierungsprogramms betrifft den Sozialstaat. Sie bauen nicht um, Sie bauen ab. Wir Sozialdemokraten dagegen wollen eine Überforderung der Bürger mit Steuern und Abgaben verhindern und die unumgänglich bleibende Belastung gerecht verteilen.
Deshalb wollen wir eine grundsätzliche Weichenstellung vornehmen.
Die sozialstaatlichen Transferleistungen sollen nicht mehr an die steuerliche Bemessungsgrundlage anknüpfen; denn das führt dazu, daß derjenige, der der Hilfe des Staates am wenigsten bedarf, noch den größten materiellen Vorteil davon hat. Dies ist nicht nur ungerecht; dies darf sich der Staat angesichts seiner Finanzmisere nicht weiter leisten.
Ob beim Kindergeld, bei der Wohnungsbauförderung oder der Ausbildungsförderung, wir Sozialdemokraten treten für eine konsequente Umstellung der Transferleistungen als Abzug von der Steuerschuld ein, weil sie finanzpolitisch vernünftig und sozial gerecht ist. Beim Kindergeld bewegen Sie sich holprig auf uns zu, bei der Wohnungsbauförderung gibt es noch Fehlanzeige.
Herr Waigel, lesen Sie einmal das gemeinsame Kirchenpapier zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft! Darin finden Sie erstklassige Handlungsempfehlungen für den Umbau unseres Sozialstaats, um Staat, Wirtschaft und Gesellschaft für die Zukunft krisenfest und belastbar zu machen. Dann können Sie sich auch die Ausgaben für die von Ihnen in diesem Jahr geplante Regierungskommission zur Durchleuchtung des Sozialsystems mit jährlichen Kosten von 600 DM sparen.
- 600 000 DM. - sparen. Diese Kommission ist so überflüssig wie ein Kropf.
Das fünfte Kapitel Ihres Regierungsprogramms: Offensive für Bildung. Statt einer Offensive finden wir im Bundeshaushalt die unveränderte Vernachlässigung von Zukunftsaufgaben. Der Etat liegt mit 15,5 Milliarden DM gerade bei 3,3 % der Bundesausgaben. Zu mehr als symbolischen Gesten war die Koalition im Ausschuß nicht fähig. Sie hat den Etat um vier Millionen DM erhöht.
Wir Sozialdemokraten wollen dagegen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, bei regenerativen Energien, bei Ausbildungsförderung und beim Hochschulbau durch unsere Erhöhungsanträge politische Schwerpunkte setzen, damit der Standort Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt.
Was wir in Deutschland brauchen, ist mehr privates Risikokapital in jungen Technologieunternehmen. Es kommt darauf an, durch staatliches Handeln privates Risikokapital zu mobilisieren, statt mit neuen Programmen die Subventionsmentalität zu verstärken.
Die jüngste symbolische Handlung des Kanzlers, die Konstituierung eines Rates für Forschung, Technologie und Innovation, soll ein Thema besetzen,
Karl Diller
wird aber genauso ein Flop werden wie Ihr Konsensgespräch zur Stärkung der beruflichen Bildung.
Seit Jahr und Tag verkünden Sie die Trendumkehr beim Abbau der Ausbildungsplätze. 1994 hat die Koalition noch von einer Ausbildungsgarantie gesprochen. Das Ergebnis hatten wir im Ausschuß: eine überplanmäßige Ausgabe von 100 Millionen DM, um wenigstens die schlimmsten Löcher im Ausbildungsmarkt im Osten zu stopfen.
Für die dringend notwendige Novellierung des BAföG haben Sie kein Geld, so daß Studenten jobben müssen. Das Ergebnis ist die Verlängerung ihrer Studienzeiten und die Überfüllung der Hörsäle. Sie zögern, die Mittel für den Hochschulbau aufzubringen. Das ist eine in sich widersprüchliche, eine unsinnige Politik und alles andere als eine Offensive für Bildung, Forschung und Kultur.
In Ihrem Regierungsprogramm gibt es des weiteren das Stichwort Ökologie. Durch den Starrsinn der F.D.P. wird der Kohlepfennig durch eine ökonomisch und ökologisch gleichermaßen falsche Haushaltsfinanzierung ersetzt, anstatt die Kohleverstromung durch eine allgemeine Energiesteuer abzusichern.
Zwar hat die F.D.P. an drei Stellen ihres Rostocker Programms eine allgemeine Energiesteuer gefordert; doch nun mißbraucht die F.D.P. skrupellos die Energiepolitik für ihren parteipolitischen Überlebenskampf.
Sie verhindern zwingend erforderliche umweltschonende Lösungen. Sie reißen kurzfristig ein Haushaltsloch von 7 Milliarden DM in den Bundeshaushalt, für die nach dem Willen der F.D.P. wohl erneut die kleinen Leute bluten müssen.
Sie verhalten sich unverantwortlich gegenüber der jetzigen Generation und gegenüber künftigen Generationen.
Als letztes nenne ich aus Ihrem Regierungsprogramm die Bereiche Sicherheit und Verteidigung. Seit vier Jahren steht die Bundesregierung untätig den regionalen und strukturpolitischen Folgen der Abrüstung gegenüber. 1991 wurde im Grundsatz ein Programm zugesagt, um die Folgen der Konversion und die Reduzierung der Truppenstandorte abzufedern. Geschehen ist nichts. Jetzt treffen die Truppenreduzierungen der Alliierten mit den Absichten des Bundesverteidigungsministers zusammen, weitere Standorte zu schließen. Der Bund darf die Probleme den Kommunen und den Ländern nicht einfach vor die Tür kippen. Wir verlangen, daß sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung stellt und die erheblichen strukturpolitischen und finanziellen Folgen gemeinsam mit den Ländern angeht. Deshalb wollen
wir ein Konversionsprogramm. Dafür sollen im Jahre 1995 in der Anlaufphase 100 Millionen DM bereitgestellt werden, damit die Menschen sehen, daß wir ihre Nöte ernst nehmen.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat den Neuanfang auf der ganzen Linie verpaßt. Haushaltspolitisch geht der Marsch in den Verschuldungsstaat. 1996 werden wir einen sprunghaften Anstieg der Neuverschuldung erleben, auch wenn Herr Waigel zur Zeit alles wieder schönrechnet. In der geltenden Finanzplanung stehen 60 Milliarden DM. Das ist gewiß zu hinterfragen, aber Sie haben ja den Kassensturz verweigert. Sonst wüßten wir es genauer. Nach Ihren eigenen Aussagen müssen zusätzliche Haushaltslöcher im Volumen von 30 Milliarden DM gestopft werden, bei der Freistellung des Existenzminimums, beim Familienleistungsausgleich, bei der Kohleverstromung, bei der Bahnfinanzierung, bei der Arbeitslosenhilfe. Dabei sind noch nicht gerechnet die zusätzlichen Finanzmittel bei der unumgänglichen Wohngeldnovelle, die mindestens 1 Milliarde DM kostet, bei der BAföG-Anpassung, beim Hochschulausbau, bei der Konzentration der Ost-Förderung. Dafür haben Sie noch keine Mark eingeplant.
Herr Waigel, bei dem Wirrwarr um Ihr Jahressteuergesetz haben Sie offensichtlich auch übersehen, daß die Verschiebung des Zahltermins bei der Umsatzsteuer auf den 28. Dezember in den öffentlichen Haushalten ein kassenmäßiges Loch von 15 Milliarden DM reißen wird, davon gut 8 Milliarden DM beim Bund. Sie, Herr Bundesfinanzmininister, haben offensichtlich noch gar nicht gemerkt, daß Ihre zusätzlichen Haushaltslöcher 1996 eher bei 40 denn bei 30 Milliarden DM liegen werden.
Bei diesem Haushaltsloch kommt jeder Finanzminister mächtig unter Druck, und zwar unter den Druck der Verfassung. Denn in Ihrer Finanzplanung stehen die Investitionen nur mit rund 70 Milliarden DM. Nach der Kreditobergrenze des Art. 115 des Grundgesetzes dürfen Sie diese Grenze nicht überschreiten. Ihre Regierung verkündet ja jedes konjunkturelle Lüftchen als Aufschwung. Damit scheidet also die Ausnahmeermächtigung einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für Sie aus.
Weil Sie wenigstens auf dem Papier unter 70 Milliarden DM kommen wollen, landen Sie nun gleich einen Rundumschlag - zunächst die Probleme verdrängen, wie bei der Arbeitslosenhilfe und der Bahnreform, dann kräftig in die Sozialkasse greifen, wie bei der Bundesanstalt für Arbeit, und schließlich den Umsatzsteuerkompromiß des Jahres 1993 aufkündigen und die Probleme den Ländern damit vor die Tür kippen: Typisch Waigel eben.
Herr Waigel, in dieser Republik trägt noch immer der Finanzminister die Verantwortung. Deshalb sind Sie gefordert, die Finanzierung der Bahnreform zu bewerkstelligen. Sie haben am 17. März 1994 in Ihren „Finanznachrichten" geschrieben, daß ab 1996
Karl Diller
die fehlenden Mittel für die Bahnreform aus dem Verkehrsbereich zu finanzieren sind. Dann bekennen Sie nun Farbe. Sind Sie dafür, ab 1996 Autobahngebühren zu erheben? Dann sagen Sie es. Wenn nicht, frage ich Sie: Wo sollen denn die Einnahmen aus der Privatisierung im Volumen von 6 Milliarden DM dauerhaft herkommen? Aus dem einmaligen Verkauf von Liegenschaften, wie Sie im Fernsehen weismachten, doch wohl nicht. Und in den folgenden Jahren? Wollen Sie dann die Autobahn verkaufen? Die Lufthansa und den Rhein-Main-Donau-Kanal werden Sie ja dann schon verkauft haben. Herr Waigel, das alles hat doch weder Hand noch Fuß.
Was wir von Ihnen verlangen, ist, daß Sie sich an das Haushaltsrecht halten. Wir verlangen die Etatisierung der Arbeitslosenhilfe nach dem geltenden Gesetz. Seit zwei Jahren verstoßen Sie dagegen und etatisieren die Arbeitslosenhilfe nicht nach geltendem Recht, weil Ihre Regierung in einem Akt der sozialen Piraterie den Bezug der Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre begrenzen, die betroffenen Menschen in die Sozialhilfe schicken und den Gemeinden die finanziellen Lasten aufhalsen will. Mit diesem Vorhaben werden Sie in Zukunft wie auch in der Vergangenheit an den Sozialdemokraten dieses Landes scheitern, Herr Waigel.
Für die Haushaltslöcher für Kohleverstromung, Kindergeld und Existenzminimum wollen Sie durch die vollständige Streichung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit eine Gegenfinanzierung herstellen. Dazu stellen wir fest: Die Koalition rechnet Arbeitslose gegen Kohle auf, spielt Arbeitslose gegen Kinder und Familien aus. Das ist Zynismus. Das ist Ihre Politik: Beim Langzeitarbeitslosenprogramm lassen Sie Arbeitslose zugunsten von Langzeitarbeitslosen verzichten. Beim Obdachlosenprogramm lassen Sie Wohnungssuchende zugunsten von Obdachlosen verzichten. Nun sollen die Schwächsten unserer Gesellschaft, die Arbeitslosen, durch Verzicht auf Fortbildung und Umschulung die Milliarden für Kindergeld und Existenzminimum aufbringen. Zynischer geht es nicht, Herr Waigel.
Angesichts von über drei Millionen Arbeitslosen darf die Arbeitsmarktpolitik nicht zum Steinbruch des Bundes werden. Die Bundesanstalt braucht Geld für aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir haben dazu schon in der letzten Wahlperiode einen Gesetzentwurf vorgelegt: ein arbeitsmarkt- und strukturpolitisches Konzept, in dem wir den Weg zeigen, wie Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik miteinander zu verknüpfen sind, damit mehr zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen. Wir wollen, daß Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit finanziert wird.
Herr Bundeskanzler, vor zwei Jahren haben Sie das Föderale Konsolidierungsprogramm, mit dem die Finanzausstattung der ostdeutschen Länder auf eine tragfähige Grundlage gestellt wurde, als Meilenstein in den Bund-Länder-Finanzbeziehungen gefeiert: Ein Beispiel sei das, in kooperativem Handeln zwischen Bund und Ländern schwierigste Probleme lösen zu können. Die Belastungsfähigkeit dieser Neuregelung ist 1995 noch nicht einmal im Ansatz erprobt, da versucht Herr Waigel schon, diese Vereinbarung aufzukündigen, weil angeblich die alten Länder auf Grund der Steuerentwicklung an dieser Vereinbarung verdienten.
Herr Bundesfinanzminister, wir warnen Sie, jetzt die strategischen Grundlagen des föderativen Finanzsystems zu gefährden, die mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm gelegt wurden. Sie sitzen hier im Glashaus; deshalb sollten Sie nicht mit Steinen werfen, Herr Waigel. Denn statt der von Ihnen versprochenen 10,5 Milliarden DM haben Sie zur Finanzierung der Treuhandaufgaben lediglich 5,5 Milliarden DM im Haushalt bereitgestellt. Außerdem hatten Sie den Schuldendienst für den Erblastentilgungsfonds ursprünglich mit 30 Milliarden DM pro Jahr berechnet. Tatsächlich fällt die Haushaltsbelastung für Sie aber um 5 Milliarden DM geringer aus als erwartet. Sie, der Bundesfinanzminister, sparen also jährlich über 10 Milliarden DM gegenüber Ihrer damaligen Zusage. Deshalb, Herr Waigel, wenn Sie hier ein Faß aufmachen und nachjustieren wollen, dann fliegt Ihnen einiges um die Ohren. Das kann ich Ihnen schon jetzt versprechen.
Vor vier Monaten nannten wir Sozialdemokraten für die Finanzpolitik in dieser Wahlperiode vier Hauptaufgaben, die unsere Anträge zum Haushalt aufgreifen und umsetzen: erstens Umschichtung im Haushalt zugunsten von Zukunftsinvestitionen für neue Arbeitsplätze in Ost und West, für die Förderung von Wissenschaft, moderner Technologie und Ausbildung; zweitens Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, damit wir durch Sparen und Umschichten aus der Schuldenfalle herauskommen, ohne nur die Lasten zu verschieben; drittens steuerliche Entlastung der viel zu hoch besteuerten Familien mit Kindern; viertens die Freistellung des Existenzminimums.
Auf allen vier Feldern haben Sie entweder versagt oder bieten Sie nur unzureichende Lösungen an. Deshalb lehnen wir Ihren Etat ab.