Rede von
Doris
Odendahl
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Der Anlaß unserer heutigen Debatte, die 17. BAföG-Novelle, zu der von der SPD schon im vergangenen Jahr Anträge im Bundestag und im Bundesrat eingebracht wurden, hat - Herr Kollege Guttmacher, das stimmt wirklich - eine unendliche Geschichte.
Für die Bundesregierung ist sie kein Ruhmesblatt, und ich verstehe gut, Herr Rüttgers, daß Sie so eine Vergangenheit möglichst schnell verdrängen wollen.
Es geht um die längst fällige Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze und um weitere notwendige Leistungsverbesserungen für die Studierenden. Die Notwendigkeit ist von allen Seiten unbestritten; das Gesetzgebungsverfahren ist hängengeblieben, warum auch immer; Schuldzuweisungen helfen den Studierenden nicht weiter. Deshalb gleich zur Sache:
Tatsache ist, daß der Kompromißvorschlag des Vermittlungsausschusses von der Regierungskoalition abgelehnt wurde. Tatsache ist auch, daß deshalb den bedürftigen Studierenden und auswärts wohnenden Schülerinnen und Schülern die Erhöhung zum Herbst 1994 versagt wurde.
Koalition und Bundesregierung haben die Aufsetzung des Bundesratsantrages und des SPD-Gesetzentwurfs seit Herbst 1994 verhindert. Sie haben doch geblockt, meine Damen und Herren. Sie haben damit Fakten geschaffen, die wiederum zum Nachteil der Betroffenen wirken. Die rückwirkende Erhöhung zum Herbst 1994 ist nunmehr wegen Abschluß des Haushaltsjahres nicht mehr möglich. Das haben Sie gewollt. - Soviel zum Thema „Ruhmesblatt".
Gleichwohl - und auch so von dieser Bundesregierung in der Vergangenheit praktiziert -, ist immerhin noch eine rückwirkende Anpassung wenigstens zum Januar 1995 möglich und geboten sowie finanzpolitisch vertretbar. Es geht um eine Anhebung - Sie wollten es ja hören, Herr Minister Rüttgers - der Bedarfssätze und der Freibeträge um 4 %, so lautet unser Antrag, um Leistungsverbesserungen für ostdeutsche Studierende im Rahmen der Härteverordnung, um eine Regelung für Ost- und West-Berliner Studenten und um das Berechnungsjahr für die Einkommensanrechnung sowie sonstige Verbesserungen im Bereich der Sozialpauschale, der Pflegeversicherung usw.
- Alles drin. Es ist in unserem Antrag drin; Sie haben es dann ganz leicht.
Alle diese Punkte wurden im Kompromißvorschlag des Vermittlungsausschusses aufgenommen. Deshalb hat wahrscheinlich der Herr Minister Rüttgers, als er noch Geschäftsführer war, damals zugestimmt. Die SPD hat dazu ihren Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht; der Bundesrat hat die Punkte ebenfalls in einem eigenen Antrag formuliert.
Die Anpassung sollte schon deshalb rückwirkend zum 1. Januar 1995 erfolgen, weil dabei auch sichergestellt sein muß, daß die nächste turnusmäßige Anpassung zum Herbst 1996 und nicht, wie nun offenbar durch die ganze Verzögerungstaktik vorgesehen, erst 1997 zu erfolgen hat. Sie sollten es gar nicht erst mit solchen Tricks versuchen.
Es ist auf Dauer keine praktikable und für die Betroffenen auch keine zumutbare Lösung, solche turnusmäßigen Anpassungen immer wieder einem Vermittlungsverfahren auszusetzen.
Nachdem in diesem Bereich schon einmal ein Kompromiß gefunden wurde, möchte ich die Bundesregierung ganz nachdrücklich vor einem erneuten Vermittlungsverfahren warnen. Es ist von uns nicht gewollt, und die Möglichkeit, es zu verhindern, haben Sie.
Eine mehr als durchsichtige Begründung für die schleppende Behandlung unseres Gesetzentwurfs war der Verweis der Bundesregierung auf den nun auf Drucksache 13/735 vorliegenden BAföG-Bericht. Wer sich dabei Hoffnungen gemacht hatte, in diesem Bericht seien nun die notwendigen Konsequenzen endlich aufgezeigt, sah sich mehr als enttäuscht. Der Bericht drückt sich nämlich um die notwendigen Kernaussagen. Es ist ja angesichts der Vorgeschichte schon fast Satire, ihm entnehmen zu dürfen, daß die Bundesregierung „rechtzeitig" Vorschläge zur BAföG-Anpassung und zu einer weiteren Reform des BAföG vorlegen wird. Schön, daß Sie da sind, Herr Minister Rüttgers: Bitte, was ist denn nun „rechtzeitig"? Wir würden es gerne hören.
Die Äußerungen, die Sie bei der Befragung der Bundesregierung in der vergangenen Woche getan haben, nachdem es einen genauso vagen Kabinettsbeschluß gegeben hat, waren recht sibyllinisch. Sie konnten oder wollten weder genaue Zahlen noch einen ganz genauen Zeitpunkt nennen. Angepeilt wird - das haben Sie vorhin gesagt - der 1. Oktober 1995. Ich kann mir ja gut vorstellen, daß es bei den Verhandlungen mit dem Finanzminister kostengünstiger wird, das Jahr 1995 nur noch aus drei Monaten bestehen zu lassen.
Ganz abgesehen davon bestehen genauso unklare Vorstellungen zur Finanzierung der Aufstiegsfortbildung. Auch da sind wir schon ganz gespannt.
Für die Studierenden auf jeden Fall ist dies nicht zumutbar: das Jahr 1994 weggedrückt, das Jahr 1995 auf drei Monate reduziert. Verzeihen Sie die harte Formulierung, Herr Präsident: Das ist Beschiß.
Die 14. Sozialerhebung, die die eigentliche Grundlage des BAföG-Berichts sein müßte, wurde erst gar nicht eingearbeitet. Es drängt sich der Verdacht auf,
Doris Odendahl
daß sich die Bundesregierung davor gescheut hat, weil die Kluft zwischen den ermittelten Fakten und den aufgezeig ten Konsequenzen ganz offensichtlich zu groß geworden wäre.
Ausgelassen wurde im Bericht der Bundesregierung auch die Frage des zweiten Studienstandsnachweises. Wenn Sie denn zu der Ansicht gekommen sein sollten, daß dieser bei der derzeitigen Situation der Hochschulen weder hilfreich noch praktikabel ist, wäre es eine späte, aber richtige Erkenntnis - mein Kompliment, Herr Minister.
Nachdem Sie den Reformbedarf beim BAföG ausdrücklich bestätigen, möchte ich Ihnen für die SPD-Fraktion gern zusichern, daß wir dazu unsere Vorschläge einbringen werden. Für die SPD ist und bleibt das BAföG ein Sozialleistungsgesetz, das nicht zur Steuerung des Hochschulzugangs und der Studiendauer mißbraucht werden darf.
Wir gehen davon aus, daß alle Regelungen zur sozialen Sicherung der Studierenden in einem Zusammenhang mit Neuregelungen der Schülerförderung und der Förderung der Berufsbildung außerhalb der Hochschulen gesehen werden müssen. Daran besteht gar kein Zweifel. Wir warten gespannt auf die konkreten Vorschläge der Bundesregierung. Wir werden dazu unsere eigenen Vorstellungen einbringen und halten eine sorgfältige Beratung und auch entsprechende Expertenanhörungen für notwendig. Das werden wir tun müssen.
- Das müssen Sie doch machen. Sie hatten ja die Idee.
Ebenfalls geprüft werden muß, ob in der 17., spätestens jedoch in einer 18. BAföG-Novelle die volle Angleichung der ostdeutschen Förderbedingungen erfolgt. Die SPD-Fraktion fordert dies ganz nachdrücklich. Ich habe Töne gehört, daß dies bei Ihnen auch so angegangen wird. Das ist auch notwendig.
Ferner verweisen wir auf den von uns initiierten Berichtsauftrag zur Studienabschlußförderung im Herbst 1995. Wir kündigen dazu schon heute an, daß wir eine weitere Verlängerung für erforderlich halten, da sich die materiellen Studienbedingungen trotz der von den Ländern eingeleiteten Strukturreform noch nicht so weit verbessert haben, daß ein Studienabschluß in der Regelstudienzeit bzw. im Rahmen der jetzigen Förderungshöchstdauer realisierbar wäre. Der Herbst 1995 ist schnell da.
Zur Förderungshöchstdauer selbst bleibt festzuhalten, daß es dazu einer Einigung mit den Ländern bedarf. Über das Ziel einer Verkürzung der Studienzeiten besteht Konsens, nicht aber in der Frage der Methoden und der Maßnahmen, mit denen diese erreicht werden soll.
Mit der Prüfung des Zeitpunkts für eine neue Festsetzung der Förderungshöchstdauer sollten die BLK und der Beirat für Ausbildungsförderung beauftragt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt lehnen wir sie ab. Wir sehen darin auch eine Zwangsmaßnahme gegen bedürftige Studierende und einen Abbau von Chancengleichheit.
Mit den im Bericht gemachten Aussagen zum Zweitstudium stimmen wir nicht überein. Es ist dabei auf jeden Fall zu berücksichtigen, daß Zweitstudien durchaus auch beschäftigungspolitisch erwünscht sein können. Genauso verhält es sich mit Einschränkungen beim Fachrichtungswechsel. Solche Maßnahmen müssen sorgfältig geprüft werden. Auch dies gehört in eine Anhörung.
Der Beschluß der Hochschulrektorenkonferenz geht eindeutig zu Lasten bedürftiger Studierender. Als Richtlinie für eine künftige gesetzliche Regelung ist er deshalb ungeeignet. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Hochschulrektorenkonferenz bei Reformvorschlägen mehr im eigenen Bereich innovativ sein würde, anstatt sich immer neue Marterinstrumente für Studierende auszudenken.
Ich fordere Sie auf, Herr Minister Rüttgers, ein solch wichtiges Reformvorhaben nicht mit der heißen Nadel zu stricken und es auch nicht unter dem Diktat des Finanzministers zu verwässern.