Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Es leben Menschen unter uns - 50 Jahre nach Ende des letzten Krieges, ein halbes Jahrhundert ist das -, die heute noch unter dem Verlust ihrer engsten Angehörigen - Väter, Brüder, Söhne - leiden müssen, die durch Unrecht ums Leben gebracht worden sind, häufig in jungen Jahren, und die dadurch nicht nur Schmerz, die nicht nur die große Leere in ihren Familien hinterlassen haben, sondern denen heute noch Makel anhaften, unter denen die Angehörigen zusätzlich zu leiden haben, weil die Theorie aufrechterhalten wird, jedenfalls nicht mit der nötigen Deutlichkeit beseitigt worden ist, es sei an diesen Urteilen, weil sie denn nun einmal ergangen sind, doch etwas dran, und darum sei mit diesem schrecklichen Ende in jungen Jahren auch noch ein Makel, ein Verlust der Ehre verbunden.
Daß wir uns erst jetzt - ich hoffe, mit der nötigen Kraft - diesem Vorgang stellen, nachdem wir andere, in etwa vergleichbare Vorgänge schließlich in Gemeinsamkeit in diesem Haus in die Hand genommen haben, weil sie ganz offenbar von der Justiz aus ei-
Detlef Kleinert
ner Reihe von Gründen, die ich jetzt nicht weiter auszuführen wünsche, nicht bewältigt werden konnten, ist tief bedauerlich, aber es ist für uns jedenfalls um so mehr Ansporn, es jetzt zu schaffen.
Das Wort Rehabilitation erscheint mir sehr formal. Das Wort Wiedergutmachung erscheint mir völlig vermessen. Das alles wird nicht zu leisten sein. Das Wenige, das wir leisten können, ist, Klarheit zu schaffen, jedenfalls über die politische Auffassung dieses Hauses, dieser Vertretung des Volkes, das das alles durchlitten hat und mit zur Verursachung und Veranlassung beigetragen hat.
Die klare Stellungnahme dieses Hauses dazu steht noch aus. Das ist das, was wir leisten müssen, in erster Linie wegen der Menschen, um die es geht, in zweiter Linie aber auch, wie Herr Kröning schon ausgeführt hat, um der Richter willen, die auch in Zukunft als angesehene Glieder unseres Staates Recht sprechen sollen, und um der jungen Soldaten willen, die heute in der Bundeswehr dienen und die wissen müssen, wie sie mit der Vergangenheit dieser Bundeswehr und der dazu gerechneten Justiz umzugehen haben, was sie davon zu halten haben. Diese Standpunkte gilt es zu klären, soweit das heute überhaupt noch möglich ist. Dem müssen sich zunächst unsere Diskussion und dann die Methoden, mit denen wir das Ziel zu erreichen versuchen, angleichen.
Wir wollen Unrecht Unrecht nennen. Ich habe nicht gehört, daß Herr Kollege Scholz etwa in Abrede gestellt hätte, in welch ungeheuerlicher Weise in diesem Zusammenhang Unrecht geschehen ist. Darin sind wir uns einig, und das wollen wir auch so feststellen. Es geht aber sicher nicht an, Unrecht zu rügen, sich zu Unrecht auch zu bekennen und es zu bereuen und gleichzeitig neues Unrecht dadurch zu setzen, daß man nicht genügend differenziert,
daß man genausowenig differenziert, wie das gerade in der hier in Rede stehenden Militärjustiz geschehen ist. Das kann nicht sein; das wäre ein schlechter Weg.
Deshalb haben wir davon abgesehen, einen eigenen Entwurf einzubringen. Weder die Fraktion der Freien Demokraten noch die der CDU/CSU oder die Koalition insgesamt haben hier einen Entwurf vorgelegt, obwohl wir uns sehr intensiv mit der Frage befaßt haben - es gab ja bereits Beispiele für ein solches Vorgehen -, was wir hier unternehmen könnten. Wir wollten lediglich eines vermeiden: Wir wollten nicht in einer so wichtigen Frage dadurch, daß wir noch einige weitere Formulierungsvorschläge öffentlich machen, dazu kommen, daß wir weniger um die Sache als um Worte ringen, bei der friedlichen und zielgerichteten Auseinandersetzung, die wir noch vor uns haben, die wir zum Teil - das ist bereits erwähnt worden - auch begonnen haben, und nicht erst seit gestern.
Deshalb haben wir keinen Entwurf vorgelegt. Ich kann aber sehr klar sagen, was wir wollen: Wir wollen deutlich machen, daß hier in unglaublich vielen
Fällen Unrecht geschehen ist und daß deshalb den Urteilen keine rechtliche Wirkung zukommen kann.
Wir wollen des weiteren deutlich machen, daß wir in dem bescheidenen Rahmen, der uns überhaupt gegeben ist, dafür eintreten wollen, daß - „Entschädigungen" mag ich nicht sagen - im Rahmen der Möglichkeiten gewisse Leistungen des Staates für die Opfer und insbesondere für die Hinterbliebenen erbracht werden.
Das wiederum muß in einer Form geschehen, die jegliche neuen Wunden vermeidet, die selbst bei dem tückischen Wort „Beweislastumkehr" oder „Vermutung" immer wieder auftreten. Auch bei Beweislastumkehr habe ich nur unter etwas anderen prozessualen Regeln und prozessualer Rollenverteilung das Vergangene erneut aufzurollen. Insbesondere in Fällen von Todesurteilen halten wir das - noch dazu nach einem halben Jahrhundert - für völlig unzumutbar für die Beteiligten. Deshalb habe ich in der Debatte in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen, die Bundesregierung und die zuständigen Behörden der Länder von hier aus aufzufordern - gegebenenfalls auch die nötigen gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen -, daß in einem objektivierten Verfahren, eben ohne - unter welcher prozessualen Voraussetzung auch immer - in eine neue Prüfung einzutreten, Entschädigungen geleistet werden. Das erscheint mir das einzig angemessene Verfahren zu sein. Ich habe das Gefühl, daß wir uns dem nähern können.
Das heißt dann aber schließlich: Nicht alle Urteile können wir aufheben, wenn wir nicht neues Unrecht setzen wollen. Wir wollen vielmehr deutlich machen, daß sehr viele Urteile Unrecht waren.
Wir wollen, ohne erneute Verletzungen zu schaffen, daraus die jetzt noch möglichen Konsequenzen ziehen. Genauso wie uns im Falle der Volksgerichtshofsurteile gemeinsames Handeln vor nunmehr zehn Jahren gelungen ist, so muß es uns auch hier gelingen. In dieser Hoffnung, in dieser Zuversicht - so möchte ich sogar sagen - gehen wir in die Beratungen, die jetzt vor uns liegen.
Für kleinliche Auseinandersetzungen ist hier kein Raum. Alle Zahlen, die man in den letzten Tagen wieder weit ausgebreitet lesen konnte, mögen für die Geschichte, auch für die Justizgeschichte, von Bedeutung sein. Jedes einzelne Unrechtsurteil aber ist ein Schicksal, das nicht sein durfte. Durch einen noch so großen Multiplikator ändert sich daran nichts. Es ändert sich die Quantität; aber die Qualität ist in jedem einzelnen Fall schrecklich genug.
Mit all solchen statistischen Fragen haben wir es hier nicht zu tun; wir haben es vielmehr in diesem Zusammenhang mit der Frage von Recht und Unrecht zu tun. Dieser wollen wir uns stellen.