Rede von
Christoph
Matschie
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schwaetzer, Sie haben die Opposition aufgefordert, der Bundesregierung noch etwas mehr Mut zu machen. Ich glaube, das hat sie auch dringend nötig. Denn wir haben in
Christoph Matschie
der Vergangenheit immer wieder feststellen müssen, daß sie vor ihrer eigenen Courage zurückschreckt.
Mein Kollege Müller hat deutlich gemacht, wie weit die Bundesregierung bei ihren Vorstellungen schon war, was die CO2-Reduktion in Deutschland betraf, nämlich mindestens 25 % für die alten Bundesländer und weit mehr für die neuen Bundesländer. Heute rechnet man schon alles das, was bisher geschehen ist, fein säuberlich zu 14 % zusammen und verkündet große Erfolge, obwohl man ganz genau weiß, daß eigentlich noch wenig passiert ist; denn die CO2-Emission ist in den alten Bundesländern weiter angestiegen, und das, was man als Erfolg verkünden kann, hängt mit dem Umstrukturierungsprozeß in Ostdeutschland zusammen.
Die Bundesregierung hat auch an anderen Stellen der Mut verlassen. Auch die CO2-Abgabe ist nicht weiter verfolgt worden. In der Tat, die Bundesregierung hat es nötig, daß man ihr Mut macht. Und sie hat es nötig, daß man ihr Beine macht! Denn das, was passiert, reicht nicht aus.
Da reicht es auch nicht aus, wenn hier schöne Worte gemacht werden, und es reicht auch nicht aus, wenn man lauthals versucht, hier deutlich zu machen, was erreicht worden ist. Das Klima läßt sich nicht überreden. Das Klima läßt sich nur von Fakten beeindrucken.
Wenn man sich die Fakten anschaut, dann muß man feststellen, daß die CO2-Emissionen in fast allen Ländern in den letzten Jahren weiter angestiegen sind - mit Ausnahme der Staaten des ehemaligen Ostblocks. Man muß auch feststellen, daß in den alten Ländern der Bundesrepublik die Emissionen weiter angestiegen sind.
Nun ist hier oft das Argument ins Spiel gebracht worden: Das liegt alles daran, daß es international so schwierig ist, daß man international nicht weiterkommt, und das Problem läßt sich nur international lösen, weil es ein globales Problem ist. In der Tat, es ist ein globales Problem, und internationale Lösungen sind notwendig. Aber dies kann doch keine Entschuldigung dafür sein, daß man national Handlungen unterläßt, die möglich wären.
Ich möchte an dieser Stelle eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zitieren, das da schreibt:
Angesichts der globalen Klimaprobleme ist zwar eine international abgestimmte Politik höherer Energiepreise anzustreben, jedoch spricht dies allein noch nicht gegen nationale Vorstöße, zumal aus volkswirtschaftlicher Sicht bedacht werden muß, daß höhere Energiepreise auch Impulse für Innovation geben könnten, die die langfristigen Wettbewerbsaussichten zu verbessern in der Lage wären.
Es gibt Möglichkeiten, national zu handeln. Sie müssen nur ergriffen werden.
Ein zweites Problem, das ich sehe, sind Unstimmigkeiten in der Strategie. Wir haben erlebt, daß der Kanzler in Rio versprochen hat, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen: auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts. Wir sehen, wenn wir uns die Haushaltszahlen vornehmen, daß der Haushalt seit 1992 sogar nominal gesunken ist. Wie gehen solche Ankündigungen mit der Realität zusammen?
Glaubwürdigkeit ist eine der entscheidendsten Voraussetzungen für wirksame Umweltpolitik, international und national. Wir haben es immer wieder mit Versprechen zu tun, die nicht eingehalten werden, und wir haben es damit zu tun, daß versucht wird, mit Versprechen Politik zu ersetzen. Denn was ist mit der Diskussion passiert, ordnungsrechtliche Maßnahmen einzuleiten, um eine ökologisch orientierte Industriepolitik in diesem Land zu gestalten? Was übriggeblieben ist, sind Versprechen der Industrie. Wer aber wird diese Versprechen einklagen, wenn sie nicht eingehalten werden?
Wir erleben auch, daß schon in der Presseerklärung der Bundesregierung dazu vermerkt ist: Wenn die Industrie die Versprechen nicht einhält, werden wir uns weitere Schritte überlegen. Das riecht alles danach, daß hier Zeit geschunden werden soll.
Das riecht nach Aktionismus vor internationalen Konferenzen.
So heißt es z. B. im Umweltbericht 1994 der Bundesregierung:
Alle Diskussionen zum Verkehrssektor zeigen, daß hier eine absolute Verringerung der CO2Emissionen nur mit erheblichen staatlichen Eingriffen erreichbar wäre.
Was macht die Bundesregierung? Sie setzt auf Selbstverpflichtung aus der Autoindustrie, die im Gegenzug zur Verpflichtung, den CO2-Ausstoß um ein Viertel zu senken, „die dritte Fahrspur auf Autobahnen" zum „unverzichtbaren Bestandteil einer aktiven Klimapolitik" erklärt.
Da greift man sich an den Kopf, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist keine Umweltpolitik mehr.
Selbstverpflichtungen sind in der letzten Zeit der große Renner. Ich möchte dazu eine Studie zitieren, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat und die noch ganz frisch ist: vom Dezember 1994. Das Thema dieser Studie lautet: „Die externen Kosten der Energieversorgung - internalisieren ohne Staat?" Die Prognos AG, die diese Studie erstellt hat, schreibt dazu:
Christoph Matschie
Wir befinden uns derzeit in einer Phase der Akkumulation von Erkenntnissen über die bedrohlichen Ausmaße möglicher externer Kosten. Gleichzeitig akkumuliert aber auch das technologische und organisatorische Wissen über die Vermeidbarkeit dieser Kosten. In einer solchen Phase muß der Staat für eine erfolgreiche Internalisierung die Rahmenbedingungen neu setzen, damit sich die innovativen Potentiale der Unternehmen auf breiter Front entfalten können und sich die Realisierung dieser Potentiale in der gebührenden Geschwindigkeit einstellt.
Internalisieren ohne Staat? Der Schluß lautet: Ohne den Staat geht es nicht.
Doch die Bundesregierung setzt weiter auf Versprechen statt auf Politik. Wie kann man Erfolge verkünden, ohne sich wirklich festzulegen?
Zu diesem Aktionismus vor Konferenzen paßt auch die Ankündigung des Bundesverkehrsministers zur Umgestaltung der Automobilsteuer, die bisher noch völlig unausgereift ist und deren Wirkung schon jetzt von vielen Seiten angezweifelt wird. So schreiben z. B. die „Dresdner Neuesten Nachrichten" dazu:
Auch wenn der Verkehrsminister am Wochenende mal wieder seine Nase rümpfte - die Besitzer von kleinen und großen Stinker-Autos können durchatmen. Wissmanns angedrohte „emissionsorientierte Kfz-Steuer" riecht eher nach Aktionismus denn nach ernsthaftem Bemühen, den Nebel rauchiger Abgasfahnen zu lichten. Denn wer wird schon seinen alten Wartburg verschrotten, nur weil dieser ihn ab nächstem Jahr ganze 24 Mark mehr an Steuern kostet?
Die Kfz-Steuer hat sich schon immer als untaugliches Mittel erwiesen, um Umweltbewußtsein zu fördern. Sinnvoller wäre es, sie auf den Benzinpreis umzulegen . . .
Recht hat der Kommentator.
Wir dürfen nicht im Bereich solcher symbolischen Politik bleiben. Irgendwann reicht es nicht mehr aus, nur Ankündigungen und Versprechungen zu machen, die folgenlos bleiben, oder auf Konferenzen bedeutungsvoll die Stirn in Falten zu legen. Irgendwann muß man auch das Hirn dahinter etwas mehr bewegen und zu Taten kommen.
Die Zeit läuft uns bei diesem Thema weg; die Glaubwürdigkeit schwindet bei jeder Ankündigung, der keine Taten folgen. Wir wissen um die bedrohlichen Probleme. Wir haben Handlungsmöglichkeiten, auch national, aber wir nutzen sie zuwenig. Dies ist ein Betrug an all denen, die heute jung sind, und an allen nachfolgenden Generationen.
Wir beuten die Erde in einer Weise aus, die die Lebenschancen künftiger Generationen mehr und mehr einschränkt. Damit wird der Generationenvertrag gebrochen. Schon jetzt gibt es 10 bis 15 Millionen Umweltflüchtlinge pro Jahr. Irgendwann werden wir vor die Frage gestellt werden: Warum habt ihr das zugelassen? Warum habt ihr die Erde kaputtgemacht? Da wird es keine Gnade der späten Geburt geben. Wir haben Chancen, drastischere Schritte im Umweltschutz zu gehen. Noch ist es nicht zu spät. Nutzen wir diese Chancen!