Ich wollte gar keine Zwischenfrage stellen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die drohende Klimakatastrophe ist eine Menschheitsherausforderung. Insofern finde ich es wichtig, wenn wir das Problem nicht vereinfachen. Um was es im Kern geht, ist ein Bruch in unserem bisherigen Verständnis von Entwicklung und auch mit unseren bisherigen Formen von Wachstum und Wirtschaftsorganisation.
Es gibt bei der SPD-Opposition niemanden, der die Tragweite des Problems nicht sieht. Hier geht es nicht - um einen modischen Begriff zu nehmen - um Peanuts, sondern hier geht es wirklich um eine fundamentale Veränderung und um eine fundamentale Herausforderung an die Politik. Das ist die Ausgangssituation.
Weil das die Ausgangssituation ist, brauchen wir aber mehr Ehrlichkeit in der Debatte. Da hilft Schönreden nichts, und da hilft vor allem auch keine „Als-
ob-Politik", nämlich so zu tun, als ob man unheimlich viel tun würde, obwohl sich in Wahrheit nichts bewegt. Beides geht nicht.
Uns ist klar, daß Klimaschutz mit großen Konflikten und auch mit einer enormen Herausforderung an uns alle - an die Bevölkerung, an die Wirtschaft und an die Politik - verbunden ist. Aber weil das so ist, lehnen wir es strikt ab, das Thema schönzureden, die eigenen Leistungen höherzustellen, als sie sind. Und vor allem lehnen wir es ab, so zu tun, als ob man politisch handelt, obwohl man in fünf Jahren gerade einmal eine kümmerliche Wärmeschutzverordnung zustande bekommen hat.
Wir gehen davon aus, daß sich in den Klimaänderungen die Zukunftsherausforderungen wie in einem Brennglas bündeln. Uns ist auch klar, daß es hier nicht allein um ein Umweltproblem geht, sondern daß damit zentrale Fragen verknüpft sind wie die dramatische soziale Ungleichheit der Welt,
unser Verständnis von Technik, unser Verständnis von weltwirtschaftlicher Entwicklung etc.
Als zentrale Eingangsbemerkung möchte ich deshalb sagen, daß in all diesen Fragen, die wir jetzt und in der Zukunft zu bewältigen haben, die traditionellen Antworten, die wir über Jahrhunderte hatten, nicht mehr helfen. Wir können beispielsweise mit einem grenzenlosen Freihandel eine solidarische Weltgesellschaft nicht erreichen.
Wir können mit einem grenzenlosen Glauben an die Kräfte des Marktes den ökologischen Umstieg nicht verwirklichen. Und wir können auch mit dem Verständnis eines grenzenlosen Individualismus die notwendige Sicherung von kollektiven Rechten der nachfolgenden Generationen nicht erreichen.
Das heißt, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind sehr tiefgehend. Sie erfordern mehr, als unsere Politik nur marginal zu verändern. Vielmehr stehen wir in den Industrieländern vor einer tiefgehenden Wende in unserem Verständnis von Fortschritt und Entwicklung.
Meine Damen und Herren, die bedrohliche Ausgangssituation in der Klimadebatte ist die, daß eine Trendverlängerung der heutigen Emissionen in eine Katastrophe führen würde. Wir werden in den nächsten Jahren eine dramatische Zuspitzung der Probleme erleben, vor allem natürlich durch die forcierten Industrialisierungsprozesse in den Entwicklungsländern. An diesen forcierten Industrialisierungsprozessen wird sich aber nichts ändern, wenn wir nicht bei uns deutlich machen, daß man anders mit Energie, anders mit Rohstoffen umgehen kann, daß die wirtschaftliche und technische Entwicklung sehr viel umweltverträglicher werden kann. Wenn wir es nicht schaffen, eine energieschonende, rohstoffschonende, umweltverträgliche Wirtschaft zu verwirklichen, fahren die Prozesse der forcierten Industrialiserung nur in den Kollaps der Erde.
Es wird nicht anders gehen.
Insofern ist die Schlüsselfrage - und da beißt keine Maus einen Faden ab -, ob sich in dieser Hinsicht in den Industrieländern endlich grundlegend etwas ändert oder nicht. Das ist die Schlüsselfrage, an der alles andere hängt. Wir haben die Verantwortung.
Ich bin froh, daß heute nicht mehr darüber diskutiert wird, ob es überhaupt eine durch Menschen verursachte Klimaänderung gibt. In der Zwischenzeit sind die drei großen Hauptindikatoren so dicht und so lang geworden, daß wir sagen müssen: Die Wahrscheinlichkeit - um Professor Hasselmann zu zitieren - beträgt 95 %. Die Belege sind die Computer-Simulationsrechnungen, die klimageschichtlichen Vergleiche und die konkreten Beobachtungen.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse müssen wir mit drei großen Problemen umgehen, auf die wir bisher unzureichende Antworten geben; nämlich erstens die Globalisierung der Ökonomie, die uns na-
Michael Müller
tional immer mehr die Handlungsfähigkeit entzieht und uns in einer Weise unter Druck stellt, daß der größte Sünder an der Umwelt zu sein die Bedingungen diktiert, wobei wir mit diesen Formen von Niedrigkonkurrenz, von Umwelt- und Sozialdumping in einer sich globalisierenden Ökonomie bisher überhaupt nicht umgehen können.
Zweitens geht es darum, wie wir es mit Herausforderungen zu tun haben, die die Menschen zu überfordern drohen. Auch das darf man nicht vergessen. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind so komplex und so gewaltig, daß sie viele einzelne von uns überfordern. Das heißt in der Konsequenz, die Politik muß mehr Sicherheit geben, um Orientierung zu schaffen.
Drittens geht es darum, wie wir insgesamt wieder mehr Solidarität und mehr Gerechtigkeit schaffen. Wir können die ökologische Wende nur erreichen, wenn wir zu mehr Solidarität und mehr Gerechtigkeit kommen.
Diese drei Aspekte gehören zusammen: der Umgang mit Grenzen, der Umgang mit der Globalisierung der Ökonomie und die Schaffung von mehr Gerechtigkeit.
Vor diesem Hintergrund muß man, wenn man die letzten fünf Jahre Revue passieren läßt, noch einmal an Ihre Ausgangssituation erinnern. Die Ausgangssituation waren die Beschlüsse vom 17. November 1990. Damals hat die Bundesregierung drei Eckpunkte gesetzt. Der erste Beschluß bezog sich auf die Reduktion der CO2-Emissionen in den alten Bundesländern um 25 % und in den neuen Bundesländern um einen deutlich höheren Prozentsatz. Der zweite Beschluß lautete, daß wir nicht warten können, bis international begonnen wird, sondern national beginnen müssen. Der dritte Beschluß war: Wir beginnen mit einer nationalen CO2-Abgabe, dessen Aufkommen zweckgebunden für Umweltschutzmaßnahmen eingesetzt werden soll.
Das waren die drei Beschlüsse, die im Wahlkampfjahr 1990 gefaßt wurden. Ich betone bewußt „im Wahlkampf", weil ich glaube, daß diese Beschlüsse in der Form damals nur wegen des Wahlkampfes zustande gekommen waren.
Wenn man das heute Revue passieren läßt, stellt man fest: Erstens. In den alten Bundesländern sind die CO2-Emissionen seit 1990 um 3 % gestiegen. Das ist die Realität; da helfen keine Rechentricks. In den neuen Bundesländern sind sie in der Tat gesunken. Sie steigen aber auch hier seit 1994 wieder an, insbesondere durch die starke Zunahme des motorisierten Verkehrs.
Zweitens. Wir haben keine nationale Vorreiterrolle mehr, wenn wir sie überhaupt einmal innehatten. Ganz im Gegenteil: Das Ende dieser Position wurde durch den Brief von Herrn Kohl im Jahre 1992 an den BDI eingeleitet, als er zusicherte, Klimaschutzpolitik gebe es nur im internationalen Kontext. Das
Schlimmste in der CO2-Selbstverpflichtung der Industrie, ist, daß dort nicht einmal mehr „EU-weit" steht, sondern „zumindest EU-weit". Dies ist letztlich eine weitere Einschränkung Ihrer früheren Position im Zusammenhang mit der Selbstverpflichtung.
Drittens. Zu einer CO2-Abgabe ist es überhaupt nicht gekommen, geschweige denn, daß man das Aufkommen gezielt für nationale Klimaschutzmaßnahmen verwendet hat.
Meine Damen und Herren, wir werden ohne das Primat der Politik keinen Klimaschutz erreichen. Wir sind vor allem auf der politischen Ebene gefordert,
nicht aus der Selbstverpflichtung der Industrie heraus, gegen die niemand von uns etwas hat. Die Verantwortung muß also bei der Politik liegen. Sie muß den klaren Rahmen für den Klimaschutz setzen;
sonst ist dies in der Konsequenz die Selbstverabschiedung der Politik aus der Verantwortung. Doch daraus dürfen wir die Politik nicht entlassen.
Alle reden davon, Energie einzusparen. Alle reden von der Notwendigkeit des Einsatzes von erneuerbaren Energien. Unsere zentrale These ist: Wenn die Politik nicht den Raum für diese neuen Energietechniken schafft, werden sie nicht kommen. Sie werden nicht im Selbstlauf kommen. Es kommt nicht von ungefähr, daß der Anteil dieser Energietechniken noch immer unter 2 % liegt. Das liegt daran, daß sie gegen die großen Überkapazitäten der Stromverkäufer überhaupt keine Chance haben, wenn der politische Rahmen für eine Energiewende fehlt.
Das heißt: Wer keine Ökosteuern will, wer kein neues Energiewirtschaftsgesetz will, wer keine Wärmenutzungsverordnung will, wer keine politischen Vorgaben macht, der wird Energie nur auf dem Papier einsparen. Das können wir uns vor dem Hintergrund der Menschheitsherausforderung Klimakatastrophe nicht erlauben.
Wir wollen eine effiziente, umweltverträgliche Industrie und eine solidarische Gesellschaft für die Zukunft. Das bedeutet in erster Linie mehr politische Verantwortung und nicht den Rückzug der Politik aus der Verantwortung.
Vielen Dank.