Rede von
Dr.
Dagmar
Enkelmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ihrer Regierungserklärung zur jüngsten Hochwasserkatastrophe am 9. Februar dieses Jahres behauptete Frau Ministerin Merkel doch allen Ernstes und vor zahlreichen Augen- und Ohrenzeugen hier, es könne nicht belegt werden, daß die Zunahme der Häufigkeit von Hochwasser in irgendeiner Weise mit Klimaveränderungen zusammenhänge. Ich kann mich noch sehr gut an die Proteste von den Oppositionsbänken erinnern.
Nun wollte ich Sie, Frau Merkel, heute korrekt zitieren, und siehe da, im offiziellen Protokoll der Sitzung taucht Ihre Aussage plötzlich nicht mehr auf. Das ist wohl mehr als merkwürdig,
und verantwortlich dafür sind garantiert nicht die Stenographen. - Allerdings wurde bei der offenkundigen Manipulation vergessen, auch noch die Rede des Kollegen Michael Müller von der SPD zu zensieren, der genau auf diesen Punkt Ihrer Rede Bezug nahm. Ich denke, dieser Skandal verlangt dringend Aufklärung.
Es kann doch nicht sein, daß die Bundesregierung so einfach in Protokollen des Bundestages herumstreichen darf.
Nun ist mit dieser Manipulation das damals Gesagte nicht vom Tisch; dafür haben es einfach zu viele hier gehört, und es wird auch nicht vergessen gemacht, daß sich die Bundesregierung drei Jahre lang auf ihren brasilianischen Lorbeeren ausgeruht hat und nun in hektische Betriebsamkeit verfallen ist.
Meine Damen und Herren, die Klimapolitik der Bundesregierung offenbart sich als ökologisches Desaster. Die vielen Versprechungen von Rio haben sich inzwischen als buntschillernde Seifenblasen erwiesen, die schon bald danach zerplatzt sind. Aufgeregt wird in den letzten Wochen versucht, doch noch etwas Substantielles dem Gipfel vorlegen zu können. Gefunden wurde - nichts.
Dabei hat doch alles so schön angefangen. Bundeskanzler Kohl erklärte z. B. in Rio:
Die Industrieländer müssen sich ... ihrer besonderen Verantwortung bewußt sein. Wir sind deshalb gefordert, künftig weit sorgsamer als bisher mit den natürlichen Ressourcen umzugehen. Wir müssen vorhandene technologische Möglichkeiten besser ausschöpfen und neue umweltgerechte Technologien entwickeln.
Hehre Worte; doch wo blieben die Taten?
In Berlin, Frau Merkel, wird man genau Sie fragen: Was hat sich tatsächlich seit Rio getan? Berechtigt wird an Sie die Frage gehen: Wie weit sind Sie mit einer nachhaltigen Entwicklung? Wie nehmen Sie Ihre in Rio selbst definierte Verantwortung als Industrieland für die drohende Klimakatastrophe, für Umweltzerstörung und Raubbau an der Natur, wie nehmen Sie diese Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern wahr?
Ich fürchte, Ihre Antworten werden mehr als dürftig sein. Nach vier Jahren Arbeit der Enquete-Kommission Klima z. B. mit anerkannten Wissenschaftlern wie Professor Graßl, Professor Hennicke, Professor Kutter und anderen, mit umfangreichen Studien und langen Sitzungen kam ein Material heraus, das einen anschaulichen und sehr aussagekräftigen analytischen Teil enthält, und da, Frau Merkel, waren sich Opposition und Koalition weitgehend einig. Als es dann allerdings um die Konsequenzen daraus und konkrete Empfehlungen für politisches Handeln ging, kamen die alten ideologischen Denkmuster wieder durch -
- bei Ihnen, vor allem bei Ihnen, aber ich komme noch darauf -, ja nicht tradierte Werte und Besitzstände in Frage zu stellen, und genau hier hat die Koalition nämlich die Gemeinsamkeit in der EnqueteKommission aufgekündigt, Herr Kollege Ortleb. Dabei fordert doch inzwischen Ihr Kollege, Ihr Fraktionsvorsitzender Herr Schäuble:
Wir müssen die Zukunft als Chance begreifen. ... Besitzstandswahrung kann kein Prinzip sein.
Zugegeben: Das hört sich wirklich toll an. Die Bilanz der letzten Jahre aber sagt etwas anderes. Ich denke, Kollege Fischer, wir sollten nicht entschuldigend auf die internationale Situation verweisen, sondern vor allen Dingen sollte die Bundesregierung nationale Verantwortung wahrnehmen.
Sehen wir uns die Bilanz an: Sämtliche Vorstöße zu einer längst überfälligen Besteuerung von Flugbenzin wurden zurückgewiesen. Der Güterverkehr auf der Straße wurde steuerlich weiter entlastet. Neue Vorschläge liegen vor.
Dr. Dagmar Enkelmann
Vorschläge wie die Einführung einer Schwerverkehrsabgabe, die Umwandlung der Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale, das Tempolimit usw. wurden immer wieder mit allzu fadenscheinigen Begründungen abgelehnt.
Die Schieflage beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zugunsten der Straße blieb erhalten. Das Verbot der FCKW-Produktion kam erst nach massiven Protesten und alarmierenden Informationen über den Abbau der Ozonschicht über der Nordhalbkugel zustande. Erst nachdem der „Spiegel" über den Abbau der Ozonschicht über der Nordhalbkugel berichtet hatte, hat diese Bundesregierung reagiert, so nach dem Motto: Plötzlich sind auch wir betroffen.
Die Novelle zur Wärmenutzungsverordnung, seit 1990 angekündigt, liegt bis heute nicht auf dem Tisch. Eine Neufassung des Stromeinspeisungsgesetzes mit dem Ziel der Förderung von Energieerzeugung aus regenerativen Quellen ist längst überfällig.
Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Von einer ökologischen Steuerreform ist auch nur in Schönwetterreden zu hören. Über das ganze Dilemma können medienträchtige PR-Small-talks mit Unternehmervertretern auch nicht mehr hinweghelfen. Da ist eigentlich schon der Ansatz lächerlich: die großen Unternehmer sozusagen als Umweltengel der Nation.
Eine politische Trendwende steht auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung muß sich endlich ernsthaft daransetzen, ein ökologisch orientiertes Gesamtverkehrskonzept auszuarbeiten, das zuvörderst dort ansetzt, wo Verkehr entsteht, und Konzepte zur Verkehrsvermeidung enthält.
In diesem Zusammenhang müssen Rahmenbedingungen entwickelt werden für regionale Wirtschaftskreisläufe, für die Verhinderung der weiteren Zersiedelung sowie für die räumliche Verknüpfung der Lebensfunktionen Arbeiten, Wohnen und Freizeit.
Es ist ein Energiekonsens anzustreben, der diesen Namen wirklich verdient und nicht nur ein Konsens zwischen Parteien ist, sondern vor allem ein Konsens mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen.
Oberstes Prinzip muß sein, Ressourcenverschwendung zu verhindern, sparsam mit Energie umzugehen und langfristig deren Erzeugung in Richtung der erneuerbaren Energien zu bewegen.
Meine Damen und Herren, soll der Bundesregierung die Peinlichkeit des Weltsozialgipfels von Kopenhagen erspart bleiben, so wird sie sich in den nächsten Tagen noch viel einfallen lassen müssen. Die Rio-Nachfolgekonferenz darf keine Schauveranstaltung werden, von der die Vertreter der Entwicklungsländer, beeindruckt vom Reichtum eines Landes, dem Verkehrschaos auf der Avus, mit vielen bunten Hochglanzbroschüren, aber letzten Endes mit leerem Gepäck wieder nach Hause fahren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.