Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Berlin findet in den kommenden Tagen eine sehr, sehr wichtige Konferenz statt, eine Konferenz, die in ihrer Wichtigkeit weit über Europa hinaus zu veranschlagen ist. Ich meine dies, Frau Bundesumweltministerin, mit allem gebotenen Ernst. Es geht jetzt nicht um Polemik. Ich würde mir als Umweltpolitiker wünschen, auch wenn dies unter dem Gesichtspunkt der innenpolitischen Kontroverse für uns sicher von Nachteil wäre, daß diese Konferenz ein Erfolg wird und daß Sie sich diese Konferenz als Erfolg an den Hut heften könnten.
Was ist Erfolg? Erfolg würde bedeuten, daß dort ein verbindliches Klimaprotokoll unterzeichnet wird. Das wäre der nächste Schritt, der auf Grund der konstitutiven Konferenz von Rio 1992 jetzt anstehen würde. Da sind wir uns im Grunde genommen ja einig.
Sie schreiben allerdings in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zum Klimaschutz vom 9. März schon expressis verbis: Diese Konferenz ist gescheitert. Denn es heißt dort, Frau
Umweltministerin: Es wird nicht zur Unterzeichnung eines solchen Protokolls kommen.
Nun sagen Sie, daß dieses Scheitern vor allen Dingen mit internationalen Schwierigkeiten zusammenhängt. Auf die Frage, warum es denn keinen eigenen deutschen Protokollentwurf gibt, weisen Sie in der Antwort auf die Große Anfrage zum Klimaschutz vom 9. März darauf hin, daß dies internationale Schwierigkeiten mit sich bringen und die mögliche Durchsetzung eines Verhandlungsprotokolls in Zukunft erschweren würde.
Das mag sein. Die Bundesregierung ist für die Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland im zwischenstaatlichen Verhältnis die zuständige Instanz. Ich frage Sie nur, Frau Umweltministerin: Könnte es auch sein, daß es daran liegt, daß Sie für einen deutschen Protokollentwurf keine Mehrheit im Bundeskabinett bekommen hätten? Ist diese Frage so abwegig?
Sind Sie sich denn so sicher, daß Sie in der Koalition eine Mehrheit bekommen hätten: mit dem Bundeswirtschaftsminister, mit dem Bundeslandwirtschaftsminister und mit dem Bundesverkehrsminister? Das ist das, was uns hier als nationalen Gesetzgeber und als Kontrollorgan vor allen Dingen zu interessieren hat. Ich sage Ihnen: Es gibt nicht nur den begründeten Verdacht, sondern es gibt konkrete Hinweise, daß ein zentraler Grund dafür, daß es keinen Protokollentwurf des Gastgeberlandes Deutschland gegeben hat, genau darin zu sehen ist, daß Sie in Koalition und Bundesregierung keine Mehrheit dafür bekommen hätten.
Genau das ist es, meine Damen und Herren, was uns hier interessiert. Wir sehen ja die Schwierigkeiten. In diesem Punkt stimme ich Ihnen vollkommen zu. Wir haben eine dramatische Veränderung im internationalen Raum. Der entscheidende Punkt ist: Die Bedeutung dieser Konferenz hat einen unmittelbaren Zusammenhang mit den Wachstumsraten, die in anderen Weltgegenden geschrieben werden. Seit 1992 haben wir dramatische Wirtschaftswachstumsprozesse etwa in Ostasien. Die Volksrepublik China schreibt 10 % reales Wirtschaftswachstum pro Jahr - prognostiziert für einen Zeitraum von 1991 bis 1997 -, und das mit einer riesigen Bevölkerungszahl und zu technologischen Bedingungen der Energieerzeugung, der Mobilität und der industriellen Produktion, die extrem umweltzerstörend sind.
Wenn wir jetzt nicht umkehren und wenn jetzt nicht die reichen Industrieländer tatsächlich Ernst machen mit dem ökologischen Umbau, dann ist das problematisch. Frau Ministerin, da sind die Zahlen mit 4 % natürlich etwas irreführend, weil Sie, wenn Sie sich den Pro-Kopf-Verbrauch anschauen, feststellen werden: Die reichen Industrieländer sind die
Joseph Fischer
Hauptproblemfälle des CO2-Problems; sie haben die Hauptverantwortung in der Klimaschutzpolitik.
Deswegen, meine Damen und Herren, deswegen, Frau Ministerin, können wir Sie aus der Diskussion um die nationale Verantwortung nicht entlassen.
Ich sage Ihnen: Natürlich gibt es Fortschritte in Ostdeutschland. Selbstverständlich, und wir sind nachdrücklich dafür, daß es sie gibt. Aber der „Hauptfortschritt" ist eine zutiefst bittere Sache für die Menschen, nämlich die Deindustrialisierung und die mit ihr einhergehende Massenarbeitslosigkeit. Das schreiben Sie ja selbst in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage. Wenn dies so ist, dann sollten Sie es aber auch so sagen. Wenn wir diese schlimme Deindustrialisierung als Mitnahmeeffekt bezeichnen, dann tun wir dies sozial- und umweltpolitisch völlig zu Recht, Frau Ministerin.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt anführen: Die Entwicklung in den alten Bundesländern ist beschämend. Das ist es, was uns so besorgt. Selbst wenn Sie den Bevölkerungstransfer herausrechnen - etwa 6 bis 7 % von Ost nach West -, kommen Sie nur zu einer minimalen Reduzierung in den alten Bundesländern. Da beginnt dann die nationale Verantwortung, aus der Sie sich verabschiedet haben, da beginnt die nationale Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland.
Wie sieht es denn aus in der Energiepolitik? Ich stimme Ihnen völlig zu: Wir brauchen gar nicht so viele Fördermaßnahmen, sondern wir bräuchten endlich eine gesetzlich verbindliche Festlegung: Um wieviel Prozent wollen wir die erneuerbaren Energieträger bis zum Jahr 2005 gesteigert haben?
Wieviel Prozent Energie wollen wir sparen? Um wieviel Prozent wollen wir die rationelle Energieerzeugung gesteigert haben?
Jeder, der hier Energie erzeugt, der sich hier um eine Stromproduktions- und -verkaufslizenz bewirbt, der hat sich daran zu halten. Das sind die Geschäftsbedingungen. Allein der politische Wille des Gesetzgebers ist es, der dies möglich machen würde. Sie haben offensichtlich weder den Willen noch die politische Kraft, das durchzusetzen.
Ich möchte zu einem weiteren Punkt kommen, zur Verkehrspolitik. Frau Ministerin, es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie den Bundesverkehrswegeplan hier in den Maßnahmenkatalog einordnen.
Ich möchte Ihnen einmal etwas sagen: Dieser Bundesverkehrswegeplan ist aus meiner Sicht ein klimapolitisches und ökologisches Monstrum. Mit dem ersten gesamtdeutschen Bundesverkehrswegeplan der Bundesregierung sollen bis zum Jahr 2010 - jetzt hören Sie zu - 11 500 km neue Fernstraßen entstehen oder ausgebaut werden.
Der Pkw-Verkehr - davon etwa 70 % im Westen; das kommt ja noch strafverschärfend hinzu, was den Irrsinn dieses Plans betrifft - würde den Grundannahmen des Bundesverkehrswegeplans zufolge dadurch um 30 % und der Lkw-Verkehr um 95 % zunehmen.
Gleichzeitig wird von einem Anstieg des Flugverkehrs in Deutschland um sogar 142 % ausgegangen. Damit würde auch der CO2-Ausstoß um mindestens 15 % zu statt, wie von der Bundesregierung ursprünglich vorgesehen, um 2 % abnehmen.
Meine Damen und Herren, das ist die nationale, dramatische Realität des Klimaschutzes. Das Gegenteil wird hier von dieser Bundesregierung betrieben. Es wäre ehrlicher, man würde den Bundesverkehrsminister zur Konferenz nach Berlin schicken als die Umweltministerin,
die dort im wesentlichen nur schöne Worte zu verkünden hat.
Ich erwähne gar nicht solche umweltpolitischen Selbstverständlichkeiten wie ein flächendeckendes Tempolimit in Deutschland, dem einzigen Industrieland, das sich noch den Luxus der „freien Fahrt für freie Bürger" erlaubt. Ich erwähne nicht Ihr Debakel bei der Frage der Kerosinbesteuerung. Sie dürfen da am Freitag unserem Antrag in namentlicher Abstimmung zustimmen, Frau Ministerin. Wir freuen uns darauf.
Wenn Sie jetzt mit der freiwilligen Vereinbarung mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie kommen, und zwar als einzigem, was Sie tatsächlich vorzuweisen haben, dann sage ich Ihnen: Ich bin wirklich baff. Da lernt unsereins mühselig, sich vom planwirtschaftlichen Chaotentum zu verabschieden; wir hören von der F.D.P. täglich, daß das Solidarprinzip für den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährlich sei, weswegen man daran kräftig sägen und den Sozialstaat sozusagen in das Sägewerk neoliberaler Vorstellungen schieben müsse,
Joseph Fischer
und jetzt plötzlich, nachdem wir gelernt haben, daß die Marktwirtschaft nach dem Gewinnprinzip funktioniert, hören wir, Frau Merkel habe es geschafft, mit dem BDI die bundesrepublikanische Marktwirtschaft zu einer karitativen Aktion zu veranlassen.
Das ist die Konsequenz. Ich höre plötzlich, daß massive Einspareffekte, die sehr viel Geld kosten werden, daß wirtschaftliche Umstrukturierungen nach dem Solidarprinzip möglich sind. Ein Blick in die strahlenden grünen Augen der Bundesumweltministerin - und die bundesdeutsche Wirtschaft war plötzlich dazu bereit, Dinge zu tun, die sie nach den Gesetzen der Marktwirtschaft bisher immer verweigert hat.
Wie ist dieses Wunder möglich? Denn es kann sich hier nur um ein Wunder handeln und fällt demnach in den Bereich des Glaubens und der Theologie, meine Damen und Herren.
Aber kommen wir zum bitteren Ernst. Faktisch wird es doch so sein: Da wird gerechnet werden, da wird auf Monitore geschaut, Monitoring betrieben, da werden die Experten zusammensitzen, aber faktisch getan wird außer dem, was eh getan wird, nichts.
Es wird keine Energiewende geben, es wird keine Verkehrswende geben, es wird keine ökologische Steuerreform geben.
Sie haben sich mit dieser freiwilligen Vereinbarung endgültig aus einer wirksamen Klimaschutzpolitik verabschiedet, und, Frau Merkel, ich behaupte, Sie wissen das auch.
Sie haben das nur aus der Not heraus gemacht, da Sie sonst nach Berlin hätten gehen müssen, ohne etwas vorweisen zu können.
Deswegen sage ich Ihnen: Wir müssen Ernst machen mit dem Klimaschutz. Wir als eines der reichsten und führenden Industrieländer verweigern hier nicht nur die Verantwortung gegenüber den ärmeren Ländern, wir verweigern nicht nur unsere globale Verantwortung, sondern wir vertun auch die Chance, den Umbau der Industriegesellschaft Deutschland voranzubringen und damit nicht nur unsere klimapolitische Verantwortung wahrzunehmen, sondern zukunftssichere Arbeitsplätze in Größenordnungen, wie wir sie brauchen, mit zukunftssicheren Technologien, in diesem Lande zu schaffen. Und dafür sind Sie verantwortlich!