Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat möchte man im Vorfeld eines wichtigen Weltgipfels gemeinsam mit der Regierung an einem Strang ziehen.
Ich hätte mir gewünscht, wir könnten das auch wirklich tun, Herr Kollege. Aber die Schönrederei von Frau Merkel heute morgen macht die Zustimmung zu ihrem Referat sehr schwierig.
Es gibt zu viele Versäumnisse.
Ich will dennoch zur Sache reden und sozusagen erst im zweiten Teil - -
- Ja, das kennen Sie von mir. Ich muß natürlich die Bundesregierung auch kritisieren, wo wir mit Recht etwas zu kritisieren haben.
Frau Merkel, Papier ist ja wirklich geduldig. Wenn Sie sagen, wir seien insgesamt ein gutes Stück vorangekommen, dann frage ich mich: wohin eigentlich, womit eigentlich? Was haben Sie eigentlich gemacht? Ich will nachher noch erläutern, daß gute Worte nicht mehr ausreichen. Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland ist aufgefordert, Vorreiter zu sein,
auf diesem Gebiet etwas zu wagen und sich in internationalen Gremien auch durchzusetzen und das einzuhalten, was sie versprochen hat.
Sie hat nicht eingehalten, was sie versprochen hat, und das ist sehr bedauerlich. Das Thema „globale Klimafragen" und das Thema „Umweltzerstörung" sind die wichtigsten Themen, die wir hier alle miteinander in den nächsten Jahren auf die Hörner neh-
Anke Fuchs
men müssen. Wir kennen in der Zwischenzeit die Fakten, und wir kennen in der Zwischenzeit die Auswirkungen. Ich bin mit Ihnen einig, Frau Merkel: Es geschieht auch eine ganze Menge.
- Es ist schließlich nicht so, daß einer das Patentrezept hat und die anderen überhaupt nichts getan haben. Aber die Frage ist eigentlich: Wie kann das Gott sei Dank inzwischen gewachsene gesellschaftliche Bewußtsein so umgesetzt werden, daß nun auch eine Bundesregierung konsequent und entschlossen handelt, damit das, was die Menschen von der Politik erwarten, in diesem Lande auch wirklich geschieht? Das ist doch das Defizit!
Schauen Sie sich um: Die Menschen wollen, daß gegen Umweltverschmutzung etwas getan wird. Die Kommunen bemühen sich doch. Wir haben im „Spiegel" gelesen, was unsere Kollegin Beate Weber in Heidelberg zustande bringt. Ich kann noch viele andere Kommunen nennen, die sich bewegen, die eine Menge tun. Von daher stehen wir nicht am Anfang dieser Entwicklung. Aber es fehlt das entschlossene Handeln, weil diese Regierung immer wieder vor Interessen einknickt und nicht konsequent genug den ökologisch und ökonomisch sinnvollen Weg der ökologischen Erneuerung geht. Darum geht es doch.
Das ist mir klargeworden, als wir im letzten Sommer über den Sommersmog diskutiert haben. Da habe ich gedacht: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Da verbieten wir den Kindern, draußen zu spielen, aber das Autofahren geht weiter wie bisher. Hier muß man ansetzen. Es kann doch nicht wahr sein, daß wir eines Tages unseren Kindern sagen: Bleibt drin! Aber das Autofahren darf weiter so viel und so schnell geschehen, wie es dem einzelnen paßt.
Ein Beispiel dafür, wie konsequentes Handeln geschehen muß: Man muß an den Ursachen etwas tun, statt den Menschen zu sagen: Bleibt doch drin, die Sonne ist schädlich, spielt gefälligst nicht mehr auf dem Kinderspielplatz! - Das können wir uns nicht mehr leisten, meine Damen und Herren.
Hier geht es darum, daß wir uns im klaren darüber sind, daß die Menschen, die Bevölkerung, die Männer und Frauen, die Bürgerinnen und Bürger - welche immer Sie wollen - von uns erwarten, daß entschlossen gehandelt wird.
Nun komme ich auf den Gipfel von 1992 zurück. Ich glaube, daß wir damals alle hoffnungsfroh waren. Der Bundeskanzler hat eine Rede gehalten und hat versprochen, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben. Was ist daraus geworden? Ich glaube, wir sind bei 0,36 %. Das ist unser Vorwurf, meine Damen und Herren. Sie machen große Sprüche. Sie tun so, als ob Sie wirklich etwas verändern wollten. Aber wenn es darum geht, konkret zu handeln, bleibt die Bundesregierung dünn, tut nichts Gescheites. Das ist unser Vorwurf im Vorfeld der Folgekonferenz, die in Berlin stattfinden wird.
Wir haben doch erlebt, was auf dem Gipfel in Kopenhagen passiert ist. Ich nehme ganz bewußt diesen Gipfel als Beispiel, um zu sagen: Wer sich nicht einmal bei der Bekämpfung der Armut zum Ziel von 0,7 % bereit erklärt, der wird auch in der Umweltpolitik zögerlich bleiben, weil die eigenen Interessen, insbesondere die unserer Industrie und Unternehmen, wichtiger sind als Veränderungen im Bewußtsein und in der Weltpolitik. Das ist der Vorwurf, den wir dieser Regierung zu machen haben.
Sie haben beim Gipfel von Rio große Versprechungen gemacht, aber dann passierte in der Bundesrepublik überhaupt nichts. Noch 1990 wurde gesagt: Jetzt machen wir etwas. - Wenn man sich die Koalitionsvereinbarung ansieht, stellt man fest: Diese Bundesregierung hat nur ein Ziel festgeschrieben, aber neue, präzise Daten sind in der Koalitionsvereinbarung nicht enthalten. Doch Umweltschutz und Sozialstandards werden als Protektionismus verachtet. Deswegen, meine Damen und Herren, hat hier ein Wechsel stattgefunden: weg von den Versprechungen der Klimakonferenz in Rio, zurück zur Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen. Dies ist ein fataler Weg.
Die Gesellschaft hat gelernt, daß Ökonomie und Ökologie kein Gegensatz mehr sind. Wir haben unser Programm für Klimaschutz, Wirtschaftsmodernisierung und Arbeitsplätze in Deutschland in Form eines Antrags vorgelegt, über den es heute auch zu beraten gilt. Meine Kolleginnen und Kollegen werden dazu noch Ausführungen machen. Ich glaube, dies ist der andere Teil, den ich insbesondere im Hinblick auf die F.D.P. noch einmal verstärken möchte: Wir haben doch miteinander gelernt, daß Ökonomie und Ökologie kein Gegensatz sind. Sie haben das mühsamer als wir gelernt - aber auch für uns war es mühsam genug -, daß das Feld der Umwelttechnologie, der modernen Umweltprodukte ein Exportschlager ist.
Wir sehen sogar, daß diese Sektoren florieren. Dann lassen Sie uns doch endlich uns dazu bekennen, daß ökonomisch nur vernünftig sein kann, was auch ökologisch vernünftig ist. Tun wir nicht immer noch so, als ob das ein Gegensatzpaar wäre. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Nur wenn man die
Anke Fuchs
Industriegesellschaft ökonomisch und ökologisch modernisiert, erwächst daraus etwas für den Klimaschutz. Wir schaffen zugleich Arbeitsplätze, die wir dringend brauchen, meine Damen und Herren.
Frau Merkel hat gesagt - das habe ich heute morgen in den Nachrichten so gehört -: Die Bundesregierung strebt an, daß es eine Vereinbarung gibt. Ich finde, da hätten Sie im Vorfeld auf eigene Faust mehr powern müssen, Frau Merkel.
Es kann nicht angehen, daß man sagt: Ein Protokoll kriege ich nicht zustande; ich nenne das jetzt anders: Elementepapier.
Dann kommen die kleinen Inselstaaten und bitten um Unterstützung, um Mitunterschreiben ihrer Anträge. Sie sagen heute, Sie wollen versuchen, das hinzubekommen. Aber ich frage mich: Warum kann die Bundesregierung als Gastgeber eigentlich nicht sagen: Wir bringen diese Anträge mit ein;
wir legen ein Protokoll vor; wir lassen darüber beraten; wir lassen darüber abstimmen; wir, die Deutschen, wollen Vorreiter sein und als Gastgeber nicht nur im Essen und Trinken, sondern auch in der Frage, welchen Erfolg wir diesem Gipfel zutrauen, vorbildlich sein?
Ich fand es sehr fatal, daß Frau Merkel, begleitet durch die Presse, im Vorfeld den Eindruck erwecken konnte: Diese Konferenz bringt gar nichts; wir kriegen da gar nichts hin; es ist alles ganz schrecklich; die Staaten machen nicht mit. - Nein, das ist kein entschlossenes Handeln einer Regierung. Hier hätte die Bundesregierung im Vorfeld mehr powern müssen, meine Damen und Herren. Das kann man von dieser großen Nation so erwarten.
- Ich weiß, daß Sie immer Geifern für Politik halten, Herr Kollege. Es war ziemlich albern, was Sie da eben gesagt haben.
Denn ich füge jetzt hinzu: Mir ist bewußt, daß internationale Konferenzen ihre eigene Dynamik haben.
Ich will Frau Merkel nicht allein die Verantwortung dafür geben.
Aber es ist doch ein Unterschied, Herr Kollege, ob ich vor einer Konferenz wirklich nachhaltig alles tue, damit sie zu einem Erfolg wird, oder ob ich schon im Vorfeld die Erwartungen so niedrighänge, daß man ganz kleinmütig hingeht, weil man gar nicht mehr erwarten kann, daß diese Konferenz zu einem Erfolg wird.
Nein, hier fehlt auch der nachdrückliche Wunsch, etwas zustande zu bringen, meine Damen und Herren. Wie können Sie sich sonst erklären, daß die Anträge nicht eingebracht worden sind, daß man sich im Vorfeld nicht zu sagen getraut hat: Wir Deutschen werden z. B. die kleinen Inselstaaten unterstützen, weil sie um das Überleben kämpfen; wir werden versuchen, den Interessenausgleich mit den anderen Nationen zu erreichen?
Dann kommt rechtzeitig vor dem Gipfel die Selbstverpflichtung der Industrie. Schauen Sie sich das Papier einmal ganz genau an. Jede Branche darf die für sie spezifischen Emissionen reduzieren. Sie verpflichten sich, bis zum Jahre 2005 bis zu 20 % - d. h. nicht unbedingt 20 % - zu reduzieren. Dann kommt der Satz, der typisch ist: Die Wirtschaft geht davon aus, daß ordnungsrechtliche und fiskalische Maßnahmen unterbleiben.
Meine Damen und Herren, da bleibt ein fader Beigeschmack. Das riecht danach: Selbstverpflichtung ja, aber nur, wenn der Staat nicht mehr handelt. - Nein, das ist kein Ersatz für die Setzung von Rahmenbedingungen durch den Staat. Der Staat muß hier handeln. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie sich nicht auf diesem Papier der Industrie ausruhen, sondern die Aufgaben, die Politik zu erledigen hat, erfüllen.
Dazu gehört aus meiner Sicht: Wer die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft will, wer weiß, daß sich die Zukunft von Industriearbeitsplätzen mit dem Klimaschutz paart, der muß mit uns den Weg einer ökologischen Steuerreform gehen. Ich weiß, daß es da Ecken und Kanten, Haken und Ösen gibt. Aber wenn wir nicht miteinander darüber nachdenken, wie wir aus dem Teufelskreis herauskommen, der darin besteht, daß Arbeit immer teurer wird und Umweltverschmutzung geschehen darf, ohne daß dafür der entsprechende Preis bezahlt wird, dann werden wir den Aufgaben, die auf dem Gipfel formuliert werden sollen, nicht gerecht. Wir werden insbesondere unseren Aufgaben in unserem Lande, für unsere Menschen nicht gerecht.
Deswegen bin ich dafür, daß wir das Thema der ökologischen Steuerreform als das Projekt, das die ökologische Modernisierung der Industriegesell-
Anke Fuchs
schaft zum Ziele hat, so aufgreifen, daß darüber baldigst parlamentarisch beraten werden kann. Dann werden wir sehen, wie weit wir uns annähern können und ob es Chancen gibt, in diesem Bereich gemeinsam ein Stück voranzukommen, wenigstens mehr, als es heute morgen nach der Rede von Frau Merkel der Fall ist.
Ich komme zum Abschluß und sage, meine Damen und Herren: Es gibt viele Worte; aber bei internationalen Verpflichtungen wird nicht mit Nachdruck verhandelt. Es war sogar so, daß wir Unterstützungen, die wir zugesagt hatten, nicht einhalten konnten, weil die Delegation gar nicht anwesend war, als ein Papier verabschiedet wurde.
Es ist wohl auch richtig, daß andere Länder, wie Norwegen und Dänemark, mit uns zusammen etwas einbringen wollen, die Bundesregierung hierzu aber geschwiegen hat.
Ich denke, die törichten Bemerkungen von Frau Merkel vor dem Gipfel, dieser Gipfel werde keine vernünftigen Ergebnisse zeitigen, werden ihm den Schwung nehmen, den er dringend braucht.
Ich hätte mir gewünscht, wir hätten heute sagen können: Der Schwung ist da. Die Klimakatastrophe wird von allen, insbesondere von der Bevölkerung, als das drohende Problem gesehen, das es nachhaltig anzugehen gilt. Dann hätten wir sagen können: Frau Merkel, wir unterstützen Sie.
So aber war es wieder zuviel Lobpreisung, zuviel Selbstlob.
Das ist verhängnisvoll in einer Situation, in der Sie hätten bescheidener auftreten und im Vorfeld der Konferenz mehr kämpfen müssen. Ich bedauere das.
Es mag ja sein, daß Berlin als gastgebende Stadt seiner Rolle gerecht werden wird. Wir hoffen noch immer, daß sich aus der heutigen Debatte die eine oder andere Anregung für die Bundesregierung ergibt; denn es muß das Ziel sein, in Berlin ein verbindliches Protokoll mit konkreten Mengen- und Zeitzielen zur Verringerung der Treibhausgase zu verabschieden. Parallel dazu muß die Bundesregierung ihre eigenen Ankündigungen zum Klimaschutz umsetzen. Auch daran hat es heute morgen wieder gefehlt.
Wenn Sie mich fragen, was wir einzubringen haben
- wir sind im ersten Teil der Debatte -, dann sage ich
Ihnen: Wir haben, Herr Kollege, zu diesem Thema
unseren Antrag „Programm für Klimaschutz, Wirtschaftsmodernisierung und Arbeitsplätze in Deutschland" eingebracht. Ich empfehle Ihnen, diesen nicht nur zu lesen. Er wird heute an die Ausschüsse überwiesen. Das ist unsere Antwort. Er enthält Handlungsvorschläge und politische Vorgaben und verläßt sich nicht darauf, daß die Industrie allein durch Selbstverpflichtung die Probleme löst. Das ist uns zuwenig, meine Damen und Herren.
Ich danke Ihnen.