Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für Verbraucher in der Bundesrepublik Deutschland ist kaum noch nachzuvollziehen, was in den letzten Tagen und Wochen an Behauptungen, Halbwahrheiten und schlichtweg unverantwortlicher Panikmache im Zusammenhang mit BSE in die Welt gesetzt worden ist. Ich habe viel Verständnis dafür, daß die Menschen verunsichert sind; denn die Art der Diskussion der letzten Wochen hat eher Ängste geschürt, als sachlich zu informieren.
Die Verunsicherung in der Bevölkerung muß ein Ende haben. Deshalb ist es wichtig, daß jetzt endlich Sachlichkeit in die Diskussion einkehrt und die Verbraucher über die Tatsachen informiert werden. Ich appelliere an alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, nicht zu verunsichern, sondern die Bevölkerung über die sachlichen Wahrheiten zu informieren.
Tatsache ist: Die Bundesregierung ist von Anfang an mit dem Thema BSE sehr verantwortungsbewußt und sensibel umgegangen.
Sie hat konsequent vorbeugenden Gesundheitsschutz betrieben.
Meine Damen und Herren, es gilt auch heute, was ich immer gesagt habe: Verantwortungsvoller, vorbeugender Gesundheitsschutz heißt in diesem Falle, daß wir, obwohl es keine Beweise dafür gibt, daß der BSE-Erreger durch Fleisch auf Menschen übertragen werden kann, und die Wissenschaft dies für wenig wahrscheinlich hält, bei allen Schutzmaßnahmen fiktiv von der Annahme der Übertragbarkeit ausgegangen sind. Das bedeutet in der Konsequenz nicht Verbot jeglichen Rindfleischverzehrs, sondern Schutz vor Produkten, die möglicherweise den BSE-Erreger enthalten.
Unter der Annahme also, daß ein Risiko bestehen könnte, haben wir konsequent gehandelt und nach jeweils neuestem wissenschaftlichen Erkenntnisstand EU-weite Schutzmaßnahmen durchgesetzt.
Gemeinschaftliche Regelungen sind in diesem Bereich deshalb so wichtig, weil nur durch sie garantiert werden kann, daß jeder Mitgliedstaat in der EU die gleichen hohen Sicherheitsstandards anwendet.
Diese gemeinschaftlichen Regelungen sind nicht zuletzt auch deshalb von Bedeutung, weil es sich hier um einen gemeinschaftsweit voll harmonisierten Rechtsbereich handelt.
Wie sehen die gemeinschaftlichen Sicherheitsstandards aus, die - das möchte ich betonen - auch gemeinschaftlich überwacht werden? Die wichtigste Regelung, die im Sommer letzten Jahres auf Drängen der Bundesregierung EU-weit beschlossen worden ist, heißt: Rindfleisch aus Großbritannien darf nur dann in andere Mitgliedstaaten verbracht werden, wenn das Fleisch von Tieren stammt, die immer in Herden gehalten worden sind, bei denen sechs Jahre lang kein BSE-Fall aufgetreten ist. Ansonsten darf nur schieres Muskelfleisch verbracht werden. In schierem Muskelfleisch ist nämlich der BSE-Erreger bis heute nie nachgewiesen worden. Die Wissenschaftler gehen davon aus, daß der Erreger im Nervengewebe, im Lymphgewebe und im Dünndarm vorkommt.
Diese Regelung ist für alle vor dem 1. Januar 1992 geborenen Rinder auch weiterhin gültig. Deshalb ist es einfach falsch, wenn immer wieder behauptet wird, es habe bisher ein Importverbot gegeben, das es künftig nicht mehr gebe. Die wichtigste Botschaft für die Öffentlichkeit ist, daß der vorbeugende Verbraucherschutz bei dem Fleisch bestehen bleibt, bei dem die Gefahr eines BSE-Erregers besonders hoch ist, nämlich bei den älteren Tieren.
Ferner gilt seit Sommer letzten Jahres und auch künftig unverändert: Die Verwertung der besonderen Innereien Gehirn, Rückenmark, Thymusdrüse, Mandeln, Milz und Gedärme von britischen Rindern ist und bleibt generell verboten, wenn diese Rinder älter als sechs Monate sind. Bei Kälbern bis zu sechs Monaten gilt seit eh die Regelung, daß diese in den Handel gebracht werden können, aber vor Vollendung des sechsten Monats geschlachtet werden müssen. Dabei bleibt es auch. Bei allen anderen Tieren, gleich welchen Alters, bleibt es dabei, daß die besonderen Innereien, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis möglicherweise der Hauptträger des Erregers sind, auch künftig nicht verwertet werden dürfen.
Diese strengen Schutzmaßnahmen - ich wiederhole es - gelten seit Sommer 1994, und sie gelten
Bundesminister Horst Seehofer
auch weiterhin. Weil diese restriktiven Maßnahmen ausreichend sind,
habe ich vor den Landtagswahlen in Bayern und vor der Bundestagswahl im August 1994 öffentlich auf einen nationalen Alleingang verzichtet. Es stimmt einfach nicht, was immer wieder gesagt wird, ich hätte vor der Bundestagswahl und vor der bayerischen Landtagswahl den nationalen Alleingang angekündigt und ihn nach der Bundestagswahl und der Landtagswahl beerdigt.
Nein, meine Damen und Herren, im August 1994 habe ich zu dem damals getroffenen und aus meiner Sicht nach wie vor verantwortbaren Kompromiß auf europäischer Ebene ja gesagt.
Es ist ganz entscheidend, daß diese Schutzmaßnahmen vollständig aufrechterhalten bleiben. Denn insbesondere in der zweiten Hälfte der 80er Jahre wurde an britische Rinder verseuchtes Tiermehl verfüttert. Die Verfütterung von verseuchtem Tiermehl in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ist der Hauptgrund für die Ausbreitung von BSE. Bei diesen Tieren bleibt es uneingeschränkt bei den Schutzmaßnahmen.
Ich möchte noch einmal zurückblenden. Der erste histopathologische Nachweis der Rinderkrankheit BSE gelang Mitte 1986, also vor nunmehr neun Jahren. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre breitete sich in Großbritannien die Rinderkrankheit aus und wurde zu einem erkennbaren Problem. Den Höhepunkt der Ausbreitung erreichte BSE Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Schon damals gab es in der Bundesrepublik Deutschland bekanntlich Bundesländer. Seit 1993/94 haben wir auf mein Betreiben hin die höchsten Schutzvorkehrungen, die es jemals gegeben hat. Seit 1993/94, nachdem der Erreger zum erstenmal 1986 registriert wurde! Dieses hohe Schutzniveau bleibt erhalten. Man könnte die Frage stellen, was die Bundesländer eigentlich vorher politisch gemacht haben.
Was ist nun wirklich neu an den jetzt umgesetzten Entscheidungen der EU-Kommission? Neu ist, daß künftig Fleisch von Rindern, die nachweislich nach dem 1. Januar 1992 geboren wurden, ohne Beschränkungen nach Deutschland verbracht werden darf. Das Alter der Tiere muß schriftlich belegt werden. Ich betone es hier noch einmal: Es dürfen nach wie vor auch von diesen jungen Kälbern, wenn sie über sechs Monate alt sind, keine Innereien verwendet werden. Diese Regelung stützt sich auf das einstimmige Votum des Wissenschaftlichen Veterinärausschusses bei der Europäischen Kommission, bei dem auch deutsche Wissenschaftler mitgewirkt haben. Dieses Gremium unabhängiger Wissenschaftler hat die Frage der Unbedenklichkeit von Fleisch jüngerer Tiere sehr sorgfältig geprüft; ich habe mich persönlich davon überzeugt. Schon in seinen Empfehlungen vom Juli 1994 hatte sich der Wissenschaftliche Veterinärausschuß für eine Lockerung der Handelsbeschränkungen für das Fleisch jüngerer Tiere ausgesprochen.
Damals hatte die Kommission diese Frage noch einmal zurückgestellt und den genannten Ausschuß beauftragt, eine zusätzliche sorgfältige Prüfung, die auch im Herbst des letzten Jahres erfolgt ist, durchzuführen. Das Ergebnis lautete, daß Fleisch von Tieren, die nach dem 1. Januar 1992 geboren sind, aus folgendem Grund unbedenklich ist: Hauptgrund für die Ausbreitung der BSE ist die Verfütterung von verseuchtem Tiermehl; das sagte ich bereits. 1988 wurde ein Verfütterungsverbot verhängt; wegen der Verfütterung von Restbeständen hat dieses Verbot in Großbritannien erst ab Mitte 1990 endgültig gegriffen. Also: 1988 Verfütterungsverbot; 1990 hat es endgültig gegriffen. Dies muß man wissen, um die epidemiologischen Statistiken verstehen zu können.
BSE ist bei Rindern, die nach Inkrafttreten des Verfütterungsverbots geboren wurden, noch aufgetreten, ging aber bereits zurück. Im Geburtsjahrgang 1988 wurden noch 8 939 Fälle registriert, im Geburtsjahrgang 1989 noch 5 981 Fälle, im Geburtsjahrgang 1990 noch 797 Fälle. Bei den seit Mitte 1990 geborenen Kälbern, als das Verfütterungsverbot also tatsächlich griff, ging die Zahl der Neuerkrankungen rapide zurück: Bei Tieren, die 1991 geboren wurden, sind bisher neun Fälle, bei 1992 geborenen Tieren sind bisher - ich sage: bisher - keine BSE-Fälle registriert.
Dies belegt, daß der Wissenschaftliche Veterinärausschuß an Hand nachvollziehbarer wissenschaftlicher Kriterien entschieden hat. Bei dieser Entscheidung wurde auch berücksichtigt, daß es weder für noch gegen eine Übertragung der BSE vom Muttertier auf das Kalb einen Beweis gibt. Da dies aber ebenso wie die Übertragung auf den Menschen zwar unwahrscheinlich ist, aber nicht völlig ausgeschlossen werden kann, wird auch der Übertragungsweg vom Muttertier auf das Kalb weiterhin wissenschaftlich begleitet und geprüft. Aber auch hier wiederhole ich: Bei allen britischen Rindern über sechs Monaten werden die spezifischen Innereien entfernt, in denen der BSE-Erreger nach Ansicht der Wissenschaft vorkommen kann.
Aus all diesen Gründen ist die Entscheidung der EU-Kommission nachvollziehbar. Die Umsetzung dieser Entscheidung ist nicht nur aus europarechtlichen Gründen zwingend; sie ist auch nach meiner tiefen Überzeugung verantwortbar.
Meine Damen und Herren, wer denn sonst als die Wissenschaft ist in der Lage, Risiken einzuschätzen und Empfehlungen zu geben?
Wir dürfen uns bei einem so schwierigen Thema nicht von stimmungsgeleiteten Vermutungen, sondern nur von handfesten wissenschaftlichen Argumenten leiten lassen.
Bundesminister Horst Seehofer
Es wäre nicht verantwortbar, die EU-Entscheidung vom Dezember 1994 nicht umzusetzen, da die Konsequenz gewesen wäre, daß wir überhaupt keinen Verbraucherschutz mehr bei BSE in der Bundesrepublik Deutschland hätten. Die Dringlichkeitsverordnung, mit der wir im Sommer 1994 die damals von der EU beschlossenen Maßnahmen in nationales Recht umgesetzt haben, wäre ohne eine Anschlußregelung am 6. Februar 1995 außer Kraft getreten. Wir hätten dann bereits seit zwei Tagen, nämlich seit 7. Februar 1995, eine Regelungslücke, die für den Verbraucherschutz einen unverantwortbaren Rückschlag bedeutet hätte.
Hätte die Bundesregierung eine Regelungslücke hingenommen, so würden heute nämlich in Deutschland überhaupt keine Handelsbeschränkungen für das Fleisch britischer Rinder mehr gelten. Jeder Importeur könnte Fleisch britischer Rinder, das lediglich den allgemeinen fleischhygienerechtlichen Anforderungen entspricht, nach Deutschland verbringen. Die allgemeinen fleischhygienischen Bestimmungen beinhalten nicht die BSE-Schutzvorschriften. Sie beinhalten beispielsweise nur die Frage, ob man in einem Schlachthof geschlachtet hat, der von der Hygiene her den europaweiten Vorschriften entspricht.
Die Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen BSE-Schutzmaßnahmen, die über das allgemeine Fleischhygienerecht hinausgehen, wäre mangels verbindlicher Regelungen nicht mehr möglich. Fleischsendungen, die nicht der EU-Entscheidung entsprechen, könnten somit seit Anfang dieser Woche nicht mehr beschlagnahmt oder zurückgewiesen werden; Verstöße könnten auch nicht strafrechtlich geahndet werden.
Meine Damen und Herren, man muß kein Hellseher sein, um zu erkennen, daß gewissenlose Geschäftemacher einen rechtsfreien Raum schamlos ausgenutzt hätten. Der Import problematischen britischen Rindfleisches wäre in diesem Falle mit Sicherheit sprunghaft angestiegen. Demgegenüber begannen die falschen Sicherheitserwägungen von manchen Politikern in der Öffentlichkeit mit den Worten „wenn wir uns zurückhalten". Wir machen doch nicht Schutz- und Strafvorschriften für jene, die sich ohnehin an den Verbraucherschutz gehalten haben. Wir brauchen Schutz- und Strafvorschriften für die gewissenlosen Geschäftemacher, die seit Anfang dieser Woche eine offene Tür gehabt hätten.
Die Bundesregierung mußte deshalb handeln, und sie hat gehandelt. Am 4. Februar 1995 wurde eine neue Dringlichkeitsverordnung erlassen, mit der die EU-Entscheidung vom 14. Dezember 1994 umgesetzt wird. Wir hatten in diesem Falle nur zwei Alternativen: entweder Verbraucherschutz durch Umsetzung des EU-Rechts in nationales Recht oder kein Verbraucherschutz ab dem 7. Februar. Meine Damen und Herren, in meiner Verantwortung vor der Gesundheit der deutschen Bevölkerung wäre die zweite Alternative nicht zu verantworten gewesen.
Ich finde es sehr bedauerlich, daß insbesondere die SPD-geführten Bundesländer diese Tatsachen heute leugnen, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssen. Noch vor wenigen Monaten waren ihnen diese Tatsachen nämlich bekannt. Schon im Sommer 1994 hatte Rheinland-Pfalz im Zuge der damaligen Beratungen im Bundesrat ein generelles nationales Importverbot gefordert und war damit gescheitert. Mit deutlicher Mehrheit wurde damals in der Länderkammer dieser Antrag abgelehnt. Die Mehrheit der Länder verwies damals auf die zu erwartenden europarechtlichen Probleme, die sich heute genauso wie damals stellen.
Jetzt aber, da bei Nichtumsetzung des Europarechts der gesamte Verbraucherschutz in Sachen BSE auf dem Spiel steht, wollen die SPD-geführten Länder davon nichts mehr wissen. Statt dessen führt die Bundesratsmehrheit mit Unterstützung durch die SPD zur Zeit - meine Damen und Herren, ich kann es nicht anders sagen - eine ziemlich scheinheilige Diskussion.
Sie versucht, in der Öffentlichkeit den Anschein zu erwecken, als würde allein sie den Verbraucherschutz sicherstellen, Sie selbst weiß aber genau, daß in Wahrheit der Verbraucherschutz völlig ausgehebelt würde, würden wir der Bundesratsmehrheit folgen, die von der EU-Entscheidung abweichen will.
Wir hätten auf Grund der dann folgenden Regelungslücke keinerlei Handhabe, um gewissenlose Fleischimporteure zu stoppen.
Von den Ländern ist immer wieder behauptet worden, ein nationaler Alleingang sei auch heute noch möglich. Immer wieder kamen neue Vorschläge, wie dies gehen solle. Sie haben sich jedoch jeweils innerhalb kürzester Zeit als nicht gangbar erwiesen. Keine der genannten Rechtsgrundlagen hielt einer ernsthaften Prüfung stand.
Meine Damen und Herren, ich bin mit massiven Vorwürfen bei der Vollversammlung des Bundesrates konfrontiert worden. Man hat mir Art. 36 des Europäischen Vertrages entgegengehalten und sträflichen Leichtsinn vorgeworfen, weil ich diesen Art. 36 nicht anwende. Diejenigen, die mir diesen Vorschlag gemacht haben, haben mir aber schriftlich mitgeteilt, daß Art. 36 in diesem Falle nicht anwendbar sei. Ich sollte einmal als Bundesgesundheitsminister vor einem Parlament eine solche falsche Aussage treffen; ich wüßte nicht, was dann in der Bundesrepublik Deutschland los wäre.
Spätestens ein Rechtsgutachten, das im Auftrag von Rheinland-Pfalz, dem Wortführer für einen nationalen Alleingang, erarbeitet worden ist, hätte den SPD-geführten Ländern klarmachen müssen, daß sie auf dem Holzweg sind.
Bundesminister Horst Seehofer
In dem Gutachten, das mir am 1. Februar 1995 übermittelt wurde, heißt es wörtlich:
Die Frage, ob auf Grund des EG-Vertrages oder sonstiger gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften nationale Alleingänge zur Beibehaltung oder Schaffung und Anwendung strengerer einzelstaatlicher Vorschriften, als sie das Gemeinschaftsrecht vorsieht, zulässig sind, ist äußerst umstritten.
Ich zitiere weiter:
Bezogen auf den konkreten Fall, in dem es darum geht, den Verbraucher in Deutschland vor den gesundheitlichen Gefahren zu schützen, die ihm vom Genuß von Rindfleisch drohen, das aus BSE- verseuchten oder -verdächtigen Beständen des Vereinigten Königreichs und Nordirlands nach hier verbracht wird,
- so das Gutachten Rheinland-Pfalz -
steht die Rechtfertigung eines derartigen Alleingangs argumentativ nicht auf sicheren Füßen.
Es heißt in dem Gutachten weiter:
Ob die EG-Kommission und gegebenenfalls der Europäische Gerichtshof den nachstehend vorgenommenen rechtlichen Bewertungen folgen, läßt sich schwer abschätzen. Die diesbezüglichen Aussichten dürften unter Berücksichtigung aller Unwägbarkeiten eher unter 50 % liegen als darüber.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht kommentieren, was die Juristen in unserem Hause dazu sagen. Das ist eine schlampige Arbeit: mit einem solchen Gutachten zu einem nationalen Alleingang zu ermuntern, obwohl der Wortführer des Gutachtens selber der Auffassung ist, daß die Erfolgsaussichten eher unter als über 50 % liegen. Ich kann mich doch nicht nach einem Gutachten richten, das mir mitteilt, daß man bei Anwendung dieser Vorschriften ohnehin keinen Erfolg hätte.
Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Politik von Bundesratsmehrheit und SPD sind angebracht. Das macht eine andere, einfache Tatsache deutlich: Die SPD-geführten Länder lassen ihren starken Worten nämlich dort keine eigenen Taten folgen, wo sie es wirklich könnten.
Warum tritt man einerseits für ein totales Importverbot mit der Begründung „Jedes britische Rindfleisch ist bedenklich" ein, zieht aber andererseits nicht umgehend die Rinder aus dem Verkehr, die bei uns stehen und aus Großbritannien importiert wurden? Diese Möglichkeit hätten die Länder.
Ich kann mir das nur so erklären: Es geht hier immerhin um einige tausend Tiere. Würden die Länder diese Tiere aus dem Verkehr ziehen, so wäre das
wohl entschädigungspflichtig; es würde die Länder Geld kosten. Aber offenkundig endet der Verbraucherschutz für die SPD dann, wenn er die Länder Geld kosten würde.
Und damit nicht genug: Auf ihrer Irrfahrt produzieren die SPD-geführten Länder einen neuen Vorschlag.
Jetzt wollen sie zu einem sogenannten freiwilligen Importverzicht von britischem Rindfleisch aufrufen.
Ich möchte hier nur zitieren, was der Verband des Deutschen Groß- und Außenhandels mit Vieh und Fleisch hierzu dem Land Nordrhein-Westfalen am 6. Februar 1995 mitgeteilt hat. Ich zitiere auch hier aus dem Schreiben:
Der Verband muß sich an Rechtsvorschriften halten.
- Das sollte in einem Rechtsstaat eigentlich klar sein. -
Mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken und bewirken.
Unvereinbar! - Auch dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Unabhängig von dieser rechtlichen Situation stellt sich auch die Frage nach der Wirksamkeit einer solchen „freiwilligen Importbeschränkung". Tatsache ist: Britisches Rindfleisch macht weniger als 1 % des gesamten aus EU-Mitgliedstaaten nach Deutschland importierten Rindfleisches aus. Ein sogenannter freiwilliger Importverzicht auf britisches Rindfleisch würde also nur weniger als 1 % des gesamten EU-Importmarktes in Deutschland betreffen.
Tatsache ist zudem: Wenn z. B. Rinderhälften aus Großbritannien in einen anderen Mitgliedstaat verbracht und dort weiterverarbeitet werden, so werden sie nicht mehr als britisches Produkt deklariert. Das heißt im Klartext: Fleisch, das aus Großbritannien in einen anderen Mitgliedstaat importiert worden ist, dort weiterverarbeitet wurde und danach nach Deutschland kommt, enthält keinerlei Hinweis auf seine ursprünglich britische Herkunft. Es könnte also auf gar keinen Fall sichergestellt werden, daß nicht doch - sozusagen auf Umwegen - britisches Rindfleisch nach Deutschland kommt. Meine Damen
Bundesminister Horst Seehofer
und Herren, das ist die Scheinheiligkeit gegenüber der Öffentlichkeit.
Es ist Scheinheiligkeit, daß man in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, daß, wenn man 1 % des möglichen Rindfleischimports durch Selbstbeschränkung verhindert, kein britisches Rindfleisch mehr nach Deutschland kommt. Genau deshalb sind gemeinschaftsrechtliche Regelungen notwendig, die garantieren, daß in jedem Land der EU die gleichen Sicherheitsmaßstäbe gelten und auch überprüft werden.
Für die Bundesregierung gilt beim gesundheitlichen Verbraucherschutz auch weiterhin die Richtschnur: Blinder Aktionismus schadet,
verantwortliches Handeln nutzt. Daran haben wir uns immer orientiert, und wir werden es auch weiterhin tun.
Unser verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema BSE läßt sich auch an den vielfältigen Regelungen ablesen, die für britisches Rindfleisch über die Importbeschränkungen hinaus beschlossen worden sind, ganz weitgehend auch 1993/94 auf mein Betreiben hin.
Ich nenne beispielhaft nur: das Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer, die Empfehlungen zur Durchsetzung höherer Qualitätsstandards bei der Herstellung von Arzneimitteln, die Empfehlungen zur Durchsetzung höherer Qualitätsstandards bei der Herstellung von Kosmetika, die Einführung einer Meldepflicht für die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die Verdreifachung der Finanzmittel für die Erforschung spongiformer Enzephalopathien in der Bundesrepublik Deutschland. All dies haben wir über die Importbeschränkungen hinaus beschlossen und umgesetzt.
Nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund ist es, milde ausgedrückt, eine Verdrehung der Tatsachen, wenn nun behauptet wird - bei aller Vorsorge, die wir aus der Erfahrung mit HIV nach wie vor im Kopf haben müssen -, daß wir aus den Fehleinschätzungen bei HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte Anfang der 80er Jahre nichts gelernt hätten.
Der Untersuchungsausschuß „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte" hat klar herausgearbeitet: Es gab schon früh in den 80er Jahren gesicherte Erkenntnisse, die auf die konkreten Gefahren von HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte hätten aufmerksam machen müssen.
Eine völlig andere Situation haben wir heute bei BSE: Wir haben heute keine gesicherten Erkenntnisse, die auf eine Übertragbarkeit des BSE-Erregers auf den Menschen durch Fleisch hinweisen. Die Wissenschaft hält das Risiko eher für wenig wahrscheinlich, und trotzdem setzen wir uns mit aller Kraft für notwendige Schutzmaßnahmen nach dem jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ein.
Das ist verantwortlicher Verbraucherschutz.
Auch da hat die SPD offenbar noch einigen Nachholbedarf. Ich kann den Sozialdemokraten nur die Lektüre der ersten Februar-Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit" empfehlen. Dort ist der stellvertretende Direktor der britischen Verbraucherschutzorganisation mit folgendem Satz zitiert:
Und soweit wir das bisher beurteilen können, hat Großbritannien alles getan, um die Sicherheit der Verbraucher zu gewährleisten.
Was in Großbritannien, dem Hauptursprungs- und Verbreitungsland von BSE, möglich ist, nämlich verantwortlicher Umgang mit dem Thema BSE, muß doch auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland möglich sein.
Meine Damen und Herren von der SPD - ich sage dies auch vor dem Hintergrund der völlig überzogenen SPD-Aktion, die noch eine fatale Wirkung entfalten wird -: Der deutsche Rindfleischmarkt, der mit BSE nun wirklich nicht das geringste zu tun hat - es gibt kein einziges deutsches Rind, das erkrankt ist -,
wird die negativen Folgen der SPD-Verunsicherung zu spüren bekommen. Das hat in der Landwirtschaft und beim Fleischhandel allein die SPD zu verantworten.
Wenn die negativen Auswirkungen dieser Aktion der SPD den deutschen Rindfleischmarkt schädigen,
ist es geradezu absurd, mir vorzuhalten, ich hätte vor der Fleischlobby einen Kniefall gemacht.
Wir werden mit dem Thema BSE weiterhin verantwortlich umgehen. Wir werden, wie bisher, die Entwicklung sehr genau beobachten und die parlamentarischen Gremien sowie die Öffentlichkeit regelmäßig unterrichten. Auch das ist Verbraucherschutz, auf den sich die Menschen verlassen können: Offenheit, regelmäßige Unterrichtung über neue Erkenntnisse.
Bundesminister Horst Seehofer
In diesen Tagen gibt es ungezählte Anwälte des Verbraucherschutzes. Darunter - ich sage es ganz bewußt - sind nicht wenige, die mich in der Vergangenheit in Fragen des gesundheitlichen Verbraucherschutzes eher gehindert und gebremst haben. Ich bin freudig überrascht, daß wir in Deutschland jetzt so viele Verbraucherschützer haben wie nie zuvor, auch solche, die mich in der Vergangenheit behindert haben. Dieser Rolle wird aber nur der tatsächlich gerecht, der von Verbraucherschutz nicht nur redet, sondern Worten auch Taten folgen läßt. Ich hoffe sehr, daß sich die Zahl der theoretischen Verbraucherschützer - ich sage dies ganz bewußt - in den nächsten Tagen nicht von der Zahl der praktischen Verbraucherschützer unterscheidet.
Wir haben jetzt folgende Situation: Die Bundesländer fordern die Bundesregierung vehement auf, sich über das zwingende Gemeinschaftsrecht hinwegzusetzen und dafür auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Kauf zu nehmen. Gleichzeitig hat die Europäische Kommission heute vormittag die Bundesregierung schriftlich aufgefordert,
alles dafür zu tun, daß das Gemeinschaftsrecht nicht unterlaufen wird.
Wörtlich heißt es in einem Schreiben der Europäischen Kommission von heute morgen - und das sollte im Deutschen Bundestag jeder wissen -:
Die Kommission ist sich bewußt, daß die Bundesregierung auf ihrer Ebene alle notwendigen Schritte unternommen hat, um sich gemeinschaftskonform zu verhalten. Die Bundesregierung ist jedoch gegenüber der EU auch für das gemeinschaftskonforme Verhalten der einzelnen Bundesländer verantwortlich.
Wenn die Bundesregierung das gemeinschaftskonforme Verhalten nicht garantiert, sei die EU-Kommission gezwungen, in einem Eilverfahren den Europäischen Gerichtshof anzurufen,
um die Anwendung des Gemeinschaftsrechts in einem beschleunigten Verfahren zu gewährleisten.
In dieser Situation bin ich nun: Die Bundesländer fordern mich auf, vor Gericht gegen die Europäische Kommission vorzugehen, und die Europäische Kommission fordert mich auf, gegen die Bundesländer vorzugehen, notfalls auch über Gericht. Das ist der Zielkonflikt, in dem ich stehe. Im übrigen hat die Europäische Kommission heute vormittag noch einmal den einstimmigen Beschluß des Wissenschaftlichen Veterinärausschusses bestätigt.
Ich werde die Bundesregierung jetzt umgehend mit diesem tiefgreifenden Konflikt, der sich seit heute
mittag stellt, erneut befassen und kurzfristig - ich betone: kurzfristig -
eine Entscheidung herbeiführen. Ich werde mich bei meinen Vorschlägen, wie in der Vergangenheit auch, an einem optimalen Verbraucherschutz in der Bundesrepublik Deutschland orientieren.
Meine Damen und Herren, ich erlebe solche Kampagnen und Aktionen nicht zum erstenmal. Ich orientiere mich deshalb auch in dieser Auseinandersetzung an einer alten Lebensweisheit: So hübsch die Anpassung an den Geist der Zeit auch ist, die Freuden der Aufrichtigkeit sind größer und haltbarer.
Ich bedanke mich.