Rede von
Dr.
Jürgen
Rüttgers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe dieser Debatte von Anfang an zugehört, vor allen Dingen den Beiträgen, die aus der SPD gekommen sind, u. a. dem Beitrag des wirtschaftspolitischen Sprechers der SPD, Herrn Professor Jens. Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, ich habe nun die ganze Zeit darauf gewartet, ob von seiten der SPD einmal ein Wort der Freude darüber fällt, daß wir die tiefste Rezession der Nachkriegszeit erfolgreich überwunden haben.
Wenn man einmal darüber nachdenkt, warum ein solches Wort - Sie brauchen sich jetzt gar nicht aufzuregen und wieder laut zu werden -, verehrte Frau Matthäus-Maier, nicht über Ihre Lippen kommt, dann fällt einem natürlich noch einmal die Debatte vom vergangenen Jahr ein. Wenn man die Prognosen, Frau Matthäus-Maier und Herr Professor Jens, die Sie damals abgegeben haben,
mit der heutigen Realität vergleicht, dann stellt man fest, daß die SPD eine Partei der falschen Prognosen, der überholten Programme und der falschen Rezepte ist.
Das haben Sie heute wieder unter Beweis gestellt; denn bei allen Ihren Horrorszenarien, die Sie im Blick auf die weitere Entwicklung dargeboten haben - über diese werden wir im nächsten Jahr diskutieren -, werden wir wiederum feststellen: Sie waren schon wieder einmal falsch.
Die Rezession ist überwunden. Darüber freue ich mich; denn das ist gut für die Menschen in Deutschland. Sie können jetzt wieder hoffen. Sie können hoffen, daß dieser Aufschwung den Arbeitsmarkt erreicht und wir hier zu einer Wende kommen. Das ist wichtig.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
- Allerdings, Frau Fuchs, bin ich auch bereit, ganz klar zu sagen, daß die Strukturkrise nicht überwunden ist, daß wir weitere Bemühungen brauchen, um zur Kostenreduzierung in der Wirtschaft - das ist ein Punkt, den Sie zumindest nicht mit inhaltlichen Ideen zu füllen in der Lage sind - und zur Konsolidierung bei den öffentlichen Haushalten beizutragen. Dazu hat der Bundesfinanzminister soeben das Notwendige gesagt.
Aber neben diesen beiden Punkten, meine Damen und Herren, muß auch die Innovationsfähigkeit in Deutschland gestärkt werden.
Für diese Innovationsfähigkeit müssen Bildung und Forschung einen besonderen Beitrag leisten.
Wir müssen rechtzeitig erkennen, was zukunftsfähige Entwicklungen sind, wo ihre Risiken, aber auch ihre Chancen liegen. Wir müssen jetzt entscheiden, was wir morgen wollen, statt vielleicht später wieder einmal festzustellen, daß es fünf nach zwölf ist und wir uns auf neue Entwicklungen nicht rechtzeitig vorbereitet haben.
Meine Damen und Herren, BDI-Präsident Olaf Henkel hat kürzlich zu Recht darauf hingewiesen, daß die deutsche Industrie im High-Tech-Wettbewerb aufholen muß. Wenn man sich das einmal genau anschaut, dann stellt man fest, daß unsere Exporterfolge heute weitgehend mit reifen oder auslaufenden Produkten erzielt werden und nur zum Teil mit Hochtechnologieprodukten, also mit jenen Produkten, denen die Zukunftsmärkte gehören.
Nur knapp 14 % unserer Ausfuhren entfallen auf Güter mit großer F-und-E-Intensität. Aber gerade in diesem Bereich der Spitzentechnologie ist die größte Wertschöpfung möglich.
- Lieber Herr Fischer, daß gerade Sie bei diesem Thema aufwachen, das finde ich erstaunlich, wo doch Sie einer derjenigen in Deutschland sind, die Bemühungen um F und E, Bemühungen um Forschung, Bemühungen um neue Produkte systematisch verhindert haben. Wenn Sie irgendwo einen Namen haben, dann in diesem Bereich und nirgendwo anders.
Meine Damen und Herren, niemand will in Deutschland den Lebensstandard verringern. Aber hohe Löhne fließen eben nur aus hoher Leistung. Wenn wir teurer sind als andere, dann müssen wir eben auch besser sein.
- Haben Sie denn irgend etwas gegen das zu sagen, was ich gerade gesagt habe? Dann klatschen Sie doch und widersprechen Sie nicht. Das ist dann doch richtig. Lassen wir uns doch einmal darauf einigen.
Die Wahrheit ist, daß unser Leistungsprofil heute nicht mehr zu unseren hohen Ansprüchen paßt.
In den 80er Jahren wurden vor allem in den klassischen Bereichen - Maschinenbau, Fahrzeugbau und Chemie - Verbesserungen erzielt. Diese Verbesserungen haben der deutschen Wirtschaft im internationalen Wettbewerb Vorsprünge verschafft. Das ist wichtig; das ist ein gutes Standbein. Aber z. B. der Mobilfunk hat demonstriert, wie binnen weniger Jahre ein dynamisches Wachstum aus einer Dienstleistung entstehen kann. Dazu mußten frühzeitig technologische Grundlagen geschaffen werden. Dazu mußten Märkte geöffnet werden, und zwar über Standards und Deregulierung. Dazu mußten Wettbewerb und Freiräume zur Entfaltung unternehmerischen Handelns geschaffen werden - Herr Catenhusen, gegen den Willen der SPD. Darum haben wir lange gekämpft, als es hier um die Postreform ging, die Wolfgang Bötsch erfolgreich durchgesetzt hat.
Wir brauchen in Deutschland eine Innovationswelle, die uns mit Schwung ins 21. Jahrhundert trägt, und zwar vor allem bei den Spitzentechnologien, ihrer Entwicklung und ihrer Anwendung, z. B. bei den Informations- und Kommunikationstechniken, weil das Voraussetzungen für intelligente Dienstleistungen sind, die in den kommenden Jahren immer wichtiger werden, z. B. bei der Biotechnologie, wo jetzt die Märkte der Zukunft entwickelt werden, z. B. bei der Entwicklung neuer Materialien oder beim produktintegrierten Umweltschutz, wo sich uns neue Möglichkeiten ressourcenschonenden Wirtschaftens eröffnen.
Meine Damen und Herren, gelingt uns dies nicht, werden wir von der Substanz zehren, statt unsere Wirtschaftskraft auf die Innovationsfelder von morgen zu stützen. Dann verspielen wir auch die Chance, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Meine Damen und Herren, neue Arbeitsplätze entstehen nicht da, wo die alten verlorengingen, sondern sie entstehen in innovativen Unternehmen, sie entstehen in den forschungsintensiven Bereichen unserer Wirtschaft. In den 80er Jahren waren Wirtschaftszweige mit einem überproportionalen Engagement in Forschung und Entwicklung der Motor des wirtschaftlichen Wachstums. In diesem Zeitraum betrug das durchschnittliche Wachstum bei nicht forschungsintensiven Industrien 1,6 %, bei forschungsintensiven Industrien aber 3,4 %. Gerade diese beiden Zahlen zeigen, wo die Zukunftschancen der deutschen Wirtschaft liegen.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Wenn man sich beispielsweise den Weltmarkt der Informationsbranche ansieht, stellt man fest, daß es Schätzungen gibt, daß in diesem Bereich ein Marktvolumen von 3 000 Milliarden Dollar existiert. Experten erwarten, daß sich dieser Markt his zum Jahre 2000 verdoppeln wird.
In derselben Zeit können durch neue Dienstleistungsberufe allein in Europa 10 Millionen Arbeitsplätze entstehen, davon 2 Millionen in Deutschland - vorausgesetzt, wir schaffen Konkurrenz und freie Märkte, Herr Catenhusen. Das ist bisher nicht mit Ihrer Unterstützung, sondern nur gegen Ihren Widerstand durchgesetzt worden. Nur dann ist es möglich, diese 2 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen.
Jeder sieht, daß die Investoren in den Startlöchern hocken. Deshalb muß es spätestens ab 1. Januar 1998 in Deutschland freie Fahrt für Kommunikationstechnologien der Zukunft geben.
Lieber Herr Catenhusen, dann werden wir ja sehen, wie sich die SPD etwa im Zusammenhang mit der Veränderung der Datenschutzgesetze verhält, mit der Frage, wie wir in diesem Bereich die Sicherung des geistigen Eigentums sicherstellen, wie die Probleme der Datensicherheit gelöst werden.
- Gerne, Frau Kollegin Fuchs. Ich bin gern dazu bereit. Der Kollege Rexrodt, der Kollege Bötsch und ich werden ja in den nächsten Wochen mit einer Vielzahl von Aktivitäten initiativ werden. Wir werden sehen, ob wir dabei die SPD an unserer Seite haben.
Das Ziel ist - das ist völlig unstrittig -: Am 1. Januar 1998 muß es diese Möglichkeiten geben. Es darf nicht passieren, daß wir erst am 1. Januar 1998 anfangen, darüber nachzudenken, welche Gesetze noch geändert werden müssen, bevor der Start erfolgt.
Wenn beispielsweise deutsche Firmen zunehmend Betriebe in den Vereinigten Staaten kaufen - und zwar nicht als Fertigungsbetriebe, sondern als Forschungs- und Innovationspartner -, zeigt dies auch, daß die Fragen der Rahmenbedingungen, der Möglichkeit innovationsorientierter Zusammenarbeit, der Risikobereitschaft und des geistigen Klimas für die Aufgaben, über die ich hier spreche, eine große Rolle spielen. Ich meine, da könnten wir uns in Deutschland eine kräftige Scheibe abschneiden.
Innovationsfähigkeit, meine Damen und Herren, ist nicht nur eine Frage des Geldes. Da gibt es eine Vielzahl von Vergleichen. Wenn wir uns beispielsweise das Marktvolumen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien ansehen, so können wir konstatieren, daß es dafür Forschungsgelder in Höhe von 12 Milliarden DM gibt. Sie stammen zu 87 % aus der Wirtschaft und nur zu 13 % vom Staat.
Vergleicht man das mit der Biotechnologie, dem Thema des 21. Jahrhunderts, sieht man, daß es dort zur Zeit ein viel kleineres Marktvolumen gibt und die Forschungsgelder zu 43 % aus der Wirtschaft stammen, allerdings zu 57 % vorn Staat.
Meine Damen und Herren, damit wir uns nicht mißverstehen: Der hohe staatliche Anteil ist noch keine Erfolgsgarantie. Entscheidend ist, welche Anwendungen und Produktvisionen entwickelt und ob hierfür Märkte erschlossen werden können. Es kommt eben auf das Entdeckungsverfahren des Marktes, von dem Friedrich Hayek sprach, an. Deshalb brauchen wir auch in diesen Bereichen keine staatliche Lenkung - diese war bei den Rednern der SPD wieder spürbar --, sondern wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Da gibt es allerdings noch eine Kooperationslücke. Die Wissensproduktion in Deutschland ist groß, aber der Anteil des Wissens, mit dem auch produziert wird, ist zu gering.
Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, es ist unstreitig, daß Innovationen im HighTech-Bereich gleichzeitig neueste Ergebnisse der Grundlagenforschung, der Anwendungs- und Prozeßtechnik, Marktkenntnisse und Produktkonzeptionen brauchen. Es kann also keine ernsthafte Debatte Grundlagenforschung gegen anwendungsorientierte Forschung geführt werden. Es geht da auch nicht um staatliche Lenkung. Wer Innovationen will, meine Damen und Herren, darf sich nicht in solche Sackgassen begeben. Worum es geht, ist die bessere Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und der Wirtschaft, urn systematisch und gemeinsam Leitprojekte zu erarbeiten. Sie müssen von der Fragestellung ausgehen, für welches Problem welche Innovationslösung gebraucht wird, und auf ausreichend breitbandige Technologieziele ausgerichtet sein.
Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie versucht, auf wichtigen Innovationsfeldern weiterzukommen, etwa bei den Umwelttechnologien. Hier haben wir als Deutsche einen entscheidenden Trumpf im Hinblick auf unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Aber dieser Vorsprung von mehr als 20 % beim Weltexport ist natürlich gefährdet. Bei den End-of-pipe-Technologien sind wir gut. Im Bereich der Vorsorge müssen wir besser werden.
Deshalb ist unser Ziel, Projekte zur Förderung des produktionsintegrierten Umweltschutzes voranzutreiben. Das schafft bis zu 500 000 Arbeitsplätze bis zum Jahr 2000.
Oder hei der Biotechnologie: Die Biotechnologie wird das nächste Jahrhundert prägen. Deshalb dürfen wir die biotechnologische Revolution nicht verschlafen. Auch hier werden wir einen deutlichen Akzent etwa hei der Humangenomforschung zur Krankheitsbekämpfung setzen.
Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
Der Stärkung der Innovationsdynamik dient auch der Technologie- und Innovationsdialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Staat. Der Bundeskanzler wird den Rat für Forschung, Technologie und Innovation noch im Februar zu seiner ersten Sitzung einladen. Zusammen mit den Kollegen Rexrodt und Bötsch schlage ich vor, daß sich der Rat zunächst vor allem mit dem wichtigen Komplex der Entwicklung der Informationsgesellschaft einschließlich ihrer kulturellen Herausforderungen beschäftigt.
Ziel der Gespräche soll sein, konkrete Innovationshemmnisse zu identifizieren, den Gedankenaustausch über eine Beschleunigung des Technologietransfers und die Bedeutung einzelner Zukunftsfelder zu erleichtern, damit alle Beteiligten daraus in eigener Verantwortung und eigener Zuständigkeit die notwendigen Schritte ableiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, die Chancen und Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, lassen sich nur ergreifen und bestehen, wenn wir in Deutschland insgesamt zu Veränderungen bereit sind, wenn wir uns auf die Begabungen und Leistungsfähigkeit des einzelnen besinnen
und dafür sorgen, daß sie zur Entfaltung kommen können.
Was wir brauchen, ist eine Innovation in den Köpfen, ein offeneres, ein neugierigeres, ein zuversichtlicheres Denken.
In einer Gesellschaft - lieber Herr Fischer, das gilt auch für Sie -, die immer älter wird,
sind eine wirkliche Herausforderung und eine Trendwende dringend notwendig. Dazu, werte Kolleginnen und Kollegen, können wir alle einen Beitrag leisten.