Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr. Ich werde darauf eingehen.
Ich möchte zum Abschluß dieses Punktes die Bitte äußern, daß wir keine zusätzliche Belastung in die ungewöhnlich schwierigen Anstrengungen bringen, insbesondere in strukturarmen oder strukturschwachen Regionen in den ostdeutschen Bundesländern durch die Inaussichtstellung von Investitionen in die Infrastruktur Investoren zu gewinnen.
Ich möchte Graf Lambsdorff darauf hinweisen, daß die Transfers bereits degressiv gestaltet sind. Sie müssen nicht erst degressiv gestaltet werden. Wenn man sie jetzt erst degressiv gestalten wollte, würde das bedeuten, daß wir die bisher gefundene Grund-
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lage verlassen würden. Die degressive Wirkung tritt in dem Maße ein, in dem die Steuerkraft der ostdeutschen Länder wächst. Das ist die Folge des horizontalen Finanzausgleichssystems. Das bedeutet aber, daß die ostdeutschen Länder für die Laufzeit des Solidarpakts nur mit sehr geringfügigen realen Steigerungen ihrer Haushalte rechnen können, weil die Transferleistungen, die die Steuerschwäche ausgleichen, mit der wachsenden Steuerkraft zum größten Teil zurückgehen.
Wir haben uns bei unserer mittelfristigen Finanzplanung deshalb darauf einzurichten, daß wir nur ein sehr geringfügiges reales Haushaltswachstum haben. Das ist für uns ein objektiv vorgegebenes Datum, so daß wir uns jetzt schon überlegen müssen, wie wir durch einen immer intelligenteren Mitteleinsatz gewissermaßen das geringe Wachstum der Haushalte so ausgleichen, daß das geringe Wachstum nicht zum Nachteil der weiteren Entwicklung der ostdeutschen Länder gerät.
In diesem Zusammenhang möchte ich gern eine Bemerkung zu dem machen, was Herr Stoiber gesagt hat. Ich stimme ihm zu. Wir haben die Debatte über den Gegenstand, den Herr Stoiber angesprochen hat, schon vor einem Jahr in unserem Landtag geführt. Wir sind der Auffassung, daß wir Förderung wesentlich zielgenauer betreiben müssen. Wir brauchen dafür aber Ihre Mitwirkung, die Mitwirkung des Bundestages. Denn eine Reihe der Fördermaßnahmen sind Fördermaßnahmen, bei denen wir keine Differenzierung mit dem Ziel einer besseren Genauigkeit vornehmen können. Wir haben z. B. das Problem, daß die 50%ige Abschreibung bei Immobilien in allen Regionen des Landes gleich ist. Dort, wo jeder Investor auch ohne große Zuschüsse investieren würde, ist sie genauso hoch wie dort, wo ohne diese Abschreibung mit Sicherheit keine Investitionen stattfinden würden. Wir haben zwar im Rahmen der sogenannten GA-Mittel - Gemeinschaftsaufgabe „Aufbau Ost" - die Möglichkeit der differenzierten Förderung, aber eben in dem großen Bereich der Abschreibung nicht.
Wir haben in einer ganzen Reihe von Fällen nur sehr geringen Einfluß auf die Art und Weise, wie die Mittel eingesetzt werden. Soweit wir Einfluß haben, werden wir schon durch den Tatbestand, den ich eben beschrieben habe, gezwungen sein, diese Mittel immer sorgfältiger einzusetzen. Wir sind gerade damit befaßt - das wird Sie vielleicht interessieren -, auch mit externer Hilfe neue Verfahren der Kombination der Förderprogramme zu entwickeln, die nicht mehr ressortabhängig sind, sondern ressortübergreifend, um auf diese Weise innerhalb der verschiedenen Ressorts und unter den verschiedenen Ressorts die Effizienz des Mitteleinsatzes zu steigern.
Aus diesem Grunde haben wir ein wichtiges Landesförderprogramm nicht mehr einem bestimmten Ressort zugewiesen, sondern einem allgemeinen Titel im Kap. 15 des Haushalts, um auf diese Weise ressortübergreifend arbeiten zu können und damit zu einem effizienteren Mitteleinsatz zu gelangen.
Nur auf diese Weise - das wissen wir - ist auch in Westdeutschland die Bereitschaft aufrechtzuerhalten, weiter Mittel zur Verfügung zu stellen. Ich bin der Meinung, daß die Steuerzahler in Westdeutschland einen Anspruch darauf haben, daß wir nach einer Anlaufphase nun große Energien darauf verwenden, solche Effekte zu erzielen - wobei ich, vielleicht im Sinne der Relativierung der Kritik von Herrn Kollegen Stoiber, hinzufügen möchte: In den ersten drei Jahren waren wir dazu schlechterdings nicht in der Lage, weil wir überhaupt erst einmal eine handlungsfähige Verwaltung aufbauen mußten. Aber jetzt sind wir es.
Ich bin auch der Meinung, daß die ostdeutschen Länder und ihre Ministerpräsidenten gut beraten sind, wenn sie diese Kritik nicht zurückweisen, sondern mit denen, die die Kritik üben, in eine intensive Sachdiskussion eintreten - dann allerdings auch in der Erwartung, daß die Prüfung der Effizienz des Mitteleinsatzes auf ganz Deutschland ausgedehnt wird - und fragen, ob wir das überall richtig machen.
Ich darf hinzufügen: Sollte die Bereitschaft der westdeutschen Länder, und des Bundes, uns im Aufbau zu unterstützen, zu solchen Effizienzsteigerungen führen, dann wäre das eine Art immaterielle Gegenleistung, die wir an Westdeutschland leisten würden, vorausgesetzt, man würde sich unsere Erfahrungen zu eigen machen. Das ist nicht ohne weiteres gesagt.
Ich möchte noch wenige Sätze zu den Entwicklungen in den neuen Ländern sagen. Für uns steht die Arbeitsmarktentwicklung nach wie vor im Vordergrund. Dem Jahreswirtschaftsbericht können Sie entnehmen, daß die Erwerbsquote inzwischen leicht gestiegen ist. Sie können dem Jahreswirtschaftsbericht aber auch etwas entnehmen, was in der arbeitsmarktpolitischen Debatte nicht ausreichend berücksichtigt wird, nämlich die Tatsache, daß wir 1989/90 eine Erwerbsquote von 90 % hatten, d. h. 90 % der erwerbsfähigen Bevölkerung waren tatsächlich erwerbstätig. Das ist eine Erwerbsquote, die in keiner hochentwickelten Industriegesellschaft je erzielt worden ist und auch nicht erzielt werden wird.
Deshalb mußten wir schon aus Gründen der Transformation von der planwirtschaftlichen Organisation des Arbeitsmarktes auf die marktwirtschaftliche Organisation des Arbeitsmarktes mit einem nachhaltigen Einbruch in der Beschäftigung rechnen. Der ist natürlich sehr viel größer ausgefallen, als er hätte sein müssen, weil zunächst einmal ein wesentlicher Teil der Beschäftigung zusammengebrochen ist. Sie alle kennen die Zahlen: In der sächsischen Textilindustrie sind noch 17 % der ursprünglich Beschäftigten tätig, im Maschinenbau etwas mehr als 20 %, im Braunkohlebergbau etwas mehr als 30 %.
Auf der anderen Seite sind inzwischen im großen Umfang Klein- und Mittelbetriebe entstanden, die insbesondere im Bereich des Handwerks enorme Ex-
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pansionen verzeichnen. Wir hatten zu Beginn der jetzigen Aufbauphase im Freistaat Sachsen - das läßt sich im wesentlichen verallgemeinern, gilt auch für die anderen Bundesländer -
rund 20 000 Handwerksbetriebe. Wir haben inzwischen 45 000. Die durchschnittliche Anzahl der Beschäftigten lag bei 2,8 und liegt jetzt bei mehr als 10 Angestellten, so daß im Freistaat Sachsen etwa 45 000 Bürgerinnen und Bürger Arbeit für 450 000 Menschen geschaffen haben.
Daß das die Probleme noch nicht lösen kann, wissen wir. Die Entwicklung geht jetzt auch langsamer.
Ich möchte hier, Herr Bundeswirtschaftsminister, auf ein Problem hinweisen, daß unser aller Aufmerksamkeit verdient, und zwar über den Aufbau Ost hinaus: Wir stellen fest, daß in dem gesamten Bereich der Dienstleistungen von Sparkassen, Banken, öffentlichen wie privaten Instituten ein großes Defizit besteht: die unzureichende Bereitstellung von Eigenkapital. Die Finanzinstitute in Deutschland haben eine nur sehr gering ausgeprägte Tendenz, sich in einem gewissen Umfang mit Risikokapital zu beteiligen. Die Banken und Sparkassen sind zwar im großen Umfang bereit gewesen, Kredite zu geben, nur stoßen wir jetzt in Ostdeutschland an den Punkt, wo die Unternehmen nicht mit der Nachfrage nach ihren Produkten weiter wachsen können, weil sie noch kein Vermögen, kein Eigenkapital haben, das als Sicherheit für Darlehen dienen kann.
Wenn dieses Eigenkapital nicht in irgendeiner Weise zur Verfügung gestellt wird, dann wird es kein weiteres Wachstum der kleinen und mittleren Betriebe geben. Da aber das Wachstum der Wirtschaft in Ostdeutschland insgesamt auf dem Wachstum der kleinen und mittleren Betriebe basiert - die großen Betriebe werden keinen wesentlichen Beitrag zur Arbeitsmarktpolitik und auch zum Wirtschaftswachstum der Gesamtwirtschaft leisten und auch nicht leisten können, weil sie nur in geringerer Zahl vorhanden sind -, würden wir jetzt in eine schwierige Situation kommen. Das war vor zwei Jahren noch nicht so. Das ist eine Folge der dritten Entwicklungsstufe. Am Anfang gab es die Gründung der Unternehmen, dann bemühten sie sich, Boden unter die Füße zu bekommen, und jetzt gibt es richtiges Wirtschaftswachstum.
Die Beteiligungsgesellschaft Neue Länder, die durch die sogenannte Banken-Milliarde zustandegekommen ist, hat ja in gewissem Umfang Risikokapital zur Verfügung gestellt. Ich habe jedoch zu meinem großen Bedauern gehört, daß die beteiligten Banken die Absicht haben, die BNL nach Erledigung des Auftrags, 400 Millionen DM zu plazieren, wieder einzustellen. Ich würde das als eine Fehlentwicklung ansehen.
Vielmehr würde ich es begrüßen, wenn das, was man an neuen Schritten und Wegen gelernt hat - denn das ist ja alles neu gewesen -, nicht verlorenginge, sondern wenn man diese BNL in der einen oder anderen Rechtsform weiter dotierte oder möglicherweise mit ihr sogar an den Kapitalmarkt ginge, um aus ihr ein selbständiges Unternehmen zu machen, welches in größerem Umfang in der Lage und bereit ist, Risikokapital den Unternehmen, die eine Aussicht darauf haben, später einmal an die Börse zu kommen, zur Verfügung zu stellen.
Damit möchte ich auf einen dritten Punkt bezüglich der Finanzierung hinweisen, nämlich auf die Börsensituation. Es gibt zwar Börsenzugänge und Aktienemissionen von Groß- und Größtunternehmen, aber nicht von kleinen und mittleren. Die Börsenkonzentration, wie sie jetzt auch in Frankfurt diskutiert wird, richtet sich an dem Markt aus, der zur Zeit besteht. Wir brauchen aber auch noch einen anderen. Die Abschreibungsgesellschaft, der geschlossene Investitionsfonds und ähnliche, die ja vorwiegend aus steuerlichen Gründen zustande kommen, können diese Aufgabe nicht übernehmen. Wir müssen - es muß eine gemeinsame Leistung der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik und der beteiligten Institutionen geben - Formen finden, wie wir in den nächsten Jahren in sehr viel größerem Umfang als bisher Eigenkapitalbedürfnisse neuentstehender Unternehmungen finanzieren; sonst werden wir den Strukturwandel, der mit der Öffnung Osteuropas und dem Eintreten der Dritten Welt in den Welthandel auf uns zukommt, in Deutschland nicht meistern können.
Was den Arbeitsmarkt selbst anbetrifft, möchte ich nur wenige Bemerkungen machen, auch hier in Anlehnung an das Sachverständigengutachten und möglicherweise auch in Ergänzung dazu. Ich habe schon im Herbst 1993 den beiden Tarifparteien die Anregung gegeben, ob sie sich nicht unabhängig von dem und außerhalb des normalen Geschäfts der Tarifparteien auf den Versuch verständigen könnten, die Arbeitsmärkte näher zu analysieren. Ich habe den Eindruck - das wird auch immer wieder in den politischen Auseinandersetzungen über Arbeitsmarktfragen deutlich -, daß wir häufig ohne eine ausreichende Untersuchung der wirklichen Entwicklung diskutieren.
Ich will nur auf einen Punkt hinweisen. Es gibt heute in Deutschland, abgesehen von den Jahren 1992 und 1993, den höchsten Stand der Beschäftigung, den wir in der Nachkriegszeit hatten. Es gibt fast 29 Millionen Beschäftigte in den alten Bundesländern und nach dem Jahreswirtschaftsbericht noch einmal ungefähr 6 Millionen Beschäftigte in den neuen Bundesländern. Ich greife jetzt einmal die alten Bundesländer aus Vergleichsgründen heraus. Auf Grund des Einigungsbooms war der Stand der Beschäftigung noch etwas höher, und er ist jetzt ein Stück zurückgegangen. Trotzdem gibt es eine hohe
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Arbeitslosigkeit. Das heißt, daß die Fähigkeit der Wirtschaft, neue Arbeitsplätze zu schaffen, und die Erwerbsneigung der Bevölkerung ganz offensichtlich auseinanderfallen.
Die Folge dieser hohen Erwerbsneigung und der hohen Beschäftigung - das drückt sich jedenfalls in den Zahlen aus - ist aber auch, daß die Bereitschaft, sich selbständig zu machen, in den letzten 20 Jahren zurückgegangen ist. Wenn aber die Bereitschaft, sich selbständig zu machen, in einem Arbeitsmarkt zurückgeht, in dem zusätzlicher Arbeitskräftebedarf besteht, dann ist es kaum noch möglich, diesen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf zu decken.
Deshalb glaube ich, daß wir - ein Punkt, in dem ich im übrigen mit Kollege Lafontaine völlig übereinstimme; ich sage dies, weil das vorhin einmal etwas anders anklang - nicht nur fragen müssen: Wie können wir die Nebenlasten des Arbeitsverhältnisses durch eine Reorganisation und Umgestaltung der Systeme, die diese Nebenkosten verursachen, also insbesondere der Sozialsysteme, aber auch tarifvertraglicher Vereinbarungen, reduzieren? Wir müssen uns auch darüber unterhalten, ob die Eingangshürden, sich selbständig zu machen, im Verhältnis zur sozialen Befindlichkeit eines besserbezahlten Angestellten inzwischen so hoch geworden sind, daß der Antrieb, sich selbständig zu machen, nicht mehr ausreicht, um zur Selbständigkeit zu führen.
Wenn sich die 25 000 Männer und Frauen in Sachsen, die eine handwerkliche Meisterprüfung haben, nicht bereit erklärt hätten, sich selbständig zu machen, würden uns 400 000 Arbeitsplätze fehlen.
Dieser Impetus muß aber um so mehr gefördert werden, als wir alle wissen und auch dauernd erleben, daß die Großunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland durch den internationalen Wettbewerb gezwungen werden und gezwungen sind, durch immer höheren Kapitaleinsatz, der auch, aber nur teilweise durch die Lohnkosten ausgelöst wird, Arbeitskräfte abzubauen. Diese Entwicklung wird weitergehen. Die zusätzliche Beschäftigung, die wir alle für notwendig halten, wird deshalb, von konjunkturellen Beschäftigungsschwankungen einmal abgesehen, nicht durch die großen, sondern durch die mittleren und kleineren Unternehmen ausgelöst; die zu größeren werden können, wenn es ihnen gelingt, neue Ideen und Kapital miteinander zu verbinden und dadurch zu hoher Wertschöpfung in Deutschland beizutragen. Ohne diese ständig erneute Verbindung von Ideen und Kapital und ihre Förderung wird es auch nicht möglich sein, die Einkommen in Deutschland in den sonstigen Bereichen auf dem jetzigen Niveau zu halten.
Es geht nicht nur um die Reorganisation der Arbeitsmärkte mit dem Ziel, mehr Menschen Chancen zur Mitarbeit bei sonst gleichen Bedingungen zu geben, sondern es geht auch um die Frage - das ist die viel prinzipiellere Frage; sie ist vorhin im Zusammenhang mit Sozialdumping und mit den Bemühungen von Bundesarbeitsminister Blüm zur Verbindlichkeitserklärung in der Bauwirtschaft angesprochen worden - -