Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das muß eine der bedeutenderen Parlamentsreden gewesen sein;
am Beifall konnte man das jedenfalls merken.
Lieber Herr Rexrodt, Ihre Reisepläne kennen wir jetzt, Ihre Steuerpläne bleiben leider im dunkeln.
Das ist das Problem einer Auseinandersetzung, die
ein bißchen viel mit Eigenlob zu tun hat und ein bißchen wenig mit den ökonomischen Problemen, vor denen wir stehen.
Ich denke, unser zentrales Problem ist, daß wir gegenwärtig von der Exportkonjunktur leben. Das steht übrigens auch im Jahreswirtschaftsbericht.
- Es hat auch niemand behauptet, daß das ein Fehler sei, aber was verschwiegen worden ist und was man wohl in der Auseinandersetzung scheut, ist der Zustand der Binnenkonjunktur, meine Damen und Herren, die weit mehr Probleme hat, als Herr Rexrodt hier öffentlich zugeben wollte.
Der entscheidende Punkt bei der Schwäche der Binnenkonjunktur hat mit der Entwicklung der Kaufkraft zu tun, d. h. mit der Entwicklung von Löhnen und Gehältern in den letzten drei, vier Jahren. Wir haben einfach zur Kenntnis zu nehmen, daß es insbesondere im Bereich des Konsums - und damit in einem der zentralen Bereiche der Binnenkonjunktur - eine enge Beziehung zwischen dem realen Sinken von Löhnen und Gehältern auf der einen Seite und zuwenig Nachfrage nach Dienstleistungen und Gütern auf der anderen Seite gibt. Ich hätte mir schon gewünscht, daß der Bundeswirtschaftsminister diesen Zusammenhang herausstellt und sagt, was er denn in dieser so zentralen Frage meint. Sollen die breiten Schichten der arbeitenden Bevölkerung auch in den nächsten Jahren - das klingt nämlich an im Jahreswirtschaftsbericht - auf die reale Erhöhung ihrer Löhne und Gehälter verzichten?
Will die Bundesregierung weiter, z. B. durch Abgabenerhöhungen auf allen Ebenen, zur Senkung der realen Löhne beitragen, oder will sie hier wirklich eine Wende?
Dann wird davon geredet - auch Herr Rexrodt hat es getan -, die Abgabenquote sei zu hoch. Volkswirtschaftlich gesehen ist das zweifellos richtig.
Nur, irgendeiner muß doch dafür verantwortlich sein.
Es ist schon merkwürdig, meine Damen und Herren: Wer beispielsweise gestern Gelegenheit hatte, die Debatte über die ARD im Fernsehen anderswo zu verfolgen, der sah eine Koalition, die die Bürgerinnen und Bürger davor schützen wollte, zu hohe Gebühren zu bezahlen.
Das ist in Ordnung. Aber das Argument war dann, daß die Belastungsgrenzen erreicht seien.
Ministerpräsident Gerhard Schröder
Durch diese Debatte wollen Sie verwischen, daß Sie es doch sind, die die Belastungsgrenzen auf eine nie gekannte Höhe gebracht haben,
und daß die erreichten Belastungsgrenzen, die in Teilen überschritten sind, inzwischen nicht nur ein soziales, nein, auch ein ökonomisches Problem von erheblicher Tragweite sind.
Meine Damen und Herren, das Problem liegt doch einfach darin, daß Sie zu Ihrer politischen Verantwortung nicht stehen wollen, nicht deutlich machen wollen - es gibt ja auch Gründe dafür -, daß und warum die Staatsquote gegenwärtig so hoch ist, und nicht die Verantwortung dafür übernehmen wollen. Statt dessen führen Sie Ablenkungsdebatten zum Schaden der politischen Kultur und zum Schaden der Diskussion,
weil Sie die Abgabenquote in nie erreichte Höhen getrieben haben.
Es gibt dafür auch ein paar objektive Ursachen.
- Hat jemand bestritten, daß die Transferleistungen als Folge der deutschen Einheit etwas mit dieser Abgabenquote zu tun haben? Niemand hat das bestritten. Aber Sie tun doch so, als seien Sie dafür gar nicht verantwortlich. Das ist doch der Fehler, meine Damen und Herren.
Ich sage noch einmal: Dies drückt inzwischen auf Konsum, auf Nachfrage und damit auch auf die Entwicklung der Binnenkonjunktur, die, egal in welcher Branche - hier ist z. B. über Autos geredet worden -, eben nicht in dem Zustand ist, den Sie alle Welt glauben machen wollen.
An diesem Punkt setzt die Initiative des hessischen Kollegen Eichel an, der sagt: Wenn wir etwas tun wollen
für die Kaufkraftentwicklung, für die Fähigkeiten der breiten Schichten der arbeitenden Bevölkerung, Güter und Dienstleistungen zu kaufen, dann müssen wir im unteren Bereich mit Entlastungen anfangen.
Dieser Ansatz ist nicht nur sozial gerecht, er ist auch ökonomisch vernünftig und entspricht im übrigen den Versprechungen, die Sie bei den Beratungen des Solidarpaktes selber gemacht, aber schnöde gebrochen haben.
Denn in den Vereinbarungen stand ausdrücklich, daß man im Zuge der Gesetzgebung für eine weitgehende Entlastung der unteren Einkommensschichten sorgen wolle, sorgen werde. Fehlanzeige, das war Wortbruch, meine Damen und Herren, was Sie da geliefert haben.
Ich will noch kurz erwähnen, daß all diejenigen, die die Binnenkonjunktur gesundbeten - das hat der Bundeswirtschaftsminister, jedenfalls in Teilen, auch wieder versucht - etwas zu dem für die Entwicklung der Konjunktur besorgniserregenden Zinsanstieg hätten sagen müssen, im internationalen, aber auch im nationalen Maßstab. Wer also glaubte, Kaufkraftprobleme auf der einen Seite und der Zinsanstieg auf der anderen Seite seien keine Gefährdungen für die Binnenkonjunktur, über sie könne man einfach einmal hinweggehen, der irrt, jedenfalls nach meiner Auffassung. Wir werden uns darüber zu unterhalten haben.
Weil zu diesen wichtigen Problemen nichts gesagt worden ist, fehlt es - jedenfalls in wesentlichen Bereichen - auch in dem Teil, der sich mit dem befaßt, was man gelegentlich Strategie nennt. Zunächst einmal fällt auf, daß auch in diesem Jahreswirtschaftsbericht wieder gegen das angebliche Übel staatlicher Intervention polemisiert wird. Wer indessen die Wirklichkeit in der Bundesrepublik und die Wirklichkeit der Wirtschaftspolitik gelegentlich auch im Bund, jedenfalls in allen Ländern, betrachtet, weiß, daß der Streit, ob man intervenieren darf oder nicht, bestenfalls eigentlich noch in Diplomarbeiten ausgetragen werden kann. Wir haben eine Staatsquote von mehr als 50 %. Angesichts dieser Staatsquote stellt sich doch nicht die Frage, ob der Staat interveniert, sondern nur die, ob er intelligent oder weniger intelligent interveniert.
In einigen Teilbereichen ziehen Sie ja auch Konsequenzen daraus, z. B. wenn Sie sagen: Staat und Wirtschaft müssen auf den Wachstumsmärkten in Südostasien - das ist gesagt worden; ich würde hinzufügen: auch in Südamerika; das steht im Bericht - auch in Konkurrenz zu anderen - die es ja gibt - miteinander auftreten, gemeinsam dafür sorgen, daß die deutsche Wirtschaft, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei uns von Exporterfolgen profitieren, daß Exporterfolge umgesetzt werden in Einkommen und Auskommen durch Arbeit, die hier im Land gemacht werden kann. - So weit, so gut.
Ministerpräsident Gerhard Schröder
Danach loben Sie sich aus Anlaß des Gesprächs, das Sie mit Herrn von Pierer geführt haben, und sagen, Sie würden nun endlich darangehen, die Präsenz der deutschen Wirtschaft in diesem wichtigen Raum - in anderen hoffentlich auch - auszubauen, z. B. bei der Hilfe, die den Handelskammern gewährt wird, um dort präsent zu sein, z. B. bei der Messeförderung, insbesondere für mittelständische Unternehmen. Wer dann aber, Herr Rexrodt, in Ihren Haushalt schaut, findet außer Ankündigungen nichts, jedenfalls nichts Zusätzliches. Wer nun erwartet hätte, daß den großen Worten wie Außenhandelsförderung auch Taten folgen würden, den muß man leider enttäuschen. Der Ansatz z. B. bei der Außenhandelsförderung oder der Messeförderung ist exakt der gleiche wie im vorigen Jahr. Da müssen Sie wohl noch etwas nachhelfen, oder ich muß Ihnen vorwerfen, daß Sie es mit der Ankündigung genug sein lassen wollen, daß Taten indessen nicht folgen.
Meine Damen, meine Herren, ein anderes Problem wird mit dem Hinweis darauf abgetan, daß man ein Gutachten bei der OECD in Auftrag gegeben habe. Es geht hier um die besorgniserregende Frage, wie man, insbesondere auf die osteuropäischen und südosteuropäischen Länder bezogen, des Sozialdumpings Herr werden kann, also vermeiden kann, daß durch wirklich rigoroseste Ausbeutung vor unserer Haustür und durch entsprechend geringere Sozialstandards Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet werden. Der Jahreswirtschaftsbericht versucht, sich damit auseinanderzusetzen, sagt dann aber, handelspolitisch könne man leider nichts machen, jedenfalls so lange nicht, wie das bei der OECD in Auftrag gegebene Gutachten noch nicht vorliege. Das, Herr Rexrodt, ist genau der Vorwurf, den wir Ihnen machen, daß Sie den Versuch unternehmen anzukündigen, blumig zu reden. Wenn man genauer hinschaut, erkennt man, daß diesen Ankündigungen keine Taten folgen - oder erst dann, wenn die Opposition Sie dorthin getrieben hat.
- Entschuldigen Sie einmal, ich kann Ihnen das ja beweisen.
Exakt über das Problem der Präsenz in Südostasien haben wir vor einem halben Jahr hier debattiert. Ich erinnere mich noch ganz genau daran. Was da zu hören war, war leider nur der Hinweis, das sei in erster Linie Sache der Wirtschaft. Daß Sie binnen eines halben Jahres gelernt haben, freut mich. Ich sage: „Weiter so!" Es beweist aber die These, meine Damen und Herren, daß erst der Druck in Richtung Vernunft Sie zur Vernunft bringt.
Interessant ist im übrigen auch, was zur Haushaltskonsolidierung gesagt wird. Hier muß ich einmal etwas aus der Sicht eines desjenigen anmerken, der
einen Landeshaushalt - leider auch einer, der nicht besonders toll aussieht - zu verantworten hat.
- Das ist so. - Sie sagen auf der einen Seite, der Konsolidierungskurs über alle Ebenen des Staates muß fortgesetzt werden. Richtig so, sage ich. Dann gibt es seit kurzem eine Debatte darüber, daß er, jedenfalls was den Bau und die Finanzierung von Kindergartenplätzen angeht, nicht fortgesetzt werden dürfe. Übrigens auch richtig. Aber, meine Damen und Herren, was soll ich davon halten, wenn mir auf der einen Seite gesagt wird: „Du mußt, koste es, was es wolle, konsolidieren", und auf der anderen Seite vom Bund an die Länder und Gemeinden Forderungen gestellt werden, die nur unter Verlassen des Konsolidierungskurses erfüllbar sind? Ein bißchen mehr Konsequenz in der eigenen Argumentation würde ich Ihnen schon wünschen.
Sie brauchen keine Angst zu haben, wir werden den ernsthaften und ernstgemeinten Versuch machen, diesen Rechtsanspruch bis zum Jahr 1996 zu erfüllen. Aber wenn wir das tun, was gewaltige Anforderungen an die Länderhaushalte und an die Gemeinden bedeutet, möchten wir nicht vorgeworfen bekommen, daß wir damit das Konsolidierungsziel aus den Augen verlieren. Sie müssen sich schon entscheiden, welchen Vorwurf Sie erheben wollen.
Ich fand es im übrigen richtig - eine uralte Forderung aus der SPD -, daß Sie jetzt sagen: Ich mache Branchendialog. - Früher wäre das Teufelswerkzeug gewesen. Das wissen wir alles noch, wir haben alles noch im Ohr, was damals erzählt worden ist. Sie haben gesagt, Sie machen jetzt Branchendialog in der Automobilindustrie, in der Zulieferindustrie. Das ist sehr gut. Ist Ihnen eigentlich zur Kenntnis gelangt, daß die Probleme in der Automobilindustrie, die Probleme zwischen den Automobilproduzenten und den Zulieferern in ihrer vollen Bedeutung seit drei, vier Jahren diskutiert werden, daß die Krise, die es in diesen Beziehungen auf Grund der Notwendigkeit zur strukturellen Anpassung gegeben hat, seit drei, vier Jahren in nie gekannter Deutlichkeit auf dem Tisch liegen? In der Zwischenzeit herrschte Schweigen im Walde. Jetzt, wo man durch Branchendialoge, die die Länder organisiert und veranstaltet haben,
erhebliche Stücke weiter ist, was ein neues Verständnis voneinander angeht, kommt der Bundeswirtschaftsminister und sagt: Jetzt mache ich Branchendialog.
Das ist sehr interessant. Sie sind immer etwas zu spät und immer etwas zu zögerlich, was kraftvolle Politik angeht. Das ist das Problem, das wir mit Ihnen haben.
Ministerpräsident Gerhard Schröder
Sie haben über Energiepolitik geredet. Natürlich ist das ein wichtiges Feld. Aber ich hätte es dann ganz gerne, daß Sie, wenn Sie sagen, Sie wollen einen Dialog neu beginnen, Sie wollen ihn ohne Vorbedingungen, erstens nicht selber welche stellen und daß Sie zweitens - das ist nötig, wenn man miteinander reden will - glasklar erklären, daß gesetzlich festgeschriebene Zusagen auf diesem Feld nicht ein Jahr, nachdem sie zugesagt worden sind, wieder in Frage gestellt werden.
Auf dieser Basis ist es außerordentlich schwer, zu Vereinbarungen zu kommen.
- Natürlich wird das in Frage gestellt. Schauen Sie sich an, was Sie z. B. bei der Kohle machen! Anstatt hier klipp und klar zu erklären: Die finanziellen Margen, die wir im Artikelgesetz alle zusammen zugesagt haben, werden nicht in Frage gestellt, die 7,5 Milliarden DM im Jahre 1996 und die 7 Milliarden DM bis zum Jahr 2000 stehen, und damit die Probe auf Ihre Verläßlichkeit zu ermöglichen, stellen Sie die Finanzierung der deutschen Steinkohle ständig und immer wieder in Frage.
Sie können sich doch dann nicht wundern, meine Damen und Herren, wenn man angesichts dieser Entwicklung hingeht und sagt:
Ob die anderen Vereinbarungen einhalten können oder einhalten werden, ist außerordentlich zweifelhaft.
Ich finde es auch falsch, in diesem Zusammenhang von den Vorbedingungen zu reden, die Sie gestellt haben. Sie wissen doch, daß der Dialog initiiert worden ist, um einen rationalen Weg zur Überwindung der Atomenergie zu finden. Wer ihn als einen, der das „Weiter so" auf diesem Felde ermöglichen will, versteht, der hat ihn mißverstanden. Dazu ist dieser Dialog auch nicht gemacht. Also: Man kann und muß über eine vernünftige, über eine kostengünstige, umweltgerechte Energiepolitik reden. Aber Sie, Herr Rexrodt, gehörten zu denen, die die Vorbedingungen machten.
Ich denke, daß wir auf dem Felde nationaler Wirtschaftspolitik vom Wirtschaftsminister hätten erwarten können, ein bißchen mehr über das zu hören, was es an neuen Produkten und Produktlinien in der Umweltpolitik in unserem Land gegeben hat. Bedauerlicherweise Schweigen im Walde.
Dabei wäre es doch vernünftig, den Menschen in Deutschland klarzumachen, daß die frühere Besorgnis, daß der massive Umweltschutz, den wir brauchen, automatisch zu weniger Wirtschaftskraft und weniger Arbeitsplätzen führen würde, längst durch die Praxis widerlegt ist. Ich hätte mir gewünscht, Herr Rexrodt, daß Sie meinethalben all diejenigen, die dieses Feld zögerlich pessimistisch beackert haben, stolz darauf hingewiesen hätten, daß Deutschland auf diesem so wichtigen Markt inzwischen die Nummer Eins ist.
Wenn es Wachstumsmöglichkeiten gibt - und es sollte sie geben -, dann liegen sie jedenfalls auch hier. Ich habe einen praktischen Vorschlag: Wenn Sie den Branchendialog mit der Automobilindustrie führen, reden Sie mit denen über Recycling, geben Sie denen verläßliche Daten, wann sie zurücknehmen müssen.
Dann werden Sie sehen, daß sie es erstens leisten können, zweitens leisten werden und daß drittens ein Netz von Demontagestationen in Deutschland entstehen wird, die alte Autos auswerten, Rohstoffe, die darin enthalten sind, wiederverwerten und daraus Wirtschaftskraft und Arbeit machen.
Es würde sich schon lohnen, wenn der Bundeswirtschaftsminister denen, die uns zuschauen und zuhören, sagen würde, welch gewaltige Chancen darin liegen, wenn wir die ersten sind, die diese Systeme auf den Märkten der Welt verkaufbar machen, und daß man nicht Angst haben muß, daß das zu weniger Arbeit führt. Nein, es wird zu mehr Arbeit führen. Warum tun Sie das eigentlich nicht?
Sie haben im übrigen über 300 000 Arbeitsplätze mehr geredet, die in diesem Jahr geschaffen werden sollen. Gelänge das, würde ich mich freuen. Bestimmte Entwicklungen z. B. bei den industriellen Arbeitsplätzen, die Sie eigentlich kennen müßten, machen mich skeptisch. Produktivität in Deutschland wird und muß zunehmen. Das bedeutet, daß mit weniger Menschen mehr Güter und Dienstleistungen hergestellt werden können.
Das, was es an Arbeitsplätzen in der letzten Zeit gegeben hat, ist zum ganz überwiegenden Teil auf die Verkürzung von Arbeitszeit zurückzuführen, auf eine Verkürzung, zu der es hier interessante Debat-
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ten gegeben hat. Sie waren nie auf der richtigen Seite, meine Damen und Herren.
- Ja, so war es leider.
Das heißt, die Hoffnung, bei den Industriearbeitsplätzen ließe sich etwas massenhaft bewegen, kann ich so noch nicht teilen. Sie müßten schon genauer sagen, in welchen Bereichen, in welchen Branchen und mit welchen Methoden und Mitteln Sie glauben angesichts der Produktivitätsentwicklung, angesichts globaler Konkurrenz, die zu dieser Produktivitätsentwicklung zwingt, mehr Industriearbeitsplätze schaffen zu können und zu wollen.
Solange Sie das nicht exakter angeben, bleibe ich skeptisch und sage: Der einzige Markt, Arbeitsmarkt, das einzige Segment, das gewachsen ist, waren die Dienstleistungen, nicht zuletzt auch dort auf Grund von Arbeitszeitverkürzungen.
Es stimmt: Auf dem Dienstleistungssektor kann und muß im gewerblichen Bereich noch eine Menge passieren. Da gibt es noch Chancen. Es stimmt auch, daß man sich nicht scheuen soll, offen über - natürlich - sozial abgesicherte Arbeitsplätze auch im Bereich der privaten Haushalte zu diskutieren.
Sich der Einzelheiten dort zu verschließen, halte ich für falsch, indessen: Zahlen, daß da längst noch nicht alles so verläuft, daß man von massenhaften Möglichkeiten reden könnte, liegen auch vor.
Lassen Sie uns also nicht so sehr über das Ob streiten, sondern lassen Sie uns in diesem Bereich streiten: Was bringt es, und zu welchen Bedingungen kann und soll man das machen?
- Jetzt können Sie auch klatschen.
Es wird in dieser Debatte über das, was Bund und Länder auf dem Gebiet von Forschung und Entwicklung und vor allem auf dem Gebiet der Umsetzung von Forschungsergebnissen in Produktion und Produktionsverfahren gemeinsam tun können, zu reden sein.
Ich will eine abschließende Bemerkung zu der Frage „schlanker Staat" machen. Mit dieser Diskussion sind ja alle - auch die, die mit Bürokratien relativ wenig zu tun haben - beschäftigt. Ich finde die Ansätze, die da gemacht worden sind, daß es zu keinem Auseinanderfallen der Produktivitätsentwicklung im privaten und im staatlichen Bereich kommen darf - jedenfalls zu keinem gewaltigen -, schon ganz richtig. Das ist ein richtiger Ansatz.
Das eigentliche Problem ist aber folgendes: Wenn die Produktivität in der Wirtschaft zunimmt und im Staat abnimmt, gibt es Schieflagen, die auf Dauer niemand aushalten kann, weil sie nämlich niemand
finanzieren kann. Aber, meine Damen und Herren, wer glaubt, das Problem „schlanker Staat" sei mit der Entlassung von Beamten und Angestellten geregelt, der irrt.
Was wir brauchen, ist eine Veränderung in den Köpfen. Was wir brauchen, ist das Bewußtsein - schwer zu bilden vor dem Hintergrund unseres Beamtenrechts -, daß in erster Linie Dienstleistungen des Staates gefragt sind und nicht die hoheitliche Aufgabenwahrnehmung.
Meine Damen und Herren, diejenigen, die Staat machen - häufig gut machen, das muß man auch einmal sagen -, müssen sich als Diener der Bürgerinnen und Bürger und nicht als deren Herren begreifen. Das ist das eigentliche Problem, das wir bewältigen müssen,
zu dem sich aber in der Debatte jedenfalls bisher wenig gefunden hat.
Kurzum: Ich würde mich freuen, wenn erfreuliche theoretische Ansätze, die es im Jahreswirtschaftsbericht durchaus zu lesen gibt, von Ihnen ernstgenommen würden, Herr Rexrodt. Das gilt im internationalen wie im nationalen Bereich. Ich würde mich freuen, wenn die Debatte über das Thema „schlanker Staat: ja oder nein?" auf den wirklich bedeutsamen Kern reduziert werden könnte, nämlich folgende Frage: Wie erziehen wir eine Beamtenschaft so, daß sie sich nicht hoheitlich begreift, sondern als Dienstleistungsunternehmen? Schafften wir das, hätten wir eine Jahrhundertaufgabe realisiert.
Vielen Dank.