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ID1301601700

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    Plenarprotokoll 13/16 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 16. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. Januar 1995 Inhalt: Tagesordnungspunkt 14 f: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 1 zu Petitionen (Drucksache 13/250) 1007 B Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Halo Saibold, Albert Schmidt (Hitzhofen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens und einer Umweltverträglichkeitsprüfung für das im Bau befindliche Atomkraftwerk Temelin in der Republik Tschechien unter rechtserheblicher Beteiligung bundesdeutscher Bürgerinnen und Bürger (Drucksache 13/ 106) Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Ursula Schönberger, Helmut Lippelt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nichtbewilligung des EBRD-Kredites für den Weiterbau des Atomkraftwerks Mochovce/Slowakei (Drucksache 13/309) Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktion der SPD: Durchführung von Sicherheits- und Umweltverträglichkeitsprüfungen für die im Bau befindlichen Atomkraftwerke Temelin in der Republik Tschechien und Mochovce in der Slowakischen Republik (Drucksache 13/310) Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1007D Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 1008D Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1009 D Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1010D, 1015A Wolfgang Behrendt SPD 1011C Dr. Rainer Ortleb F.D.P 1013 B Kurt-Dieter Grill CDU/CSU 1014 D Horst Kubatschka SPD 1018 A Dr. Rainer Ortleb F.D.P 1018D Michael Müller (Düsseldorf, SPD 1019B Kurt-Dieter Grill CDU/CSU 1019 C Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1021 B Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung des Tourismus (Drucksache 12/7895) Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär BMWi 1022 C Susanne Kastner SPD 1024 B Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 1027 B Halo Saibold BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1029A Klaus Brähmig CDU/CSU 1031 A Dr. Olaf Feldmann F.D.P. 1032 B Jann-Peter Janssen SPD 1034 B Dr. Gerd Müller CDU/CSU 1036A II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1995 Tagesordnungspunkt 12: a) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Steffen Tippach und der weiteren Abgeordneten der PDS: Unbefristeter Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden (Drucksache 13/211) b) Antrag der Abgeordneten Cern Özdemir, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden (Drucksache 13/217) c) Antrag der Fraktion der SPD: Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden (Drucksache 13/311) 1038A Nächste Sitzung 1038 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1039* A Anlage 2 Amtliche Mitteilung 1039* D Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 16. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Januar 1995 1007 16. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. Januar 1995 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Austermann, Dietrich CDU/CSU 27. 01. 95 Bachmaier, Hermann SPD 27. 01. 95 Beck (Bremen), BÜNDNIS 27. 01. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Berninger, Matthias BÜNDNIS 27. 01. 95 90/DIE GRÜNEN Beucher, Friedhelm Julius SPD 27. 01. 95 Börnsen (Ritterhude), SPD 27. 01. 95 Arne Braun (Auerbach), Rudolf CDU/CSU 27. 01. 95 Burchardt, Ulla SPD 27. 01. 95 Ferner, Elke SPD 27. 01. 95 Formanski, Norbert SPD 27. 01. 95 Dr. Gerhardt, Wolfgang F.D.P. 27. 01. 95 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 27. 01. 95 Großmann, Achim SPD 27. 01. 95 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 27. 01. 95 Hilsberg, Stephan SPD 27. 01. 95 Dr. Hirsch, Burkhard F.D.P. 27. 01. 95 Höfken-Deipenbrock, BÜNDNIS 27. 01. 95 Ulrike 90/DIE GRÜNEN Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 27. 01. 95 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 27. 01. 95 Kanther, Manfred CDU/CSU 27. 01. 95 Knoche, Monika BÜNDNIS 27. 01. 95 90/DIE GRÜNEN Kraus, Rudolf CDU/CSU 27. 01. 95 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 27. 01.95 Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 27. 01. 95 90/DIE GRÜNEN Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Leonhard, Elke SPD 27. 01. 95 Neumann (Bramsche), SPD 27. 01. 95 Volker Onur, Leyla SPD 27. 01. 95 Poß, Joachim SPD 27. 01.95 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 27. 01. 95 Hermann Rehbock-Zureich, Karin SPD 27. 01. 95 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 27. 01. 95 Scheffler, Siegfried Willy SPD 27. 01. 95 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 27. 01. 95 Hans Peter Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 27. 01. 95 90/DIE GRÜNEN Schulz (Leipzig), CDU/CSU 27. 01. 95 Gerhard Schumann, Ilse SPD 27. 01. 95 Dr. Stadtler, Max F.D.P. 27. 01. 95 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 27. 01. 95 Vergin, Siegfried SPD 27. 01. 95 Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 27. 01. 95 90/DIE GRÜNEN Vosen, Josef SPD 27. 01. 95 Wallow, Hans SPD 27. 01. 95 Weißgerber, Gunter SPD 27. 01. 95 Welt, Jochen SPD 27. 01.95 Wettig-Danielmeier, SPD 27. 01. 95 Inge Anlage 2 Amtliche Mitteilung Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 27. Januar 1995 mitgeteilt, daß sie ihren Antrag Entwurf einer Bioethik-Konvention des Europarates - Drucksache 13/243 - zurückzieht.
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    Rede von Wolfgang Behrendt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Merkel, Sie haben sich relativ eingehend mit der Situation in Tschechien und dem Kernkraftwerk Temelin beschäftigt. Sie haben über Mochovce sehr oberflächlich zum Schluß etwas gesagt.
    Uns scheint, daß das aktuellere Problem zur Zeit das Kernkraftwerk Mochovce ist. Denn in zwei Monaten soll die Entscheidung über die Finanzierung der Nachrüstung dieses Kraftwerks fallen. Sie wissen, daß die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und die Europäische Investitionsbank über entsprechende Kreditersuchen befinden müssen. Ich denke, man muß sich bewußt sein, daß dies nicht nur eine Entscheidung über die Struktur der Energieversorgung in der Slowakei darstellt, sondern daß es hier auch darum geht, ob der westeuropäischen Atomindustrie ein lukrativer Markt in Mittel- und Osteuropa mit einem geschätzten Volumen von immerhin 100 Milliarden DM eröffnet wird. Angesichts der desolaten Auftragslage der westlichen Nuklearindustrie ist das sicherlich eine verlockende Chance. Man muß sehen, daß hier ganz massive wirtschaftliche Aspekte im Hintergrund stehen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Nach den Statuten der Bank für Wiederaufbau und Entwicklung wäre eine Prüfung der Umweltverträglichkeit und die Erreichung westlicher Sicherheitsstandards Voraussetzung für eine Kreditvergabe. Nach den bisherigen Erfahrungen jedoch ist Skepsis angezeigt. Ein von der österreichischen Regierung gewünschtes und geplantes großangelegtes Hearing, das vor wenigen Tagen in Wien stattfinden sollte, ließen die Betreiber des Kernkraftwerks Mochovce platzen. Offenbar hatten sie und auch die französische Gesellschaft Electricité de France, die hier die Nachrüstung vornehmen soll, kalte Füße bekommen.



    Wolfgang Behrendt
    Deshalb unsere Forderung: Es muß eine öffentliche und für jedermann zugängliche Anhörung und eine umfassende Prüfung der Sicherheit und der Umweltverträglichkeit geben.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Vorher dürfen die Bauarbeiten nicht fortgeführt werden. Diese Prüfung darf nicht im stillen Kämmerlein oder in den Chefsuiten der Bankmanager stattfinden, sondern muß öffentlich erfolgen und für jedermann zugänglich sein, insbesondere für die Bevölkerung der betroffenen Nachbarstaaten.
    Vor allem die Sicherheit - das ist unstrittig - ist der neuralgische Punkt dieses Projekts. Ich will eines ganz klar sagen: Wir dürfen nicht um der wirtschaftlichen Interessen der Kernkraftindustrie willen atomares russisches Roulette spielen.
    Sicherheitsbedenken von Fachleuten gibt es zuhauf. Das, denke ich, wird von Ihnen heruntergespielt. Selbst eine französische Expertengruppe hat festgestellt, daß das Sicherheitssystem in Mochovce dem Stand der 60er Jahre entspricht. Die Internationale Atomenergiebehörde hat erklärt, auch nach der Umrüstung würde ein solches Kraftwerk im Westen keine Betriebsgenehmigung bekommen.
    Es gibt Anzeichen dafür, daß die slowakische Regierung die Anlage trotz gravierender Schludereien nicht nachgebessert hat, sondern die Mängel mit hohen Geldstrafen geahndet hat. Der entscheidende Punkt aber ist der, inwieweit östliche und westliche Sicherheitstechnologien miteinander zu verknüpfen sind.
    Der russische Atomexperte Julij Andreew, der jetzt beim Projekt „Nukleare Sicherheit" der Wiener Universität arbeitet, hat vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem Deutschlandfunk bezweifelt, daß die Umrüstung russischer Reaktoren überhaupt möglich ist, wenn sie über die Planungsphase hinaus sind.
    Zwei Blöcke in Mochovce sind immerhin schon bis zu 95 bzw. 80 % fertiggebaut. In dieser Phase eine Verschmelzung östlicher und westlicher Sicherheitsphilosophie vorzunehmen, so Andreew, komme dem Versuch gleich, einen Mercedes-Motor in einen Trabi einzubauen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Daß sich die amerikanische Regierung bei der Zustimmung zur Kreditzusage für das tschechische Kernkraftwerk Temelin vor einem Jahr weder um die Reaktorsicherheit noch um die Umweltverträglichkeit gekümmert hat, kann man nachvollziehen. Für die USA sind Temelin und Mochovce sozusagen „böhmische Dörfer". Daß Sie aber, Frau Ministerin Merkel, die substantiierten Bedenken von Experten damit abtun, das sei „alles nur Panikmache", wie Sie es jüngst in „Focus" geäußert haben, wird Ihrer Verantwortung nicht gerecht.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Wie billig die Ausrede ist, Sie könnten als Bundesregierung nicht den völkerrechtlichen Anspruch erheben, sich in die inneren Angelegenheiten der tschechischen oder slowakischen Regierung einzumischen, wird daraus deutlich, daß die österreichische Regierung in ganz anderer Weise agiert. In verschiedenen diplomatischen Noten haben die Österreicher auf die Planungen in Tschechien und Slowakien massiv Einfluß zu nehmen versucht.
    Ich erinnere nur an das Aide-mémoire an die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung im November 1994, in dem die österreichische Bundesregierung konkrete Bedenken bezüglich des Projekts Mochovce zum Ausdruck gebracht hat.
    Darüber hinaus haben die Österreicher - das finde ich bemerkenswert - auch ein Angebot zu einer energiewirtschaftlichen Kooperation mit dem Ziel gemacht, hier auch Alternativen zur Energieerzeugung aus Kernkraft mit den Tschechen und Slowaken durchzusetzen.
    Im Vergleich dazu ist das, was Sie geäußert haben, einfach dürftig.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Meinen Sie nicht, daß Sie es der deutschen Bevölkerung schuldig sind, sich ebenfalls einzumischen? Nehmen Sie sich ein Beispiel an der engagierten Haltung Ihrer österreichischen Kollegin, der Umweltministerin Maria Rauch-Kallat.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Sie hat ein Wissenschaftlerteam damit beauftragt, die Unterlagen für das Kernkraftwerk Mochovce zu prüfen. Sie hat Gespräche mit den Direktoriumsmitgliedern der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung geführt, um den österreichischen Standpunkt vorzutragen. Die Prüfung der Unterlagen hat ergeben, daß sie unzureichend und widersprüchlich sind und daß auf dieser Grundlage die Bank das Projekt eigentlich ablehnen müßte.
    Sie müssen allerdings nicht ins Ausland blicken, um sich zu orientieren. Ihr Amtsvorgänger hat eine Entscheidung im Zusammenhang mit Greifswald getroffen, und er hat damals ausgeführt, daß die Risiken dieser Reaktoren aus dem Design, aus der Struktur der Reaktoren und ihrem Erhaltungszustand resultieren. Als Konsequenz dieser Prüfung fiel die Entscheidung gegen eine Nachrüstung und für die Abschaltung.
    Nun frage ich Sie, Frau Ministerin Merkel: Woher nehmen Sie den Mut, einer Nachrüstung genau des gleichen Reaktortyps jetzt Unbedenklichkeit zu bescheinigen, und dies angesichts der Tatsache, daß statt der 2 Milliarden DM, die für die Nachrüstung von Greifswald einmal kalkuliert worden sind, jetzt nur noch 1,3 Milliarden DM für die Nachrüstung vorgesehen sind? Vielleicht, Frau Merkel, hätten Sie den Sachverstand des von Ihnen in die Wüste geschickten Staatssekretärs noch etwas länger nutzen



    Wolfgang Behrendt
    sollen. Dann wäre es vielleicht zu einem anderen Ergebnis gekommen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich sage hier für die SPD-Fraktion: Wir haben stärkste Bedenken gegen die Nachrüstung der beiden Kernkraftwerke in Tschechien und in der Slowakei. Wir fordern die Bundesregierung auf, für eine rückhaltlose Sicherheits- und Umweltverträglichkeitsprüfung einzutreten. Sie können sich nicht damit herausreden, daß dies eine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Nachbarstaates sei. Wo grenzüberschreitende Umwelt- und Sicherheitsgefährdungen drohen, müssen grenzüberschreitende Beteiligungsverfahren garantiert sein.
    Wir erwarten, daß diese umfassende Umwelt- und Sicherheitsprüfung vor der Kreditentscheidung erfolgt. Wenn das Ergebnis unbefriedigend ist, dann darf es keine Kreditzusage geben.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Wir hoffen, daß auch das Europäische Parlament, dem ein entsprechender Antrag vorliegt, mit großer Mehrheit diese Haltung unterstützen wird. Gerade für Staaten, die die Mitgliedschaft in der Europäischen Union anstreben, wie Slowakien, muß gelten, daß auch nachbarschaftliche Rücksichtnahme und Verantwortung unerläßlich sind.
    Meine Damen und Herren, erinnern Sie sich daran, wie vor noch nicht einmal neun Jahren Tschernobyl ganz Europa in Angst und Schrecken versetzt hat. Nun handelt es sich hier um einen anderen Reaktortyp. Aber die Kölner Gesellschaft für Reaktorsicherheit hat anläßlich der Untersuchungen in Greifswald auch dem dortigen Reaktortyp, dem der in Mochovce entspricht, gefährliche und nicht tolerierbare Sicherheitsdefizite attestiert.
    Meine Damen und Herren, hier geht es um unser aller Sicherheit. Da ist falsch verstandene diplomatische Rücksichtnahme nicht am Platze. Die Sicherheit der Bevölkerung muß Vorrang haben vor einseitigen Konzerninteressen und nationalen Egoismen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Ich hoffe daher, daß es uns in den Ausschußberatungen gelingen wird, zu einer Entschließung des Bundestages im Sinne unseres Antrages zu kommen.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Siegfried Hornung [CDU/ CSU]: Das heißt doch, Sie sind gegen eine Nachrüstung!)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht der Kollege Professor Rainer Ortleb,

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Rainer Ortleb


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit „Besen, Besen, sei's gewesen" rettete der alte Hexenmeister
    den Zauberlehrling aus seiner Verstrickung in Technologien, die er nicht beherrschte. Mit seinem bekannten Gedicht „Der Zauberlehrling" aus der Zeit vor Auto und Atomphysik wollte uns der Dichter sicher vor Folgen von Selbstüberschätzung warnen,
    Zunehmendes Wissen hat uns auch zunehmendes Wissen um Gefahren gebracht. Aus dieser Sicht gibt es kein Recht, auch nur ein Quentchen daran zu deuteln, daß jedes Unterfangen des Fortschritts hinsichtlich möglicher Gefahren und Folgen geprüft werden muß.
    Heute beschäftigt uns die Debatte mit der Frage, wie man angemessen mit den Sorgen und Ängsten von Menschen umgeht, die mit Mißtrauen den Bau zweier Kernkraftwerke in näherer und fernerer Nachbarschaft Deutschlands beobachten - ich betone: angemessen umgeht!
    Zunächst: Wie denke ich über Kernenergie? Ein Energiekonsens über die Nutzung der unterschiedlichen Energieträger, über Kernenergie, über verstärkte Anstrengungen zum Energiesparen und über verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien ist notwendig, um eine langfristig sichere, effiziente und ökologisch tragfähige Energieversorgung zu erreichen.
    Die Option für die friedliche Nutzung der Kernenergie muß offengehalten werden. Die Frage nach einer weiteren Nutzung der Kernenergie als Übergangsenergie darf nicht losgelöst von Problemen der Reaktorsicherheit einschließlich Versorgung und Entsorgung verhandelt werden.
    Die maroden Kernkraftwerke in den Staaten Mittel- und Osteuropas bedrohen uns alle. Nachrüstbare Reaktoren müssen an den westlichen Sicherheitsstandard herangeführt werden.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Diese so von mir dargestellten Positionen und weitere dazugehörige können Sie auch auf Seite 27 des Parteiprogramms der F.D.P. zu den Bundestagswahlen 1994 nachlesen.

    (Beifall bei der F.D.P. Zurufe von der SPD: Das ist aber interessant! Papier ist geduldig!)

    - Lesen Sie es doch einmal!
    Das Unglück von Tschernobyl hat in tragischer Weise gezeigt, daß Kernkraftwerksunfälle ein globales Ausmaß haben können. Es bedarf keiner weitergehenden Darstellung, um die Berechtigung von Ängsten anzuerkennen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, wenn ich als früherer Naturwissenschaftler und Ingenieur

    (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das ist ja genau Ihr Problem!)

    an Berechenbarkeit und Sicherheit garantierende
    Minimierbarkeit von Risiken glaube und daher politi-



    Dr. Rainer Ortleb
    schen Verstand für erforderlich halte, dafür zu sorgen, daß - -

    (Horst Kubatschka [SPD]: Glauben, das hat mit Naturwissenschaften nichts zu tun! Dafür ist die Theologie zuständig!)

    - Die Naturwissenschaften sind meist exakter als die politischen Wissenschaften.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wenn ich denen trotzdem Verstand zubillige, den ich hier einfordere, dann deshalb - um im Eingangsbild zu bleiben -, damit der alte Meister und nicht der Zauberlehrling bewertet. Das kommt mir nämlich bei manchen Gutachten so vor.

    (Zuruf von der F.D.P.: Richtig!)

    Wie liegt also nach meiner Ansicht der vorliegende Fall?
    Erstens. Es ist anzuerkennen, daß die Zusammenarbeit mit erfahrenen westlichen Firmen, Prüf- und Expertenorganisationen gesucht wird. Damit sehe ich die Forderung nach Heranführung an westliche Sicherheitsstandards als erfüllt an. Auch Amerika und Frankreich haben westlichen Standard - wenngleich auch nicht in allem den deutschen.
    Zweitens. Durch das seit 1990 mit Tschechien bestehende Abkommen zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit kerntechnischer Sicherheit und Strahlenschutz sind Wege geöffnet, auf den tschechischen Partner in diplomatisch angemessener Weise politisch einzuwirken. Es wäre nützlich, solche Wege zu forcieren. Das gilt natürlich auch für den Fall in der Slowakei.
    Drittens. Es ist nicht zu erkennen, daß gegen die technische Beratung durch Experten westlicher Länder, die Erfahrungen in der Nutzung von Kernenergie haben, Widerstand geleistet oder daß gar Prinzipielles in den Wind geschlagen würde.

    (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Doch!)

    Mit diesen drei Punkten sind gute Voraussetzungen dafür gegeben, daß ein Betrieb mit akzeptabler Sicherheit erreicht werden kann. Die heutige Debatte gibt schließlich auch Gelegenheit, zu dokumentieren, daß in Fragen des sicheren Betriebes von Kernkraftwerken ein Feld berührt wird, das von solcher Sensibilität ist, daß eine Befassung des Deutschen Bundestages volle Berechtigung hat.
    Ich meine, daß auch dadurch den Nachbarn nachhaltig vermittelt wird, daß die Interessen deutscher Bürger hier berücksichtigt werden müssen. Allerdings möchte ich an dieser Stelle bitten, z. B. der tschechischen Regierung nicht indirekt verantwortungsloses Verhalten gegenüber ihren Bürgern zu unterstellen.

    (Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut!)

    Auch wenn die tschechischen Verfahren nicht - vielleicht auch nur noch nicht - den deutschen entsprechen, haben wir kein Recht, eine bevormundende Beugepolitik zu betreiben, wie es im slowakischen Fall eine Kreditverweigerung wäre. Die Historie verbietet es einfach, gegenüber derzeit wirtschaftlich schwächeren Ländern, die sich mühsam aus sozialistischer Zeit lösen, den weltpolitischen Holzhammer zu schwingen. Hilfe zur Selbsthilfe stelle ich mir mit anderen Instrumentarien vor.
    Es steht uns auch nicht an, Energiebilanz und Energieplanung anderer Länder vor- und nachzurechnen. Eine in dieser Frage sicher gegebene Weltverantwortung kann nicht von Deutschland aus bilateral wahrgenommen werden. Verantwortungsbewußtsein, das sich in Deutschland entwickelt hat, kann dagegen als Erfahrung in europäische und weltweite Gremien eingebracht werden, wobei vorbereitende, gleichberechtigte und partnerschaftliche Zusammenarbeit sicher den Boden fruchtbar machen kann.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich Sie meines Eindrucks versichern, daß sowohl die Erklärungen von Frau Bundesministerin Merkel als auch solche von Ministerpräsident Stoiber - also insbesondere des betroffenen Landes - das zu gewährleisten scheinen, nämlich daß wir uns in angemessener Weise prüfend, ohne zu bevormunden, an diesem Verfahren auch im eigenen Interesse und im Interesse der gesamten Bevölkerung der Welt beteiligen.
    Nichtsdestotrotz: Das Auge des Parlaments sollte die Vorgänge weiter beobachten. Der Umweltausschuß sollte sich begleitend mit der Entwicklung befassen. Im Bilde: Im Augenblick erscheinen mir laute Rufe zum anderen Schiff, auch mit der Bitte um Besichtigung der Ladung, klüger als Schüsse vor den Bug.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zuruf von der SPD: Dürftig!)