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    Plenarprotokoll 13/10 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 10. Sitzung Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Dr. Hans-Hinrich Knaape . . . 515 A Tagesordnungspunkt 1: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksache 13/50) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksache 12/8001) c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft (Drucksache 13/76) Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 515 C Dr. Uwe Jens SPD 519 A Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . 520 C, 521 C Dr. Günter Rexrodt F.D.P 520 D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 521 B Dr. Dietrich Sperling SPD . 521 D, 524 D, 525 C Rainer Haungs CDU/CSU 523 B Otto Schily SPD 523 D Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . . . 526 A Freimut Duve SPD 526 B Siegmar Mosdorf SPD 526 C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 528 B Rolf Kutzmutz PDS . . . . . . . . . . 529 B Ernst Schwanhold SPD 530 B Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 531 C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 532 C Ottmar Schreiner SPD 536 A Dr. Norbert Blüm CDU/CSU . . . . 539 D Heinz Schemken CDU/CSU 540 B Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 541 C Dr. Gisela Babel F.D.P. 543 C Konrad Gilges SPD . . . . . . 545 A, 550 A Ulrich Heinrich F.D.P 545 D Petra Bläss PDS 546D Julius Louven CDU/CSU 548D Rudolf Dreßler SPD 552 B Julius Louven CDU/CSU 554 B Dr. Gisela Babel F.D.P. 555 A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 555 C Ottmar Schreiner SPD 559 A Ingrid Matthäus-Maier SPD 560 A Jochen Borchert, Bundesminister BML . 561 C Horst Sielaff SPD 563 A Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . 566 A, 570 C Horst Sielaff SPD 566 C Dr. Gerald Thalheim SPD 566D Ulrike Höfken-Deipenbrock BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 568 D Günter Graf (Friesoythe) SPD 570 B Ulrich Heinrich F.D.P. 570 D Ernst Kastning SPD . . . . . . . . . 572 A II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 Dr. Günther Maleuda PDS 573 A Siegfried Hornung CDU/CSU 574 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 575 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 577 C Marion Caspers-Merk SPD 577 D Vera Lengsfeld BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 579 D Birgit Homburger F D P 581 B Gisela Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 582 B Rolf Köhne PDS 583 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 584 C Vera Lengsfeld BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 584 D Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 585 B Klaus Lennartz SPD 587 D Nächste Sitzung 590 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 591 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1995) Matthias Wissmann, Bundesminister BMV 591* B Heide Mattischeck SPD 594* A Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 596* B Horst Friedrich F.D.P 597* B Dr. Dagmar Enkelmann PDS 598* A Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . 598* D Siegfried Scheffler SPD 600* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 603* C Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 515 10. Sitzung Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 16. 12. 94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 16. 12. 94 90/DIE GRÜNEN Dr. Glotz, Peter SPD 16. 12. 94 Dr. Gysi, Gregor PDS 16. 12. 94 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 16. 12. 94 Heym, Stefan PDS 16. 12. 94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 16. 12. 94 Imhof, Barbara SPD 16. 12. 94 Dr. Jacob, Willibald PDS 16. 12. 94 Kanther, Manfred CDU/CSU 16. 12. 94 Leidinger, Robert SPD 16. 12. 94 Matschie, Christoph SPD 16. 12. 94 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 16. 12. 94 Neumann (Gotha), SPD 16. 12. 94 Gerhard Dr. Pfaff, Martin SPD 16. 12. 94 Poß, Joachim SPD 16. 12. 94 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 16. 12. 94 Hermann Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 16. 12. 94 Schmidt-Zadel, Regina SPD 16. 12. 94 Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 16. 12. 94 90/DIE GRÜNEN Schumann, Ilse SPD 16. 12. 94 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 16. 12. 94 Vergin, Siegfried SPD 16. 12. 94 Wallow, Hans SPD 16. 12. 94 Warnick, Klaus-Jürgen PDS 16. 12. 94 Wieczorek (Duisburg), SPD 16. 12. 94 Helmut Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 16. 12. 94 Zierer, Benno CDU/CSU 16. 12. 94 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1995) Matthias Wissmann, Bundesminister für Verkehr: Der Verkehrshaushalt des nächsten Jahres ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, daß wir die erfolgreiche Verkehrspolitik der letzten Legislaturperiode mit ihren wichtigen Weichenstellungen auch in Zukunft fortsetzen werden. Diese Kontinuität erschöpft sich nicht in einem bloßen „Weiter so", sondern bedeutet, daß diese Bundesregierung weiterhin für den Auf- und Ausbau Anlagen zum Stenographischen Bericht einer modernen, ökologisch ausgewogenen und zukunftsgerechten Verkehrsinfrastruktur in ganz Deutschland und für eine marktwirtschaftliche Verkehrspolitik steht. Wer daggen das Heil zur Lösung der verkehrspolitischen Herausforderungen isoliert in der Forderung sucht, Verkehrswachstum vom Wirtschaftswachstum zu trennen, ohne gleichzeitig konkrete Vorschläge dazu zu haben, zeigt zweierlei: Erstens. Er steckt den Kopf in den Sand vor den Realitäten, die vor dem Hintergrund des zusammenwachsenden Europäischen Binnenmarktes und der politischen Öffnung der mittel- und osteuropäischen Staaten notwendigerweise zu einem deutlichen Verkehrszuwachs in den nächsten Jahren führen. Zweitens. Er hat wenig Kenntnis von den finanzpolitischen-, wirtschaftspolitischen- und verkehrspolitischen Zusammenhängen in Deutschland. Lassen Sie mich dazu den Präsidenten der Europäischen Investitionsbank, Sir Brian Unwin, zitieren, der bei der Eröffnung der „European Finance Convention 1994" in Frankfurt Ende November darauf hingewiesen hat, daß ohne deutliche Verbesserung der Verkehrsverbindungen Europas selbst bei noch so gründlichem Abbau fiskalischer und sonstiger Hemmnisse der Binnenmarkt nicht wettbewerbsfähig bleiben wird und somit kein nachhaltiges Wachstum erreichen kann. Der Wirtschaftskreislauf funktioniere nur dann, wenn eine entsprechende Infrastruktur vorhanden sei. Zu den wesentlichen Elementen des wirtschaftlichen Aufschwungs zählten Privatisierung und die Mobilisierung privaten Kapitals für traditionell staatliche Aufgaben. Diese europäischen Maßstäbe gelten für Deutschland, als dem Transitland Nummer 1 in Europa, in besonderer Weise, und sie spiegeln sich im Verkehrshaushalt 1995 wider. Mit anderen Worten: Zukunftsweisende Infrastruktur und marktwirtschaftliche Infrastruktur und marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen sind „Lebensnerven" des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Mit einer Steigerung des Ausgabenvolumens 1995 gegenüber 1994 um nominal 0,8 % auf insgesamt 53,55 Milliarden DM tragen wir auf der einen Seite den strengen Maßstäben zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes Rechnung. Die überproportionale Steigerung des Investitionsvolumens gegenüber 1994 um 1,8 % auf 26,7 Milliarden DM zeigt auf der anderen Seite, daß wir über den Verkehrshaushalt noch stärker als in diesem Jahr auch unserer gesamtwirtschaftlichen Aufgabe als Großinvestor gerecht werden und wichtige Impulse für den weiteren Aufschwung geben. Der Verkehrshaushalt bleibt damit auch 1995 größter Investitionshaushalt des Bundes. Vorrang genießt auch 1995 der Neu- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Ländern mit dem Schwerpunkt der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Für die fünf neuen Länder und Berlin sind deshalb allein rund 4,6 Milliarden DM für den Bun- 592* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 desfernstraßenbau vorgesehen. Davon entfallen rund 4 Milliarden DM auf Investitionen. Der hohe Investitionsanteil als Kennzeichen des gesamten Verkehrshaushaltes trägt nicht nur zur Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Regionen bei; er hat unmittelbaren Einfluß auf die konjunkturelle Aufwärtsentwicklung in Deutschland. Denken Sie nur einmal ein Jahr zurück. Wie sehr hat sich die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland innerhalb von nur 12 Monaten geändert! Krisen- und Zukunftsangst sind einem Konjunkturaufschwung von zu erwartenden 3 % Wachstum in diesem Jahr gewichen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erwartet im nächsten Jahr sogar einen weiteren Anstieg des Wachstums auf 3,5 %. Der Aufschwung wird von deutlich zurückgehenden Zahlen bei der Arbeitslosigkeit begleitet. Erstmals seit Mitte 1991 ist im November die Zahl der Arbeitslosen in den neuen Ländern unter die „magische" Grenze von 1 Million auf 980 400 gefallen. Das ist eine Quote von 13 % bzw. 20 500 weniger als noch im Oktober. Im Westen blieb die Quote unverändert bei 7,9 %, ein saisonbedingter Anstieg blieb hier erfreulicherweise aus. Auch die Preisentwicklung stand im Zeichen der weiteren Stabilisierung; im Oktober lag die Inflationsrate bei nur noch 2,8 %. Saisonbereinigt ist das Verbraucherpreisniveau in den letzten sechs Monaten bis November sogar um nur 2,3 % gestiegen. Natürlich war es jedem Konjunkturfachmann klar, daß es nach dem Rezessionstal wieder zu einem zyklischen Aufschwung kommen würde. Daß dieser aber besser ausfällt als ursprünglich erwartet, liegt maßgeblich daran, daß wir mit unserer offensiven Standortpolitik schwere „Bremsklötze" für den Konjunkturaufschwung beseitigt haben. Mit Blick auf den Bundeshaushalt bedeutet das: Die Erschließung privater Finanzierungen gewinnt in Zukunft noch mehr an Bedeutung. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an meine Worte zum Verkehrshaushalt 1994, bei denen ich gesagt habe: In einigen Jahren schon werden Privatinvestitionen die Normalität beim Infrastrukturausbau sein. Daß wir dabei auf dem besten Weg sind, zeigt die Tatsache, daß nach bereits vier Straßenbauprojekten im Haushalt 1994 jetzt für weitere vier Projekte im Haushalt 1995 Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen sind. Mit zwei Projekten wurde bereits begonnen, auf der A 8 Borg/Perl-Merzig/Wellingen und auf der A 60 die Teilstrecke Bitburg-Badem. Im nächsten Jahr werden für sechs weitere Projekte und einen weiteren Teilabschnitt auf der A 60 die Verträge abgeschlossen. Darunter sind so wichtige Vorhaben wie die 4. Elbtunnelröhre oder der privat finanzierte Abschnitt der B 31 Ortsumgehung Freiburg Ost. Die Bürger und Bürgerinnen in unserem Land können darauf vertrauen, daß das, was wir sagen, auch umgesetzt wird! Einen zusätzlichen Beitrag zur Entlastung des Gesamthaushalts und damit letztlich zur Entlastung der Bürger leistet der Verkehrshaushalt durch die weitere schrittweise Privatisierung von Bundesbeteiligungen. In die Staatskasse werden 1995 aus der Privatisierung der Deutschen Lufthansa sowie aus der Veräußerung der Rhein-Main-Donau AG Erlöse in einer Größenordnung von mindestens 1,5 Milliarden DM fließen. Darüber hinaus wird mit geschätzten Einnahmen des Bundes aus dem Gebührenaufkommen für die Benutzung von Autobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von jährlich 700 Millionen DM gerechnet. Deutschland kann im verschärften Standortwettbewerb die Nase nur dann vorn haben, wenn wir unsere komparativen Vorteile ausbauen. Diese liegen vor allem in hoher Management- und Arbeitsqualifikation, im Forschungs- und Entwicklungsbereich und in der breiten Palette von technologieintensiven Zukunftsprodukten und Systemen. Hierzu zählt der Transrapid. Ich habe mich deshalb sehr über die Zustimmung des Bundesrates zum Magnetschwebebahnplanungsgesetz gefreut. Es ist die Voraussetzung für die Einleitung von Planungsverfahren für Anwendungsstrekken der Magnetschwebebahn. Die Konzeption der Bundesregierung sieht die Finanzierung des Fahrweges aus Haushaltsmitteln vor, während der Betrieb von einer privaten Gesellschaft in eigener Verantwortung übernommen werden soll. Im Haushalt sind 1995 erstmals Planungskosten in Höhe von rund 18 Millionen DM veranschlagt. Für die ab 1998/1999 anfallenden Baukosten müssen die Mittel durch Umschichtungen im Bundeshaushalt bereitgestellt werden, wobei sich der Verkehrshaushalt maßgeblich beteiligen wird. Es geht dabei nicht um eine neue Konkurrenz zur Bahn, sondern im Gegenteil um eine Verbesserung und Ergänzung unserer Verkehrsinfrastruktur durch Schaffung einer weiteren Alternative zum Auto und zum Flugzeug. Ich freue mich, daß sich diese Einsicht immer weiter durchsetzt und — wie ich höre — beispielsweise auch die Hamburger Bürgerschaft mittlerweile dieses Projekt mit deutlicher Mehrheit befürwortet. Die konsequente Umsetzung der Bahnreform und die Stärkung des umweltfreundlichen Verkehrsträgers Bahn bleibt eine der großen Herausforderungen dieser Legislaturperiode. Auch dabei gehen ökologische Infrastruktur- und Privatisierungspolitik Hand in Hand. Das kommt im Haushalt 1995 deutlich zum Ausdruck, denn gegenüber dem Vorjahr steigen die Ansätze für die umweltfreundlicheren Verkehrswege Schiene um 500 Millionen DM, also ganze 5 %, bei der Wasserstraße sogar um 20 %, das sind 200 Millionen DM, während der Ansatz für die Straße um 400 Millionen DM, also um über 6 % sinkt. Vom gesamten Investitionsvolumen 1995 sind 10,6 Milliarden DM für die Bahn, 8,4 Milliarden DM für die Bundesautobahnen und -fernstraßen, 1,2 Milliarden DM für die Bundeswasserstraßen und über 6 Milliarden DM für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden vorgesehen. Damit wird auch in der Verkehrspolitik durch ökologisch entlastende Maßnahmen der eingeschlagene Weg zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen konsequent weiterbeschritten. Die Deutsche Bahn AG erhält 1995 insgesamt rund 21,6 Milliarden DM aus dem Verkehrshaushalt. Das Unternehmen Deutsche Bahn AG, das Bundeseisenbahnvermögen und das Eisenbahnbundesamt haben ihre Arbeit aufgenommen. Auch 1995 übernimmt der Bund insoweit die nicht durch eigene Einnahmen gedeckten Aufwendungen des Bundeseisenbahnvermögens in einer Größenordnung von 11 Milliarden DM; hierbei ist das BEV letztmalig ermächtigt, zur Deckung seiner Aufwendungen, soweit sie nicht aus dem Bundeshaushalt getragen werden, Kredite von bis zu 9,5 Milliarden DM aufzunehmen. Infrastrukturpolitik und Privatisierungspolitik gehen Hand in Hand. Wir wollen in den kommenden Jahren als Alleinaktionär die Bahn AG in die völlige Unabhängigkeit führen. Ziel ist es, so bald wie möglich drei eigenständige Unternehmen — für Personen-, Güter- und Schienenwege — zu schaffen, und die Aktien mindestens teilweise in private Hände zu überführen. Die Zwischenbilanz nach nur einem Jahr zeigt bereits, daß die „äußere" und „innere" Reform der Eisenbahn des Bundes überaus positiv verlaufen. Stichwortartig möchte ich das Aktionsprogramm der DB AG zur inneren Bahnreform und die Präsentation ihrer Trassenpreise nach der Öffnung des Schienennetzes für Dritte nennen. Ich freue mich insoweit sehr darüber, daß die DB AG mit der Überarbeitung der Trassenpreise und durch ein differenziertes Tarifsystem deutliche Preissenkungen für die Nutzer einschließlich der Bundesländer nach der Regionalisierung des Nahverkehrs ab 1996 angekündigt hat. Der Verkauf der dreimillionsten Bahncard und der Erfolg des ICE mit einer erwarteten Umsatzsteigerung von rund 15 % gegenüber dem Vorjahr sind weitere Beispiele für die verkehrspolitische, aber auch industriepolitische Bedeutung der Schiene. Transrapid und ICE sind deutsche Spitzentechnologie, auf die wir stolz sein können. Nicht nur der umweltfreundliche Verkehrsträger Schiene wird von uns intensiv gefördert. Ziel unserer Investitionen ist es auch, Transporte verstärkt über die Wasserstraßen abzuwickeln. Für die ursprünglich nur bis 1994 vorgesehenen Seeschiffahrtshilfen ist es gelungen, erneut einen Titel im gesamten Finanzplanungszeitraum auszubringen. Für 1995 ist ein Ansatz von 100 Millionen DM und für 1996 von 40 Millionen DM vorgesehen. In den Jahren 1997 und 1998 wird der Titel — zunächst — mit einem Leeransatz fortgeführt. Damit steht eine verläßliche Planungsgröße zur Verfügung, um die bestehenden Wettbewerbsnachteile der deutschen Reeder auf den Weltmeeren gegenüber Offenregisterflaggen deutlich abzubauen. Ich freue mich besonders darüber, daß wir in der vergangenen Woche im Bundeskabinett ein finanzielles Hilfspaket für die deutsche Binnenschiffahrt in Höhe von insgesamt 160 Millionen DM schnüren konnten. Danach werden wir für eine weitere konzentrierte EU-Sonderaktion zur Abwrackung von Überkapazitäten in der Binnenschiffahrt für die Jahre 1995 bis 1997 einen Betrag von bis zu 60 Millionen DM zur Verfügung stellen. Darüber hinaus werden wir zur Anpassung der deutschen Binnenschiffahrt an den liberalisierten europäischen Markt sowie zur Umstrukturierung und Modernisierung einmalig Mittel in Höhe von 100 Millionen DM zur Verfügung stellen. Das alles sind Beispiele unserer Strategie eines optimierten mehrgleisigen Verkehrskonzepts. Im Rahmen dieses Konzepts nimmt die Telematik bei der Bewältigung der verkehrspolitischen Herausforderungen der Zukunft eine besonders wichtige Rolle ein. Drei Vorteile der Telematik im Verkehr möchte ich besonders hervorheben: Erstens. Wir schätzen, daß eine Verbesserung der knappen Verkehrsinfrastrukturkapazität, insbesondere bei Schiene und Straße und vor allem in Engpaßbereichen, von 15 % bis 30 % möglich ist. Zweitens. Ein entscheidender Vorteil von Telematiksystemen ist, daß sie zu einer Verringerung von Umweltbelastungen durch den Verkehr führen und die Verkehrssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger bedeutend erhöhen. Drittens. Schließlich fördert die Telematik das Wirtschaftswachstum und hat gleichzeitig selbst große wirtschaftspolitische Bedeutung. Das Marktvolumen dieses wirtschaftlich interessanten Betätigungsfeldes macht allein in Europa im Bereich der Straßen nach Schätzungen der Automobilindustrie in den nächsten 10 Jahren über 200 Milliarden DM aus. Ich freue mich deshalb, daß wir in diesem Bereich die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union besonders erfolgreich gestalten konnten. Mein französischer Kollege Bernard Bosson hat mir noch vor wenigen Tagen zugesagt, den eingeschlagenen Weg fortzuführen. Unsere Investitionen zur Einführung intelligenter und international kompatibler Verkehrsmanagementsysteme im Haushalt 1995 werden also durch ihren Nutzen für Wirtschaft, Umwelt und Verkehrssicherheit mehr als kompensiert. Beispielsweise investieren wir bei der Bahn im nächsten Jahr in das Projekt CIR-ELKE zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit des sogenannten Kernnetzes 150 Millionen DM. Für die Einrichtung von Wechselverkehrszeichenanlagen auf den Bundesfernstraßen stehen 138 Millionen DM zur Verfügung. Wer glaubt, eine ökologische Verkehrspolitik mit staatlichen Zwangsmaßnahmen für die Industrie 594* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 durchsetzen zu können, der irrt. Nicht mit Zwangsmitteln, sondern nur durch gemeinsames Handeln und mit marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen können wir den Verkehr umweltverträglicher gestalten und den Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig sichern. In diesem Sinne ist der Verkehrshaushalt der Bundesregierung ein wichtiger „Zukunftshaushalt", der sich sehen lassen kann. Heide Mattischeck (SPD): Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatten wir so präzise Informationen über die Folgen unseres Handelns wie heute. Und noch nie stand uns soviel wissenschaftlicher und technischer Sachverstand zur Verfügung, der es uns ermöglicht, die Folgen unseres Handelns zu korrigieren und verantwortlich für die heute Lebenden und für die nach uns Kommenden zu entscheiden. Und selten wurde von all diesen Erkenntnissen so wenig Gebrauch gemacht, wie von dieser Bundesregierung, insbesondere von Ihnen, Herr Minister Wißmann. Im Vorwort zum 2. Bericht der Enquete-Kommission „Mobilität und Klima" heißt es: „Setzen sich die Immissionen der klimarelevanten Spurengase ununterbrochen fort, so wird das in der Mitte des nächsten Jahrhunderts zu einer globalen Erwärmung von 3+/-1,5° C kommen. Dies wird in der internationalen Wissenschaft nicht mehr in Frage gestellt. " Und weiter heißt es: „... Durch die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die auch von Kritikern nicht widerlegt werden konnten, hat sich der Druck, unverzüglich zu handeln, weiter erhöht." Und: „Im Hinblick auf die Klimaproblematik ist vor allem der mit dem Verkehrswachstum verbundene steigende Ausstoß an Kohlendioxyd (CO2) — Hauptverursacher des Treibhauseffektes — von entscheidender Bedeutung. Soll das erklärte Ziel der Bundesregierung bis zum Jahr 2005 den CO2-Ausstoß um insgesamt 25 % zu reduzieren, erreicht werden, muß auch der Verkehrsbereich einen Beitrag dazu leisten." Sie handeln also wider besseres Wissen, wenn Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß die bisher praktizierte Form von Mobilität in Deutschland und weiten Teilen Europas an seine ökologischen, ökonomischen und sozialen Grenzen gestoßen ist: Die Gesundheitsgefährdungen durch Lärm und Abgase nahmen rapide zu, unser Klima wird langfristig gefährdet. Zehntausend Tote jährlich auf unseren Straßen, hunderttausende Verletzte mit bleibenden gesundheitlichen Schädigungen. Viele Städte ersticken im Verkehr und sind als Lebensraum immer weniger geeignet. Verantwortliche Verkehrspolitik kann nicht darin bestehen, Verkehrsprognosen zu erfüllen, sondern Rahmenbedingungen zu setzen, die die propagierten Zuwachsraten, z. B. beim Lkw-Verkehr auf unseren Straßen, nicht Wirklichkeit werden lassen. Durch ordnungspolitische Rahmensetzung und durch andere Prioritäten in Ihrem nicht gerade schmalen Budget haben Sie einen großen Spielraum (mit 53,55 Milliarden von 484,1 Milliarden 11 %, drittgrößter Etat). Herr Wissmann, Sie nutzen auch in diesem Jahr Ihre Möglichkeiten für eine verkehrspolitische Wende nicht. Ich will nun gleich mal mit etwas Positivem beginnen, damit es nicht ganz so deprimierend für Sie wird. Auch in diesem Haushalt stehen für Zwecke der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden, also für das GVFG, wieder Mittel in Höhe von 6 271 Millionen DM zur Verfügung. Dies verdanken wir den hartnäckigen Verhandlungen der Bundesländer im Rahmen der Beratungen zum Steueränderungsgesetz 1992. Leider waren Sie im letzten Jahr nicht bereit zu einer verbindlichen Erklärung, die Mittel auch über 1997 hinaus bereitzustellen. Das wäre im Sinne einer kontinuierlichen Investitionsplanung der Städte und Gemeinden und für eine Verbesserung des ÖPNV so dringend nötig. Die Kommunen sind jedoch kaum noch in der Lage, Qualitätsverbesserungen im ÖPNV durch Investitionen herbeizuführen, weil sie die zusätzlichen Belastungen bei den Betriebskostendefiziten nicht mehr tragen können. Die Kostenlawine, die der Finanzminister nach unten abwälzt, nimmt den Städten und Gemeinden doch jeglichen Spielraum zur Gestaltung einer vernünftigen Verkehrspolitik. Wir haben im letzten Jahr die Bahnreform beschlossen. Das war eine große gemeinsame Anstrengung. Die Gewerkschaft der Eisenbahner hat tatkräftig und außerordentlich konstruktiv mitgearbeitet. Die neue Bahn AG hat gute Startchancen bekommen — sie ist entschuldet worden und kann unternehmerisch handeln. Das Entscheidende für eine nachhaltig positive Entwicklung der neuen Bahn aber haben Sie vergessen: Die Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Schiene gegenüber dem Güterverkehr auf der Straße bestehen weiter! Das ist eine schwere Hypothek. Der halbherzige Einstieg in eine Vignetten-Lösung für Lkw hat die Wettbewerbssituation deutscher Spediteure gegenüber der ausländischen Konkurrenz nicht verbessert und hat andererseits den Transport auf der Straße nicht teurer gemacht, sondern billiger! Auch ein anderes Beispiel macht deutlich, wie halbherzig die Bundesregierung mit ihrer eigenen Philosophie der Bahnreform umgeht. An welcher Stelle im Haushalt '95 sind die rund 50 Millionen für den sogenannten „Würmeling-Paß" denn eingeplant, die die Bahn AG in diesem Haushaltsjahr, gemäß einer Vereinbarung mit Herrn Dürr, noch selbst tragen mußte? Oder sind Sie der Meinung, daß diese familienfreundliche und verkehrspolitisch sinnvolle Einrichtung wegfallen soll? Weiterhin haben auf ihrer letzten Konferenz die Verkehrsminister der Länder einstimmig den Verkehrsminister aufgefordert, auf die Bahn AG einzuwirken, daß sie gegenüber den kommunalen Baulastträgern für den ordnungsgemäßen Erhaltungszustand der Brücken einsteht und die durch Erhaltungsrückstände entstehenden Mehrkosten nicht den Kommunen anlastet. Wie hoch sind diese Kosten, und wer zahlt das? Sie reden ständig davon, daß Sie dem Ausbau der Schieneninfrastruktur Vorrang geben! Wo denn? Im vorliegenden Haushalt '95 ist das nicht zu erkennen. Die Ausgaben der Investitionen für Bundesfernstraßen mit 8,4 Milliarden DM sind höher als die Darlehen-Investitionen für Schienenwege mit 6,9 Milliar- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 595' den. Und selbst wenn es nominell einen Gleichstand gäbe, so änderte das nichts an der Tatsache, daß für die Schieneninfrastruktur ein ungeheurer Nachholbedarf auf Dauer bestehen bleibt. In den vergangenen Jahren hatten wir vergeblich entsprechende Umschichtungsanträge gestellt. Haushaltsberatungen sind die Stunde der Wahrheit! Sie kennen das Märchen „Des Kaisers neue Kleider". Am Ende erkennen alle, daß der Kaiser nackt ist! So ist das auch mit dem Verkehrsetat! In der Regierungserklärung ist zu lesen, daß Sie bis zum Jahre 2012 450 Milliarden DM in die Verkehrsinfrastruktur investieren wollen. Wie denn das? Warum geben Sie denn nicht endlich offen zu, daß Sie weder in der Lage sind, Ihre völlig überzogenen Ausbaupläne für das Fernstraßennetz zu realisieren, noch willens oder fähig sind, Alternativen zu entwikkeln und endlich ehrliche Prioritäten zu setzen. Ihnen fällt immer nur das Zauberwort „Private Finanzierung" ein. Wenn Sie uns schon nicht glauben, daß private Finanzierung die finanziellen Belastungen der öffentlichen Hand lediglich in die Zukunft verschiebt und den Spielraum der nächsten Generationen einengt, dann sollten Sie doch auf den Bayerischen Obersten Rechnungshof hören. Er hat in seinem Jahresbericht 1994 vorgerechnet, daß Privatfinanzierung im „allgemeinen zu höheren Finanzierungskosten führt". Auch für die großen europäischen Transitstrecken wie den Brennerbasistunnel und die ICE-Strecke über München nach Nürnberg und weiter über Erfurt nach Berlin suchen Sie private Finanziers. Vor der Wahl hörte sich das noch ganz anders an: Da wurden Projekte auf dem kurzen Dienstweg in die ,,Top-Ten"-Liste gehievt. Finanzminister Waigel hat dies verkürzt bereits als Finanzierungszusage durch die EU verkauft. Und wieder ist damit eine Seifenblase zerplatzt. Herr Wissmann, Sie müssen der Tatsache ins Auge sehen, daß Sie für die Realisierung Ihrer Träume — es sind zum Teil eher Alpträume — auch nicht annähernd genug Geld haben. Da sagen Sie, Sie könnten am Brennertunnel kein Geld verbuddeln, Sie brauchen das Geld für die VDE. Ein Blick in den Haushalt: keine müde Mark z. B. für die A 73. Das freut mich, und da freuen sich viele Menschen in Oberfranken, weil wir es für ein unsinniges Projekt halten. Daß Sie aber mit einem Bruchteil des Geldes stattdessen die B 289 ausbauen und mit dringend notwendigen Ortsumgehungen Menschen vom unerträglichen Durchgangsverkehr entlasten könnten, das kommt Ihnen nicht in den Sinn. Das sind des „Kaisers neue Kleider". Sie stehen ohne ein zukunftsweisendes Konzept da. Nichts als Schlagworte, Flickschusterei, Verspielen von Chancen. Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs birgt bei aller Skepsis viele gute Möglichkeiten für einen besseren Nahverkehr. Es gibt aber viele offene Fragen, die Gemeinden, Kreise und Städte verunsichern. Wo bleibt die Erfüllung der gesetzlichen Regelung, 20 % der Investitionen für Nahverkehrsstrecken einzusetzen? Das scheint zumindest in Frage gestellt! Wie sieht es künftig mit den Trassenpreisen aus? Einstimmig haben die Verkehrsminister der Länder die Bahn AG aufgefordert, sicherzustellen, daß im Interesse der Allgemeinheit die Trassenpreise so festgelegt werden, daß eine bedarfsgerechte und finanzierbare Verkehrsbedienung im Schienenpersonennahverkehr möglich wird. Fragen über Fragen — aber keine Antworten. Mit solchen Kleinigkeiten gibt sich der Verkehrsminister nicht ab. Für Sie zählt eher ein Prestige-Objekt wie der Transrapid, der entgegen anderslautenden Beteuerungen nicht unerheblich öffentliche Mittel binden wird. Wie weit sind Sie eigentlich von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt, wenn Sie glauben, der Gedanke an 10 Minuten Zeitgewinn zwischen Hamburg und Berlin könnten den Berufspendlern und Fahrschülern morgens und abends den Stehplatz im überfüllten Vorortzug versüßen? Vielleicht sollen sie es einfach mal wieder erleben — ich begleite Sie gerne! Ich will auf ein Thema zu sprechen kommen, das regelmäßig auf der Tagesordnung des Verkehrsausschusses steht — die Verkehrssicherheit. In diesem Jahr haben nach ersten uns vorliegenden Zahlen ca. 9 700 Menschen das „Abenteuer Straße" mit dem Leben bezahlt, darunter 445 Kinder. 510 000 Menschen wurden bei Unfällen verletzt, viele von ihnen schwer. Das bedeutet über die persönlichen Schicksale hinaus gesamtwirtschaftliche Unfallkosten von rund 50 Milliarden DM pro Jahr. Unbestreitbar sind seit Bestehen der Bundesrepublik die Unfallzahlen gesunken, absolut und relativ. Aber jeder Tote ist kein relatives Schicksal, sondern einer zuviel. Jede nur mögliche Maßnahme muß ergriffen werden, um Menschenleben nicht aufs Spiel zu setzen. Jeder fünfte Verkehrstote ist ein Opfer von übermäßigem Alkoholgebrauch — das Trauerspiel um die Absenkung der Promille-Grenze, das Sie aus koalitionstaktischen Motiven aufgeführt haben, ist unverantwortlich! In der Hoffnung, daß die F.D.P. künftig ihr liberales Image vielleicht lieber beim Ausländerrecht aufpoliert als bei der Promille-Grenze, werden wir einen erneuten Anlauf nehmen, der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen. Gerade hat Belgien die Promillegrenze auf 0,5 gesenkt. Auch das ideologisch begründete Festhalten an der „freien Fahrt für freie Bürger" ist kein Beitrag zur Verkehrssicherheit. Im Unfallverhütungsbericht 1993 der Bundesregierung ist zu lesen, daß die flächenhafte Verkehrsberuhigung mit Tempo 30 eine wirksame Lösung darstellt, Lärm und Schadstoffbelastungen zu verringern und die Verkehrssicherheit zu verbessern. Die Zahl der Unfälle mit Personenschaden ging in allen Wohngebieten der Modellstädte im Schnitt um 45 % zurück. Wenn solche Berichte einen Sinn haben, dann doch den, daß die Regierung Konsequenzen daraus zieht. Wir sind gespannt darauf! Thema Sicherheit im Reiseverkehr: Im Auftrag des BMV hat die BAST eine Studie erstellt, die Handlungsdefizite aufzeigt. Es bestehen erhebliche Män- 596* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 gel an den Marktvoraussetzungen, den Anforderungen an die Qualifikation der Unternehmer, den Marktregulierungen und der Busfreundlichkeit von Verkehrsinfrastruktur, die ein sicherheitsorientiertes Verhalten von Unternehmen erschweren oder zu wenig fördern. Verstehen Sie das als Handlungsauftrag, oder wandert das, wie viele andere gute Vorschläge auch in den Papierkorb? Stichwort Verkehrslärm: Die Zahl der vom Lärm belästigten Bürger nimmt stetig zu. Untersuchungen haben ergeben, daß es nicht nur subjektiv empfundene Beeinträchtigungen sind, sondern objektive Schäden an der Gesundheit von Menschen. Immer wieder haben wir beantragt, die Mittel für Lärmsanierung (was für ein Wort!!!) an bestehenden Fernstraßen aufzustocken. Auch im Haushalt '95 werden die Mittel weiterhin zurückgefahren. Auch unsere Anträge, Mittel für Lärmschutz an bestehenden Schienenwegen in den Haushalt einzustellen, wurden beharrlich abgelehnt. Nicht mit dem Argument, Lärmschutz sei nicht vonnöten, sondern mit der Begründung, das könnte Begehrlichkeiten erwecken. Bei den Beratungen des Einzelplans 12 werden wir im Verkehrsausschuß konkrete Änderungsanträge vorlegen. Vielleicht gibt es diesmal mehr Gemeinsamkeiten als in den vergangenen Jahren. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß auch die Kolleginnen und Kollegen der Koalition und Sie, Herr Minister, lernfähig sind. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Bemerkung vorweg: Der Verkehrshaushalt ist mit 53,6 Milliarden DM nach dem Sozialetat der zweitgrößte Ressorthaushalt, in dem es mit um die größten Investitionsvorhaben des Bundes geht. Daß dieser Bereich hier am Freitagnachmittag zu einem Zeitpunkt verhandelt wird, da viele Kolleginnen und Kollegen bereits wieder unterwegs sein müssen, zeigt schon, wie wenig dieser Bundesregierung an einer angemessenen parlamentarischen Behandlung dieses Bereichs gelegen ist. So wird die Verkehrspolitik zu einem randständigen Thema drittklassiger Bedeutung abgestuft, und das finde ich bezeichnend. „Privatisierung" heißt das neue Zauberwort dieser Bundesregierung auch im Verkehrsbereich. Das klingt innovativ und ist auch vom Ansatz der Bahnreform her teilweise durchaus positiv zu werten. Die fiskalische Wirklichkeit im Zusammenhang mit dem Bundesverkehrswegeplan sieht jedoch ganz anders aus. Demnach soll das große Geld überwiegend für veraltete Konzepte ausgegeben werden, nämlich für den Neubau von 11 500 km Bundesfernstraßen und Autobahnen, so als wären wir in Sachen Landschaftsverbrauch, Automobildichte, Sommersmog und Waldsterben nicht längst schon Weltspitze. Welchen traurigen Rekord wollen Sie denn da noch erreichen? Dieser Verkehrswegeplan ist Produkt eines überholten, gigantomanischen Denkens, ein verkehrspolitischer Schlachtplan gegen Natur und Menschen, und er ist überdies mit einem Gesamtinvestitionsbedarf von wenigstens 450 Milliarden DM gar nicht finanzierbar. Das weiß der Finanzminister, daß wissmann auch im Verkehrtministerium. Aber Sie wagen es nicht, diese schlichte Wahrheit auszusprechen, sondern mogeln sich mit miesen Finanztricks durch, z. B. indem die zwölf größten Projekte „privat" finanziert werden. Privatfinanzierung — das klingt ebenso gut, wie es verlogen ist. Es müßte nämlich eigentlich ehrlicherweise Privatvorfinanzierung oder besser noch Privatscheinfinanzierung heißen. Denn zwar sollen nach Ihrer Vorstellung zunächst private Investoren für diese Projekte gefunden werden, gleichzeitig aber verpflichtet sich der Bund zur Rückzahlung aus Steuermitteln innerhalb von 15 Jahren, auf Heller und Pfennig, mit Zins und Zinseszins. Genau deshalb hat der Bundesrechnungshof denn auch gleich beim ersten Autobahnprojekt dieser Art, im Saarland, reklamiert, daß diese Umwegfinanzierung für den Fiskus nicht billiger, sondern 11 Millionen DM teurer wird, als wenn er es gleich selbst finanzieren würde. Und zweitens ist sie verfassungswidrig: Sie eröffnet nämlich neben dem Bundeshaushalt halbprivate Schatten- und Nebenhaushalte außerhalb parlamentarischer Transparenz und Kontrolle. Wenn sich der Buchhalter eines Unternehmens derart betrügerisch verhalten würde, müßte man ihn auf der Stelle entlassen. Wenn dies aber vom Bundesfinanzminister in Tätereinheit mit dem Verkehrsminister betrieben wird, wird es als „Erschließung neuer Finanzquellen" gepriesen. Es sind nicht neue Finanzquellen, die da erschlossen werden, sondern die gleichen wie eh und je, nämlich unser aller Geldbeutel, der der Steuerzahler. Wir werden zwar etwas später zur Kasse gebeten, dafür aber um so mehr, weil wir neben den eigentlichen Projektkosten auch noch die Zinsgewinne der Zwischenfinanziers bezahlen müssen. Das werden wir nicht einfach durchgehen lassen. Da werden wir Ihnen verfassungsrechtlich ein bißchen auf die Finger klopfen. Hinzu kommt, daß das, wofür Sie die Milliarden raushauen wollen, oft noch verkehrspolitisch unsinnig und ökologisch verheerend ist: Die Ostseeautobahn, die Elbtunnelröhre, die Saale-Staustufe Kleinrosenburg, die Kanalisierung der unteren Donau — alles entbehrliche Projekte, zu denen es bezahlbare und umweltverträglichere Alternativvorschläge gibt. Das gilt auch für die ICE-Neubautrasse München-Nürnberg-Erfurt, z. B. für den Abschnitt über Ingolstadt, eine Neubautrasse, mit der Sie, nachdem das untere Altmühltal durch den RMD-Kanal versaut wurde, nun auch noch das mittlere Tal kaputtmachen wollen. Da sollen alleine 4 Milliarden für ein paar Minuten „Fahrzeitgewinn", verschwendet werden, wo doch ein maßvoller Ausbau bestehender Strecken und der Einsatz moderner Neigetechnik-Züge fast den gleichen Effekt hätte, aber nur die Hälfte kosten würde. Hier mußte auch erst der Bundesrechnungshof Ihnen vorhalten, daß die Neubautrasse „nicht die wirtschaftlichste Variante" ist. Aber für Ihre Lieblings- und Prestigeprojekte ist Ihnen ja nichts zu teuer, siehe Transrapid. Die Milli- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 597* arden, die Sie da verschleudern wollen, sind kein Beitrag zum Ausbau einer umweltfreundlichen Schiene und zur Verkehrsverlagerung, sondern an falscher Stelle in Beton gegossene Steuergelder, genau jene Gelder, die dann für den dringend benötigten Ausbau des Schienennahverkehrs in der Fläche fehlen. Was nützt es denn, wenn man dank einer Superschnellbahn zwischen den Metropolen einige Minuten Fahrzeit „gewinnt", aber dann stundenlang auf den Anschluß in die Nachbarstadt warten muß? 90 % aller Fahrgäste, verehrter Herr Verkehrtminister, sind nämlich im Nahverkehr unterwegs. In die Vertaktung dort müssen Sie investieren. Dort aber lassen Sie die Länder und Kommunen mit dem Aufbau eines attraktiven öffentlichen Nahverkehrs mit völlig unzureichender Finanzausstattung hängen. Sie bleiben damit einer falschen Ideologie verhaftet, die unser gesamtes Verkehrswesen in die Irre geführt hat: immer schneller, immer größer, immer teurer. Ihre größte Sorge scheint es zu sein, daß wir rechtzeitig vor dem ökologischen Abgrund schnell noch Höchstgeschwindigkeit erreichen. Damit verschaffen Sie der Bahn keinen Wettbewerbsvorteil, sondern jagen sie in eine unheilvolle Tempokonkurrenz zum Inlandflugverkehr, den die Bahn verlieren muß, solange Sie nicht endlich Schluß machen mit der milliardenschweren Subventionierung des Flugverkehrs durch den unverantwortlichen Verzicht auf die Erhebung einer Kerosinsteuer. Diese Politik ist nicht nur finanzpolitisch dumm, sondern auch klimapolitisch katastrophal. Wir fordern Sie daher auf: Verzichten Sie auf die unsinnigen Autobahn- und ICE-Neubauprojekte und stellen Sie die freiwerdenden Milliarden für den öffentlichen Nahverkehr frei. Erheben Sie endlich eine kostendekkende Schwerverkehrsabgabe zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Wir brauchen eine Entschleunigung des Verkehrs, Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung, vor allem aber eine grundlegende Revision des BVWP, mit einem Wort, eine Verkehrswende, die wir, und um diese einfache Erkenntnis drückt sich auch dieser Haushalt herum, die wir nur finanzieren können durch eine ehrliche Anlastung der Kosten, die der motorisierte Individualverkehr verursacht, auf deutsch durch eine schrittweise, berechenbare und zweckgebundene Anhebung der Mineralölsteuer als Teil einer ökologischen Gesamtsteuerreform. Die fürchten Sie, und leider auch Herr Scharping, wie der Teufel das Weihwasser, weil Sie den Mut nicht aufbringen, Sie Künstler der Marktwirtschaft, Kosten und Preise im Individualverkehr auch nur annähernd in ein ehrliches Verhältnis zueinander zu setzen. Aber keine Angst: Wir werden Ihnen diesbezüglich schon noch auf die Sprünge helfen. Die Legislaturperiode hat ja erst begonnen. Horst Friedrich (F.D.P.): Wir behandeln an diesem Freitagnachmittag den größten Investitionshaushalt des Bundes. Der Verkehrshaushalt enthält fast 27 Milliarden DM Investitionsvolumen. Allein im Bereich der Eisenbahnen werden wir mehr als 10 Milliarden DM investieren. Bei den Bundesfernstraßen werden es mehr als 8 Milliarden DM sein. Die Gemeinden erhalten mehr als 6 Milliarden DM zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse. Bei diesen Summen wird deutlich, daß der Bund die ständige Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur sehr ernst nimmt. Die F.D.P.-Fraktion begrüßt das, denn ein leistungsfähiges Verkehrsnetz ist Voraussetzung für das Funktionieren einer modernen Volkswirtschaft wie der unseren und für ihre Vernetzung mit den Märkten. Es ist deshalb eine ökonomische Selbtverständlichkeit, daß auch im nächsten Jahr ein klarer Vorrang für die Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern besteht. Schwerpunkt sind dabei die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit. Allein bei den Bundesfernstraßen werden 2,3 Milliarden DM investiert, um leistungsfähige Verbindungen zwischen den alten und den neuen Bundesländern zu schaffen. Aber auch in die Bundeswasserstraßen wird kräftig investiert. 1,2 Milliarden DM stehen für die Modernisierung und Erweiterung des Wasserstraßennetzes zur Verfügung. Das verbessert die Chancen für die Binnenschiffahrt nachhaltig und drückt gleichzeitig die große Bedeutung aus, die dieser leistungsfähige und umweltfreundliche Verkehrsträger für uns hat. Die vergangene Legislaturperiode wird möglicherweise in die Geschichte der Verkehrspolitik eingehen, weil wir sehr viele Entscheidungen von herausragender und grundlegender Bedeutung getroffen haben. Ich nenne die Bahnreform, den Bundesverkehrswegeplan, die Schaffung des notwendigen Planungsrechts zur Bewältigung der Aufgaben in den neuen Bundesländern und den Transrapid. Aber auch ordnungspolitisch haben wir den Durchbruch geschafft und notwendige Privatisierungen beschlossen. Ich nenne die Bahnreform, die Privatisierung der Flugsicherung, der Lufthansa und bei den Tank- und Raststätten. In dieser Legislaturperiode geht es an die Umsetzung der Entscheidungen, ihre Detailregelungen und den Vollzug. Die F.D.P. wird den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Das wird neben viel Arbeit auch viel Geld kosten, während parallel das Investitionsvolumen des Verkehrshaushaltes sinken mußte, da auch dieser Haushalt seinen Beitrag zur Konsolidierung der Ausgaben leisten mußte. Ich bin deshalb sehr froh, daß die F.D.P. mit den Pilotprojekten für das Konzessionsmodell und mit dem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz rechtzeitig die nötigen Grundlagen für die private Finanzierung von Verkehrswegen gelegt hat. Gerade im Bereich des Bundesverkehrswegeplanes wird diese Finanzierungsart an Bedeutung gewinnen. Allerdings werden wir den Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel nicht aus seiner Pflicht entlassen, die nötigen Haushaltsmittel für eine moderne Verkehrsinfrastruktur bereitzustellen. Wir brauchen diese leistungsfähige Infrastruktur nicht nur als Mittel für die Vollendung der Deutschen Einheit und für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West. Wir brauchen sie auch, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft im Einklang mit ökologischen Erfordernissen zu verbessern und den Standort Deutschland zu erhalten. 598* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Die Haushaltsberatungen passen so richtig in die Vorweihnachtszeit: Die Bundesregierung kommt als Weihnachtsmann daher (freilich nicht im roten Mantel), öffnet den Gabensack und wartet auf die Dankbarkeit der Beschenkten. Die Opposition sitzt zunächst mit großen staunenden Augen in Erwartung möglichst großer bunter Geschenke da. Die Enttäuschung kommt dann nach dem Auspakken: schöne Hülle und nichts Passendes drin. Ähnlich ergeht es mir mit dem Bundeshaushalt. Der Verkehrshaushalt der Bundesregierung erfüllt — man möchte sagen: alle Jahre wieder — die Kriterien eines Trauerspiels; auch nach gründlichstem Durchforsten der einzelnen Titel ergeben sich keine Anzeichen für eine Verkehrswende, für eine ökologische und sozialverträgliche Umstrukturierung unseres Verkehrssystems. Da können Sie noch so oft in Ihrem Finanzplan einen „umweltgerechten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur" beschwören. Was allein zählt, sind Taten, und da ist der Verkehrshaushalt nichts anderes als ein Beitrag zur weiteren Asphaltierung unserer Republik, ein Beitrag zur Beschleunigung von Klimakatastrophe und Waldsterben. Meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, kommen Sie jetzt bloß nicht mit dem Hinweis, daß die Ausgaben für Investitionen in die Eisenbahnen des Bundes mit 10,6 Milliarden Mark deutlich höher lägen als das Investitionsvolumen im Bundesfernstraßenbau mit 8,4 Milliarden Mark. Denn die Bundesregierung, nicht faul im Erfinden von Schattenhaushalten und Haushaltstricks, befindet sich längst auf einem anderen Dampfer. Das Zauberwort lautet Privatfinanzierung von Straßenverkehrsinfrastruktur. Im Verkehrshaushalt '95 tauchen Verpflichtungsermächtigungen für acht der beschlossenen zwölf Projekte auf, was nicht zuletzt auf eine kräftige Mitwirkung der SPD im Haushaltsausschuß zurückzuführen ist. Allein schon die Terminologie „private Finanzierung von Bundesfernstraßenmaßnahmen" läßt verschleiernde Absichten vermuten. Hier wird nichts privat finanziert, sondern lediglich privat vorfinanziert. Die Kosten für den späteren Erwerb dieser Bundesfernstraßenabschnitte trägt selbstverständlich der Bund — und das nicht zu knapp. Minister Wissmann mußte im Februar gegenüber der „Zeit" zugeben, daß sich die Projekte durch die Einschaltung privater Geldgeber um dreißig bis fünfzig Prozent verteuern. Der Grund: der Staat muß für die hohen Refinanzierungskosten der privaten Projektträger aufkommen. Mittlerweile liegen sogar konkrete Zahlen vor, die dies belegen. Der Bundesrechnungshof hat Berechnungen vorgelegt, nach denen die Kosten z. B. für Projekt A 8 bei einer Privatfinanzierung um elf Millionen Mark höher liegen. Hier werden elf Millionen Mark in den Wind geschossen, die an anderen Stellen so dringend benötigt würden. Das Konzessionsmodell ist — zu diesem Schluß kommt jedenfalls der Bundesrechnungshof — gegenüber einer Haushaltsfinanzierung unwirtschaftlich. Bei einer derart eindeutigen Aussage vermag ich beim besten Willen nicht mehr einzusehen, warum zusätzlich zu den beiden bereits begonnenen Projekten noch zehn weitere notwendig sein sollen, um die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen einer privaten Vorfinanzierung von Verkehrsinfrastruktur zu prüfen. Um auf dem Papier einen weiteren Anstieg der Neuverschuldung zu vermeiden, verschwenden Sie letztendlich zig Millionen Mark. Auch läßt die Präsidentin des Bundesrechnungshofes das Argument nicht gelten, der drängende Bedarf an Finanzmitteln mache eine private Vorfinanzierung nötig. Der öffentliche Haushalts kann nämlich für Investitionen Kredite in unbegrenzter Höhe aufnehmen. Die PDS wird jedenfalls zu den Ausschußberatungen einen Antrag auf Streichung der 10 Projekte, für die noch keine Verträge vergeben wurden, einbringen. Für Investitionen in die Bundeswasserstraßen veranschlagt die Bundesregierung 1,2 Milliarden Mark. Das ist immerhin besser, als würde sie dieses Geld in den Straßenbau investieren. Nur, die Bundesregierung verfolgt auch in der Binnenschiffahrt eine katastrophale und für die kleinen selbständigen Partikuläre ruinöse Politik. Erst hat man — insbesondere die mittelständische Binnenschiffahrt —, ohne eine entsprechende Harmonisierung der Bedingungen in der EU herbeizuführen, einem gnadenlosen Wettbewerb ausgeliefert, jetzt zahlt die Bundesregierung Abwrackprämien in Höhe von 60 Millionen Mark. Damit sollen bis zu 20 % der Kapazitäten abgebaut werden, anstatt diese zu nutzen und die Binnenschiffahrt durch einen Abbau der Subventionen für den Straßengüterverkehr wettbewerbsfähig zu machen. Darüber hinaus handelt es sich bei genau den Schiffen, die den Abwrackplänen zum Opfer fallen werden, um solche, die von ihren Abmessungen her eine umweltfreundliche Nutzung der Wasserstraßen noch ermöglichen. So werden mit Unterstützung der Bundesregierung künftig nur noch die Schiffe mit Euro-Norm wettbewerbsfähig sein. Dafür werden Sie auch noch die letzten Abschnitte naturbelassener Flüsse ausbauen und kanalisieren. Die Folgen dieser Politik haben viele von Ihnen vor knapp einem Jahr, u. a. auch an diesem Ort, hautnah miterleben dürfen. Während das Rhein-Hochwasser allerdings wieder gesunken ist, steht der Bundesregierung heute das Wasser bis zum Hals. Man kann nur hoffen, daß die Regierung dank besinnlicher Weihnachtsfeiertage endlich zur Besinnung kommt. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): I. Verkehrspolitische Erfolge: Noch nie in dei Verkehrspolitik Deutschlands ist so viel positiv entschieden worden wie in der 12. Legislaturperiode. Ein besonders wichtiges Ziel haben wir mit der Bahnreform erreicht, die es der neuen Bahn AG endlich ermöglicht, als Unternehmen im Markt zu agieren und Marktanteile zu gewinnen. Wir wollen die Eisenbahn Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 599* zu einem starken Partner in der integrierten Transportkette machen. Dazu brauchen wir mehr Wettbewerb auf der Schiene. Durch verstärkten Wettbewerb tragen wir schließlich zu mehr Wirtschaftlichkeit, höherer Kosteneffizienz und damit zu höherer Qualität und Leistungsfähigkeit bei. Ein weiterer Erfolgsbeweis unseres Engagements für moderne Technologien ist der Beschluß über den Bau der Magnetschwebebahn Transrapid zwischen Hamburg und Berlin. Der Tansrapid demonstriert die Leistungsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland und zeigt, daß in enger Zusammenarbeit von Staat und Industrie auch in schwierigen Zeiten Innovationsschübe ausgelöst werden können. Der schnellen Umsetzung dringend notwendiger Infrastrukturvorhaben dient das Planungsvereinfachungsgesetz. Auch in der Privatisierung von Staatsunternehmen und öffentlichen Infrastrukturaufgaben sind wir große Schritte vorangekommen. Beispielhaft möchte ich hier die Umwandlung der Bundesanstalt für Flugsicherung in die Deutsche Flugsicherungs GmbH, die Umwandlung der Deutschen Lufthansa AG in ein vom staatlichen Kapital unabhängiges Unternehmen und die Umwandlung der Gesellschaft für Autobahnnebenbetriebe in die Autobahn Tank & Rast AG nennen. Schließlich erinnere ich an das Tarifaufhebungsgesetz, mit dem reglementierte Transportpreise dem liberalisierten Binnenmarkt in Europa angepaßt wurden. Das Transportsystem gewinnt insgesamt an Effizienz, wenn die verbesserten Möglichkeiten der Kooperation der Verkehrsträger offensiv genutzt werden. Ziele Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb in Europa ist die weitere Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in der EU und in Mittel- und Osteuropa. Dazu gehört auch die Beseitigung der Vollzugsdefizite. Es ist unsere vorrangige Aufgabe, die Marktposition der deutschen Verkehrsunternehmen, insbesondere des Straßengüterverkehrs und der Binnenschiffahrt im internationalen Wettbewerb weiter zu stärken. Um auch künftigen Generationen Mobilität zu erhalten, sind umweltfreundliche Verkehrsträger und eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur von besonderer Bedeutung. Zur ökologischen Gestaltung des Verkehrs gehört die weitere europaweite Verminderung der Schadstoffgrenzwerte sowie eine deutlische Senkung des durchschnittlichen Benzinverbrauchs der neu zugelassenen Fahrzeuge bis zum Jahr 2005 um mehr als ein Drittel. II. Verkehrshaushalt — allgemein Ein leistungsfähiges, attraktives und umweltschonendes Verkehrssystem ist zur Sicherung des Standortes Deutschlands unerläßlich. Verkehrliche Rahmenbedingungen prägen immer stärker wirtschaftliche, gesellschaftliche und individuelle Entscheidungen. Die im internationalen Vergleich sehr gute deutsche Verkehrsinfrastruktur ist für die deutsche Wirtschaft ein wesentlicher Standortvorteil. Zur Sicherung dieses Standortvorteils ist es wichtig, auch in Zukunft den Verkehrshaushalt mit hohen Investitionsanteilen auszustatten. Der Einzelplan 12 schließt nach dem vorliegenden Regierungsentwurf für 1995 mit einem Gesamtansatz von rund 53,55 Milliarden DM ab und steigt damit gegenüber 1994 um 0,8 %. Der Verkehrshaushalt ist der zweitgrößte Einzeletat des Bundes. Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur haben unmittelbar Einfluß auf die Entwicklung der Konjunktur, weil sie die Baunachfrage beleben und im beträchtlichen Maße Arbeitsplätze sichern. Das Investitionsvolumen im Einzelplan 12 liegt 1995 insgesamt bei rund 26,7 Milliarden DM, das sind ca. 50 % des gesamten Verkehrshaushaltes. Damit ist der Verkehrshaushalt der größte Investitionshaushalt des Bundes. Auch 1995 genießt der Neu- und Ausbau in den neuen Bundesländern Vorrang mit den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit. Ohne die schnelle Realisierung der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit ist der dringend benötigte Aufschwung in den neuen Ländern nicht zu schaffen. Gerade diese Projekte sind von größter Bedeutung für das Zusammenwachsen und die wirtschaftliche Stärkung des geeinten Deutschlands sowie das Transitland Deutschland als Hauptträger der Verkehre zwischen Ost und West. Weil der hohe Finanzbedarf für den Verkehrswegeausbau nicht mehr allein durch den Bundeshaushalt abgedeckt werden kann, gewinnt für die Zukunft die private Finanzierung von Verkehrswegen an Bedeutung. Wie Sie wissen, wurde bereits mit zwei privat finanzierten Projekten im Saarland (A 8) und Rheinland-Pfalz (A 60) begonnen. III. Vorrang für die Schiene Die DB AG erhält 1995 insgesamt rund 21,6 Milliarden DM aus dem Verkehrshaushalt. Das macht den Vorrang für die Schiene deutlich. Für Investitionen in die Schieneninfrastruktur werden 1995 rund 10,6 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt, davon — für den Fahrweg rund 6,9 Milliarden DM (das sind 491 Millionen DM mehr als 1994) und — für Investitionen zum Ausgleich des Rückstands im Sachanlagevermögen der ehemaligen Reichsbahn 3,7 Milliarden DM. Daneben sind zugunsten der Deutschen Bahn AG 604 Millionen DM an Investitionszuschüssen für den ÖPNV nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) vorgesehen. Dazu kommen noch Mittel aus dem ÖPNV-Länderprogramm. Die Strukturreform der Bahn wird planmäßig vollzogen. Sie soll die Leistungsfähigkeit der Eisenbahn erhöhen und sie in die Lage versetzen, an dem zu erwartenden künftigen Verkehrswachstum stärker als bisher teilzuhaben. Die Bahn AG ist nun gefordert, mit modernen Unternehmensstrategien den Schritt in die unterneh- 600* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 merische Unabhängigkeit zu vollziehen. Ziel ist es, möglichst bald drei eigenständige Unternehmen Personenverkehr, Güterverkehr, Fahrweg zu gründen. IV. Bundesfernstraßen Um den Standortvorteil Deutschlands weiterhin zu sichern, ist es notwendig, Engpässe auf Autobahnen und Bundesstraßen zu beseitigen, Ortsumgehungen zu bauen und gleichzeitig das deutsche Schienennetz und die Bundeswasserstraßen konkurrenzfähig auszubauen und zu modernisieren. Für die Bundesfernstraßen sind 1995 und in der Finanzplanung bis 1998 jährlich 10,4 Milliarden DM vorgesehen. Im Jahre 1995 entfallen davon rund 8,4 Milliarden DM auf Investitionen. Aufgrund der allgemeinen Finanzlage des Bundes sind die Mittel für die Bundesfernstraßen gegenüber 1994 um 0,3 Milliarden DM rückläufig. Daher ist es notwendig, mit der privaten Finanzierung weitere Möglichkeiten zu erschließen. V. Bundeswasserstraßen Die Binnenschiffahrt, die als umeltfreundlicher und kostengünstiger Verkehrsträger einen Anteil von ca. 20 % am nationalen Güterverkehr aufweist, ist auf eine leistungsfähige Infrastruktur angewiesen. Mit Investitionen in Höhe von rund 1,22 Milliarden DM können einerseits die Verpflichtungen für Neu-und Ausbaumaßnahmen in den alten Bundesländern erfüllt werden, andererseits mit 760 Millionen DM die Wasserstraßen in den neuen Bundesländern ausgebaut werden. VI. Zusammenfassung: Investitionen in Verkehrswege Für ein leistungsfähiges Verkehrsnetz investieren wir sehr viel. Dies werden wir auch in den folgenden Jahren tun. Dies ist eine solide Grundlage dafür, der verkehrspolitischen und gesamtwirtschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. VII. Schnellbahnverbindung Transrapid Besondere Aufmerksamkeit verdient der Haushaltsansatz für den Transrapid. Für die Verbindung Hamburg-Berlin sind im Haushalt '95 für Planungskosten und die Erarbeitung einer Magnetbahnbetriebsordnung rund 18 Millionen DM veranschlagt. Baukosten werden erst nach Abschluß der Planung fällig; deshalb waren hierfür im Haushalt '95 noch keine Mittel einzustellen. Wir haben den Weg zum Einsatz der Magnetschwebebahn-Technologie im öffentlichen Verkehrssystem geebnet. Wir werden alles daransetzen, den Vollzug und die Realisierung des Projektes mit Nachdruck zu betreiben. VIII. Seeschiffahrtshilfen Obwohl ursprünglich Seeschiffahrtshilfen nur bis 1994 vorgesehen waren, ist es gelungen, für 1995 erneut einen Ansatz von 100 Millionen DM vorzusehen. Damit ist bis zu einer künftigen steuerlichen Entlastung der deutschen Reeder Vorsorge getroffen, die bestehenden Wettbewerbsnachteile zu Billigflaggen über Finanzhilfen zu mindern. Die Finanzbeiträge sollen helfen, daß Reeder auch unter deutscher Flagge am internationalen Wettbewerb teilnehmen können und nicht weiter ausflaggen müssen. IX. Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Verkehrsunfälle Die finanziellen Anstrengungen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Verkehrsunfälle spiegeln sich wider in der insgesamt positiven Unfallentwicklung trotz steigender Motorisierung und Mobilität. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird in Deutschland die Zahl der Verkehrstoten 1994 wahrscheinlich um rund 3 % unter den Vorjahreswerten liegen. Für das frühere Bundesgebiet wird der seit Einführung der Statistik 1953 bisher günstigste Jahreswert von 1993 um 2 % unterschritten. Die Anstrengungen müssen unvermindert fortgeführt werden. Im Bundeshaushalt '95 sind daher für Verkehrssicherheitsarbeit 25 Millionen DM vorgesehen. X. Schluß Ein leistungsfähiges, menschen- und umweltfreundliches Verkehrssystem, an dem alle Verkehrsträger in Kooperation miteinander beteiligt sind, ist wesentliche Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft Deutschlands. Der ökologisch sensible Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur bleibt eine Säule unserer Verkehrspolitik. Gute Voraussetzungen für die Fortführung unserer erfolgreichen, zukunftsorientierten und ökologisch ausgerichteten Verkehrspolitik ist die finanzielle Ausstattung im hier vorliegenden Entwurf des Bundeshaushalts 1995 für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Siegfried Scheffler (SPD): Da Weihnachten vor der Tür steht, bin ich fast versucht zu singen: „Alle Jahre wieder ..." schlägt für die Bundesregierung die Stunde der Wahrheit — in diesem Jahr gleich zweimal, hat uns doch schon die Regierungserklärung Ende November nichts Konkretes zur wesentlichen Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur gebracht. Nach wie vor befinden wir uns in der 1. Lesung des Verkehrshaushaltes '95, und da ist es Tradition, daß eine politische Grundsatzaussprache stattfindet und dabei durch die Opposition die Fehler der Bundesregierung aufgedeckt werden. Als den größten muß ich an dieser Stelle klipp und klar nennen: Auch im Jahre 1995 wollen Sie, Herr Wissmann, wieder die Straße der Schiene vorziehen. Das begann schon mit der Verabschiedung des völlig überzogenen Bundesverkehrswegeplanes. Dabei ist doch der Bedarfsplan ein reiner Weihnachtswunschzettel ohne Realitätsgehalt. Er weist ein Finanzierungsdefizit bei 450 Milliarden DM Gesamtkosten bis zum Jahre 2012 von sage und schreibe 200 Milliarden aus. Und wie gehen Sie damit um, Herr Minister? Statt die Mittel auf den dringend notwendigen Ausbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern zu beschränken und die jahrzehntelange Vernachlässigung der Schiene durch vorrangige Förderung zu konzentrieren, bevorzugen Sie weiter massiv den Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 601' Fernstraßenausbau: diesmal um eine 3/4 Millarde DM. Selbst wenn Sie 750 Millionen weniger für die Straße eingesetzt hätten, wäre dies eine Bevorzugung des Straßenverkehrs gegenüber der Schiene gewesen. Denn wenn wir die Haushalte der letzten 30 Jahre zusammenrechnen, ist der Vorsprung der Straße so unvorstellbar groß, daß der Nachholbedarf der Schiene nur mit drastischen finanziellen Mitteln ausgeglichen werden kann. Statt dessen ist nach wie vor kein integriertes Verkehrsgesamtkonzept der Bundesregierung im Haushalt erkennbar. Das fängt schon beim Transrapid an: Dieser wurde projektiert in einer Zeit, als wir allgemein annahmen, bei 200 km/h sei die Höchstgrenze für schienengebundenen Verkehr erreicht, und wir alle mußten nach innovativen Neuerungen suchen und steckten daher — und darüber bestand Konsens in diesem Hause — viel Geld in die Entwicklung einer Magnetschwebebahn. Fast möchte ich sagen, es war vorhersehbar. Technische Weiterentwicklung und knappe Haushaltskassen — worüber wir heute streiten — müssen unsere Planungen auf andere als von der Regierung gewollte Ziele lenken. Wir müssen doch konstatieren, daß man ohne große Not Geschwindigkeiten von über 400 km/h auf der Schiene erreichen kann und die Geschichte die Entwicklung für große Teile unserer dicht besiedelten Bundesrepublik überholt hat. Ich sehe für die Magnetschwebetechnik durchaus sinnvolle Einsatzmöglichkeiten in unbesiedelten Flächenländern und Gebieten, die noch keine Schienenverbindungen haben und insbesondere nicht Bestandteil eines transnationalen Hochgeschwindigkeitsnetzes sind. Genau dies trifft aber für die Strecke Hamburg-Berlin eben nicht zu — ganz im Gegenteil: beide Städte sind Knotenpunkte innerhalb des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes. Deshalb: Die im 95er und den Folgehaushalten für die Strecke Hamburg-Berlin eingeplanten Steuermillionen für den Transrapid be- und verhindern vielmehr den dringend benötigten zweispurigen, elektrifizierten Ausbau z. B. der Strecke Uelzen-Bremen oder konkret den Ausbau auf über 200 km/h der Schienenverbindung Hamburg-Berlin. Neben dem technisch-wissenschaftlichen Knowhow der Transrapidtechnologie, die, wenn es denn gewollt ist, durch eine zu 100 % privat finanzierte Testanwendungsstrecke ihre Leistungsfähigkeit nachweisen kann, ist meines Erachtens zur Zeit jedoch die rasche Weiterentwicklung und der nachdrückliche, schnelle Ausbau der Rad-Schiene-Technik mit Hilfe von Bundes- und EU-Mitteln wesentlich wichtiger, um so mehr, da der internationale Markt für Hochgeschwindigkeits- und Nahverkehrssysteme in der Rad-Schiene-Technik von Ihrem Hause, Herr Minister, in den letzten Jahren völlig vernachlässigt wurde. Leider müssen wir heute diese Fehlentscheidung mit handfesten Nachteilen für die Bahn AG, für die Verkehrspolitik in Deutschland und für die dort Beschäftigten bezahlen. Bleiben wir bei der Bahn: Im Nachgang zur Bahnreform gibt es noch eine ganze Menge Hausaufgaben zu erledigen, wie dies auch die Bundesländer auf ihrer letzten Verkehrsministerkonferenz Ende November in München anmerkten: Die anstehende Eisenbahninfrastruktur-Nutzungsverordnung muß Regelungen enthalten, die im Interesse der Allgemeinheit eine bedarfsgerechte und finanzierbare Verkehrsbedienung im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ermöglichen. Es muß sichergestellt werden, daß finanzielle Vorleistungen des Bundes für die Infrastruktur des SPNV wirklich zu Nachlässen bei den Trassenpreisen führen. Dabei darf das Trassenpreissystem keine Regelung enthalten, die zur Beeinträchtigung der Chancen von Wettbewerbern führen kann. Ich hoffe doch, daß Sie mit mir übereinstimmen, daß die Trassenpreise für den SPNV sich nicht in der derzeitigen Größenordnung bewegen dürfen. Meines Erachtens müssen sie einen Anreiz für zusätzliche Verkehrsleistungen der Bahn bieten und dürfen nicht zur Flucht auf die Straße führen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf das Schienenwegeausbaugesetz eingehen. Hier wird der Bund dazu verpflichtet, 20 % der Gesamtinvestitionssumme in Schienenwege, die dem Personennahverkehr dienen, zu investieren. Herr Wissmann, ich hoffe, Sie nehmen Stellung zu Art und Umfang dieser Investitionen und weisen diese — da bisher nicht erfolgt — in Ihrem Haushaltsentwurf gesondert aus, wie es auch die Verkehrsminister der Länder verlangen, auch oder gerade wenn es hierbei zu einer Aufstockung der für den Schienenverkehr erforderlichen Finanzierungsmittel — gegenüber dem BVWP '92 (Bundesverkehrswegeplan) kommen sollte, was wir begrüßen würden. Diese Klarstellung ist mit Blick auf die auch bei den Ländern erforderliche Planungssicherheit beim Ausbau des SPNV und auch im Zusammenhang mit der Gestaltung der LänderÖPNV-Gesetze zwingend erforderlich. Entsprechende Mittel vom Bundeshaushalt sind dafür vom Straßenbau umzuschichten. Die Kommunen belastet ein großes finanzielles Problem: Die Straßenbrücken über Eisenbahnlinien, die aufgrund des Eisenbahnneuordnungsgesetzes in die Erhaltungslast der Kommunen übergegangen sind, befinden sich aufgrund erheblicher Unterhaltungsrückstände in einem mangelhaften Zustand. Diese Tatsache steht im Widerspruch zur vorschriftsmäßigen Unterhaltungspflicht der DB. Diese Brücken hätten eigentlich aufgrund der bisherigen Erhaltungspflicht der Bahn bei der Übergabe ordnungsgemäß erhalten sein müssen. Dies war aber nicht der Fall, und Sie können nun nicht einfach die finanziellen Belastungen den Kommunen zuschieben. Diese werden das nicht verkraften können. Was gedenken Sie deshalb, Herr Minister, zu unternehmen? Werden Sie auf die DB AG als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn einwirken, damit sie gegenüber den kommunalen Baulastträgern für den ordnungsgemäßen Erhaltungszustand der Brücken einsteht und den Kommunen die durch Erhaltungsrückstände bedingten Mehrkosten bei der Sanierung und Erneuerung von Brücken von der Hand hält? Da aber sicherlich die Bahn AG diese Kosten, besser Altlasten, nicht alleine finanzieren kann, muß man sich über eine Beteiligung des Bundes ernsthaft Gedanken machen. Lassen Sie mich als Abgeordneten aus den neuen Bundesländern auf ein für Sie besonders heikles 602 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 Thema eingehen: Ihr Beschleunigungs- und Planungsvereinfachungsgesetz hat bisher nichts beschleunigt, sondern es bremst gewaltig ab! Deshalb meine Frage an Sie: Wieviel Geld ist aus den neuen Bundesländern 1994 — also vier Jahre nach der Vereinigung — zurück in die alten geflossen? Mir liegen Aussagen vor, daß es sich, um nur als Beispiel Thüringen zu nennen, um 140 Millionen DM handelt, die für Verkehrsprojekte in den neuen Ländern vorgesehen waren und aufgrund von Planungsrückständen — das Raumordnungsverfahren für die A 82 ist noch nicht einmal abgeschlossen — oder einer ganzen Reihe von anderen Hinderungsgründen nicht verbaut werden konnten. Wohin flossen diese Gelder? Natürlich in die alten Bundesländer. Warum? Warum wurden nicht, wie von uns gefordert, weitere dringend benötigte Ortsumgehungen dafür gebaut und fertiggestellt? 140 Millionen DM würden zehn bis fünfzehn solcher Ortsumgehungen in den neuen Bundesländern ergeben. Jedenfalls ist sachlich festzustellen, daß alte Bundesländer wesentlich mehr kassieren, als Ihnen nach der festgelegten Quote zusteht. Ich komme jetzt zu einem Ihrer Lieblingsthemen, Herr Minister: Sie forderten anläßlich des ersten Weltkongresses über die Anwendung der Telematik im Verkehr die „intelligente Straße", die Sie durch Ihr persönliches Steckenpferd erreichen wollen. Herr Wissmann, nicht „intelligente Straßen" , sondern „intelligente Politiker" sind gefordert, Politiker, die einsehen, daß eine Ausweitung des Straßenverkehrs, der dann dank Ihrer Telematik wahrscheinlich für ein paar Jahre flüssiger läuft, in keiner Weise eine langfristige Lösung für die brennenden Verkehrsprobleme unserer mobilen Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts darstellt. Richtig ist: die Telematik ist eine gute Erfindung, und es ist gerade das Verdienst der deutschen Industrie, mit führend in der Welt zu sein, was deren Entwicklung angeht. Auch ich und mit mir die SPD und allen voran der Partei- und Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping sind Befürworter der Telematik. Aber doch bitte nicht zum Zwecke der Vermehrung von Straßenverkehr! Telematik gelenkt auf umweltfreundlichere Verkehrsträger, hierin liegt die Attraktivität der neuen technischen Entwicklung, und es sind Anwendungspotentiale in der Vernetzung von Schiene, Wasserstraßen und natürlich auch dem Straßenverkehr zu erforschen. Die neuen Technologien müssen zukunftsgerichtet eingesetzt werden, und wenn schon ein Mehr an Verkehr, dann nur zugunsten umweltverträglicher Verkehrsträger und nicht zugunsten des größten Umweltfeindes, des Straßenverkehrs. An dieser Stelle ist der Hinweis auf den diesjährigen Waldschadensbericht mehr als angebracht. Deshalb muß dem „intelligenten Politiker" doch einleuchten, daß die „intelligente Straße" zwar den Verkehr besser lenken kann, aber keinen Fahrer oder keinen Spediteur davon abhalten wird, ihre Brummis auf die Straße zu schicken. Ganz im Gegenteil: Wenn die Aussicht besteht, daß es erst mal wieder auf der Straße vorangeht, dann nichts wie drauf auf die „intelligente" Straße! Ich komme zu einem weiteren entscheidenden Punkt und spreche die bestehenden krassen Wettbewerbsverzerrungen an, und zwar die bisher immer noch nicht erfolgte Anrechnung aller gesellschaftlichen Kosten nach dem Verursacherprinzip. Solange Sie diese Gegenüberstellung blockieren, werden alle Versuche der Verkehrsverlagerung auf die umweltverträglichen Verkehrsträger Bahn, Küsten- sowie Binnenschiffahrt oder ÖPNV scheitern. Apropos: Der Haushaltsentwurf zeigt keine Perspektive, weder für die Küsten- noch für die Binnenschiffahrt. Dabei könnten gerade diese die Straßen und Schienen entlang den Küsten von Nord- und Ostsee, zwischen Rostock, Kiel, Lübeck, Skandinavien oder Rußland entlasten und die Güter über Wasser transportieren. Somit verstopft Ihre Verkehrspolitik, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Transitwege, deren Überlastung Sie andererseits aber lautstark beklagen. Statt dessen: Benachteiligung deutscher Binnenschiffer zugunsten der Großverlader, die deren Kosten nicht zahlen, wenn — wie tagtäglich erfolgt — die holländische oder polnische Konkurrenz billiger ist. Und wenn schon die Umwelt von Ihnen, den Konservativen, vernachlässigt wird, so sollten Sie sich wenigstens um die Wirtschaftlichkeit kümmern. Lasten Sie endlich dem Straßenverkehr die von ihm verursachten Bau-, Betriebs- und Unterhaltungskosten in vollem Umfang an: Das wäre ein richtiger und wichtiger Schritt, um Schiene und Schiffahrt mit einem Schlage wieder konkurrenzfähig zu gestalten. Für die europäische Verkehrspolitik bedeutet dies, daß die Regional(Euro-)vignette ab nächsten Monat mit ihrer maximalen 2 500-DM-Jahresgebühr und zahlreichen Ausnahmen nur einen Bruchteil der Wegekosten ausländischer Lkw abdecken wird. Sie subventionieren damit weiterhin diejenigen, die Straßen und Natur zerstören. Nicht bei Ihnen, bei der SPD hingegen groß geschrieben, befaßt sich ein weiterer Punkt mit der Verkehrsvermeidung. Diese ist sicherlich nicht so werbewirksam wie innovative Technologien, dafür aber um so wirksamer in der Konsequenz der Umweltentlastung, und das Schönste ist: bei wesentlich geringeren Kosten. Deshalb muß sie von uns Poliktikern immer wieder gefördert werden. Gerade Verkehrsvermeidung kann auf den ersten Blick einleuchten und wird in der Bevölkerung akzeptiert. Dazu ein Beispiel: Ihnen ist doch bekannt, daß deutsche Kartoffeln auf der Straße bis nach Italien zum Waschen gefahren werden und dann sauber wieder zurück durch die Alpen nach Deutschland fahren, um hier verkauft zu werden. Andere Beispiele mit lebendem Vieh, Obst und Gemüse quer durch Deutschland und Europa könnten folgen. Speziell im Güterverkehr sehe ich deshalb erhebliche — bisher nicht genutzte — Potentiale zur Vermeidung weiterer Verkehrszuwächse. Hinzu kommt, daß der Straßengüterverkehr bisher nur einen Auslastungsgrad von 55 % hat. Im Werkfernverkehr ist er noch geringer; da liegt er bei 45 %. Also noch einmal: eine gerechte Kostenanlastung nach dem Verursacherprinzip zwänge zu höheren Auslastungsgraden und zur Absenkung der Leerfahrtenanteile. Oder ein weiteres Beispiel aus der Raumordnung bei der Planung unserer Städte und Kommunen: Hier Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 603' kann haushälterisch durch sinnvolle städtebauliche Planung von Arbeitsstätten, Wohnvierteln und Freizeitstätten Verkehr vermindert und können immense Summen eingespart werden. Und auch die von mir schon oft geforderte Umwandlung der bisherigen Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale wird Autofahrer zum Umsteigen auf den ÖPNV oder das Fahrrad bewegen und damit die verstopften Straßen entlasten. Da ich gerade das Sparen — oder besser: das Einsparen — auf der einen Seite und Ausgaben für sinnvolle Verkehrsprojekte auf der anderen angesprochen habe: Wie wäre es denn, um die Worte meiner Kollegin Matthäus-Maier von vorgestern am Ende dieser Haushaltsaussprache wieder aufzugreifen, wenn wir im Verteidigungshaushalt anfangen? Die Streichung nur einer einzigen „abgespeckten" Version des Jäger '90 zum jetzt in Aussicht gestellten Stückpreis von 100 Millionen DM könnte doch für die Anschaffung von 25 U-Bahn-Halbzügen oder für 22 S- Bahn-Halbzüge oder aber für 200 Güterwaggons genutzt werden und damit mindestens die jetzt noch verbliebenen 6 800 Arbeitsplätze der DWA retten und nicht, wie seit vorgestern bekannt geworden, nur die Arbeitsplatzgarantie für 2 400 Mitarbeiter geben. Meine Forderung lautet deshalb: Keine übereilte Privatisierung der DWA. Ich kann nur daran erinnern, daß die DWA der einzig verbliebene ostdeutsche Konzern ist, der die Wende in die Marktwirtschaft überlebt hat. Deshalb müssen die noch in Lohn und Brot stehenden Waggonbauer höchsten politischen Schutz von uns allen genießen. Der Kanzler sprach vor der Wahl von einem „Leuchtturm der ostdeutschen Industrie", der auf jeden Fall erhalten bleiben müsse. Wieder eine Wählertäuschung? Herr Wissmann, ich fordere Sie auf, nehmen Sie diese Worte auch nach der Wahl noch ernst und nutzen Sie als Verkehrsminister Ihren Einfluß auf Ihre Kollegen Rexroth und Waigel und tragen Sie dazu bei, daß alle Standorte der DWA erhalten bleiben. Für mich ist der vollständige, überhastete DWA-Verkauf an eine in den USA angesiedelte Tochterfirma der Advent-International eine brutale Nacht-und-NebelAktion, mit der die DWA außerhalb jeden staatlichen Schutzes gebracht wird. Wir dürfen aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt Staat und Treuhand nicht aus ihrer Verantwortung gegenüber den mehr als verunsicherten Arbeitnehmern entlassen. Herr Wissmann, zurück zum Haushaltsentwurf: Dieser ist ein Plädoyer für zwar besser gelenkten, aber dennoch eben mehr Straßenverkehr und somit eine Kampfansage an Verkehrsvermeidung, an die Umwelt, an die Gesundheit der Bürger. Deshalb lehnen wir Ihren Haushaltsentwurf '95 ab. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 677. Sitzung am 25. November 1994 beschlossen, seine Geschäftsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. November 1993 (BGBl. I S. 2007), wie folgt zu ändern: 1. § 6 Abs. 2 wird wie folgt gefaßt: „Beamte des höheren Dienstes werden mit vorheriger Zustimmung des Ständigen Beirats, der Direktor und Stellvertretende Direktor mit vorheriger Zustimmung des Bundesrates vom Präsidenten eingestellt, befördert, entlassen und in den Ruhestand versetzt; gleiches gilt für die Einstellung, Höhergruppierung und Entlassung der Angestellten von Vergütungsgruppe BAT IIa an aufwärts." 2. § 9 Abs. 2 wird wie folgt gefaßt: „Der Ständige Beirat berät und unterstützt den Präsidenten und das Präsidium bei der Vorbereitung der Sitzungen und der Führung der Verwaltungsgeschäfte des Bundesrates. Er entscheidet in den in § 6 Abs. 2 genannten Personalangelegenheiten. Seine Beschlüsse werden in eine Niederschrift aufgenommen." Die Änderungen treten sofort in Kraft. Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 29. November 1994 mitgeteilt, daß sie ihren Entschließungsantrag zu der Regierungserklärung des Bundeskanzlers auf Drucksache 13/38 zurückzieht. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat mitgeteilt, daß er gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der Drucksache 12/3988 absieht.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sofort, Herr Präsident.
    Da sich Frau Babel meldet, will ich noch eine Bemerkung zur F.D.P. machen. Frau Babel, Sie können das ja eventuell einbeziehen. Es geht um ein
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Freitag, den 16. Dezember 1994 555
    Rudolf Dreßler
    wichtiges politisches Datum. Ein Ereignis hat ja in diesen Tagen Aufschluß gegeben über den Zustand der Regierung und den Charakter ihrer Politik: Das war der F.D.P.-Parteitag in Gera. Ich nehme an, Sie waren dabei, Frau Dr. Babel.

    (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Sie erleben viele Geras! Jede Fraktionssitzung ist ein Gera!)

    Das Datum Ihres Parteitages war mit der Tatsache verknüpft, daß ein möglicher Abgang des Herrn Kinkel als Beginn der Staatskrise bezeichnet worden ist.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Das heißt, Frau Dr. Babel: Was Anfang der Woche noch als Staatskrise bezeichnet oder heraufbeschworen wurde, definieren Sie jetzt am Ende der Woche so, als hätten Sie alles im Griff. Das glaubt Ihnen nun wirklich keiner mehr, nicht einmal die verbliebenen Mitglieder der F.D.P.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber sicherlich haben Sie jetzt dazu eine Erklärungsfrage. Bitte schön.


Rede von Dr. Gisela Babel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Dreßler, sind Sie bereit, zuzugestehen, daß ich formuliert habe, daß wir Liberale Sozialpolitik unter zwei Ziele stellen, nämlich erstens, die Kosten möglichst zu begrenzen, um Arbeit in Deutschland zu halten, und zweitens, die eingesetzten Mittel zu einem größtmöglichen Effekt zu bringen, d. h. aus jeder Mark möglichst viel Sozialpolitik zu machen, und sind Sie auch bereit, zuzugestehen, daß es sehr schwerfällt, sich vorzustellen, daß sich die Union diesen Zielen nicht mit uns zusammen verpflichtet fühlt?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Dr. Babel, mit Verlaub: Das zweite will ich deshalb nicht beantworten, weil es eine Kampfansage an die CDU/CSU war. Da ich Sozialdemokrat bin, möchte ich diese Kampfansage von Ihnen an die CDU/CSU nicht kommentieren.

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Aber das erste ist viel bemerkenswerter. Ich will ausdrücklich bestätigen, daß Sie das gesagt haben. Nun erkläre ich Ihnen auch, warum ich zu meiner Schlußfolgerung gekommen bin. 1961 hat Ludwig Erhard, der bekanntlich der CDU angehörte, im Bundestagswahlkampf auf dem Marktplatz in Mannheim folgenden Satz gesagt: „Im Mittelpunkt der Wirtschaft steht der Mensch." Diesen Satz, Frau Babel, können Sie im Kommunistischen Manifest finden, in der Sozialenzyklika des Papstes, in den Liberalen Thesen, im CDU-Programm, im SPD-Programm, überall.

    (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: In der Straßenverkehrsordnung auch?)

    Das Problem beginnt, wenn wir „Mittelpunkt", „Wirtschaft" und „Mensch" definieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Die beiden Sätze, die Sie gerade formuliert haben, waren genauso allgemein. Was sich jedoch dahinter verbirgt, Frau Babel, steht in Ihrem Partei- bzw. Regierungsprogramm. Das habe ich gelesen. Das haben Sie damit nur meinen können, doch wohl nicht
    unseres. Nun frage ich Herrn Louven und Herrn Geißler, ob sie das, was Sie dort geschrieben haben, unterschreiben. Sie sollen das vor dein Bundestag erklären. Denn wenn Sie sagen, wenn das nicht passiert, können Sie nicht gut zusammenarbeiten, dann ist doch das dies Eingeständnis, daß diese Koalition, bevor sie begonnen hat, faktisch schon am Ende ist. Deshalb möchte ich von Ihnen darauf eine Antwort.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD sowie Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der PDS — Eduard Oswald [CDU/CSU]: Keine Übertreibungen!)