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    Plenarprotokoll 13/9 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 9. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 Inhalt: Erklärung der Bundestagspräsidentin zu der Verurteilung von Mitgliedern der Großen Türkischen Nationalversammlung 397 A Erweiterung der Tagesordnung 398A Tagesordnungspunkt 1: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1995 (Haushaltsgesetz 1995) (Drucksache 13/50) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1994 bis 1998 (Drucksache 12/8001) c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Finanzwirtschaft (Drucksache 13/76) Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 398 C Rudolf Scharping SPD 403A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 406 A Karl Lamers CDU/CSU 408B Günter Verheugen SPD 410A Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 411 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 412C Karl Lamers CDU/CSU 414B Dr. Gregor Gysi PDS 414 D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 415 D Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler BK 417B Günter Verheugen SPD 422 B Ulrich Irmer F.D.P. 424 C Jürgen Koppelin F.D.P. 424 D Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 425 D,439 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 427 C Dr. Norbert Wieczorek SPD 429 B Steffen Tippach PDS 432C Walter Kolbow SPD 433 C Ulrich Irmer F. D. P. 434 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg 435C, 440 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 437 A Jochen Feilcke CDU/CSU 437 B Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister BMBWFT 447 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 448A Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 450 C Doris Odendahl SPD 451 C Simone Probst BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 453B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. 454 B Doris Odendahl SPD 454 D Maritta Böttcher PDS 456C Chistian Lenzer CDU/CSU 457 B Wolf-Michael Catenhusen SPD 458C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD 458D Jörg Tauss SPD 459C Edelgard Bulmahn SPD 460B Christian Lenzer CDU/CSU 461 A II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 463A, 469C, 472B Dr. Edith Niehuis SPD 465 A Maria Eichhorn CDU/CSU 467 A Maria Eichhorn CDU/CSU 469D Arne Fuhrmann SPD 472A Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 472C Heinz Lanfermann F D P. 474 B Rosel Neuhäuser PDS 476B Walter Link (Diepholz) CDU/CSU 477A Horst Seehofer, Bundesminister BMG 478D Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD 480B Wolfgang Zöller CDU/CSU 482 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 482 D Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 483 B Horst Seehofer CDU/CSU 485A Dr. Dieter Thomae F. D. P. 485B Dr. Ruth Fuchs PDS 486C Ulf Fink CDU/CSU 487B Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD 488C Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 490A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 491 D Dr. Willibald Jacob PDS 492B Dieter Maaß (Herne) SPD 493A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/ CSU 493 D Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU 495A Rolf Köhne PDS 495 D Otto Reschke SPD 497 B Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 498 A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 499A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 500B Rolf Kutzmutz PDS 501 B Dr. Christine Lucyga SPD 502 B Tagesordnungspunkt 3: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Einsetzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Artikel 45 des Grundgesetzes (Europaausschuß) (Drucksache 13/32) b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Drucksache 13/89) Joachim Hörster CDU/CSU 440C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD 441 B Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 442B Dr. Helmut Haussmann F. D. P. 442D Andrea Lederer PDS 443 C Namentliche Abstimmung 444 B Ergebnis 444 C Überweisungen im vereinfachten Verfahren Tagesordnungspunkt 2: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (JugoslawienStrafgerichtshof-Gesetz) (Drucksache 13/57) b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche — Verlängerung des Kündigungsschutzes für gewerblich genutzte Räume und gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke (Drucksache 13/67) Tagesordnungspunkt 3 c: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Ersatz des Solidaritätszuschlags durch eine sozial gerechte und ökonomisch vernünftige Ergänzungsabgabe (Drucksache 13/17) Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und weiterer Abgeordneter der PDS: Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der DDR (Drucksache 13/78) b) Beratung des Antrags des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und weiterer Abgeordneter der PDS: Vergütung der Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR beim Bundesministerium des Innern (Drucksache 13/79) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verhinderung der Abschiebung von Flüchtlingen aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, die dem Kriegsdienst entflohen sind (Drucksache 13/90 [neu]) 447A Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 III Nächste Sitzung 504 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 505* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1995) Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister BMPT 505* B Hans Martin Bury SPD 506* C Dr. Klaus Röhl F.D.P 509* B Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 510* B Gerhard Jüttemann PDS 511* A Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU 511 * C Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 397 9. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 15. 12. 94 * Berger, Hans SPD 15. 12. 94 Borchert, Jochen CDU/CSU 15. 12. 94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 16. 12. 94 90/DIE GRÜNEN Heym, Stefan PDS 15. 12. 94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 15. 12. 94 Kanther, Manfred CDU/CSU 15. 12. 94 Dr. Pfaff, Marin SPD 15. 12. 94 Sauer (Stuttgart), Roland CDU/CSU 15. 12. 94 Schmidt-Zadel, Regina SPD 15. 12. 94 Schumann, Ilse SPD 15. 12. 94 Vergin, Siegfried SPD 15. 12. 94 Wallow, Hans SPD 15. 12. 94 Warnick, Klaus-Jürgen PDS 15. 12. 94 Zierer, Benno CDU/CSU 15. 12. 94 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 1 (Haushaltsgesetz 1995) Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister für Post und Telekommunikation: Der Bundespostminister kann auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken. Die Kommunikation ist eine grundlegende Voraussetzung für jede Marktwirtschaft. Ohne sie wäre es nicht möglich, in einer arbeitsteiligen Welt zu bestehen. Die Kommunikation funktioniert entweder körperlich über Land, zu Wasser oder durch die Luft oder immer mehr körperlos mit den Mitteln der Telekommunikation. Insbesondere die Telekommunikation hat in den letzten Jahrzehnten ein rasantes Wachstum erlebt, und ohne sie wäre unsere Welt nicht mehr vorstellbar. Wir haben uns schon so sehr an den Umgang mit ihr gewöhnt, daß uns ihre Bedeutung erst aufgeht, wenn sie fehlt. Ich muß hier an die Tatsache erinnern, wie schmerzlich der Mangel an Telefonanschlüssen in den neuen Bundesländern in den ersten Jahren der Deutschen Wiedervereinigung empfunden wurde und wie sehr die Versäumnisse des SED-Regimes auf diesem Gebiet auch die wirtschaftliche Entwicklung behindnert haben. Erst unlängst wurde in den neuen Bundesländern der fünfmillionste Telefonanschluß geschaltet, so daß man mit Fug und Recht behaupten kann: Wir sind auf dem besten Wege. Zugleich hat die Telekommunikation volkswirtschaftliche Bedeutung für das ganze Deutschland. Im Jahr 2000 wird der Umsatz im Telekommunikationsmarkt in Deutschland die 200-Milliarden-MarkSchwelle überschreiten. Weltweit wird dieser Markt dann ein Volumen von schätzungsweise 1,5 Billiarden DM umfassen. Die Mikroelektronik macht es möglich, daß Telekommunikation und Datenverarbeitung miteinander verschmelzen und daß zunehmend auch die sich vervielfältigenden Formen des Fernsehens - ich nenne hier nur das Stichwort Multimedia - in diese Entwicklung einzubeziehen sind. Als ein Land, das davon lebt, daß es Technologie entwickelt, herstellt und verkauft, muß sich Deutschland in diesem Markt geschickt und erfolgreich positionieren. Dazu gehört, daß von staatlicher Seite die notwendigen Vorkehrungen getroffen werden, die es den Unternehmen erlauben, sich national und international nicht nur zu behaupten, sondern auch ihre Stellung weiter auszubauen oder neue Marktsegmente zu erschließen. Nach den Beschlüssen zur Postreform II werden wir mit dem Verkauf von Telekom-Aktien für dieses Unternehmen als erstes den Schritt in die neue, privatisierte Welt einleiten. Die von uns getroffene Auswahl der Banken und Investmenthäuser, die die Emission durchführen werden, hat weltweit ein überaus positives Echo gefunden. Die Börsenerlöse fließen zunächst der Deutschen Telekom AG zur Stärkung ihrer Eigenmittel zu und verbessern damit ihre Wettbewerbsfähigkeit. Diese bisher größte deutsche Aktienemission wird den Finanzplatz Deutschland stärken und auch die Börsenfähigkeit anderer deutscher Unternehmen an der US-Börse erleichtern. Es ist die Absicht der Bundesregierung, diese Privatisierung durch die Fortführung der Liberalisierung zu ergänzen. Denn nur der Wettbewerb wird schließlich die nötigen Kräfte und Ressourcen entfalten helfen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu behaupten und zum globalen Mitspieler zu werden. Unsere Devise lautet deshalb: kontrolliert offensiv liberalisieren. Ich freue mich, daß es uns beim Telekommunikationsrat am 17. November 1994 in Brüssel gelungen ist, den Beschluß zu fassen, das Netzmonopol parallel zum Telefondienstmonopol zum 1. Januar 1998 europaweit aufzuheben. Wir haben damit Klarheit auch über die Zukunft des Netzmonopols geschaffen. Der Charme dieser Lösung liegt darin, daß sich alle Mitgliedstaaten der EU zu diesem Beschluß bereitgefunden haben und wir damit keine Parzellierung der Entwicklung innerhalb der Europäischen Union hinnehmen müssen. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat mit diesem Beschluß einen großen Erfolg errungen, Herr Bangemann sprach sogar von einem historischen Tag. Damit sind in den vergangenen beiden Jahren die wichtigsten Pflöcke für eine planvolle Weiterentwicklung der Telekommunikation in Deutschland einge- 506* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 schlagen worden: Privatisierung der Telekom, Festlegen der Termine für das Ende des Telefondienst- und des Netzmonopols. Nun beginnt die weitere Arbeit. Das heißt, innerhalb der Pflöcke muß nun gebaut werden. Denn wir wollen den Übergang von einem monopolistisch geprägten Markt zu einem wettbewerblichen mit Umsicht und zum Nutzen des Ganzen in Angriff nehmen. Es wird Leute geben, die mit dem einzuschlagenden Weg nicht zufrieden sind, manche werden mehr, manche weniger fordern — wie das eben in solchen Übergangs- und Umbruchzeiten ist. Seien Sie, meine Damen und Herren jedoch versichert, daß ich am vorgezeichneten Weg konsequent festhalten werde und bei allen unterschiedlichen Interessen, deren Vertreter Einfluß fordern werden, das politisch Vertretbare und wirtschaftlich Sinnvolle als Maß meiner Arbeit ansehen werde. Der Haushalt 1995 stellt mich in diesem Zusammenhang vor eine große Herausforderung. Die Kürzungen im Einzelplan 13 sind mit 16 % die höchsten von allen Bundesressorts. Damit ist die Grenze des Vertretbaren deutlich erreicht. Ich warne ausdrücklich — und unabhängig von meiner Person — davor, an dieser Stelle weiter zu kürzen. Es bestünde sonst die Gefahr, daß die Aufgaben im Geschäftsbereich Post und Telekommunikation nicht mehr ordnungsgemäß wahrgenommen werden könnten. Der Markt der Postdienstleistungen ist in den letzten Jahren ebenfalls in Bewegung geraten. Die Entwicklung ist zwar nicht vergleichbar stürmisch wie bei der Schwester Telekommunikation, doch ist erkennbar, daß zumindest in bestimmten Bereichen ein Kundenbedarf für verbesserte oder auch neuartige Dienstleistungen besteht. Mit der Postreform II haben wir auch hier die Voraussetzungen geschaffen, damit sich die gute alte Post an die neuen Zeiten und Verhältnisse anpassen kann. Wir stehen damit zumindest in Europa an der Spitze der Entwicklung. Ich denke, daß die Voraussetzungen gut sind, damit die Deutsche Post AG im Laufe der nächsten Jahre sowohl in Umfang und Qualität ihrer Dienstleistungen als auch mit ihrem betriebswirtschaftlichen Ergebnis einen Quantensprung nach vorne tun wird. Die Postbank arbeitet völlig im Wettbewerbsbereich und wird sich mehr und mehr zu einer Bank normalen Stils entwickeln und künftig auch mit Partnern aus ihrer Branche kooperieren. Im Vertrieb wird sie mit der Deutschen Post AG verflochten bleiben, so daß Postbankdienstleistungen auch weiterhin an den Schaltern der Post angeboten werden — ein wichtiges Kriterium zur Infrastruktursicherung. Meine Damen und Herren, die Umbruchsituation im Post- und Telekommunikationsbereich, in dem heute in Deutschland über 800 000 Menschen beschäftigt sind und auf dessen Funktionieren Wirtschaft und Gesellschaft angewiesen sind, fordert unser aller Anstrengung. Die Bundesregierung beabsichtigt, auch zukünftig diese Herausforderung in einem breiten Konsens zu meistern, der das Wohl des Bürgers im Auge hat. Ich lade alle ein, die den bestehenden Handlungsbedarf im Grundsatz anerkennen, an dieser Aufgabe mitzuwirken. Hans Martin Bury (SPD): Dies ist die erste Debatte im Deutschen Bundestag zum Thema Post und Telekommunikation nach der Verabschiedung der zweiten Postreform. Am 1. Januar 1995 treten die Gesetze in Kraft. Die Postunternehmen werden Aktiengesellschaften. Die SPD hat diese Postreform inhaltlich wesentlich mitgestaltet und wichtige Forderungen durchgesetzt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Sicherung des Infrastrukturauftrages, die Wahrung der Arbeitnehmerrechte und die Verbesserung der Kapitalausstattung der Unternehmen. Diese Postreform — ich betone das bewußt — war auch nach unserer Auffassung notwendig, um die Unternehmen der Deutschen Bundespost für die zukünftigen Herausforderungen und Chancen, die in einem zunehmend liberalisierten Post- und vor allem Telekommunikationsmarkt liegen, fit zu machen. Information und Kommunikation werden zunehmend zu entscheidenden Erfolgsfaktoren für den Standort Deutschland. Hier entstehen neue Märkte, Schlüsseltechnologien und Dienstleistungsangebote, die für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft, die Entstehung und Sicherung von zukunftssicheren, modernen Arbeitsplätzen ausschlaggebend sind. Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Allein der weltweite Jahresumsatz von Telekommunikationsdiensten wird nach Schätzungen der Telekom von heute 850 Milliarden Mark bis zur Jahrtausendwende auf 1,5 Billionen Mark ansteigen. Für den deutschen Markt rechnet man im Bereich der Kommunikationsdienste und -geräte mit einem jährlichen Marktwachstum von rund 8 % auf 115 Milliarden Mark Umsatz im Jahre 2000. Und in einigen Jahren werden Umsatz und Beschäftigtenzahl in der Kommunikations- und Medienbranche voraussichtlich sogar höher sein als in der Automobilindustrie. Multimedia, Interaktivität, Informationshighways oder Datenautobahnen sind Begriffe, die die zukünftige Entwicklung vor allem kennzeichnen. Das Zusammenwachsen von Telefon, Computer und Fernsehen und der Auf- und Ausbau von digitalen Hochgeschwindigkeitsnetzen, die gewaltige Informationsmengen übertragen können, ermöglichen interaktive Dienstleistungen, die heute erst in Ansätzen erkennbar sind. Es geht dabei nicht nur um die Übertragung weiterer Fernsehprogramme, sondern um völlig neuartige Angebote z. B. im Bereich der Information, des Handels, der Produktion und der Arbeitswelt, des Gesundheitswesens und der Freizeit, die nachhaltigen Einfluß auf unser privates und berufliches Leben haben werden. Während der deutsche Regierungschef bei Datenautobahnen noch an Asphaltstraßen denkt, hat in den Vereinigten Staaten die Ankündigung von Präsident Clinton zum flächendeckenden Ausbau von DataHighways, die wegen ihrer industriepolitischen Bedeutung massiv aus öffentlichen Mitteln gefördert werden sollen, für Furore gesorgt. Fernmelde- und Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 507* Kabelgesellschaften, Software- und Unterhaltungselektronik-Unternehmen, Filmstudios, Verlage, TV-Anstalten und Versandhäuser gehen Kooperationen und strategische Allianzen ein, um sich Know-how und Zugang für die künftigen Märkte zu sichern und zu erschließen. Es wird einige Jahre dauern, bis die entsprechenden Endgeräte und die notwendige benutzerfreundliche Software für dieses multimediale Zeitalter ausgereift zur Verfügung stehen und nicht jede technische Spielerei wird einen breiten Markt finden. Es wird auch nicht alles technisch Machbare gesellschaftlich wünschenswert sein. Wir können uns aber nicht erlauben, den Anschluß an die technologische Entwicklung zu verschlafen. Wir werden unsere wirtschaftliche Zukunft und damit vor allem auch die Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze nur dann erfolgreich bewältigen, wenn es uns gelingt, bei den Zukunftstechnologien eine führende Rolle einzunehmen. Dies gilt beispielhaft für die Verbindung von Telekommunikation, Datenverarbeitung und Medien, aber auch für Zukunftsbereiche wie integrierte Umwelttechnik, Biotechnik, Verkehrstechnik etc. Angesichts der strategischen Bedeutung muß der Staat diese Entwicklungen aktiv gestalten. Wie eine Förderung aussehen kann, hat der badenwürttembergische Wirtschaftsminister Dieter Spöri beispielhaft vorgeführt. Im Sommer nächsten Jahres startet das Land Baden-Württemberg das größte Multimedia-Pilotprojekt auf einer glasfasergestützten Datenautobahn in Europa. Im Rahmen dieses Pilotprojektes sollen interaktive Dienste wie Teleshopping, Telebanking oder Video on demand von etwa 4 000 Haushalten erprobt werden. Insgesamt werden dafür 100 Millionen DM vom Land und von der Europäischen Union zur Verfügung gestellt. Dies ist eine zukunftsweisende Industriepolitik, die sich deutlich von den verfehlten Maßnahmen früherer CDU-Postminister unterscheidet. Ich denke hier beispielsweise an den Fernsehsatelliten TV-Sat, der mit rund einer Milliarde Mark aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde und der wegen seiner Sendenorm D2-MAC, die so gut wie überhaupt nicht empfangen werden konnte, auch als Blindenfernsehen verspottet wurde. Der TV-Sat, für den die Telekom pro Jahr über 130 Millionen DM aufwenden mußte und über den zuletzt nur noch drei Fernsehprogramme abgestrahlt wurden, wird zum Jahresbeginn 1995 außer Betrieb genommen. Alles in allem sind die Voraussetzungen in den hochleistungsfähigen Telekommunikationsbereichen in Deutschland jedoch nicht schlecht. Die Telekom verfügt heute mit rund 80 000 km Glasfaserkabel über das weltweit dichteste Glasfasernetz. Allein in Ostdeutschland, wo ein völlig neues Netz aufgebaut werden mußte, wird es bis Ende 1995 mehr als 1 Million Kunden mit einem Glasfaseranschluß geben. Die wichtigste Aufgabe im Bereich Post und Telekommunikation, die der Deutsche Bundestag in der 13. Legislaturperiode zu bewältigen haben wird, ist die Erarbeitung und Verabschiedung eines „Regulierungsgesetzes", in dem die Markt- und Wettbewerbsbedingungen in einem liberalisierten Post- und Telekommunikationsmarkt geregelt werden müssen. In diesem Gesetz werden u. a. Bestimmungen über die Vergabe von Lizenzen und Regelungen zum Infrastrukturauftrag formuliert werden müssen. Gleichzeitig muß die Organisation einer künftigen Regulierungsinstanz, die nach unserer Überzeugung von tagespolitischen Einflüssen weitestgehend unabhängig sein und die Bestimmungen des Regulierungsgesetzes überwachen und ausführen soll, festgelegt werden. Diese gesetzlichen Bestimmungen müssen rechtzeitig vor einer weiteren Liberalisierung des Kommunikationsmarktes erfolgen. Wir haben wiederholt deutlich gemacht, daß sich die Bundesrepublik der weltweiten Entwicklung zur Liberalisierung, d. h. zur Aufgabe der Monopole und zur Privatisierung der klassischen Staatsbetriebe, nicht verschließen kann und darf. Voraussetzung ist aber ein klarer ordnungspolitischer Rahmen. Es kann ja wohl nicht so sein, daß künftig nur ein Unternehmen, die Telekom, zur teuren Versorgung der ländlichen Gebiete verpflichtet wird, während alle anderen Wettbewerber von jeder Infrastrukturauflage befreit werden. Hier werden wir Lösungsmöglichkeiten finden müssen, die auf der einen Seite den Wettbewerb nicht behindern, sondern fair gestalten und auf der anderen Seite den Infrastrukturauftrag sichern und erhalten. Damit dies nicht zu allgemein bleibt, möchte ich vor allem an die Adresse des Bundespostministers und der Koalition gerichtet daran erinnern, daß bereits mit der Postreform II Grundsätze einer Regulierung festgelegt worden sind, die einen Zielkorridor beschreiben. Als Ziele der Regulierung sind im Rahmen der Postreform II vorgegeben worden: ein flächendeckendes, modernes und preisgünstiges Angebot von Dienstleistungen der Telekommunikation und des Postwesens, die Sicherung der Chancengleichheit ländlicher Räume im Verhältnis zu Verdichtungsräumen, der diskriminierungsfreie Zugang der Nutzer zu diesen Dienstleistungsangeboten, die effektive Verwaltung knapper Ressourcen, insbesondere von Frequenzen und Rufnummern, die Berücksichtigung sozialer Belange, die Gewährleistung eines wirksamen Verbraucher- und Datenschutzes. Auf dieser Grundlage werden wir den organisatorischen und rechtlichen Rahmen für einen liberalisierten Kommunikationsmarkt erarbeiten müssen. Im Hinblick auf die vom Ministerrat genannten Daten zum Wegfall der Monopole werden wir sehr genau darauf achten, wie diese Zielsetzung in den einzelnen Ländern umgesetzt wird. Es geht jedoch nicht nur um die vollständige Aufhebung der Monopole. Eine vom Postminister anvisierte überstürzte Zulassung von „alternativen Netzen", auf denen bereits liberalisierte Telekommunikationsdienste übertragen und vermittelt werden können, könnte — ohne die vorherige Sicherstellung des ordnungspolitischen Rahmens — zu gravierenden Umsatzeinbußen bei der Telekom und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. In den Startlöchern stehen hier neben den Kommunen insbesondere die großen Energieversorgungsunternehmen, die über eigene 508* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 Netze verfügen und diese Übertragungswege auch für den Daten- und Telefonverkehr von Dritten nutzbar machen wollen. Eine Entscheidung über die Nutzung eigener Netzwerke halte ich nur für vertretbar, wenn der ordnungspolitische Rahmen und die Regulierungsauflagen im Wettbewerb für alle klar und verbindlich geregelt sind. Im übrigen wäre es unter wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten zumindest pikant, ausgerechnet für diejenigen Unternehmen unkritisch den Markt öffnen zu wollen, die ihrerseits Milliardengewinne aus den Monopolen für die Energieversorgung erwirtschaften und diese zur Diversifikation ihrer Geschäftsbereiche verwenden. Die Energieversorger, die im Telekommunikationssektor lauthals das schnelle Ende der Monopole fordern, sind bezeichnenderweise viel zurückhaltender, wenn es um die Liberalisierung der Energiemärkte in Europa geht. Für geradezu geschäftsschädigend hielte ich es, wenn der Postminister mit vorgezogenen gravierenden Liberalisierungsschritten den Unternehmenswert der Telekom bewußt reduzieren und damit den Gang an die Börse erschweren würde. Wenn man davon ausgeht, daß die Telekom damit rechnet, für die Plazierung ihrer Aktien aus der für 1996 anstehenden Kapitalerhöhung von nominal 2,5 Milliarden DM einen Emissionserlös von rund 15 Milliarden DM zu erzielen, so ist das Verhalten des Bundespostministers im Hinblick auf die drohende Reduzierung des Emissionskurses auch aus Eigentümersicht des Bundes unvertretbar. Die Telekom braucht keinen Schutzzaun bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Aber sie braucht — ebenso wie ihre potentiellen Konkurrenten — klare Spielregeln und Planungszeiträume, die sie nutzen muß, um ihre Kosten zu senken und neue Umsatzpotentiale zu erschließen. Mit anderen Worten, die Aufhebung des Sprach- und Netzmonopols zum 1. Januar 1998 setzt voraus, daß sich die Telekom vorher für den Wettbewerb fit macht. Wie leichtfertig der Postminister mit der Ertragskraft, den Arbeitsplätzen und den Zukunftschancen der Postunternehmen umgeht, zeigt auch das Beispiel Infopost. Mit Brachialgewalt sollen noch vor dem 1. Januar 1995 Lizenzen vergeben werden, die private Unternehmen berechtigen, Sendungen der Infopost mit einem Gewicht von mehr als 250 g zu befördern. Meine Fraktion lehnt diese vorgesehene Freigabe der Infopost ab, die ausschließlich den kommerziellen Interessen einiger Großunternehmen, insbesondere im Versandhandel, dient. Sie geht voll zu Lasten der Deutschen Bundespost und vernichtet Arbeitsplätze. Auch der Bundesrat hat die Freigabe der Infopost in der vorgesehenen Form und zum jetzigen Zeitpunkt mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir sind nicht generell gegen mehr Wettbewerb bei der Infopost, der auf europäischer Ebene vorgezeichnet ist. Wir waren bereit, eine Freigabe der Infopost in einem ersten Schritt bis zu einer Gewichtsgrenze von 750 g mitzutragen. Alle weiteren Entscheidungen sollten erst nach Einrichtung eines Regulierungsrates mit Inkrafttreten der Postreform II erfolgen. Damit sollte sichergestellt werden, daß vorher keine vollendeten Tatsachen ohne Mitwirkung des Bundesrates und des Bundestages allein vom Bundespostminister getroffen werden. Diese Position war Geschäftsgrundlage bei den Verhandlungen zur Postreform II. Das Vorgehen des Bundespostministers steht hierzu in eklatantem Widerspruch. Es ist ein schwerwiegender Vertrauensbruch sowohl im Hinblick auf die interfraktionellen Gespräche im Rahmen der Postreform II als auch im Hinblick auf die ausdrücklichen Erklärungen des Postministers vor dem Bundesrat, Entscheidungen zur Infopost nur im Einklang mit den Bundesländern zu treffen. Hinzu kommt, daß die überhastete Freigabe der Infopost schwerwiegende inhaltliche Mängel aufweist. So läßt sich im Rahmen der vorgesehenen Lizenzierung keine klare Abgrenzung zum nach wie vor bestehenden Briefmonopol ziehen. Damit wird der Mißbrauch vorprogrammiert. Datenschutzrechtliche Erfordernisse, die für private Betreiber notwendig sind, sind nicht gewährleistet. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat dem Postausschuß gegenüber mitgeteilt, daß er die Inhalte des bisherigen Verfahrens für datenschutzrechtlich unzulässig hält. Die vorhandenen Rechtslücken sollen erst nach Erteilung von Lizenzen für die Infopost geschlossen werden. Ein außerordentlich dubioses Verfahren! Und letztlich führen die Bestimmungen der uns bisher bekannten Lizenzmuster zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Post, die zu einer flächendeckenden Versorgung verpflichtet ist, die in gleicher Form für private Unternehmen nicht gilt. Diese wenigen Anmerkungen müßten ausreichen, den Bundespostminister zu veranlassen, seine Lizenzvergabe für die Infopost zu stoppen. Tut er dies nicht, so wird eines ganz deutlich: Der Postminister will nur wenige Tage, bevor die neuen gesetzlichen Bestimmungen der Postreform II in Kraft treten, mit aller Gewalt verhindern, daß sich die Bundesländer und der Bundestag im Regulierungsrat mit der Lizenzvergabe befassen. Er will — koste es, was es wolle — vollendete Tatsachen schaffen, weil er weiß, daß es mit seinen selbstherrlichen ordnungspolitischen Entscheidungen ab 1. Januar 1995 vorbei ist. Er verhindert damit, daß den Postunternehmen nach der Umwandlung in Aktiengesellschaften die notwendige Zeitspanne eingeräumt wird, die sie zur Konsolidierung und zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit benötigen. Wenn hier über Märkte, Wettbewerb und Liberalisierung gesprochen wird, darf nicht übersehen werden, daß es dabei vor allem um Menschen geht. Rund 700 000 Personen sind in den Postunternehmen beschäftigt. Jeder weiß, daß sich in einem offenen Markt und durch zunehmenden Rationalisierungsdruck die Zahl der Beschäftigten dort verringern wird. Diese Anpassungen sind unvermeidlich. Aber diese Anpassungsprozesse müssen mit Augenmaß und sozialverträglich vorgenommen werden. Auch darum geht es, wenn wir uns für einen angemessenen zeitlichen Rahmen für die notwendigen Umstrukturierungen einsetzen. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 509 * Parallel dazu werden jedoch Arbeitsplätze bei neuen Netzbetreibern, Diensteanbietern und Endgeräteherstellern entstehen. So ist nach der Deregulierung in den USA zwar die Zahl der Beschäftigten bei AT & T und den „Baby Bells" deutlich zurückgegangen. Dieser Rückgang wurde jedoch — wie in der Presse nachzulesen war (Focus, 14. November 1994, Wirtschaftswoche, 24. November 1994) — durch die neuen Netzanbieter mehr als kompensiert (Rückgang ca. 233 000 Arbeitsplätze, Zuwachs 278 000). Eine besondere Verantwortung haben die Postunternehmen für ihre Nachwuchskräfte. Ich halte es für völlig inakzeptabel, daß die Auszubildenden von den Postunternehmen nach unseren Informationen zum allergrößten Teil nicht übernommen werden sollen. Hier muß alles getan werden, um zu verhindern, daß Jugendliche nach der Ausbildung in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Wir werden deshalb darauf drängen, daß dieses Thema im Ausschuß für Post und Telekommunikation auf die Tagesordnung gesetzt wird. Ich hoffe sehr, daß es gelingt, Lösungsmöglichkeiten zu finden, die den jungen Menschen eine Zukunftsperspektive eröffnen. Möglichst rasch wird sich der Ausschuß auch mit den Skandalen um die Postbank und die Telekom beschäftigen müssen. Vor allem die Manipulationen mit den Telefongebühren haben zu einer verständlichen Verunsicherung der Kunden geführt. Nach meiner Auffassung ist es aufgrund der Vorkommnisse dringend erforderlich, die Position der Verbraucher insbesondere bei Streitigkeiten über die Höhe der Telefonrechnungen zu stärken. Ganz so einfach wie bisher wird es sich die Telekom nicht machen können, um Vorwürfe, sie habe ihr Leitungsnetz nicht unter Kontrolle, unbefugte Dritte hätten Zugang zu einzelnen Leitungen oder Gebührenzähler seien manipulierbar, zu entkräften. Kunden müssen in Zukunft eine realistische Chance erhalten, ihre Rechte gegenüber der Telekom durchzusetzen. Ich denke hier beispielsweise an die kostenlose Bereitstellung von Einzelgesprächsnachweisen in der Gebührenabrechnung und an die kostengünstige Installation von manipulationssichereren Gebührenzählern beim Kunden. Daß Postbank und Telekom Sicherheitslücken in ihren Betriebsabläufen und -systemen aufspüren und schließen, um zu verhindern, daß sie von organisierten Banden — wie geschehen — um Millionenbeträge betrogen werden, halte ich für eine pure Selbstverständlichkeit. Das Beispiel Postbank zeigt aber auch, wie weit der technisch-organisatorische Rückstand ist, der noch aufgeholt werden muß. Wir werden jedenfalls über diesen gesamten Sachverhalt aussagekräftige Stellungnahmen für den Postausschuß von den Unternehmen einfordern. Ich freue mich auf eine konstruktiv-kritische Zusammenarbeit auf einem gleichermaßen spannenden wie konfliktreichen Feld. Wenn wir ordentlich arbeiten, werden wir strategische Weichenstellungen vornehmen, die unsere Volkswirtschaft revolutionär verändern werden. Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Der Haushalt des Bundesministeriums für Post- und Telekommunikation, Einzelplan 13, gehört nun wahrlich nicht zu den umfangreichen Haushaltspositionen. Im Gegenteil, er liegt mit ca. 411 Millionen DM weit am unteren Ende der Haushaltsgrößen. Er liegt jedoch weit an der Spitze der Einsparskala — auf dem zweiten Platz! War im 1. Haushaltsentwurf der 12. Legislaturperiode für 1995 schon eine Einsparung von 11,4 % gegenüber 1994 vorgesehen, so können wir positiv feststellen, daß die Einsparung nunmehr sogar 13,9 % beträgt. Dies ist ein äußerst begrüßenswertes Ergebnis und ein wichtiger Anfangsschritt auf dem Weg zum Ziel der Koalitionsvereinbarung, die Staatsquote zu senken, vielleicht auch ein Vorbote für die nützlichen Effekte der jüngsten Postreform. In der Koalitionsvereinbarung nimmt der Ausbau moderner Kommunikationswege zusammen mit dem einer zukunftsgerechten Verkehrsinfrastruktur einen primären Platz ein. Das ist nicht nur richtig und notwendig, sondern hat auch ein übergroßes Gewicht für die Attraktivität des Standortes Deutschland, und das in mehrfacher Hinsicht. Wichtig und existentiell ist es für die Nutzer am Standort Deutschland, die Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Wichtig und unverzichtbar ist auch die arbeitsplatzerhaltende und -schaffende Wirkung bei Bau und Betrieb dieser Kommunikationswege. Wichtig und unverzichtbar sind auch Erhaltung und Ausbau des Spitzenplatzes unserer Kommunikationsgeräte und Anlagen schaffenden Industrie. Hier dürfen keine Arbeitsplätze abwandern. Im Gegenteil, es müssen sogar neue Arbeitsplätze hinzukommen. Diese neuen Technologien haben die größten Zukunftschancen, und das müssen wir nutzen. Nutzen können wir die Chancen aber nur, wenn unsere Industrie und unsere Leistungsanbieter weiterhin die Spitze der Entwicklungen anführen. Dazu ist mehr Wettbewerb notwendig. Die leider noch bestehenden Monopole im Postbereich müssen aufgehoben und umfassend liberalisiert werden. Ziel ist es, die Monopole im Telefondienst und im Telekommunikationsnetz zum Januar 1998 aufzuheben. Verläßliche staatliche Rahmenbedingungen unter der Berücksichtigung des Rechtes der Europäischen Union müssen geschaffen werden. Die Postreform muß konsequent weitergeführt werden. Jede Behinderung bedeutet für uns Wachstumseinbußen, Arbeitsplatzverlust und nicht einholbare Vorteile für die Konkurrenten innerhalb und außerhalb der EU. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Bodenverluste und Rückstände im Wettbewerb bedeuten einen erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen sowohl im Herstellungs- als auch im Dienstleistungsbereich aller Postzweige. Jede heute versäumte Privatisierungs- und Liberalisierungsleistung wirkt sich schon ab morgen schädlich auf die Beschäftigungsstruktur, Beschäftigungsstabilität und Beschäftigungsbreite aus. Das sollten sich bitte alle heute noch widerstrebenden Zweifler klar machen. 510* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 Auch die jetzt noch überregulierte, verflochtene und verkrustete Leitungs- und Managementstruktur muß aufgebrochen und vereinfacht werden. Nur die unbedingt notwendigen hoheitlichen Aufgaben dürfen in der Hand des Staates bleiben. Es ist auch notwendig, sich von liebgewonnenen Bequemlichkeiten und Privilegien zu trennen, z. B. beim Nachweis von Leistungen. Das wird auch, um bei diesem Beispiel zu bleiben, die Betrugsmöglichkeiten erheblich einschränken. Die von allen Nutzern dringend erwartete Leistungssteigerung und Leistungsqualitätsverbesserung wird durch den Wettbewerb konkurrierender Anbieter erhöht. Jeder, der einer weitergehenden Privatisierung und konsequenten Liberalisierung skeptisch oder sogar ablehnend gegenübersteht, sollte sich einmal intensiv mit Anzahl und Inhalt der Klagen von Postnutzern beschäftigen, um zu erkennen, wie notwendig und eilig Verbesserungen sind. Parallel mit den innerhalb Deutschlands zu lösenden Aufgaben ist natürlich die europaweite Aufhebung der Monopole erforderlich. Europaweite Liberalisierung und Harmonisierung sind auch auf diesem Gebiet ebenso wie auch vielen anderen, z. B. dem Verkehrsgebiet, eine unerläßliche, notwendige Aufgabe. Der bisher erreichte ordnungspolitische Rahmen muß in Richtung einer weiteren Liberalisierung bearbeitet werden. Vordringlich für diese Legislaturperiode ist dies auch durch die zeitliche Befristung des Ordnungsrahmens bis zum 31. Dezember 1997. Hier liegt noch ein hartes und sicher auch heißumstrittenes Stück Arbeit vor uns. Ziel muß es sein, durch Rahmenbedingungen die Wettbewerbs- und Chancengleichheit neuer Anbieter gegenüber den Monopolen und marktbeherrschenden Stellungen sicherzustellen. Damit wird man gleichzeitig vor allem den Interessen der Verbraucher, ob Privatperson oder Unternehmen, gerecht. Wirtschaftlich gesunde und mit Erfolg operierende Kommunikations- und Dienstleistungsunternehmen wie Telekom, Postdienst und Postbank als „echte" nicht mehr überwiegend im Staatsbesitz befindliche Aktiengesellschaften sind eine Quelle sicherer Arbeitsplätze und eine Entlastung des Bundeshaushaltes. Sie sind ein wichtiger Teilschritt zum schlanken Staat. Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir widmen uns jetzt zu später Stunde dem Postetat. Fast könnte man an einen Wurmfortsatz der Haushaltsdebatte denken. Beim Postministerium dreht es sich um ein Ministerium, das sich selbst überflüssig macht. Die Wirtschaftspläne von Postdienst, Postbank und Telekom stehen nicht zur Debatte. Der vorgelegte Rumpfhaushalt schweigt zu den wesentlichen Aspekten von Post und Telekommunikation. Seit 1. Juli dieses Jahres ist selbst die Bundesdruckerei als GmbH ausgegliedert worden, abgängig wie es im vorgelegten Haushaltsplan heißt. Herr Minister Bötsch, planmäßig abgängig ist in ihrem Ressort so manches, nicht zuletzt Sie selber. Nun wird auch noch Helmut Ricke von der Telekom, der Chef der Telekom, das Handtuch werfen. Aber: Sie wickeln sich ja nicht nur selbst ab, sondern — damit verbunden — Sie wickeln auch die Beschäftigten der Postunternehmen ab. Statt soviel Abwicklungsenergie sollten Sie an anderer Stelle etwas mehr Entwicklungsenergie aufbringen: 1. Gebührenskandal, mafiotische Zustände bei den Telefonschaltungen, PCB-Verseuchungen in den Fernmeldeämtern, Vorsorge gegen Elektrosmog. Ich erinnere auch an die Forderungen der Interessengemeinschaft Telekom-Geschädigter. Herr Bötsch, hier müßten Sie sich stark machen für einen verbesserten Schutz des öffentlichen Eigentums und für einen verbesserten Verbraucherschutz. 2. Die Ausgliederung von Einzelfirmen wie die De-Te-Immobilien oder De-Te-Mobil läßt den Telekombeschäftigten keine Perspektiven mehr. Die geplante Personalschrumpfung bedeutet Entlassungswellen und Vorruhestand mit 55. Eine bessere Personalpflege wäre notwendig. 3. Die Lizenzvergabe für die Massenpost — ab 1. Januar 1995 oberhalb von 250 g, ab 96 dann oberhalb von 100 g — nennen wir es einmal pars pro toto „Lex Quelle" — (Lesen Sie nur die Gutachten von Prof. Fangmann oder von Prof. Fritz Ossenbühl) — wirft die Filetstücke auf den Markt. Auf den unattraktiven Restposten bleiben die Bundesunternehmen sitzen. Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, als wollte ich grundsätzlich gegen die Privatisierung von Bundesunternehmen oder gegen den Börsengang der Telekom sprechen. Uns beunruhigt Ihr vorauseilender Gehorsam gegenüber möglichen EU-Entscheidungen zur Aufhebung der Postmonopole. Die Sorge, die unsere Fraktion, meine Damen und Herren, die Sorge, die uns bewegt, ist: Sie zerschlagen die alten Monopolstrukturen. Sie versäumen es aber, einen gleichwertigen Ersatz für die Bürgerpost zu schaffen. Unsere Fraktion erklärt sich solidarisch mit den Menschen im Land, die aufbegehren gegen die Schließung der Postämter im Dorfe. Es ist besser, die Post bleibt im Dorf, statt daß die Oma ein Auto braucht, um zur Post zu kommen. Nähe zum Kunden ist eine soziale und eine strukturpolitische Aufgabe ersten Ranges. Wir sagen, der Infrastrukturauftrag des Postwesens darf nicht der Privatisierung geopfert werden. Die flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen stünde sonst vor dem Aus, die bundesweite Tarifeinheit und andere soziale Errungenschaften wären sonst gefährdet. Ich erlaube mir die Frage: hätte denn ein lediglich gewinnorientiertes Unternehmen den enormen flächendeckenden Aufbau Ost im Bereich der Telekommunikation in Angriff genommen? Hier gebühren der Telekom und den schnellen Beschlüssen des Bundestags zum Aufbau Ost durchaus unser Respekt und unser Dank. Hier ist das modernste Telekommunikationsnetz geschaffen worden. Wir sehen die Vorzüge. Wir sehen aber auch mit Sorge, daß Sie Herr Bundesminister und diese ganze Bundesregierung getrieben werden von den Träumen der IuK-Konzerne und Mediengiganten. Diese wollen die privaten Datenautobahnen, sie wollen in jedem Wohnzimmer interaktiv mit dabei sein. Das private Weltpostamt von Bill Gates von Microsoft zeichnet sich ab. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 511* Wir von seiten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben seit 1984 — und Sie erinnern sich an das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und der Proklamierung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung — wir haben seit einem Jahrzehnt gewarnt vor der Schaffung des gläsernen Menschen. Heute wird dennoch mit Chipkarten, denken Sie nur an die Smartcard, totaler Verkabelung und Datenautobahnen der gläserne Mensch Realität. Wir lehnen die einseitige Fixierung auf das technisch Machbare ab. Wir fordern Sie auf, mit uns für eine sozial wünschbare und in Hinblick auf Menschenwürde gezügelte Technik einzutreten. Es gilt, sich der immer stärkeren Beschleunigung durch ungebremste Datenkommunikation zu widersetzen, es gilt die Vorzüge der Langsamkeit wiederzuentdecken. Es kann nicht das Ziel sein, daß virtuelle Realitäten die sozialen und ökologischen Realitäten ersetzen, statt sie zu ergänzen. Von Ihnen, meine Damen und Herren, wurde nach unserem Eindruck die sozial verträgliche Gestaltung von Post und Telekommunikation bisher vernachlässigt. Herr Bötsch, Sie entschwebten bislang auf der Datenautobahn in virtuelle Realitäten. Sie sollten versuchen, wieder auf den harten Boden der Realität zurückzukehren. Gerhard Jüttemann (PDS): Wie Sie sich erinnern können oder inzwischen zur Kenntnis genommen haben, bin ich Bürger von Bischofferode im thüringischen Eichsfeld. Als Kumpel und damaliger stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Kaliwerkes Bischofferode führten mich die Versuche, unsere Arbeitsplätze im Kalibergbau zu erhalten, schon des öfteren nach Bonn. In und seit diesen langen Monaten, als es wie gesagt um unsere Arbeitsplätze ging, haben wir sehr genau registriert, was in der näheren und weiteren Umgebung von Bischofferode passierte. Die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West äußert sich — und das nicht nur im Eichsfeld — doch leider auch so, daß nach und nach z. B. Poststellen in den Städten und Dörfern verschwinden. Gerade im ländlichen Raum bedeutet das aber Verlust von flächendeckender Dienstleistung, längere Wege, mehr Mühe, höhere Aufwendungen für Postkunden, vor allem natürlich für die kleinen Leute. In mehreren unserer Nachbardörfer ist es kaum noch möglich, Postleistungen in Anspruch zu nehmen — und nicht alles ist durch die Schaltungen eines Telefonanschlusses zu kompensieren. Das wissen Sie selbst ganz genau. Selbst nach der kurzen Zeit, die ich vor der Konstituierung des Fachausschusses Gelegenheit hatte, mich in die Problematik und in den Haushaltsentwurf einzuarbeiten, muß ich sagen: Der von der Bundesregierung verfolgte Spar- und Privatisierungskurs wird auch im Einzelplan 13 deutlich sichtbar. Die faktisch gegenüber 1994 halbierten Verwaltungseinnahmen sind doch eigentlich nur noch „Resteinnahmen" nach der mit dem Posterneuerungsgesetz eingeläuteten Privatisierungsrunde. Es gehört leider wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß mit der weiteren Privatisierung gegen den Widerstand der Gewerkschaften die nächsten Poststellen und Postämter von der Bildfläche verschwinden werden. Zustellerinnen, Zusteller und Schalterangestellte werden in noch größerer Zahl ihre Arbeitsplätze verlieren. Betrachte ich die im Einzelplan 13 entworfenen Verpflichtungsermächtigungen, argwöhne ich, daß darin auch die Absicht steckt, Post und Telekommunikation in der nächsten Runde für potentielle Käufer noch attraktiver zu machen. Statt durch weitsichtige Reformprojekte und kluge politische Entscheidung Post und Telekommunikation zu effektiven Staatseinnahmequellen zu machen, werden mit dem Blick aufs „schnelle Geld" wichtige Zukunftschancen der Haushaltspolitik verspielt. Außerdem gefährdet dies einen Großteil der 670 000 Arbeitsplätze bei Post und Telekommunikation sowie die Grundversorgung mit Postleistungen für viele Bürgerinnen und Bürger. Leider auch in diesem Zusammenhang hat der Spruch meiner Kalikumpel „Bischofferode ist überall" seine Daseinsberechtigung. Rechnen Sie getrost auch damit, daß die Kolleginnen und Kollegen der Postgewerkschaft und viele von den Beschränkungen Betroffene und selbstverständlich die PDS-Bundestagsgruppe ihren Protest noch lauter machen werden. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU): Der Entwurf zum Bundeshaushaltsplan 1995 und der hier zur Debatte stehende Einzelplan 13 beweisen es allen Unkenrufen und selbsternannten Fachleuten zum Trotz: Es gibt weiterhin ein Postministerium. Und das ist auch gut so, was alle, die sich wirklich mit der Post auskennen, bestätigen werden. In der letzten Legislaturperiode ist es uns gelungen, die rechtlichen Voraussetzungen für die in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland größte Privatisierung staatlicher Unternehmen zu schaffen. Die Aufgabe, die wir uns mit der Postreform II gestellt haben, war es, das Überleben der Postunternehmen auf Dauer zu sichern und gleichzeitig Leben in den Kommunikationsmarkt zu bringen. Meine Kollegen und ich wissen, daß wir uns hier auf einer schwierigen Gratwanderung befinden. Wir müssen in den nächsten Jahren beweisen, daß wir mit Augenmaß, aber auch Mut zwei wichtige Ziele erreichen können, nämlich eine deutliche Steigerung der Produktivität bei den Postunternehmen, um diese wettbewerbsfähig zu machen, und gleichzeitig die schrittweise Liberalisierung, um es insbesondere deutschen Unternehmen zu ermöglichen, in diesem Zukunftsmarkt Fuß zu fassen. Uns geht es darum, mit dem europaweiten Abbau der Monopole neue Arbeitsplätze zu schaffen, den Wirtschaftsstandort Deutschland durch schnellstmögliche Bereitstellung modernster Kommunikationstechnik bei gleichwohl sinkenden Preisen zu fördern und auf der anderen Seite den notwendigen und unvermeidlichen Abbau von Arbeitsplätzen in zukünftig weniger produktiven Bereichen, insbesondere bei den Postunternehmen, sozialverträglich zu gestalten. Das Problem stellt sich uns auch wieder aktuell bei den Ausbildungsplätzen. 512* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 Die Zeit drängt. Wir brauchen schnellstmöglich verläßliche Rahmenbedingungen für eine schrittweise Liberalisierung des Kommunikationsmarktes. Es reicht nicht, über Datenautobahnen zu reden und neue Techniken zu fordern, wie dies die SPD immer wieder tut, sondern wir müssen die Voraussetzungen hierfür gemeinsam schaffen. Die Entwicklung unserer Gesellschaft in eine Kommunikationsgesellschaft erfordert konsequentes Handeln. Am erfolgreichsten werden dabei die Länder sein, die diesen Umbau am schnellsten bewerkstelligen können. Unser Ziel ist es daher nicht, uns in der EU dahintreiben zu lassen und erst zu handeln, wenn es uns andere vorschreiben. Wo sind jetzt die Warner in der SPD, die uns mit markigen Worten Wortbruch vorgeworfen haben, als der Postminister erklärte, das Netzmonopol müsse sinnvollerweise zusammen mit dem Sprachdienstmonopol fallen? Wir haben es geschafft, meine Damen und Herren. Was noch als Ziel in unseren Koalitionsvereinbarungen formuliert ist, konnte kurz darauf unter Vorsitz von Herrn Dr. Bötsch mit den zuständigen Ministern der EU vereinbart werden: die Liberalisierung auch des Netzmonopols bereits zum 1. Januar 1998. Und an dieser Stelle möchte ich auf die pauschale Kritik eingehen, die heute morgen durch Herrn Scharping in dem Vorwurf gipfelte, seitens der Union habe es in letzter Zeit keinerlei Weichenstellungen für eine aktive Beschäftigungspolitik gegeben. Wörtlich sagte Herr Scharping: „Ich kann solche Weichenstellungen in den letzten sechs Monaten nicht erkennen". Sehen Sie, und genau das ist ja Ihr Problem: Sie wollen sie nicht erkennen! Und ich befürchte, daß das bei Herrn Scharping auch so bleiben wird, denn das ist ja das Grundübel in der SPD, daß sie nicht in der Lage ist, zu erkennen, mit welchen Schritten wirklich Beschäftigungspolitik gemacht wird, welche Schritte Arbeitsplätze bringen, welche Ziele in der Europäischen Union hierfür verfolgt werden müssen. Machen Sie endlich die Augen auf, Herr Scharping und SPD, dann werden Sie nicht nur sehen, was wir für den Arbeitsmarkt und für den Wirtschaftsstandort Deutschland in den letzten Monaten getan haben, sondern Sie werden auch vermehrt in der Lage sein, an den zukünftig notwendigen Weichenstellungen mitzuarbeiten und diese nicht immer wieder zu blokkieren. Wir reden von der zukünftigen Kommunikationsgesellschaft, von Multimedia, von Investitionen, in sechsstelliger Milliardenhöhe, von etwa 200 000 neuen Arbeitsplätzen in Europa, kurz: vom größten Wachstumsmarkt, den es gilt, bis zum Jahre 2000 politisch zu gestalten. Ohne Mut zum Umbau und schnellstmögliche Veränderungen wird nicht die deutsche Wirtschaft, sondern die unserer Nachbarn von der Entwicklung profitieren. Zukunftssichere Arbeitsplätze werden nicht bei uns, sondern im Ausland geschaffen werden, und der Wirtschaftsstandort Deutschland wird an Dynamik und Attraktivität verlieren. Die Erfahrung hat gerade erst — etwa im Bereich der Funktelefonnetze — gezeigt, daß mit der Liberalisierung dieses Marktbereiches und des damit einsetzenden Wettbewerbes eine ungeahnte Dynamik beim Einsatz neuer Techniken, vor allem aber auch bei der Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses eingesetzt hat. So wie die SPD damals diese Entwicklung praktisch verschlafen hat, könnte es wieder geschehen, wenn sie glaubt, die Monopole als letzte in der Europäischen Union aufgeben zu können, um damit vermeintlich und in durchaus guter Absicht die Post und vor allem die Telekom zu schützen. Ich möchte die Damen und Herren von der SPD dringend bitten, mit uns gemeinsam einen verantwortungsbewußten Weg der Marktöffnung zu gehen. Wir verlieren sonst auf Dauer Arbeitsplätze in dem größten europäischen Wachstumsmarkt. Machen Sie auch der Postgewerkschaft gegenüber endlich deutlich, daß es nicht die Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik sein kann, unproduktive und überzählige Arbeitsplätze bei den Postunternehmen zu erhalten, wenn hierdurch die Schaffung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen in Deutschland auf Jahre hinaus verzögert wird. Wenn wir 1998 Wettbewerb nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich in den Netzen haben wollen, dann müssen wir der Wirtschaft so schnell wie möglich die entsprechenden notwendigen Investitionen in diesem Bereich ermöglichen. Die Nutzung alternativer Fernmeldenetze muß in bestimmten Bereichen, insbesondere dort, wo innovativste Techniken zum Einsatz kommen, schon in den nächsten Monaten überdacht werden. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß in speziellen Bereichen — sicherlich nicht in der Massenkommunikation —, sondern in Bereichen, in denen die Telekom bestimmte technische Anforderungen der Wirtschaft nicht erfüllen kann, Glasfaserverbindungen schon vor 1998 wirtschaftlich genutzt werden können. Das Ziel der Regulierung muß es sein, den Markt so schnell wie möglich zu öffnen, ohne aber die Wettbewerbsfähigkeit der zukünftig in Aktiengesellschaften umgewandelten Postunternehmen zu beeinträchtigen. Zu den verantwortungsvollen Liberalisierungsschritten zählt sicherlich auch die schrittweise Marktöffnung im Bereich der Massensendungen, der sog. Infopost. Daß wir hier auf dem richtigen Weg sind, beweist die Kritik des Postdienstes, die festgesetzten Gewichtsgrenzen seien viel zu niedrig, genauso wie die Kritik der privaten Beförderungsdienste, die die Gewichtsgrenze für zu hoch halten. Hier gilt der Grundsatz: Wenn alle Beteiligten unzufrieden sind, ist der Kompromiß gelungen. Der neuzubildende Regulierungsrat löst den Infrastrukturrat nicht nur ab, er hat deutlich mehr Kompetenzen, mehr Einflußmöglichkeiten und damit auch mehr Verantwortung zu tragen. Den drei Postunternehmen möchte ich von dieser Stelle aus dazu gratulieren, daß sie die außerordentlich schwierige Umstellungsphase bisher durchaus gut bewältigt haben. Alle Unternehmen haben wesentliche Schritte zur Steigerung ihrer Produktivi- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 513* tät eingeleitet und verfolgen konsequent den Einsatz moderner Techniken. Daß dabei nicht immer alles glatt läuft, hat die Postbank schmerzlich erfahren müssen, indem sie um mehrere Millionen D-Mark betrogen worden ist. Hier in übertriebene Schadenfreude zu verfallen, halte ich jedoch für nicht angemessen. In jedem technischen System gibt es immer wieder Möglichkeiten des Mißbrauchs, die versierte Kriminelle für sich ausnutzen können. Zudem mußten in letzter Zeit auch deutsche Großbanken aufgrund sehr viel größerer Versäumnisse einen sehr viel größeren Schaden verkraften. Technische Lücken machen sich derzeit leider auch bei der Telekom außerordentlich negativ bemerkbar, da immer deutlicher wird, daß das Telefonnetz auf verschiedene Arten manipulierbar ist. Mit der Einführung der sog. Mehrwertdienste, bei denen also ein Teil der Einnahmen aus den geführten Gesprächen an Service-Anbieter vom Wetterdienst bis zum ErotikTelefon abgeführt wird, wurde dieser Bereich auch für Kriminelle interessant. Auf diese Entwicklung hat die Telekom meiner Auffassung nach leider erst sehr spät reagiert. Von der wachsenden Anzahl der Beschwerden fast ungerührt, hat sie zwar ihre Leitungen in vielen Fällen auf technische Fehler hin überprüft, dies aber immer mit dem Bewußtsein, daß die Beweislast dann, wenn sie halt keine Fehler fand, zu Lasten der Kunden umgekehrt wurde. Dies war für die Telekom außerordentlich bequem und hat lange Zeit eine intensivere, systematische Ursachenforschung für sich häufende Unstimmigkeiten bei den Abrechnungen verzögert. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln sind gerade angelaufen, und es ist sicherlich noch zu früh, hier eine Bewertung vorzunehmen. Nach derzeitigem Stand der Dinge steht als Geschädigte allein die Telekom selbst fest. Ich kann nur hoffen, daß sich nicht Befürchtungen bewahrheiten, wonach auch private Kunden Opfer von derartigen kriminellen Machenschaften geworden sind. Zumindest jetzt hat die Telekom jedoch schnell reagiert: Auffällige Rechnungen werden nochmals von Spezialisten geprüft, die Betriebssicherungen sind verstärkt worden, und neue technische Möglichkeiten, die ein Aufschalten auf die Leitungen zwischen Kunden und Vermittlungsstellen verhindern sollen, werden geprüft. Die Telekom will darüber hinaus detaillierte Telefonrechnungen kostenlos anbieten, sobald die technischen Möglichkeiten hierfür bundesweit gegeben sind. Zur Zeit liegt der Telekom ein gerade fertiggestelltes Gutachten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik vor — und damit die erste objektive und unabhängige Untersuchung zur Feststellung möglicher Fehlerquellen bei der Erfassung und Berechnung von Telefonentgelten. Schließlich prüft die Telekom zusammen mit dem TÜV Rheinland das Gerät eines Schweizer Herstellers, mit dem kriminelle Aufschaltungen und technische Fehler im Netz der Telekom festgestellt werden können. Eine solche Untersuchung führt derzeit auch die Stiftung Warentest durch — mit dem Ergebnis wird im Frühjahr zu rechnen sein. So erfreulich wie es ist, daß die Telekom nun nachdrücklich zunehmende technische Mißbrauchsmöglichkeiten bekämpft, so machen die Vorfälle doch deutlich, daß eine Beweislastumkehr zu Lasten des Kunden zumindest dann problematisch ist, wenn die Umstände des Einzelfalles so ungewöhnlich sind, daß trotz erfolgloser Fehlersuche noch Zweifel an der Richtigkeit von Rechnungen gegeben sind. Die Telekom wird gut daran tun, sich dieser außergewöhnlichen Zweifelsfälle selbst anzunehmen und, wenn Rechnungsbeträge absolut unplausibel sind, entsprechende Forderungen nicht mittels der Gerichte einzutreiben. Das Unternehmen Telekom steht zur Zeit wirtschaftlich unter einem enormen Druck, der sich in der Zukunft noch erhöhen wird. Neben den gut vorankommenden Aufbauleistungen in den neuen Ländern wird die Telekom, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben will, zusätzliche Milliarden im Bereich Multimedia investieren müssen. Hinzu kommen die notwendigen Strategischen Allianzen mit ausländischen Unternehmen und vielfältige kapitalintensive Beteiligungen beim Aufbau neuer Kommunikationsnetze, insbesondere in Osteuropa. All diese Aufgaben müssen von der Telekom praktisch gleichzeitig bewältigt werden, wenn das weltweit drittgröße Kommunikationsunternehmen auch zukünftig einen der führenden Plätze halten will. Der hierfür erforderliche gewaltige Kapitalbedarf kann nur durch einen gut vorbereiteten internationalen Börsengang befriedigt werden. Hierfür hat der Minister — wie ich meine bestmögliche Voraussetzungen geschaffen. Dort, wo Wettbewerb herrscht, werden Kräfte freigesetzt, die — und dies ist halt das Schicksal von Monopolisten — vorher offensichtlich brach lagen. Genau dies beobachten kluge Anleger mit Argusaugen, und es ist geradezu widersinnig, zu glauben, daß jemand sozusagen einen Monopolisten im Sack kauft. Auch für die Telekom wäre es äußerst nachteilig, wenn es uns nicht gelänge, noch im Jahre 1996 alle wesentlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für die spätere Marktöffnung zu schaffen. Ich befürworte daher — und möchte auch hierfür werben — eine möglichst zügige Liberalisierung in überschaubaren und für alle Beteiligten gut kalkulierbaren Schritten, was die wirtschaftlichen Auswirkungen angeht. Im Grundsatz gilt das gleiche auch für den Postdienst. Es muß jedoch klar gesagt werden, daß die Infrastrukturlasten größer sind, ein Wachstumsmarkt wie im Bereich der Telekommunikation zumindest in dieser Größenordnung nicht vorhanden ist und Produktivitätssteigerungen immer mit einem ungleich höheren Verlust von Arbeitsplätzen verbunden sind. Wir werden daher sehr behutsam vorzugehen haben. Der Postdienst ist auf dem besten Wege, auch seine Kostenstrukturen soweit in den Griff zu kriegen, daß es privaten Anbietern auch in einem liberalisierten Markt nicht leichtfallen wird, ein wesentlich besseres Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten. Ich bin außerordentlich gespannt, wie sich der Markt im Bereich der Infopost entwickeln wird, wenn aufgrund der jetzt 514* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 veröffentlichten Lizenz ab dem 1. Januar 1995 private Anbieter Infopost ab 250 Gramm Gewicht transportieren dürfen. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum Thema Schließung von Postämtern: Ich halte es für ganz wichtig und zukünftig für dringend erforderlich, daß hier eine bessere Abstimmung mit den betroffenen Gemeinden erfolgt. Dies setzt aber zwingend voraus, daß die Städte und Gemeinden auch die Regelungen anerkennen, die dem Postdienst eine wirtschaftlich vertretbare Weiterführung seines riesigen Filialnetzes erlaubt. Das Agenturmodell ist für mich die ganz logische Konsequenz einer ständig fortschreitenden geringeren Auslastung der Postämter. Lassen Sie mich nun noch einen Gedanken zur gerade im Aufbau befindlichen Bundesanstalt für Post und Telekommunikation, der sog. Holding, anstellen: Ich möchte hier eindringlich mahnen. Ich habe die Befürchtung, daß manch einer versuchen wird, die Konstruktion der Holding, die wir in den Verhandlungen zur Postreform II immer bekämpft haben, nun zu einer großen, auf Dauer angelegten zusätzlichen Behörde aufzublähen. Die Aufgaben der Holding erschöpfen sich im wesentlichen in Verwaltungs- und Beratungsfunktionen, die weder eine hochdotierte Führungsspitze noch einen großen Stab von hochbezahlten Beamten erforderlich machen. Gerade in der Aufbauphase sollte versucht werden, mit der geringstmöglichen Personalausstattung eine straffe Organisation aufzubauen, in der insbesondere Doppelarbeiten und Doppelzuständigkeiten vermieden werden. Die Bundesanstalt nimmt im wesentlichen soziale Aufgaben für die Beschäftigten der Postunternehmen wahr und soll nicht der Versorgung von Politikern und Beamten dienen.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Bindig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, verehrter Herr Scharping, dann würde ich mir weniger Sorgen um die F.D.P. machen, sondern würde einmal überlegen: Was treiben eigentlich die Sozialdemokraten mit Ihnen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Scharping, ich sage das ohne Häme,


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und F.D.P. — Lachen bei der SPD)

    — warten Sie erst einmal den nächsten Satz ab, und dann werden Sie sehen, daß das so ist —, denn auch ich war Oppositionsführer. Bei mir kamen die Anrufe nicht aus Hannover, sondern aus München. Aber ich weiß, was das heißt.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich weiß, wie das ist, wenn Hintergrundgespräche geführt werden. Einer hat sogar einen guten Koch dafür eingestellt.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Da wird unter „Vertraulich" davon gesprochen, was es alles gibt, z. B. den Erosionsprozeß. Ich will das alles nicht aufwärmen. Ich empfinde hierbei wirklich keine Häme, denn ich habe das jahrelang selbst erlebt und erlitten. Aber irgendwann war ich auf einem anderen Stuhl. Diese Hoffnung will ich Ihnen ja nicht nehmen; das füge ich hinzu.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie Ihre Zukunftssorgen über Weihnachten verschwinden.

    (Zuruf von der SPD: Rheinland-Pfalz!)

    — Über Rheinland-Pfalz würde ich mit dem Herrn Scharping gar nicht reden; denn er war nur drei Jahre da. Dann ist er weggegangen. Das respektiere ich. Aber dann hat sein Nachfolger die Regierung so umgekrempelt, daß deutlich wurde, daß Herrn Scharpings Regierung nicht viel getaugt hat.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

    Über Rheinland-Pfalz können Sie mit mir wirklich nicht gut diskutieren.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, so ist das.


    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie sind doch ein dauerhafter Umkrempler, was die Regierung anbetrifft! Schauen Sie sich den umgekrempelten Haufen an! — Zurufe von der SPD)

    Lassen Sie Ihre Sorgen um die F.D.P. Die F.D.P. hat jetzt eine schwierige Zeit.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein einziger Krempel!)

    Auch wir haben schwierige Zeiten gehabt. Sie haben sie immer noch. So muß jeder vor seiner Tür kehren. Und die werden das schaffen.
    Wissen Sie, ich habe über Jahrzehnte erlebt, wie für die F.D.P. die Totenglocke geläutet wurde. Dann ist sie doch immer wiedergekommen. Wie ich Sie in der Sozialdemokratie kenne, würden Sie ja kniefällig die F.D.P. bitten, zu Ihnen zu kommen, wenn sie nur käme. Das ist doch die Erfahrung.

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann, Herr Scharping — das muß ich doch auch noch sagen —,

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was machen wir, wenn da nichts mehr kommt? — Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon Mund-zu-Mund-Beatmung, was Sie da treiben!)

    haben Sie sich über die Kritik des Europäischen Parlaments gefreut.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kommt da noch etwas, Herr Solms, oder kommt da nichts mehr?)

    Sie waren ganz erstaunt, daß mich diese Kritik nicht sonderlich berührt hat. Warum nicht? Sie müssen einmal lesen, was da gesagt wurde. Da sind eine Menge Redner aufgetaucht — an der Spitze die Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament —, die zunächst einmal parteipolitisch operiert haben. Das finde ich ganz normal, daß die Sprecherin der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament nicht sagt, der deutsche Bundeskanzler sei der Größte. Da hat sie recht. Das glaube ich ja selber nicht. Warum soll sie es glauben?

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Aber, wissen Sie — ich sage das jetzt überhaupt nicht parteipolitisch —, mich hat gestern etwas anderes betroffen gemacht, Herr Scharping. Ich habe gestern alle Reden aufmerksam gehört, aber kaum einer der Kollegen im Europäischen Parlament hat ein Wort dafür gefunden, was es für eine Stunde gewesen ist, daß die Mittel- und Osteuropäer jetzt auf dem Weg sind, zu uns zu kommen. Dies hat mich tief berührt.

    (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])

    420 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994
    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Ich habe fast dauernd gehört, daß man für den Süden Europas mehr Geld geben muß und daß ich als Bundeskanzler der Bundesrepublik dabei zuwenig tue. Aber daß die Polen, die Tschechen, die Slowaken, die Rumänen, die Bulgaren und die Ungarn unsere europäischen Brüder sind, wie ich es dort formuliert habe, und daß doch andere, die die Chance hatten, sich 40 Jahre in Freiheit zu entwickeln, jetzt einmal einen Moment zurückstehen müssen, damit die anderen zu ihrem europäischen Recht kommen, dieser Gedanke wurde kaum offenbar,

    (Zuruf von der SPD: Sie schreiben doch ungedeckte Schecks aus!)

    und das hat mich betroffen gemacht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich war ebenfalls verwundert darüber, wie schwach diese Plenarsitzung besucht war. Das sage ich als Parteivorsitzender auch an die Adresse meiner eigenen politischen Freunde. Es geht hier auch um die Frage der vielbeschworenen Bürgernähe. Wenn schon über die Zukunft Europas diskutiert wird und weniger als ein Sechstel der Abgeordneten anwesend sind, dann ist das natürlich kein eindrucksvolles Zeichen von Engagement.
    Ich könnte noch ein paar solcher Bemerkungen machen. Das hat nichts mit verletzter Eitelkeit zu tun. Ich tue das, was ich für richtig halte. Meine Haltung wird sich auch nicht ändern. Ich weiß, daß die deutsche Einheit und die europäische Einigung zwei Seiten derselben Medaille sind, und,

    (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sehr wahr!)

    Herr Fischer, ich weiß, daß diese Grundfestlegung unserer Politik irreversibel ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und F.D.P.)

    Dann sollte man doch auch nicht versuchen, in Diskussionen — auch über nachdenkliche Äußerungen — etwas hineinzuinterpretieren, was dort nicht gesagt wurde.
    Wenn ich es richtig verstanden habe — das hat mich gefreut —, wollen Sie eine Art Besitzstandsgarantie geben, daß ich hier sitzen bleibe; denn Sie haben ja für meinen Nachfolger hier schon kritische Anmerkungen gemacht.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Mit der Besitzstandsgarantie sind wir einverstanden, Herr Bundeskanzler!)

    — Ja, aber das ist wieder das, was ich nicht will.
    Aber, meine Damen und Herren, eines möchte ich doch gern gesagt haben — Herr Scharping, Sie haben das so abgetan, als der Herr Lamers darauf hinwies —: Zu all diesen Themen müßten Sie doch erstklassige Informationen als Vorsitz ender der europäischen Sozialdemokraten haben. Ihre Schwesterpartei ist in der Türkei an der Regierung. Ich hätte gern einmal von Ihnen gehört, was Sie eigentlich auf Parteiebene mit der türkischen Seite besprochen haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der PDS — Rudolf Bindig [SPD]: Sehr viel!)

    Wissen Sie, ich frage mich schon, was Sie mich gefragt hätten, wenn eine Schwesterpartei der CDU dort in der Regierung gewesen wäre.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr! — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr! Heuchelei!)

    Ich möchte jetzt noch einmal etwas zum Europäischen Rat in Essen sagen. Wir haben in Essen eine Menge erreicht. Wir haben vieles nicht erreicht. Das war doch auf allen Euro-Gipfeln so. Aber ein paar Sachen sollten Sie doch einfach einmal anerkennen.
    Bevor die deutsche Präsidentschaft überhaupt begann, haben wir, die Deutschen, und ganz besonders unser Außenminister, Klaus Kinkel, mit großem persönlichem Einsatz erreicht, daß den Schweden, den Finnen, den Norwegern und den Österreichern die Tür zur Europäischen Union geöffnet wurde. Wir bedauern zutiefst, daß Norwegen jetzt doch nicht beitritt. Wir bleiben dabei: Das Tor für Norwegen steht weit offen. Ich hoffe auf eine dritte Abstimmung, die dann eine andere Entscheidung bringt.
    Wenn Sie mit der norwegischen Kollegin, mit dem schwedischen Kollegen, mit dem Präsidenten Finnlands oder mit Herrn Vranitzky sprechen, dann werden Sie übereinstimmend eine Laudatio auf den Einsatz der Deutschen mit Blick auf die Erweiterung durch diese vier Länder zu hören bekommen. Warum sagen Sie das nicht einmal? Das ist doch eine gute Sache.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Glauben Sie mir — ich war ja lange Oppositionsführer —: Wenn Sie zwischendurch einmal etwas Positives sagen, dann kommen Sie viel besser raus,

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    als wenn Sie das tun, was zwischen den Pressestellen der Fraktionen üblich ist. Auch wir haben das alles gemacht. Wenn die Regierung Schmidt etwas gesagt hat, dann haben wir durch unsere Pressestelle gesagt: Mit Abscheu und Empörung lehnen wir das ab.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Heute machen Sie das umgekehrt. Der neben Ihnen sitzende parlamentarische Geschäftsführer liest das schon gar nicht mehr, was er vorher abgegeben hat. So läuft das ab.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bin dafür, daß wir hier in der Debatte sagen, was Gutes in Essen herausgekommen ist. Ich muß Ihnen wirklich sagen: Die Erweiterung ist eine große Sache, gerade für die Deutschen. Ich bin für alles zu haben, was Südeuropa betrifft. Aber nicht nur das Mittelmeer ist ein europäisches Meer, sondern auch die Nordsee und die Ostsee sind europäische Meere.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Unsere Kollegen müssen sich daran gewöhnen, daß wir beides vertreten. Für mich ist es jedenfalls eine
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 421
    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    großartige Sache gewesen, als die Kollegen aus den sechs Ländern zum ersten Mal zu einem Europäischen Rat kamen. Man hat an ihren Äußerungen und auch an ihrem ganzen Auftreten erkennen können, daß das für Europa eine historische Stunde gewesen ist.
    Natürlich gibt es unendliche Schwierigkeiten. Es gab vorhin die intelligente Frage: Wie gestaltet ihr denn die europäische Agrarpolitik? Da kann ich Ihnen nur sagen: Ich habe da kein Patentrezept. Heute nacht nach 12 Uhr hat der Kollege Borchert mich aus dem Ministerrat angerufen. Es war nicht polnische, sondern westeuropäische Agrarpolitik, über die da diskutiert wurde. Der Weg nach Europa geht doch nicht über Patentrezepte. Schritt für Schritt, an manchen Tagen zentimeterweise, sind wir vorangekommen. Aber wir sind doch vorangekommen, und der Prozeß ist irreversibel.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P)

    Es ist doch unübersehbar, daß dieses Europa auch im ökonomischen Bereich gewaltige positive Wirkungen hat, daß wir einen erheblichen Aufschwung quer durch Europa haben und daß sich viele nationale Volkswirtschaften ohne die strengen Anforderungen der Maastricht-Kriterien gar nicht in Richtung Stabilität und Konsolidierung bewegen würden.

    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!)

    Aber wir können doch nicht erwarten, daß das alles über Nacht geht. Mittlerweile wird praktisch von jedem europäischen Gipfel verlangt, daß wir grundlegend Neues beschließen. Der modische Europessimismus hat viel mit solchen überzogenen und deshalb unerfüllbaren Erwartungen zu tun. Das ist doch absurd. Das erwartet doch auch niemand in der Kommunalpolitik, der Landespolitik und der Bundespolitik. Wir haben hier wirklich Schritt für Schritt voranzugehen.
    Der Gipfel in Essen hat doch, wie ich finde, auch im Blick auf die Arbeitslosigkeitsbekämpfung eine Menge ausgezeichneter Vorschläge gemacht, übrigens auch in voller Übereinstimmung mit Jacques Delors. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen — wenn ich das hier einmal sagen darf —, ich habe mir nie den Ausspruch meines Vorgängers Helmut Schmidt zu eigen gemacht, die Deutschen dürfen nicht die Zahlmeister Europas sein. Es war jetzt in Essen wiederum ein Thema, daß wir einmal darauf hinweisen — und dies ist legitim —, daß wir jetzt 11 450 000 000 ECU zahlen und daß andere, die zahlungskräftig sind, eigentlich mehr beitragen müßten, als sie es gegenwärtig tun. Ich will nicht weniger zahlen, aber ich will, daß andere künftig mehr zahlen, damit denen geholfen werden kann, die Hilfe brauchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die ganze Liste der Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entspricht dem Weißbuch von Jacques Delors. Sie enthält vor allem die Verpflichtung, daß jedes Land seine Hausaufgaben macht. Wir bekommen doch nicht die Jugendarbeitslosigkeit in Europa weg — um einmal ein Beispiel zu nennen, bei dem wir Deutschen im Vergleich mit anderen hervorragend dastehen —, wenn man nicht auch in anderen Ländern versucht, beispielsweise neue Ausbildungssysteme aufzubauen. Neben Luxemburg und Japan haben wir die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit unter allen Industrienationen. Das ist doch ein Ergebnis, das wir primär unserem dualen System verdanken, das sich seit vielen Jahrzehnten in Deutschland hervorragend bewährt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich bin ganz sicher: Wenn einige meiner Kollegen
    — in diesem Fall spreche ich auch eine Kollegin an, die vor über zehn Jahren noch am Tisch saß — damit begonnen hätten, ein vergleichbares System aufzubauen wären sie in dieser Frage weitergekommen. Ich denke, wir haben hier die Chance, uns gegenseitig mit Ratschlägen zu helfen. Dazu sind wir gerne bereit.
    Alles das, was wir in unserer großen Debatte vor drei Wochen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und unserer Exportchancen sowie zur Sicherung der Zukunft gesagt haben, gilt auch für die benachbarten europäischen Länder. Ich finde beispielsweise, daß es eine hervorragende Sache ist, was wir jetzt zum Aufbau von transeuropäischen Netzen für Verkehr, Energie und Information beschlossen haben. Die Hochgeschwindigkeitszug-Regelungen sind vernünftig. Es geht um eine Zukunftsinvestition. Es ist eine europäische Investition sondergleichen, wenn wir von London über Paris, über Mannheim oder Karlsruhe
    — je nach der Linienführung — nach Berlin und Warschau und später nach Moskau eine solche Verbindung bauen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da fährt er aber einen Umweg!)

    Hier wurde vorhin von Remilitarisierung gesprochen. Die Bahnführung, von der ich jetzt rede, ist in besonderer Weise Symbol für eine friedliche Zukunft auf unserem Kontinent. Ist eine solche Verbindung etwa keine großartige Vision? Ich habe keinen Grund zu irgendeiner Form von Euroskeptizismus.
    Jetzt zum Thema Europol. Meine Damen und Herren, warum wenden Sie sich an mich? Ich habe diese Sache schon vor sechs Jahren durchzusetzen versucht, und zwar als erster. Ich habe auf dem EG-Gipfel auf Kreta den Fehler begangen, von einem „europäischen FBI" zu reden. Das hat bei einigen unserer Freunde sofort eine große Reserviertheit hervorgerufen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist klar!)

    Heute sage ich ganz klar: Wir werden in Europa der Kriminalität modernster Form — ich nenne nur Drogenmafia und Nuklearschmuggel — nicht Herr werden, wenn wir uns darüber streiten, ob ein Kriminalbeamter an der Grenze haltmachen muß oder ob er
    — im Einvernehmen mit dem betreffenden Land — die Verfolgung noch dreißig Kilometer auf dem Boden eines Nachbarstaats fortsetzen darf. — Sie können die Arme hochreißen, Frau Matthäus-Maier. Das müssen Sie aber anderen sagen. Wir sind die Vorkämpfer in dieser Sache.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Darüber haben wir doch abgestimmt! Maastricht! Das haben wir doch im Bundestag beschlossen!)

    422 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994
    Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
    Herr Scharping, setzen Sie einmal diesen Punkt auf die Tagesordnung der Sozialisten in Europa! Sagen Sie Ihren Kollegen: Dieses Thema ist überfällig! Aber Sie können nicht die Bundesregierung dazu bringen wollen, andere zu zwingen.
    Nein, ich bin nach schwierigen Verhandlungen über fünf Jahre stolz darauf, daß wir eine verbindliche Erklärung der französischen Regierung, des Präsidenten der Republik und des Premierministers bekommen haben, daß Anfang Juni 1995 diese Sache abgeschlossen wird. Wie schwer das jedoch ist, will ich Ihnen an Hand einer Erfahrung aus Bonn berichten.
    Vor etwa vier Wochen hatten wir eine Besprechung mit den Abgeordneten der Europaausschüsse der nationalen Parlamente. Einige von Ihnen waren dabei. Ich habe mich vor diesem Forum leidenschaftlich für Europol eingesetzt. Am nächsten Morgen habe ich zu meinem Erstaunen gelesen, daß eine große Mehrheit der Abgeordneten in den Europaausschüssen der nationalen Parlamente Europol abgelehnt hat. Also: Es ist nicht allein die Sache der Regierungen, sondern es ist offenkundig so, daß ein gewisser Reifeprozeß auch in den Parlamenten stattfinden muß. Dieser ist jetzt langsam, aber sicher vorangekommen.
    Mit einem Wort, meine Damen und Herren: Uns geht es nicht um den Ruhm, daß wir in Essen einen weltbewegenden Kongreß abgehalten haben. Uns geht es darum, zu keiner Minute zu vergessen: Was ist unser Ziel? Unser Ziel ist, ein vereintes Europa zu bauen, das in den Stürmen der Zeit wetterfest ist, dessen Entwicklung irreversibel ist und in dem die Deutschen ihre feste Bleibe haben. Fünfzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg soll jeder erkennen: Wir Deutschen haben die Lektionen der Geschichte gelernt.
    Meine Bitte an alle, was immer man im einzelnen parteipolitisch denken mag, ist, daß wir die Sache Europa nicht zerreden, sondern diese Vision Wirklichkeit werden lassen.

    (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günter Verheugen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Günter Verheugen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Selbstsicherheit, Herr Bundeskanzler, die Sie uns hier gerade vorgespielt haben, kann es nicht so weit her sein, denn sonst hätten Sie es nicht für erforderlich gehalten, in eine Debatte einzugreifen, in die Sie eigentlich gar nicht eingreifen wollten. Es muß Sie doch einiges, was heute morgen gesagt worden ist, nervös gemacht haben. Und nervös, verehrter Herr Bundeskanzler, sind Sie bei dieser Rede gewesen.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    Was haben Sie getan? Sie haben Witzchen gemacht und uns ein bißchen Kabarett vorgespielt, da, wo es nicht um politische Substanz geht. Und da, wo es um politische Sachfragen geht, Herr Bundeskanzler, sind
    Sie ausfallend oder ausweichend geworden. Jedenfalls haben wir keine Klarheit von Ihnen bekommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich möchte Sie gerne einmal Anteil haben lassen an den Vorteilen, die sich ergeben, wenn man über einen reichen Schatz an politischen Erfahrungen auf den Seiten dieses Hauses verfügt, und Sie an das Jahr 1982 erinnern, an das Stichwort Vertrauensfrage. Im März 1982 hat die F.D.P.-Bundestagsfraktion einstimmig der damals vom Bundeskanzler gestellten Vertrauensfrage zugestimmt. Ein halbes Jahr später hat dieselbe Bundestagsfraktion diesen Bundeskanzler gestürzt.
    Ich sage das nur zur Erinnerung an den Wert von Vertrauensfragen, Herr Bundeskanzler! Sie werden noch daran denken.

    (Beifall bei der SPD Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Das ist Ihr schlechtes Gewissen!)

    Ich nehme auch etwas ernster als Sie, was die Fähigkeiten des Bundesaußenministers angeht, sein Amt noch so zu versehen, daß es den Interessen der Bundesrepublik Deutschland nützt. Es kann uns niemand erzählen, daß ein Außenminister, der von seiner eigenen Partei in der Weise vorgeführt wird, wie das am Wochenende geschehen ist, im Ausland noch so ernst genommen wird, wie ein deutscher Außenminister ernst genommen werden muß.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren von der F.D.P., Sie hätten es sich in Gera überlegen müssen, wie Sie mit demjenigen umgehen, der unser Land draußen vertritt.
    Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, gesagt, die Richtlinien der Politik haben immer Sie bestimmt, Sie wollen das auch weiter tun. Ich nehme politisierende Generäle offenbar ein bißchen ernster als Sie. Da das nicht das erste Mal war, sondern da wir eine ganze Serie von sicherheits- und außenpolitischen Festlegungen durch den Generalinspekteur der Bundeswehr erlebt haben, muß ich die Frage stellen: Wo ist dann eigentlich der Verteidigungsminister?

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Abgetaucht!)

    Ist es nicht Sache des Verteidigungsministers, die grundlegenden sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragestellungen aufzuwerfen und die Antworten zu geben? Ist das Sache des Generalinspekteurs?
    Die Frage, die sich hier stellt, ist die: Wenn Sie die Richtlinien bestimmen, was haben Sie für Richtlinien hinsichtlich der Sicherheitspolitik, hinsichtlich der Verteidigungspolitik gegeben? Erkennen kann man sie jedenfalls nicht. Man kann sie auch nicht erkennen in der Auseinandersetzung zwischen dem Außenminister und dem Verteidigungsminister in nahezu allen wichtigen Fragen, die unsere Sicherheit betreffen.
    Unsere Außenpolitik ist nicht etwa klar und eindeutig. Die deutsche Außenpolitik ist in den letzten
    Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994 423
    Günter Verheugen
    Monaten ins Schleudern geraten, Herr Bundeskanzler, und ich will Ihnen die Beispiele sagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie schleudern in der Frage der Erweiterung der Europäischen Union. Darüber gibt es doch keinen Zweifel in diesem Haus, daß wir diese Erweiterung wollen. Es ist doch nicht das Verdienst der Bundesregierung, wenn Finnland, Österreich und Schweden jetzt der Europäischen Union beitreten; dafür haben wir alle zusammen unseren Beitrag gebracht,

    (Beifall bei der SPD)

    vor allen Dingen aber die von Ihnen in Ihrer Rede mehrfach geschmähten europäischen Sozialdemokraten. Wo wären Sie denn hingekommen in Finnland, in Schweden und in Österreich ohne die Position der sozialdemokratischen Parteien?

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie sich dort auf Ihre konservativen Freunde hätten verlassen wollen, dann hätten wir die heute nicht in der Europäischen Union. Da dürfen Sie aber sicher sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben gemeinsam den Maastrichter Vertrag ratifiziert. Wir haben Ihnen über diese Hürde geholfen, Herr Bundeskanzler; das wissen Sie ganz genau. Darum erwarten wir auch, von Ihnen in der Frage Maastricht II, wie es jetzt mit Europa weitergeht, etwas mehr zu hören als die wolkigen Sprüche, die Sie eben gemacht haben. Die Frage ist doch nicht: Wollen wir, daß Europa erweitert wird? Natürlich wollen wir das, jeder hier will das. Die Frage heißt doch vielmehr: Wie wird diese Europäische Union überhaupt nach Osten erweiterungsfähig? Denn in ihrem jetzigen Zustand ist sie es doch nicht!

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe doch nicht ohne Grund eben die Frage nach der Zukunft der europäischen Agrarpolitik gestellt. Bringen Sie doch einmal Polen und Ungarn in die Europäische Union herein, Herr Kollege Lamers, mit der Landwirtschaftspolitik, die die Europäische Union zur Zeit betreibt! Das ist doch der Punkt.

    (Beifall bei der SPD)

    Kommen Sie zur Sache! Flüchten Sie sich nicht in allgemeine wolkige Überlegungen und irgendwelche Papiere, die angeblich in Europa ein Echo hervorrufen, Herr Lamers! Wir haben schon gemerkt, was für ein Echo das hervorgerufen hat. Wie Donnerhall nämlich war dieses Echo auf Ihr Papier.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Sozialdemokratie hat nicht die Position vertreten, daß da aus der deutschen CDU heraus ein europafeindliches Papier entstanden ist. Vielmehr waren es unsere europäischen Nachbarn, die gesagt haben: Die Deutschen sind gerade die letzten, die sich dafür einsetzen sollten, daß das Prinzip der Gleichheit der europäischen Partner innerhalb der Europäischen Union aufgegeben wird. Genau das haben Sie nämlich getan.

    (Beifall bei der SPD)

    Wo, Herr Bundeskanzler, ist denn Ihre Richtlinie zur Zukunft der NATO und ihrer Ausdehnung nach Osten? Bis heute gibt es in diesem Punkt immer noch keine Klarheit. In dieser Debatte hätten wir wohl von Ihnen und vom Außenminister ein Wort der Erklärung verdient, was sich auf der NATO-Konferenz in Brüssel abgespielt hat.

    (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: So ist es!)

    In welchem Zustand befindet sich eigentlich die Allianz? Wie tief sind die Risse eigentlich, von denen wir täglich hören und lesen? Aber Sie halten es nicht für notwendig, dem Deutschen Bundestag etwas über den Zustand dieser Allianz zu sagen.

    (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das war gestern im Ausschuß Thema!)

    Ich sage Ihnen aus unserer Sicht: Die NATO ist der wichtige Sicherheitsanker in Europa. Darüber, wie dies gesehen wird, gibt es in diesem Haus deutliche Unterschiede. Für uns muß die NATO diese Funktion auch in Zukunft erfüllen. Für uns gelten die Bündnisverpflichtungen. Aber weil wir das Bündnis so ernst nehmen und weil wir es für so wichtig halten, muß es doch jeden mit großer Besorgnis erfüllen, wenn heute in der Frage, wie wir uns im ehemaligen Jugoslawien verhalten sollen, so tiefe Risse innerhalb des Bündnisses sichtbar werden. Die Frage ist notwendig: Was haben Sie, Herr Bundeskanzler, was hat Ihre Regierung getan, um diese Risse zu überwinden?

    (Beifall bei der SPD)

    Zur Frage Bosnien will ich Ihnen eines sagen: Der Bundestag hat, was die militärischen Einsätze angeht, Rechte. Diese haben wir vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten. Ich möchte Sie ausdrücklich davor warnen, durch den Konsultationsprozeß mit der NATO eine Situation herbeizuführen, die den Deutschen Bundestag hinterher vor eine vollendete Tatsache stellt, so daß wir am Ende nur noch entscheiden dürfen und entscheiden können: Schaden wir dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Bündnis, oder müssen wir zähneknirschend das mitmachen, was die Regierung vorgegeben hat, ohne die verfassungsmäßigen Rechte des Parlaments zu beachten? Das heißt, auch das, was Sie mit der NATO in ihrem Planungsprozeß konsultieren, muß Bestandteil des Dialogs mit dem Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen sein. Wir bieten es ausdrücklich an, diesen Dialog zu führen. Aber es reicht nicht aus, wenn Sie von Zeit zu Zeit jemanden schicken, der über das informiert, was die NATO irgendwo geschrieben hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Das reicht nicht; das muß dann schon eine echte Konsultation sein.
    Bringen Sie einmal ein bißchen Ordnung in Ihren Betrieb! So kann es ja nun auch nicht weitergehen. Zuerst lesen wir, daß der NATO-Oberbefehlshaber Europa Kontingente angefordert hat. Das bestätigen der Außenminister und der Verteidigungsminister. Dann führen Sie eine muntere Debatte darüber, was man daraus machen soll, und anschließend ziehen Sie plötzlich einen Brief des NATO-Generalsekretärs aus
    424 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 9. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. Dezember 1994
    Günter Verheugen
    der Tasche, in dem steht, daß das alles gar nicht stimmt. Daß man das nicht eine klare, konsistente Außenpolitik nennen kann, sondern daß diese Außenpolitik von der Verlegenheit des Tages bestimmt ist und der die Konzeption fehlt, können Sie nicht bestreiten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ein Letztes. Sie haben das Wort von der „moralischen Verpflichtung gegenüber unseren Freunden" gebraucht. Das sehen wir ganz genauso. Gerade weil wir diese moralische Verpflichtung haben, bin ich der Meinung, daß wir als Deutsche sehr, sehr zurückhaltend sein sollten mit Ratschlägen, wie sich andere, die sich in Bosnien engagieren, verhalten sollen. Wir sollten da sehr, sehr zurückhaltend sein.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wir sollten statt dessen die Frage stellen: Gibt es nicht Möglichkeiten, den Vereinten Nationen bei dem zu helfen, was not tut, nämlich eine stärkere, eine wirkungsvollere Präsenz von Friedenstruppen herzustellen? Wir sollten uns darauf verständigen, endlich aufzuhören, durch Fernsehtalkshows zu laufen

    (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das sagt er!)

    und überall zu jammern, wie sehr die UNO, die Europäische Union oder die NATO im ehemaligen Jugoslawien versagt hat. Die Wahrheit ist, daß die UNO im ehemaligen Jugoslawien eben nicht versagt hat. Die Leistungen, die die Blauhelmsoldaten in den letzten drei Jahren dort vollbracht haben, haben Hunderttausende von Frauen, Männern und Kindern vor dem Hungertod bewahrt und ihnen das Leben gerettet.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Das verdient anerkannt zu werden. Es ist eben nicht richtig, vom Versagen zu sprechen.
    Wenn es darum geht, ob wir etwas tun können, um zu helfen, dann wiederhole ich den Vorschlag, den wir schon einmal gemacht haben: Wenn wir schon nicht im ehemaligen Jugoslawien mit Soldaten präsent sein können — diese Meinung teile ich ja —, können wir aber an anderen Stellen, wo die Vereinten Nationen friedenserhaltende Operationen durchführen, präsent sein, die Vereinten Nationen dort entlasten und sie dann in die Lage versetzen, im ehemaligen Jugoslawien mehr zu tun. Denken Sie vielleicht einmal darüber nach, was wir wirklich tun können, statt immer nur darüber zu reden, was für Verpflichtungen wir haben.