Rede:
ID1300617900

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. Bundesminister: 1
    5. Horst: 1
    6. Seehofer.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/6 Deutscher Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 157 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen (Drucksache 13/ 34) 157A Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 13/35) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Petra Bläss, Manfred Müller, weiterer Abgeordneter und der PDS: Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 13/33) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einrichtung eines Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (Drucksache 13/ 36) 157B Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Gerhard Schröder, Ministerpräsident (Niedersachsen) 157 D Michael Glos CDU/CSU 163B Margareta Wolf-Mayer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 168C Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 170B Dr. Christa Luft PDS 176A Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU 177D Rudolf Dreßler SPD 180C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 184A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 186C Dr. Gisela Babel F D P. 188B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 190 D Anke Fuchs (Köln) SPD 192B Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 193A, 195A, 219C Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . 193B, 195B Ernst Hinsken CDU/CSU 194B Dr. Günter Rexrodt F.D.P 196B Otto Schily SPD 197A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 197D Rudolf Dreßler SPD . . . 198C, 199A, 256B Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . 199C Jörg Tauss SPD 200D, 249B, 250A Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 201 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 203 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 204 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 206A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 208D Birgit Homburger F D P 210C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 212A II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Jochen Borchert, Bundesminister BML . 213C Horst Sielaff SPD 215A Dr. Gerald Thalheim SPD 215D Egon Susset CDU/CSU 216C Dr. Christa Luft PDS 216D Namentliche Abstimmung 217 C Ergebnis 221 C Ulla Schmidt (Aachen) SPD 217D Waltraud Schoppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 218D Michael Glos CDU/CSU 221 A Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 224 A Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 226 C Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 228 D Christina Schenk PDS 231 C Maria Eichhorn CDU/CSU 233B Christel Hanewinckel SPD 234 D Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . 237 D Ortrun Schätzle CDU/CSU 238 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD 240A Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . 241 A Klaus Kirschner SPD 243 A Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 246C Peter Dreßen SPD 247D Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 251A Dr. Dieter Thomae F D P. 252 C Klaus Kirschner SPD 253 C Dr. Ruth Fuchs PDS 254 A Wolfgang Friedrich Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 255 A Dr. Ruth Fuchs PDS 255 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 256 A Nächste Sitzung 257 C Berichtigung 257 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 258* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk (PDS) zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 13/35: Einsetzung von Ausschüssen (Zusatztagesordnungspunkt 2) 258* B Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 157 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung Plenarprotokoll 13/5, Seite 149B, letzter Absatz: In der zweiten Zeile ist statt „ Verführer' " „Verschwörer" zu lesen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beucher, Friedhelm SPD 24.11.94 Julius Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 24.11.94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Graf (Friesoythe), Günter SPD 24.11.94 Frhr. von Hammerstein, CDU/CSU 24.11.94 Carl-Detlev Hasenfratz, Klaus SPD 24.11.94 Dr. Höll, Barbara PDS 24.11.94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 24.11.94 Labsch, Werner SPD 24.11.94 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 24.11.94 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 24.11.94 Erich Meckel, Markus SPD 24.11.94 Neumann (Gotha), SPD 24.11.94 Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Saibold, Hannelore BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Schumann, Ilse SPD 24.11.94 Vergin, Siegfried SPD 24.11.94 Volmer, Ludger BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Vosen, Josef SPD 24.11.94 Wallow, Hans SPD 24.11.94 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 24.11.94 Wieczorek (Duisburg), SPD 24.11.94 Helmut Dr. Zöpel, Christoph SPD 24.11.94 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk (PDS) zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 13/35: Einsetzung von Ausschüssen (Zusatztagesordnungspunkt 2) Abg. Christina Schenk (PDS): Ich werde gegen den genannten Antrag stimmen, insbesondere weil ich mich gegen die Zusammenlegung der Ausschüsse Frauen und Jugend einerseits und Familie und Senioren andererseits aussprechen möchte. In der Praxis der Bundesrepublik Deutschland ist die Gleichstellung von Frau und Mann trotz der Verankerung des Gleichberechtigungsgrundsatzes im Grundgesetz noch immer nicht verwirklicht. Nach wie vor bestehen hinsichtlich der sozialen Stellung, in bezug auf die soziale Sicherung und hinsichtlich der Chancen von Frauen und Männern im Beruf, im politischen Leben, in Bildung und Ausbildung und in der Familie sowie hinsichtlich der Möglichkeit, zu selbstbestimmten Lebensentwürfen zu kommen und diese auch umzusetzen, gravierende Ungleichheiten. Eine wachsende Frauenerwerbslosigkeit in Ost und West, die deutliche Zunahme von Gewalttaten gegen Frauen und nicht zuletzt die Negierung des Rechts auf selbstbestimmte Schwangerschaft durch das Bundesverfassungsgericht zeigen sogar einen deutlichen Trend zur Verschlechterung der Lage der Frauen. Um die Selbstbestimmung und Gleichstellung der Frauen gegenüber den gefestigten patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft besser durchzusetzen, ist auf Bundesebene eine Politik erforderlich, die die Frage der Gleichstellung oder besser: Chancengleichheit von Frau und Mann in all en Politikfeldern behandelt. Eine solche Politik ist jedoch nur umsetzbar, wenn es in der Regierung und natürlich auch im Parlament eine strukturelle Grundlage dafür gibt. Daher fordert die PDS hier an dieser Stelle die Einsetzung eines Ausschusses des Bundestages für die Gleichstellung der Geschlechter. Dieser Ausschuß sollte, wie bereits angedeutet, im Querschnitt zu allen anderen Ausschüssen des Bundestages tätig werden und deshalb auch in die Arbeit aller anderen Ausschüsse einbezogen werden und in diesen Mitspracherecht haben. Die Einordnung der Gleichstellungsproblematik in die Fragen, die die Situation von Kindern, Jugendlichen und Senioren betreffen, wird weder ihrer Komplexität noch ihrem Umfang gerecht. Ich werde daher die vorgeschlagene Zusammenlegung der Ausschüsse ablehnen, und ich verbinde das mit der Bitte um Zustimmung zu unserem Antrag auf Einrichtung eines Ausschusses für Gleichstellungsfragen auf Drucksache 13/33.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Klaus Kirschner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn der Debatte über den gesundheitspolitischen Teil der Koalitionsvereinbarungen wollte ich Sie, Herr Kollege Seehofer, zu Ihrer Wiederberufung als Gesundheitsminister eigentlich beglückwünschen. Ich würde Ihnen gerne eine glückliche Hand bei der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens und vor allem bei der Bewahrung der sozialen und solidarischen Krankenversicherung wünschen, vor allem aus der Verantwortung heraus, daß Gesundheit ein Gut ist, das sowohl für den einzelnen Menschen wie für unsere gesamte Gesellschaft von herausragender Bedeutung ist.
    Wenn ich mir allerdings die Koalitionsvereinbarungen dazu durchlese, Herr Gesundheitsminister, dann bin ich mir sicher, Sie können gar keine glückliche Hand haben; denn Ihnen sind schon jetzt die Hände gefesselt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Im Jahre zweitausend X werden die Leistungsanbieter jährlich beträchtliche Einkommens- und Gewinnzuwächse verbuchen können. Die gesetzlichen Krankenkassen haben soeben den Sprung in den Verband der Privatversicherer geschafft. Die Beiträge für eine Mindestgesundheitsversorgung sind kontinuierlich gesunken. Der Arbeitgeberpräsident kann wieder durchatmen, weil sich die Arbeitgeber endlich nach Jahrzehnten des Ausstiegskampfes aus der gesetzlichen Krankenversicherung verabschieden. Als Belohnung für die Versicherten, die noch in Brot und Arbeit stehen, gibt es zu Weihnachten kleine Aktiengeschenke der in Aktiengesellschaften umgewandelten gesetzlichen Krankenkassen. Und statt eines vollwertigen Versicherungsschutzes halten die Versicherten ein wertloses Bonusheft in der Hand.
    Meine Damen und Herren, das ist die Richtung, die Sie mit Ihrer Koalitionsvereinbarung einschlagen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich sage Ihnen, Herr Bundesgesundheitsminister, Sie haben nur zwei Optionen: Entweder Sie erarbeiten im Konsens weitere Vorschläge zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung, wie wir sie in Lahnstein gemeinsam erarbeitet und beschlossen haben, oder Sie beschließen hier mit Ihrer Mehrheit Leistungskürzungen.
    In Ihrer Koalitionsvereinbarung heißt es — ich zitiere —:
    Ausgabenentwicklung und Aufgabenumfang bleiben einnahmeorientiert.
    Das heißt im Klartext: Die Zeche, die die Versicherten bezahlen müssen, besteht dann entweder darin,
    daß höhere Zuzahlungen fällig werden, oder darin, daß auf medizinisch notwendige Leistungen verzichtet werden muß. Sie verstecken ihre Absichten hinter nebulösen Begriffen wie „Eigenverantwortung und Eigenvorsorge im Gesundheitswesen müssen gestärkt werden".

    (Zuruf von der F.D.P.: Das ist gar nicht nebulös!)

    Oder auch: „Neubestimmung von Subsidiarität und Solidarität".

    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Klaus, wir sind doch ehrlich!)

    — Ja, ich sagte es ja auch.
    Damit soll der Systemwechsel des Gesundheitswesens aus der Sicht der Regierungskoalition, aus der Sicht eines Teils der Leistungsanbieter und aus der Sicht der Arbeitgeber vorbereitet werden. Ganz sicher aber ist, daß das Leistungsniveau des Gesundheitswesens aus der Sicht der Versicherten und der Patienten dann nicht um-, sondern abgebaut wird.
    Die medizinisch notwendige Vollversorgung, die wir bisher im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung haben, kann sich dann nur noch derjenige leisten, der dafür auch das notwendige Kleingeld im Portemonnaie hat.

    (Zuruf von der SPD: Das wollen sie doch! — Gegenruf von der CDU/CSU: Gott, hat der eine Ahnung!)

    Meine Damen und Herren, daß Sie dieses Szenario weit von sich weisen, ist nichts anderes als eine Pflichtübung; der Text Ihrer Koalitionsvereinbarung zu dem Thema „Weiterentwicklung des Gesundheitswesens", der zwar vage ist, läßt jedoch ohne Zusammenarbeit mit der SPD nur dieses Szenario zu. Denn gerade wegen fehlender sozial gerechter Perspektiven und ausgesparter Lösungsansätze zu dem zweifellos vorhandenen Problem der Knappheit der Mittel und der immer noch herrschenden strukturellen Verwerfungen auf der Leistungsanbieterseite ist klar, wohin die Koalitionspolitik gehen soll. Es geht um die Rationierung von Leistungen, und es geht Ihnen um eine Privatisierung von Gesundheitsrisiken. Damit ist mit all seinen sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Weg in die Mehrklassenmedizin vorgezeichnet. Ihre Koalitionsvereinbarung enthält keinen einzigen konkreten Hinweis darauf, daß das zum 1. Januar 1993 auf den Weg gebrachte Gesundheitsstrukturgesetz in seinen Reformmaßnahmen konsequent Schritt um Schritt umgesetzt wird.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wenn aber, meine Damen und Herren, über die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens diskutiert wird, dann muß diese Diskussion auf der Grundlage der im Gesundheitsstrukturgesetz angelegten Reformen geschehen. Wir, d. h. alle in Lahnstein Beteiligten, haben dieses Gesetz gemeinsam erarbeitet und beschlossen. Die Bundesregierung, insbesondere Sie, Herr Bundesgesundheitsminister Seehofer, sind in der Verantwortung. Die Umsetzung dieses Gesetzes fordere ich namens der SPD ein. Das war und ist die Geschäftsgrundlage unserer Zusammenarbeit



    Klaus Kirschner
    und der Zustimmung zu diesem Gesundheitsstrukturgesetz.
    Meine Damen und Herren, Ihre Ankündigung in der Koalitionsvereinbarung, auf der Grundlage des Endberichts des Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen eine dritte Reformstufe vorzubereiten, bedeutet nichts anderes als einen weiteren Abbau der sozialen Krankenversicherung. Denn entsprechend den bei den Regierungsparteien in Mode gekommenen Begriffen wie z. B. „Eigenverantwortung und Eigenvorsorge sollen verstärkt werden" sind die Fragen vom Bundesminister für Gesundheit an den Sachverständigenrat formuliert worden. Der Sachverständigenrat antwortet also nur auf die tendenziösen Fragen, die er vom Bundesminister für Gesundheit vorgegeben bekommen hat. So wird z. B. von Ihnen gefragt: Was kann ausgegrenzt werden? Wo sind die Grenzen bei den Leistungen der Solidargemeinschaft? Welche Einkommensarten der Versicherten können neben ihren Löhnen zusätzlich herangezogen werden? Welche Wahltarife können den Versicherten angeboten werden, ohne daß dabei die Arbeitgeber belastet werden? Oder: Wie kann der reduzierte Grundleistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aussehen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Man wird ja noch fragen dürfen!)

    Das sind die Fragen, die Sie gestellt haben.
    Und prompt will auch der Sachverständigenrat dann das vorhandene Problem der Knappheit der Mittel ausschließlich in der Sphäre der Versicherten lösen. Folgt man den bereits in einem Zwischenbericht dargelegten Vorschlägen das ist ja eine der wenigen klaren Aussagen in Ihrer Koalitionsvereinbarung —, dann werden die Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung ausgehebelt.

    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Na, na!)

    Danach stehen der bisherige Arbeitgeberanteil bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, das Solidarprinzip, das Finalprinzip — das heißt, daß die Leistungen unabhängig von der Verursachung der Erkrankung erbracht werden —, das Sachleistungsprinzip und die medizinisch vollwertige Versorgung zur Disposition.
    Meine Damen und Herren, dies steht ganz eindeutig im Zwischenbericht des Sachverständigenrates drin, schön umschrieben mit so Formulierungen wie Zwiebelmodell, Pfirsichmodell oder Tortenmodell. Kollege Zöller, Sie wissen es genau, das steht im Sachverständigenbericht drin. Wenn Sie sagen, auf der Grundlage dieser Vorschläge wollen Sie die gesetzliche Krankenversicherung aus Ihrer Sicht weiterentwickeln, dann bedeutet das eben den Abschied von der bisherigen solidarischen Krankenversicherung.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich finde, die Schlagzeilen vom vergangenen Sonntag haben es auf den Punkt gebracht, indem in einer Sonntagszeitung formuliert wurde: „Das sind Folterwerkzeuge für die Versicherten" oder „Die Koalition berät über Horrorliste". Genau darauf zielen Ihre strategischen Überlegungen
    und die Ankündigungen ab, auf der Grundlage des Sachverständigenberichts die gesetzliche Krankenversicherung umzugestalten. Ich empfehle dem Bundesgesundheitsminister, der diese Zeitungsmeldungen ja nur dem Zeitpunkt nach, nicht dem Inhalt nach mit den Worten dementiert hat, der Inhalt habe mit der Wahrheit so viel zu tun wie eine Schildkröte mit dem Stabhochsprung, sehr schnell geeignete Schildkröten zum Trainieren zu suchen und vor allem die Latte nicht zu hoch zu legen.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sage Ihnen: Wir werden es nicht zulassen, daß die gesetzliche Krankenversicherung einer Gesundheitspolitik zum Opfer fällt, bei der das Gemeinwohl auf der Strecke bleibt. Denn das Solidaritätsprinzip fordert die Solidarität der Starken mit den Schwachen ein, während hier die Solidarität der Schwachen mit den Starken eingefordert wird.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, Solidarität kennt ein eindeutiges Prüfungsmerkmal: Wie wirken die Maßnahmen auf die sozial Schwächeren, auf die Älteren und auf die chronisch kranken Menschen? Das ist auch der Maßstab, den wir Sozialdemokraten an Ihre Politik anlegen werden. Den Weg, den Sie offensichtlich ohne jegliche Not gehen wollen, den müssen Sie alleine gehen. Die SPD sieht jedenfalls keinen Grund zum Abbau des sozialen Krankenversicherungsschutzes,
    Die Behauptung, aufgrund der demographischen Entwicklung sei die gesetzliche Krankenversicherung nicht mehr zu finanzieren, ist verantwortungslose Panikmache. Alle entsprechenden Bevölkerungsprojektionen gehen davon aus, daß die Alterspyramide für unser Sozialleistungssystem frühestens in 15 Jahren zu Problemen führt.
    Die Gefahr für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung geht in viel stärkerem Maße von der offenen und versteckten Massenarbeitslosigkeit aus, der Lohnentwicklung sowie der herrschenden Verteilungspolitik. Seit 1982, also seit diese Koalition an der Regierung ist das ist ja auch ihr erklärtes Ziel —, ist die Lohnquote ständig gesunken. Angesichts sinkender Reallöhne und Renten droht sich dieses Problem, das Sie mit zu verantworten haben, weiter zu verschärfen.
    Also weder die demographische Entwicklung noch der medizinische oder der medizinisch-technische Fortschritt und erst recht nicht der Wandel des Krankheitsspektrums rechtfertigen das, was Sie in Ihre Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben haben und was trotz aller Dementis von Ihnen bestellte Sachverständige längst vorbereiten.
    Ich biete Ihnen an, in Kooperation mit uns Sozialdemokraten eine moderne, finanzierbare und sozial ausgewogene Gesundheitspolitik zu konzipieren. Das Gesundheitsstrukturgesetz, zu dem wir Sozialdemokraten uns im Gegensatz zur Koalition immer noch eindeutig bekennen, ist eine historische Weichenstellung und die einzige Strukturreform in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, was unser Gesundheitswesen betrifft.



    Klaus Kirschner
    Für die Ausgestaltung des Systems der Gesundheitsversorgung und deren Finanzierung sind die strukturellen Reformelemente in diesem Gesetz von entscheidender Bedeutung. Hierdurch werden bestehende Strukturmängel abgebaut und das Selbststeuerungspotential der gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt. Viele dieser Elemente bedürfen erst noch der weiteren Konkretisierung und der Umsetzung durch die Selbstverwaltungsorgane oder sie bedürfen noch der Verordnungen durch die Bundesregierung.
    Positive Auswirkungen werden dabei insbesondere ausgehen von der Aufhebung des Selbstkostendekkungsprinzips im Krankenhaus und der Ablösung des tagesgleichen Pflegesatzes durch Sonderentgelte und Fallpauschalen oder der Verzahnung der Krankenhäuser mit der ambulanten Versorgung oder der neuen Grundlagen für die Vergütungsregelungen in der ärztlichen Versorgung, wie z. B. die Zusammenfassung von ärztlichen Leistungen zu Leistungskomplexen, oder der Organisationsform der ärztlichen Versorgung mit der Möglichkeit zur Anstellung von Ärzten durch Vertragsärzte, oder auch der unbefristeten Zulassung der noch bestehenden Polikliniken in den neuen Bundesländern.
    Denken Sie aber auch an die Steuerung ärztlich verordneter Arznei- und Heilmittel mit der Erstellung einer Positivliste durch ein unabhängiges Institut „Arzneimittel in der Krankenversicherung". Dies sind echte Reformmaßnahmen, so wie es das Gesundheitsstrukturgesetz vorsieht. Dies ist alles erst in der Umsetzungsphase.
    Hier ist der Ansatz für die Modernisierung und Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens. Darauf muß auch weiterhin aufgebaut werden. Dieser Reformkurs ist fortzusetzen. Bei der Koalitionsvereinbarung kann man sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, daß bei der Koalition wenig Interesse vorhanden ist, das GSG konsequent umzusetzen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir hatten in und nach Lahnstein zunächst die Hoffnung, daß die Koalitionäre nach der gescheiterten Jahrhundertreform Norbert Blüms

    (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Oberlehrer!)

    durch kräftigen Nachhilfeunterricht der SPD die wirklichen Ursachen der Probleme, nämlich mannigfaltige Ineffektivitäten und Ineffizienzen in allen Versorgungsbereichen, erkannt hätte. — Das ist nicht oberlehrerhaft. Liebe Frau Kollegin Babel, vielleicht erinnern Sie sich daran, was Sie für einen Gesetzentwurf im Jahre 1992 vorbereitet hatten. Dieser Gesetzentwurf hat doch keinerlei Strukturelemente beinhaltet, sondern ausschließlich höhere Selbstbeteiligungsregelungen für Versicherte und Budgetierung. Alles andere — deshalb ist es nicht oberlehrerhaft —, was an Strukturelementen in Lahnstein vereinbart wurde und was heute im Gesetz steht, sind Dinge, die von der SPD durchgesetzt worden sind. Das können Sie wohl nicht ableugnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Da es in Ihrer Koalitionsvereinbarung nicht um Umbau, sondern um Abbau des Sozialstaates geht,
    stelle ich fest: Diese Bundesregierung hat nichts hinzugelernt. Ich sage Ihnen, Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen können nicht nach der neoklassischen Wirtschaftstheorie, der Markt wird es richten, behoben werden. Ich halte Ihnen entgegen, was der Jesuitenpater Professor Hengsbach festgestellt hat:

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Der wird immer zitiert!)

    Mehr Markt macht nicht gesund. Das werden Sie mir doch wohl zugeben.
    Im übrigen lassen Sie mich an all diejenigen, die immer so viel mehr Markt fordern, sagen: Werfen Sie doch einmal einen Blick über den Zaun, nämlich den Zaun zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der privaten Krankenversicherung. Bei der letzteren verlief die Ausgabenentwicklung geradezu dramatisch. Von 1975 bis 1993 stiegen die Ausgaben in der Vollversicherung der privaten Krankenversicherung von 4,7 Milliarden DM auf 18,8 Milliarden DM. Die Anzahl der in der privaten Krankenversicherung vollversicherten Mitglieder stieg dagegen im selben Zeitraum lediglich von 4,2 Millionen auf 6,9 Millionen Versicherte an. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß bis 1989 privat Versicherte ohne größere Schwierigkeiten in das GKV-System wechseln konnten, was meist ältere Versicherte in Anspruch nahmen. Hierbei wurde die private Krankenversicherung um teure Risiken entlastet. Um so stärker ist dieser Ausgabenanstieg, der viel stärker ist als in der gesetzlichen Krankenversicherung, zu bewerten.
    Anstatt Rationierung von Leistungen und damit Verlagerung von Gesundheitsrisiken in den privaten Bereich, wohlgemerkt ohne Not und noch mit ausreichenden Wirtschaftlichkeitsreserven im System,

    (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wo?)

    erwarten die Menschen in unserem Land eine Gesundheitspolitik.
    Lieber Kollege Dr. Thomae, ich sage es noch einmal: Setzen wir doch zuerst einmal das Gesundheitsstrukturgesetz konsequent um!

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist doch unser gemeinsamer Wille. Es geht hier darum, die Wirtschaftlichkeitsreserven auszuloten. Danach werden wir das prüfen. Wir können doch gar nicht sagen, wo, wenn das Gesetz noch nicht einmal in seinen Strukturelementen umgesetzt ist.

    (Bundesminister Horst Seehofer: 1996!)

    Wir haben es nicht umsonst gemacht, wenn ich beispielsweise an den Krankenhausbereich denke. — Ja, das ist in Ordnung. Aber reden Sie nicht von einer dritten Reformstufe, bevor wir nicht einmal dieses Gesetz konsequent umgesetzt haben! Darum geht es doch. Erst dann können Sie davon reden, wo wir noch Defizite haben, wo wir Nachholbedarf haben, wo Nachbesserungsbedarf ist. Sie senden ständig Signale an diejenigen aus, die dieses Gesetz sowieso nicht wollten; so als ob wir oder Sie es mit dem Gesetz nicht ernst meinten, Herr Bundesgesundheitsminister.
    Meine Damen und Herren, es geht darum, daß wir eine Gesundheitspolitik benötigen, die den veränder-



    Klaus Kirschner
    ten Anforderungen und Erwartungen gerecht wird. Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Diese Bundesregierung nimmt überhaupt nicht zur Kenntnis, wie fatal die Folgen einer fehlenden zielorientierten Prävention und Gesundheitsförderung sind. Sie haben es in den vergangenen Jahren versäumt, eine gezielte gesellschaftlich-präventive Gesundheitspolitik zu gestalten. Offensichtlich nimmt der Bundesminister für Gesundheit nicht zur Kenntnis, was in der deutschen Sozialmedizin und für Länder mit einer epidemiologischen Gesundheitsberichterstattung längst gesicherte Erkenntnis ist, nämlich die soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod.
    Diese Bundesregierung entfaltet, wenn überhaupt, vorwiegend Aktivitäten bei den verhaltensbedingten Gesundheitsrisiken. Die verhältnisbedingten Gesundheitsrisiken, also z. B. die Bedingungen, die in der Arbeitswelt oder in der Umwelt oder auch im sozialen Umfeld zu suchen sind, werden so gut wie völlig ausgeblendet. Die Bundesregierung nimmt damit in Kauf, daß die Zugehörigkeit zu sozialen Schichten über die Krankheitsrisiken und Lebenserwartungen mitbestimmt. Die Prävention und die Gesundheitsförderung werden wohl auch weiterhin nach dem Motto „Weiter so Deutschland" betrieben.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Weil wir so erfolgreich waren!)

    Der Bundesgesundheitsminister wird weiterhin seine wesentlichen Energien darauf verschwenden, die Probleme zu verniedlichen, zu leugnen oder sogar so zu definieren,

    (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)

    daß er nicht zuständig sei, wie in der Antwort auf die Große Anfrage zur Prävention nachzulesen ist. Herr Kollege Kalb, ich empfehle Ihnen einmal die Antwort auf die Große Anfrage der SPD zur Prävention nachzulesen. Vielleicht sollten Sie dies tun, bevor Sie hier einen Zwischenruf machen, zu dem ich Ihnen sagen muß: Sie haben diese Antwort nie nachgelesen. Vielleicht wissen Sie nicht einmal, daß die SPD eine solche Große Anfrage gestellt hat.

    (Beifall bei der SPD — Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Die war unbedeutend!)

    — Ich sage Ihnen: Wenn Sie dies nachlesen, und wenn Sie das vergleichen, dann ist so etwas angesichts von millionenfach verlorenen und beschädigten Lebensjahren geradezu zynisch. Es entspricht der Ideologie der Bundesregierung, einer Individualisierung der Gesundheitsrisiken bzw. des Präventionsgedankens, die die Bedeutung von Verhaltenswirkungen nicht nur herunterspielt, sondern auch zu einer Schuldzuweisung gegenüber dem einzelnen Menschen führt.
    Meine Damen und Herren, wir werden dafür sorgen, daß die soziale Krankenversicherung — das ist unsere Zielsetzung — erhalten bleibt. Wir werden auch dafür sorgen, daß die gesetzliche Krankenversicherung auch in Zukunft einen vollwertigen Krankenversicherungsschutz den Versicherten anbieten wird.
    Wir werden auch dafür sorgen, daß dieses System zu tragbaren Beitragssätzen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanzierbar bleibt, und wir werden auch dafür sorgen, daß die gesetzliche Krankenversicherung nach vorne weiterentwickelt und nicht abgebaut wird.
    Zu diesen Zielen bieten wir Ihnen die Zusammenarbeit an. Alles andere ist für uns nicht diskussionsfähig, und dies wird auf den entschiedensten Widerstand der SPD — sowohl hier im Bund als auch in den Ländern — stoßen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Bundesminister Horst Seehofer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Horst Seehofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin zunächst dem Kollegen Kirschner sehr dankbar für die gebremsten Glückwünsche, für die Barmherzigkeit, mit der er wieder einmal mit mir umgegangen ist. Ich möchte allerdings den Verdacht des Bundesfinanzministers zurückweisen, daß ich ihm vorher Valium verabreicht hätte. Diesen Verdacht hat der Bundesfinanzminister gerade geäußert. Ich weise das ausdrücklich zurück.
    Lieber Herr Kirschner, Sie haben über Dinge gesprochen, die nirgendwo stehen und die niemand beabsichtigt. Das deutsche Gesundheitswesen ist das leistungsfähigste auf der Welt, und es wird in dieser Legislaturperiode auch das leistungsfähigste auf dieser Welt bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Damit Sie nicht nachlesen müssen, sondern es unmittelbar von mir hören, sage ich Ihnen hier noch einmal zwei Dinge, die ich seit Wochen immer klar formuliert habe und die auch Bestandteil meines Dementis vom Wochenende waren. Es bleibt bei der beitragsfreien Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung unter den Bedingungen, die wir dort formuliert haben;

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    denn es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn diese Koalition auf der einen Seite überlegt, wie man die Familien mit Kindern und die Frauen, die zu Hause Kinder erziehen und nicht berufstätig sind, stärken kann, und auf der anderen Seite gleichzeitig überlegen würde, die beitragsfreie Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung abzuschaffen. Dies findet nicht statt. Dies ist logisch.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, das andere wird auch nicht stattfinden — das habe ich immer wieder gesagt —, nämlich daß es in der Bundesrepublik Deutschland für die ärztliche Dienstleistung eine Selbstbeteiligung geben wird. Der Besuch eines Arztes oder einer Ärztin darf nicht zum Privileg eines größeren Geldbeutels werden. Deshalb wird es keine Selbstbeteiligung bei einem Arztbesuch geben.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)




    Bundesminister Horst Seehofer
    Diese beiden Dinge sind klar und auch immer wieder gesagt worden. Sie, Herr Kirschner, und Ihr Kollege Dreßler sowie viele andere führen eine reine Phantomdiskussion, indem Sie sich mit Dingen auseinandersetzen, die bei uns niemand beabsichtigt, schon gar nicht der Bundesgesundheitsminister.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es wird jetzt immer wieder gesagt: Vollziehen wir doch zuerst das GSG, und überlegen wir dann, ob weiterer Reformbedarf besteht. Ist es in der Bundesrepublik nicht einmal möglich, eine Reform einzuleiten, bevor uns die Verhältnisse dazu zwingen? Jeder, der sich mit dieser Materie auskennt, weiß, daß wir mittelfristig, also 1995/96, weiteren Reformbedarf haben werden. Dies stellen wir nicht erst heute fest, sondern das sage ich seit Mai 1992, nachdem wir das GSG eingeleitet hatten. Wenn man die verschiedenen Umstände addiert, ergibt sich, daß sie zu dieser Reform zwingen.
    Sie werden mit mir, Herr Kirschner, in den nächsten Tagen und Wochen erleben, wie sich die aktuelle Situation hinsichtlich der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt. Der Sparwille nimmt dort deutlich ab. Wir werden froh sein, wenn wir bis Ende 1995 mit den Sparwirkungen des GSG zu Rande kommen. Dazu kommen die ständig steigende Lebenserwartung, die ständig steigende Erwartungshaltung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit dieses Systems, der medizinische Fortschritt und der medizintechnische Fortschritt. Nicht einer dieser Gründe, aber die Addition aller dieser Gründe zwingt die Politik zu einer Reform.

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Was ist daran neu?)

    Ich sage noch einmal: Wir sollten die Reformüberlegungen anstellen, bevor uns die Verhältnisse dazu zwingen. Das erwarten die Menschen von uns, die uns gewählt haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Rudolf Dreßler [SPD]: Sie haben doch etwas ganz anderes vor!)

    Der Reformbedarf besteht. Herr Kirschner, ich vermag nicht nachzuvollziehen, wieso Sie ihn immer wieder in Frage stellen, wieso Sie das Tempo, mit dem wir diese neue Reform angehen möchten, in Frage stellen, nachdem Sie selbst von seiten der SPD eine Kommission eingesetzt haben, die diesen weiteren Reformbedarf formulieren soll, und nachdem Sie selbst erst vor kurzem in der Öffentlichkeit erklärt haben, daß weiterer Reformbedarf spätestens 1996 und 1997 besteht. Sollen wir erst dann reformieren, wenn das Jahr 1996 bereits da ist, oder sollten wir nicht die Zeit bis zum Jahre 1996 nutzen, um diese Reformen vorzubereiten?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es geht nicht darum, die bewährten Prinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Kopf zu stellen. Die Tatsache, daß die gesetzliche Krankenversicherung die leistungsfähigste auf dieser Welt ist, ist auch darauf zurückzuführen, daß wir die bewährten Prinzipien von Solidarität und Eigenverantwortung, von Selbstverwaltung, Therapiefreiheit und freier Arztwahl in der gesetzlichen Krankenversicherung
    zusammengebunden haben. Das ist die Grundlage für die Leistungsfähigkeit dieses Systems.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der SPD: Was wollen Sie denn ändern?)

    Wir haben überhaupt keinen Grund, uns nach anderen Systemen umzuschauen. Alle Versuche, mit anderen Grundprinzipien das Risiko der Krankheit abzusichern, sind in der Menschheitsgeschichte gescheitert. Die Amerikaner sind mit ihrem Versuch gescheitert, das Krankheitsrisiko zu privatisieren. Sie dürfen in Amerika alles werden, nur nicht krank. Das andere Extrem, jedes Lebensrisiko in jeder Verästelung zu sozialisieren, ist auch gescheitert. Unter diesem System waren zwar alle Menschen gleich, aber alle gleich arm. Deshalb können diese beiden Pole, Privatisierung oder Sozialisierung von Lebensrisiken, für uns kein Vorbild sein.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir wollen die bewährten Prinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung weiterentwickeln. Wir brauchen keine Revolution, sondern eine Fortentwicklung des Systems mit Augenmaß und Vernunft.
    In den letzten zwei Jahren haben wir pausenlos den Vorwurf von Medizinern, Apothekern, Pharmaherstellern, Krankenkassen und Krankenhäusern gehört, wir hätten seinerzeit im Jahre 1992 viel zu schnell gehandelt. Die Beteiligten seien nicht ausreichend in die Vorbereitung der Gesundheitsreform des Jahres 1992 einbezogen worden.
    Nun haben wir den großen Vorteil, daß die gesetzliche Krankenversicherung momentan finanziell kein Notfallpatient ist. Deshalb können wir in den nächsten Monaten in aller Ruhe mit den Beteiligten, und zwar mit allen Beteiligten, die neue Reform vorbereiten. Wir beginnen bereits in der zweiten Januarwoche mit den Krankenkassen und mit den Medizinern. Wir werden mit allen Beteiligten des deutschen Gesundheitswesens sprechen.
    Wir haben für diese Gespräche keine Schubladenpläne, keine Geheimpläne, keine Vorgaben. Wir führen diese Gespräche ohne Tabu. Denn wir wollen jetzt einmal die Nagelprobe machen, ob diejenigen, die ständig beklagen, daß sie bei Reformen in der Gesundheitspolitik nicht ausreichend beteiligt worden sind, wirklich über eigene Alternativen und eigene Vorschläge verfügen. Das wollen wir ab Januar bei unseren Gesprächen einmal sehen. Wer sich bei diesen Gesprächen nicht beteiligt oder bei diesen Gesprächen nicht ausreichende Alternativen auf den Tisch legt, der meldet sich bei der Gestaltung der nächsten Gesundheitsreform ab.