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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/6 Deutscher Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 157 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen (Drucksache 13/ 34) 157A Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 13/35) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Petra Bläss, Manfred Müller, weiterer Abgeordneter und der PDS: Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 13/33) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einrichtung eines Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (Drucksache 13/ 36) 157B Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Gerhard Schröder, Ministerpräsident (Niedersachsen) 157 D Michael Glos CDU/CSU 163B Margareta Wolf-Mayer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 168C Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 170B Dr. Christa Luft PDS 176A Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU 177D Rudolf Dreßler SPD 180C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 184A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 186C Dr. Gisela Babel F D P. 188B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 190 D Anke Fuchs (Köln) SPD 192B Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 193A, 195A, 219C Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . 193B, 195B Ernst Hinsken CDU/CSU 194B Dr. Günter Rexrodt F.D.P 196B Otto Schily SPD 197A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 197D Rudolf Dreßler SPD . . . 198C, 199A, 256B Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . 199C Jörg Tauss SPD 200D, 249B, 250A Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 201 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 203 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 204 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 206A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 208D Birgit Homburger F D P 210C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 212A II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Jochen Borchert, Bundesminister BML . 213C Horst Sielaff SPD 215A Dr. Gerald Thalheim SPD 215D Egon Susset CDU/CSU 216C Dr. Christa Luft PDS 216D Namentliche Abstimmung 217 C Ergebnis 221 C Ulla Schmidt (Aachen) SPD 217D Waltraud Schoppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 218D Michael Glos CDU/CSU 221 A Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 224 A Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 226 C Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 228 D Christina Schenk PDS 231 C Maria Eichhorn CDU/CSU 233B Christel Hanewinckel SPD 234 D Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . 237 D Ortrun Schätzle CDU/CSU 238 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD 240A Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . 241 A Klaus Kirschner SPD 243 A Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 246C Peter Dreßen SPD 247D Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 251A Dr. Dieter Thomae F D P. 252 C Klaus Kirschner SPD 253 C Dr. Ruth Fuchs PDS 254 A Wolfgang Friedrich Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 255 A Dr. Ruth Fuchs PDS 255 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 256 A Nächste Sitzung 257 C Berichtigung 257 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 258* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk (PDS) zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 13/35: Einsetzung von Ausschüssen (Zusatztagesordnungspunkt 2) 258* B Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 157 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung Plenarprotokoll 13/5, Seite 149B, letzter Absatz: In der zweiten Zeile ist statt „ Verführer' " „Verschwörer" zu lesen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beucher, Friedhelm SPD 24.11.94 Julius Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 24.11.94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Graf (Friesoythe), Günter SPD 24.11.94 Frhr. von Hammerstein, CDU/CSU 24.11.94 Carl-Detlev Hasenfratz, Klaus SPD 24.11.94 Dr. Höll, Barbara PDS 24.11.94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 24.11.94 Labsch, Werner SPD 24.11.94 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 24.11.94 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 24.11.94 Erich Meckel, Markus SPD 24.11.94 Neumann (Gotha), SPD 24.11.94 Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Saibold, Hannelore BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Schumann, Ilse SPD 24.11.94 Vergin, Siegfried SPD 24.11.94 Volmer, Ludger BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Vosen, Josef SPD 24.11.94 Wallow, Hans SPD 24.11.94 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 24.11.94 Wieczorek (Duisburg), SPD 24.11.94 Helmut Dr. Zöpel, Christoph SPD 24.11.94 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk (PDS) zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 13/35: Einsetzung von Ausschüssen (Zusatztagesordnungspunkt 2) Abg. Christina Schenk (PDS): Ich werde gegen den genannten Antrag stimmen, insbesondere weil ich mich gegen die Zusammenlegung der Ausschüsse Frauen und Jugend einerseits und Familie und Senioren andererseits aussprechen möchte. In der Praxis der Bundesrepublik Deutschland ist die Gleichstellung von Frau und Mann trotz der Verankerung des Gleichberechtigungsgrundsatzes im Grundgesetz noch immer nicht verwirklicht. Nach wie vor bestehen hinsichtlich der sozialen Stellung, in bezug auf die soziale Sicherung und hinsichtlich der Chancen von Frauen und Männern im Beruf, im politischen Leben, in Bildung und Ausbildung und in der Familie sowie hinsichtlich der Möglichkeit, zu selbstbestimmten Lebensentwürfen zu kommen und diese auch umzusetzen, gravierende Ungleichheiten. Eine wachsende Frauenerwerbslosigkeit in Ost und West, die deutliche Zunahme von Gewalttaten gegen Frauen und nicht zuletzt die Negierung des Rechts auf selbstbestimmte Schwangerschaft durch das Bundesverfassungsgericht zeigen sogar einen deutlichen Trend zur Verschlechterung der Lage der Frauen. Um die Selbstbestimmung und Gleichstellung der Frauen gegenüber den gefestigten patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft besser durchzusetzen, ist auf Bundesebene eine Politik erforderlich, die die Frage der Gleichstellung oder besser: Chancengleichheit von Frau und Mann in all en Politikfeldern behandelt. Eine solche Politik ist jedoch nur umsetzbar, wenn es in der Regierung und natürlich auch im Parlament eine strukturelle Grundlage dafür gibt. Daher fordert die PDS hier an dieser Stelle die Einsetzung eines Ausschusses des Bundestages für die Gleichstellung der Geschlechter. Dieser Ausschuß sollte, wie bereits angedeutet, im Querschnitt zu allen anderen Ausschüssen des Bundestages tätig werden und deshalb auch in die Arbeit aller anderen Ausschüsse einbezogen werden und in diesen Mitspracherecht haben. Die Einordnung der Gleichstellungsproblematik in die Fragen, die die Situation von Kindern, Jugendlichen und Senioren betreffen, wird weder ihrer Komplexität noch ihrem Umfang gerecht. Ich werde daher die vorgeschlagene Zusammenlegung der Ausschüsse ablehnen, und ich verbinde das mit der Bitte um Zustimmung zu unserem Antrag auf Einrichtung eines Ausschusses für Gleichstellungsfragen auf Drucksache 13/33.
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    Rede von Christel Hanewinckel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!



    Christel Hanewinckel
    Zur Debatte steht jetzt und hier die zukünftige Politik dieser Bundesregierung für die Frauen, für die Jugendlichen, für die Senioren und Seniorinnen und für die Familien. Im Koalitionspapier und in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers gab es zur Frauenpolitik keine Aussage, zur Jugendpolitik keine Aussage, zur Altenpolitik keine Aussage, zur Familienpolitik vage Aussagen,

    (Beifall bei der SPD)

    dafür aber Klagen und Forderungen, die der Opposition gut anstünden und nicht einem Regierungschef, der das, was er beklagt und fordert, seit zwölf Jahren zu verantworten hat.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Dabei stellt er sich, die Regierung, durch die Art der Larmoyanz als Opfer und das Volk als Täter dar. Ich werde Ihnen bei den einzelnen Politikfeldern Kostproben aus der Regierungserklärung in Erinnerung rufen.
    Zuvor aber noch etwas Grundsätzliches zu diesem neuen Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend! Auf den ersten Blick scheint das ein immens wichtiges gesellschaftspolitisches Ministerium zu sein. Auf den zweiten Blick, meine Damen und Herren, wird deutlich, daß die neue Ministerin vorrangig zur Verwaltung von Ideologie vorgesehen ist.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wie zu hören war, wird ein ganz wichtiger Bereich, nämlich die Bundessozialhilfegesetzgebung, dem Gesundheitsminister zugeschlagen. Ein Deal zwischen Männern? Zwischen Männern der CSU? Was auch immer, in jedem Fall ist es so, daß dieser Bereich aus dem Ministerium, in das er sachgemäß gehört, wenn er schon nicht bei Arbeit und Soziales ist, in Zukunft weg sein wird.
    Befürchten denn die Herren der Regierungsriege, daß Frau Nolte es nicht packen wird, sich gegen den massiven Widerspruch der SPD, der Länder, der Kirchen, der CDA, der Wohlfahrtsverbände durchzusetzen, wenn es an den Abbau von Sozialleistungen gehen wird? Oder vermutet man, daß die Masse von Armut und Elend, die durch das BSHG eigentlich verhindert werden soll, aber nach Theo Waigels Absichten und den Absichtserklärungen des Kanzlers vergrößert werden wird, von einer jungen, zarten Frau nicht verkraftet werden kann?
    Meine Damen und Herren, die Armut, die in unserem reichen Lande herrscht, ist in der Tat kaum vertretbar und verkraftbar. Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes vom 14. Oktober 1994 belegen das. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger für 1993 lag sage und schreibe bei 4 945 000. Das ist gegenüber 1992 eine Zunahme von 4,8 % bundesweit, in den alten Bundesländern eine Steigerung von 3,7 %, in den neuen Bundesländern eine Steigerung von 11,6 %.

    (Zuruf von der SPD: Das ist ja schrecklich!)

    In den neuen Ländern und Berlin (Ost) gab es Ende 1992 rund 140 400 Sozialhilfehaushalte. Das waren schon damals 37 % mehr als 1991. In Westdeutschland sind etwa 30 % der Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren, in Ostdeutschland knapp 44 % aller Sozialhilfeempfänger.
    Sie müssen sich einmal klarmachen, wohin Ihre Regierung geführt hat. Was hat das noch mit sozialer Sicherung und sozialer Gerechtigkeit zu tun?

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Armut darf nicht als ein Randproblem unserer Gesellschaft mißdeutet und bagatellisiert werden. Armut ist nicht einfach Schicksal, es gibt vielmehr neben der Eigenverantwortlichkeit stets auch eine Mitverantwortlichkeit der Gemeinschaft für die Lebenssituation der in ihr lebenden Benachteiligten ... Armut ist ein strukturelles Problem. Deshalb muß auch nach Wirkungen unserer gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung gefragt werden, die in unheilvoller Weise selektierend und armutsfördernd sein können und die Zielbestimmung unseres sozialen Rechtsstaates latent unterlaufen.
    Dies ist ein Zitat aus dem „Gemeinsamen Wort" der evangelischen und der katholischen Kirchen. Ich denke, hier wird etwas sehr deutlich: Wenn die Bundesregierung immer wieder danach fragt, was denn gemeint sei, wenn wir von Armut sprechen, ist es wirklich an der Zeit, daß Sie sich mit dem Bundeskanzler und der neuen Ministerin an der Spitze dazu bequemen, endlich zu definieren, was Armut in diesem Lande ist. Denn das sind Sie uns und den Menschen in diesem Land nach wie vor schuldig.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, Armut darf nicht weiter verdrängt werden. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung erneut, eine Armutsberichterstattung zu erstellen, die alle relevanten Faktoren von Armut beschreibt, eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, die den Weg zu sicheren Arbeitsplätzen bereitet, endlich einen verfassungsgemäßen und sozial gerechten Familienleistungsausgleich auf die Beine zu stellen, bei Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe keine Kürzungen vorzunehmen, den Wohnungsbau endlich anzukurbeln, insbesondere durch den zusätzlichen Bau von jährlich mindestens 100 000 Sozialwohnungen mit langfristiger Bindung, und den Einstieg in eine soziale Grundsicherung in die Wege zu leiten, damit die Sozialhilfe ihrer ursprünglichen Aufgabe, nämlich der Hilfe im Einzelfall, wieder nachkommen kann.
    Wenn Sie keine eigenen Vorschläge und Entwürfe haben, meine Damen und Herren: Alle diese Punkte können Sie mit uns beschließen. Wir haben entsprechende Anträge und Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht.

    (Beifall bei der SPD)




    Christel Hanewinckel
    Die Zahlen der Sozialhilfeempfänger machen deutlich, wie massiv Kinder und Jugendliche, Familien und Alleinerziehende, vor allen Dingen Frauen, betroffen sind. Für diese von der Sozialhilfe Betroffenen war bisher das ehemalige Ministerium für Familie und Senioren zuständig. Jetzt ist — dies steht eigentlich schon lange an — eine Novellierung des Bundessozialhilfegesetzes notwendig. Aber das wird Ihrem Ressort, Frau Nolte, jetzt entzogen und kommt völlig sachfremd zum Gesundheitsministerium. Ich frage noch einmal, was es dort soll, welchen Einfluß Sie hierbei überhaupt noch haben bzw. haben werden und welche Möglichkeiten Sie in Ihrer Fraktion sehen, diese Punkte so auf den Weg zu bringen, daß die Familien, die Alleinerziehenden und die Jugendlichen in Ihnen in Zukunft tatsächlich eine Lobbyistin haben. Ich vermisse das bisher. In der Regierungserklärung und auch in Ihrer Rede vorhin war davon an keiner Stelle die Rede.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Nun möchte ich mein Versprechen einlösen, mit Kostproben der Larmoyanz des Kanzlers die vier Titel des Ministeriums genauer zu besehen und jeweils mit einem Zitat von ihm einzuführen.
    Erstens zur Familienpolitik. Der Kanzler sagt — Zitat 1 —:
    Jeder weiß, daß Kinder unsere Zukunft sind, aber gegen Spielplätze in Wohnvierteln wird gerichtlich vorgegangen, und Kinder zu haben wird immer mehr zum Nachteil bei der Wohnungssuche.
    Zitat 2:
    Wir wollen, daß unsere Gesellschaft familien- und kinderfreundlicher wird.
    Zitat 3:
    Eltern und Alleinerziehende brauchen Unterstützung und Ermutigung.
    Recht so, Herr Kanzler! Aber was sollen das Gejammere und die Forderungen an andere? Meines Wissens sind Sie seit zwölf Jahren in der Regierungsverantwortung.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wieso kommt dann immer wieder von dieser Stelle die Forderung an die Gesellschaft, an die bösen anderen, womöglich noch an die Opposition, doch endlich ein bißchen familienfreundlicher zu sein?
    Wenn Sie das so feststellen, dann haben Sie in den letzten zwölf Jahren offenbar nichts für die Kinderfreundlichkeit in diesem Land getan.

    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist es! — Weiterer Zuruf von der SPD: Es ist schlimmer geworden!)

    Offenbar gab es bisher keine Ermutigung und keine Stützung für Familien, wenn jetzt plötzlich Ermutigung und Stützung erforderlich sind.
    Das, was Sie vorhaben, ist für Familien allerdings weiterhin entmutigend: in der Regierungserklärung vage Aussagen zum Familienleistungsausgleich, dafür aber Versprechungen zur Steuerentlastung für Besserverdienende; keine Vorschläge für die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit, ausgenommen das nette Teilzeitarbeitsangebot für Mütter; keine Aussage zur Bundesverantwortung für die Finanzierung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz.

    (Editha Limbach [CDU/CSU]: Da gibt es keine Bundesverantwortung, das ist Landesverantwortung!)

    — Das mußte jetzt ja kommen; darauf war ich schon vorbereitet. Wir haben immer wieder versucht, endlich die Protokollnotiz von Ihnen zu bekommen. Alle zuständigen Ministerien stellen fest, daß es in der Tat von Ihrer Seite — entgegen dem, was Sie immer behauptet haben — überhaupt keine Regelung gibt. Deshalb gibt es auch keine Protokollnotiz.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Es ist Landessache!)

    Meine Damen und Herren, Familien brauchen keine Almosen und Geschenke und Freundlichkeiten. Familien brauchen Rechte und Gerechtigkeit; und Familien brauchen vor allem Arbeit — es macht ihnen nämlich keinen Spaß, auf der Tasche anderer zu liegen , um ihren Lebensunterhalt selbst verdienen zu können.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Meine Damen und Herren, die Forderungen der Sozialdemokratie nach einer verfassungsgemäßen und sozial gerechten Familienpolitik kennen Sie. In diesem Internationalen Jahr der Familie haben wir nur durch Anfragen und Anträge der SPD im Juni 1994 eine familienpolitische Debatte in diesem Haus gehabt. Sie haben schnell noch den Familienbericht hineingemogelt, der aber kein Verdienst Ihrer Seite gewesen ist.
    Heute wie damals gibt es von der Koalition keine konkreten Vorschläge, nach denen die Familien tatsächlich gerecht behandelt werden. Mit Ihren vagen Aussagen werden Sie nichts in diesem Lande, aber auch nichts kinder- oder familienfreundlicher gestalten. Da müssen Sie schon zupackendere Dinge auf den Tisch dieses Hauses legen. Sie bleiben mit Ihrer Politik immer wieder in den alten Strukturen.
    Im „Gemeinsamen Wort" der Kirchen bekommen Sie konkrete politikfähige Vorschläge für eine gerechte Familienpolitik. Wenn Sie nicht bereit sind, diese Vorschläge von der SPD anzunehmen, dann sind Sie hoffentlich in der Lage und bereit, sie von den Kirchen anzunehmen.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens zur Altenpolitik. Der Kanzler sagt:
    Jeder wird gebraucht. Wir sind angewiesen auf die Lebenserfahrung der älteren Generation.
    Leider ist der Herr Bundeskanzler jetzt nicht mehr da,
    sonst hätte er mir vielleicht spontan antworten kön-



    Christel Hanewinckel
    nen. Wo in Ihrem Regierungskonzept geben Sie etwas auf diese Erfahrung der alten Generation? Wo kommt die ältere Generation denn vor? Ich habe in Ihrer Regierungserklärung nichts entdeckt. Wo gibt es Aussagen zur Problematik des Wohnens im Alter? Wo sind Aussagen zu einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen? Wo steht etwas zur bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung? Wo steht etwas zur sozialen Grundsicherung im Alter oder bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit? Diese Liste ist fortsetzbar. Ich will das gar nicht alles wiederholen. Wir haben das in den letzten Jahren immer und immer wieder hier durchgekaut. Es ist langsam wirklich langweilig, Ihnen immer wieder das gleiche erzählen zu müssen. Trotzdem gibt es keine Aussage zu alledem.

    (Beifall bei der SPD)

    Es kann natürlich sein, daß die Koalition deshalb nichts dazu sagt, weil sie unseren Initiativen und Anträgen folgen will. Ich denke, da sind wir schnell dabei.

    (Zuruf von der SPD: Das ist Optimismus!)

    — Ja, manchmal habe ich noch einen Rest Optimismus. Den will ich an dieser Stelle auch nicht verhehlen.
    Ich komme zum dritten Bereich, zur Frauenpolitik. Dazu ist heute schon einiges gesagt worden. Aber zuvor möchte ich wieder ein Wort vom Kanzler zitieren:
    Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist als allgemeiner Grundsatz inzwischen unbestritten. Aber es wird im Alltag oft zu wenig dafür getan, Frauen gleiche Chancen zu geben.
    In der Tat, Herr Bundeskanzler und Frau Ministerin: In Ihrem Alltag spielt Frauenpolitik keine Rolle und im Alltag der Unionsfraktionen vermutlich auch nur zu 14 %, wenn wir nachrechnen bzw. wenn wir dem Ergebnis glauben dürfen, das ausgerechnet worden ist.
    Ich bin heute fürbaß erstaunt, wie oft ich aus Ihrem Munde hören mußte, wie toll das doch mit Art. 3 der Verfassung geworden ist. Ich glaube, Sie haben eine Erinnerungslücke. Ich war dabei und kann mich gut erinnern, daß es fast zu nichts gekommen wäre, weil nämlich die Gespräche der Berichterstatterinnen geplatzt sind. Der Grund war nicht, daß die Frauen aus Ihrer Fraktion nicht wollten. Das war in der Tat nicht der Punkt. Aber es war offenbar nicht möglich, die Männer der CDU/CSU dahinzubringen, endlich zu akzeptieren, daß Frauen gleichberechtigte Wesen sind und nicht etwas Unmenschlicheres als Männer.
    Was haben wir denn zustande bekommen? Einen Minimalkonsens, bei dem das Wörtchen Gleichstellung nicht einmal in der Begründung fallen durfte. Stolz können wir wahrlich nicht darauf sein. Was allerdings richtig ist: Das ist ein kleines Hoffnungszeichen.
    Mit dieser Regierungserklärung wird zwar die Gleichberechtigung nicht bestritten — wie man auch an diesem Satz sehen kann —, aber Frauen haben darin keine Chancen. Sie haben ein Gleichberechtigungsgesetz passieren lassen, das dem anfangs zitierten Satz alle Ehre macht. Keine Chancen für Frauen
    auf dem Arbeitsmarkt. Wissen Sie eigentlich, was es für Frauen im Osten Deutschlands bedeutet, aus einem Bereich ausgegrenzt zu werden, der sie früher unabhängig und eigenständig gemacht hat? Jetzt sind viele von ihnen nicht nur arbeits- und chancenlos — weil sie einmal Frau sind und womöglich auch noch Kinder haben —, sondern sie sind jetzt sogar abhängig von der Sozialhilfe.
    In Ihrer Regierungserklärung steht, daß Anreize geschaffen werden müssen, die Sozialhilfe, wenn es irgend geht, freiwillig wieder zu verlassen. Ich empfinde das als eine Verhöhnung all derer, die von der Sozialhilfe leben müssen, weil die Strukturen dieses Landes, die Sie maßgeblich mitbestimmt haben, diese Menschen überhaupt erst dort hineingeschoben haben. Das ist eine Verhöhnung der Frauen, Kinder und Jugendlichen, die überhaupt nicht mehr anders können, als von diesem Geld leben zu müssen. Ich finde, das ist ein Unding. Das sagt etwas aus über das Menschenbild und das Frauenbild, das offenbar in Ihrer Fraktion vorherrschend ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Wissen Sie nicht, was es für Frauen bedeutet, auf Familie und Kindererziehung begrenzt zu werden, ohne daß von Ihnen hier auch nur ein Signal ausgeht? Es wäre z. B. demokratisch und gerecht, auf dem Arbeitsmarkt wirklich gleiche Chancen für Frauen und Männer zu schaffen, etwa durch die Neuaufteilung von Arbeit. Sie fordern aber Teilzeitarbeit für die Frauen, wahrscheinlich damit sie auch weiterhin ihre Mehrfachbelastung zugunsten der Männer unter einen billigen Hut bekommen.


Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
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    Rede von Christel Hanewinckel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Ja, bitte, Herr Kollege.