Rede von
Ulla
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehen Sie mal, Herr Kollege Glos, Sie habe ich so oft hier, aber mit dem Herrn Bundeskanzler kann ich viel seltener reden. Lassen Sie mir doch das Vergnügen!
Das ist eine Frage der Demokratie; um das kurz zu sagen, weil ich fest davon überzeugt bin. Demokratie heißt Entscheidung einer Mehrheit auch für die anderen. Man beugt sich dann diesen Mehrheitsentscheidungen und lebt damit. Diese Entscheidung für die Mehrheit unseres Volkes kann aber nur dann gefaßt werden, wenn die Entscheidungen von Frauen und Männern in diesem Land gleichberechtigt getroffen werden, weil ansonsten immer ein Geschlecht entscheidet, was gut für das andere Geschlecht ist. Das ist halt nicht die Mehrheit. Wir sind die Mehrheit des Volkes.
Gerechtigkeit ist notwendig, weil es so ist, daß Frauen in diesem Land — wie überall auf der Welt — sehr viel geleistet haben und sehr viel leisten. Was ihnen verwehrt bleibt, ist eine gerechte Anerkennung ihrer Leistungen. Statt dessen werden Frauen bestraft. Weil sie sich für Familie, die Pflege und viele andere Dinge entscheiden, sind sie es, die immer finanziell abhängig sind und nicht selber über sich entscheiden können.
Sie können mir glauben: Ich bin selber alleinerziehende Mutter. Ich weiß, was es heißt, berufstätig zu sein und ein Kind zu erziehen und zu versorgen, und welche Schwierigkeiten das macht. Ich hatte Glück. Ich hatte das Glück einer guten Ausbildung und auch eines Berufs, bei dem ich so viel Geld verdiente, daß das ging. Aber Millionen von Alleinerziehenden in diesem Land haben das nicht.
Deshalb, Herr Bundeskanzler, ist es notwendig, daß wir uns über die Zahl unterhalten: Bis zu welchem Einkommen wird denn Kindergeld gezahlt? Die Masse der Alleinerziehenden lebt doch von weniger als 2 000 DM im Monat. Denen nützt es doch nichts, wenn wir die Kinderfreibeträge in der Steuer erhöhen. Denen nützt nur etwas bar auf die Hand.
Ich weiß, Herr Präsident, daß meine Redezeit abgelaufen ist. Aber als drittes möchte ich noch diesen einen Satz sagen.
Wenn wir uns hier in diesem Bundestag darüber unterhalten, wie denn eine Verschlankung des Staates aussieht, wie wir denn unsere Haushalte sanieren, wie wir denn sinnvoll mit unserem gesellschaftlichen Reichtum umgehen, dann sage ich Ihnen: Es ist eine ungeheure Verschwendung von gesellschaftlichem Reichtum, wenn wir die bestqualifizierte Frauengeneration, die es in dieser Republik je gab, draußen vor den Türen stehen lassen, hinter denen Geld verdient wird, hinter denen Ideen entwickelt werden und hinter denen Politik gestaltet wird. Es sind hohe Kosten für ihre Ausbildung und ihre Qualifikation angefallen. Wir können nicht sagen, daß es reicht, wenn die Frauen nachher in niedrig bezahlten Berufen oder nicht ihrer Ausbildung gemäß eingesetzt werden. So bringen wir auch die Finanzen dieses Landes nicht in Ordnung.
Ich hoffe, daß wir jetzt gemeinsam einen Start wagen. Ich bringe die Anträge der SPD-Fraktion ein. Dann diskutieren wir über die einzelnen Punkte, wie wir die Situation der Frauen in diesem Land verändern können.
Vielen Dank.