Rede:
ID1300602400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Herr: 1
    2. Minister,: 1
    3. Ihre: 1
    4. angemeldete: 1
    5. Redezeit: 1
    6. ist: 1
    7. zu: 1
    8. Ende.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/6 Deutscher Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 157 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen (Drucksache 13/ 34) 157A Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 13/35) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Petra Bläss, Manfred Müller, weiterer Abgeordneter und der PDS: Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 13/33) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einrichtung eines Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (Drucksache 13/ 36) 157B Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Gerhard Schröder, Ministerpräsident (Niedersachsen) 157 D Michael Glos CDU/CSU 163B Margareta Wolf-Mayer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 168C Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 170B Dr. Christa Luft PDS 176A Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU 177D Rudolf Dreßler SPD 180C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 184A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 186C Dr. Gisela Babel F D P. 188B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 190 D Anke Fuchs (Köln) SPD 192B Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 193A, 195A, 219C Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . 193B, 195B Ernst Hinsken CDU/CSU 194B Dr. Günter Rexrodt F.D.P 196B Otto Schily SPD 197A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 197D Rudolf Dreßler SPD . . . 198C, 199A, 256B Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . 199C Jörg Tauss SPD 200D, 249B, 250A Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 201 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 203 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 204 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 206A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 208D Birgit Homburger F D P 210C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 212A II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Jochen Borchert, Bundesminister BML . 213C Horst Sielaff SPD 215A Dr. Gerald Thalheim SPD 215D Egon Susset CDU/CSU 216C Dr. Christa Luft PDS 216D Namentliche Abstimmung 217 C Ergebnis 221 C Ulla Schmidt (Aachen) SPD 217D Waltraud Schoppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 218D Michael Glos CDU/CSU 221 A Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 224 A Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 226 C Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 228 D Christina Schenk PDS 231 C Maria Eichhorn CDU/CSU 233B Christel Hanewinckel SPD 234 D Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . 237 D Ortrun Schätzle CDU/CSU 238 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD 240A Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . 241 A Klaus Kirschner SPD 243 A Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 246C Peter Dreßen SPD 247D Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 251A Dr. Dieter Thomae F D P. 252 C Klaus Kirschner SPD 253 C Dr. Ruth Fuchs PDS 254 A Wolfgang Friedrich Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 255 A Dr. Ruth Fuchs PDS 255 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 256 A Nächste Sitzung 257 C Berichtigung 257 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 258* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk (PDS) zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 13/35: Einsetzung von Ausschüssen (Zusatztagesordnungspunkt 2) 258* B Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 157 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung Plenarprotokoll 13/5, Seite 149B, letzter Absatz: In der zweiten Zeile ist statt „ Verführer' " „Verschwörer" zu lesen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beucher, Friedhelm SPD 24.11.94 Julius Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 24.11.94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Graf (Friesoythe), Günter SPD 24.11.94 Frhr. von Hammerstein, CDU/CSU 24.11.94 Carl-Detlev Hasenfratz, Klaus SPD 24.11.94 Dr. Höll, Barbara PDS 24.11.94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 24.11.94 Labsch, Werner SPD 24.11.94 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 24.11.94 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 24.11.94 Erich Meckel, Markus SPD 24.11.94 Neumann (Gotha), SPD 24.11.94 Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Saibold, Hannelore BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Schumann, Ilse SPD 24.11.94 Vergin, Siegfried SPD 24.11.94 Volmer, Ludger BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Vosen, Josef SPD 24.11.94 Wallow, Hans SPD 24.11.94 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 24.11.94 Wieczorek (Duisburg), SPD 24.11.94 Helmut Dr. Zöpel, Christoph SPD 24.11.94 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk (PDS) zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 13/35: Einsetzung von Ausschüssen (Zusatztagesordnungspunkt 2) Abg. Christina Schenk (PDS): Ich werde gegen den genannten Antrag stimmen, insbesondere weil ich mich gegen die Zusammenlegung der Ausschüsse Frauen und Jugend einerseits und Familie und Senioren andererseits aussprechen möchte. In der Praxis der Bundesrepublik Deutschland ist die Gleichstellung von Frau und Mann trotz der Verankerung des Gleichberechtigungsgrundsatzes im Grundgesetz noch immer nicht verwirklicht. Nach wie vor bestehen hinsichtlich der sozialen Stellung, in bezug auf die soziale Sicherung und hinsichtlich der Chancen von Frauen und Männern im Beruf, im politischen Leben, in Bildung und Ausbildung und in der Familie sowie hinsichtlich der Möglichkeit, zu selbstbestimmten Lebensentwürfen zu kommen und diese auch umzusetzen, gravierende Ungleichheiten. Eine wachsende Frauenerwerbslosigkeit in Ost und West, die deutliche Zunahme von Gewalttaten gegen Frauen und nicht zuletzt die Negierung des Rechts auf selbstbestimmte Schwangerschaft durch das Bundesverfassungsgericht zeigen sogar einen deutlichen Trend zur Verschlechterung der Lage der Frauen. Um die Selbstbestimmung und Gleichstellung der Frauen gegenüber den gefestigten patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft besser durchzusetzen, ist auf Bundesebene eine Politik erforderlich, die die Frage der Gleichstellung oder besser: Chancengleichheit von Frau und Mann in all en Politikfeldern behandelt. Eine solche Politik ist jedoch nur umsetzbar, wenn es in der Regierung und natürlich auch im Parlament eine strukturelle Grundlage dafür gibt. Daher fordert die PDS hier an dieser Stelle die Einsetzung eines Ausschusses des Bundestages für die Gleichstellung der Geschlechter. Dieser Ausschuß sollte, wie bereits angedeutet, im Querschnitt zu allen anderen Ausschüssen des Bundestages tätig werden und deshalb auch in die Arbeit aller anderen Ausschüsse einbezogen werden und in diesen Mitspracherecht haben. Die Einordnung der Gleichstellungsproblematik in die Fragen, die die Situation von Kindern, Jugendlichen und Senioren betreffen, wird weder ihrer Komplexität noch ihrem Umfang gerecht. Ich werde daher die vorgeschlagene Zusammenlegung der Ausschüsse ablehnen, und ich verbinde das mit der Bitte um Zustimmung zu unserem Antrag auf Einrichtung eines Ausschusses für Gleichstellungsfragen auf Drucksache 13/33.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht so gebildet wie mein Vorredner.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Molière!)

    — Molière. Was aber wollte uns der Dichter mit der Rede, die wir gerade gehört haben, sagen?

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Was sollen wir jetzt tun? Ich habe immer den Bleistift gespitzt und auf Vorschläge gewartet. —Ich habe den Bleistift wieder weggelegt. Meine Damen und Herren, Besprecher haben wir genug, Bearbeiter braucht dieser Staat!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Konrad Gilges [SPD]: Sie regieren doch!)

    Kommt von den Marktplätzen des Wahlkampfes zurück in die Werkstatt der Problemlösung! Das ist meine Einladung.
    In der Tat, in der großen Herausforderung stimmen wir überein: Arbeit für alle schaffen. Das ist die große Herausforderung. Nur, Frau Luft, wenn ich das nebenbei noch sagen darf: Auf die Idee, daß die Massenarbeitslosigkeit der deutschen Einheit anzulasten sei, ist noch niemand gekommen. Wenn sie jemandem anzulasten ist, dann der SED. Deshalb hört sich das, was Sie sagen, merkwürdig an.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben das Land austrocknen lassen und reden hier wie ein Spezialist für Bewässerung. Sie sind doch diejenigen, die das Land im ruinierten Zustand hinterlassen haben.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Da bleibt einem ja die Luft weg!)

    Es gibt keine Patentrezepte, sondern nur die Anstrengung aller. Wer immer nur nach dem Staat ruft, der versucht eine Lösung, die sich gerade in der DDR als falsch erwiesen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ihre Vorschläge beinhalten an Stelle der Planwirtschaft eine ABM-Wirtschaft.
    Wir brauchen die Anstrengung aller, die der Unternehmer, der Tarifpartner, des Bundes, der Länder, der
    Finanz- und der Wirtschaftspolitik. Herr Schröder ist gerade weg.

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Herr Kohl ist auch gerade weg!)

    — Ja, ich kritisiere das auch gar nicht.

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Herr Kanther ist auch gerade weg! Wenn ich alle aufzähle, die gerade weg sind: Herr Kinkel ist auch gerade weg!)

    Ich frage nur, wie dieser Vorschlag zu verstehen ist: Die Sicherheit von Tschernobyl soll erhöht werden, indem wir in Deutschland aus der Kernenergie aussteigen. Kann mir das mal jemand erklären?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der SPD: Unsinn!)

    Den Verkehr in Hamburg sperren, damit die in München besser fahren können — das ist ungefähr das gleiche Niveau. Wieso steigt die Sicherheit der Kernenergie in Tschernobyl, wenn wir in Deutschland aussteigen?

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat er doch gar nicht gesagt!)

    — Doch, das hat er gesagt. — Teilnahme an der Weiterentwicklung auch der Kerntechnologie zu einem weltweit höheren Sicherheitsstandard, nicht die Augen verschließen, das ist unsere Antwort.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der SPD: Zuhören!)

    Aber, meine Damen und Herren, was kann denn die Sozialpolitik beitragen? Sie schultert das allein auch nicht. Auch die Arbeitsmarktpolitik schultert nicht die Arbeitslosigkeit, aber sie muß einen Beitrag leisten. Ich finde, die Sozialpolitik muß sich darauf konzentrieren, Hilfen und Brücken für die Langzeitarbeitslosen zu bauen. Diese haben es am schwersten, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Sie kommen nicht allein und ohne Hilfe in den Arbeitsmarkt zurück. Unser Ziel muß es sein, sie in den ersten Arbeitsmarkt, nicht in einen zweiten Arbeitsmarkt als Ghetto einer therapeutischen Selbstbeschäftigung zu führen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Auch der Behinderte, auch der Kranke, auch der Ältere hat einen Anspruch auf einen normalen Dauerarbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Der zweite Arbeitsmarkt kann nur eine Brücke sein.
    Meine Damen und Herren, Sie dürfen es nicht so machen, daß die Festungsmauern des ersten Arbeitsmarktes immer höher gezogen werden; denn dann bleibt derjenige, der draußen ist, dort. Unsere Sorge muß das Herunterlassen der Zugbrücken sein. Wie schaffen wir das praktisch? Nicht mit den großen philosophischen Theorien, die ich gerade gehört habe. Sagen Sie das einmal ganz konkret.
    Ein Vorschlag war beispielsweise — das haben wir in der letzten AFG-Novelle durchgeführt —, daß ein Langzeitarbeitsloser während der Zeit, in der er sich



    Bundesminister Dr. Norbert Blüm
    noch qualifizieren, sich noch einarbeiten muß, sein Arbeitslosengeld bis zu zwölf Wochen behalten kann. Das ist eine Brücke.
    Oder ein anderes Beispiel: Wir machen jetzt den Vorschlag, daß ein solcher Langzeitarbeitsloser von der Bundesanstalt für Arbeit in den Betrieb verliehen wird. Wenn er sich dort bewährt, kann er dort bleiben, wenn nicht, geht er wieder zurück. Dieser Vorschlag ist im übrigen, bevor Sie gleich wieder pfui schreien, sowohl von den Gewerkschaften wie auch von den Arbeitgebern begrüßt worden. Das sind keine alten Trampelpfade, diese Phraseologie, die ich gerade 20 Minuten lang gehört habe, sondern ganz konkrete Vorschläge.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Eben hat eine Kollegin von Opel erzählt und damit von meiner Heimatstadt. Als ich noch bei Opel gelernt habe, gab es neben dem Facharbeiterberuf den Anlernberuf für junge Menschen, die die Qualifikationsanforderungen eines Facharbeiterberufes nicht erfüllen. Dann kamen die Hochseilartisten der Bildungspolitiker und haben den Anlernberuf gestrichen. Die haben vergessen, daß auch am Boden noch ein paar Leute arbeiten. Was ist das Ergebnis? Die sind jetzt als Ungelernte arbeitslos.
    Deshalb brauchen wir auch Berufsbilder für diejenigen, die den Facharbeiterberuf nicht schaffen. Wir müssen heraus aus den alten, starren Berufsordnungen. Das alles ist ganz konkret.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Diskussion über die Begrenzung der Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre ist aus meiner Sicht nur eine Stellvertreterdiskussion. In Wirklichkeit geht es darum, daß zwei Kassen, die Arbeitslosenhilfekasse und die Sozialhilfekasse, unverbunden nebeneinander bestehen.

    (Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)

    — Nein, nicht Gott sei Dank; das will ich Ihnen gleich erklären. — Beide Leistungen sind keine Beitragsleistungen. Die einen werden von den Kommunen verwaltet, die anderen von der Arbeitslosenhilfe.
    Jeder verwaltet nur seine Kasse; niemand blickt über den Tellerrand der eigenen Zuständigkeit hinaus. So kommt es zu dem völlig unkoordinierten Verhältnis: Arbeitslosenhilfe bekommst du, wenn du einmal beschäftigt warst, wenn es sein muß, für den Rest des Lebens. Wer dieses Glück nicht hatte, bekommt Sozialhilfe. Dort erhält der Familienvater bzw. die Familienmutter viel höhere Leistungen als in der Arbeitslosenhilfe. Dafür ist allerdings die Anrechnung des eigenen Eigentums weitergehender als in der Arbeitslosenhilfe. Warum Sie das dauernd verteidigen, weiß ich nicht. Bist du einmal in der Arbeitslosenhilfe, bekommst du auch Arbeitsmarktmaßnahmen. Hast du das Pech gehabt, nie beschäftigt zu sein, bekommst du auch keine ABM und keine Qualifizierung.
    Kann mir einmal jemand die Ratio einer solchen Regelung erklären? Das ist ein Tohuwabohu. Weil es die Kassenwarte immer verhindert haben, haben wir
    keine Koordination für diejenigen erreicht, die der Hilfe am meisten bedürfen. Da gehen wir jetzt ran.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Jetzt komme ich zum Sozialsystem. Ich stimme dem Kollegen Dreßler zu — ich halte hier keine Rede schwarz, weiß —: Sozialversicherung hat nichts mit Fürsorge zu tun. --- Kollege Dreßler, hören Sie zu, wenn ich Ihnen einmal recht gebe. —

    (Rudolf Dreßler [SPD]: Nur Mut!)

    Sozialversicherung hat etwas mit Leistung zu tun, nicht mit Bedürfnis.

    (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    — Wer gefährdet denn die Sozialversicherung pausenlos mit Vorschlägen, z. B. eine Grundsicherung einzuführen? Der gefährdet doch den Leistungsbezug unserer Rentenversicherung.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Mit Ihnen, Herr Dreßler, verteidige ich die Lohnbezogenheit der Rente. Ich finde es gut, daß gerade in dieser Woche durch ein Gutachten von Prognos die Äußerungen aller Katastrophenspezialisten, die den Zusammenbruch unserer Rentenversicherung angekündigt haben, widerlegt wurden.
    Unsere Rentenreform, gemeinsam geschafft, hat sich als richtig und notwendig erwiesen. Die Beitragssätze sind sogar niedriger, als wir damals geschätzt haben. Sie hat auch genügend Hebel, um auf Herausforderungen zu antworten.
    Aber ein paar Sachen muß ich nun doch erwähnen: Herr Schröder hat heute morgen die Frühverrentungen verteidigt. Meine Damen und Herren, ich habe beim Vorruhestand ja mitgemacht, mitgepusht, auch beim Altersübergangsgeld. Ich stelle mit Betroffenheit fest: Was einmal als Ausnahme gedacht war, schleicht sich jetzt als der normale Weg ein, um Personalprobleme von Großbetrieben zu lösen. Da mache ich nicht mit.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Erstens mache ich aus Gerechtigkeitsgründen nicht mit. Die Sozialpläne der Großbetriebe werden zu zwei Dritteln von den Sozialkassen bezahlt, also auch von den Arbeitnehmern aus den Kleinbetrieben und Handwerksmeistern, die selber nicht das Geld für die Sozialpläne haben. Das ist aus meiner Sicht eine Ungerechtigkeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Zweitens. Wie wollen Sie, wenn sich die Frühverrentung einschleicht, Rentensicherheit gewähren? Wir brauchen doch eher eine Anhebung als eine Absenkung der Altersgrenze.
    Drittens — das hat Herr Schröder heute morgen klassisch bewiesen —: Wir stabilisieren ein Vorurteil: Die Jungen sind die Beweglichen, und die Alten sind die Starren. Er selber hat heute morgen gesagt, die Jungen bräuchten Arbeit, sie seien die Beweglicheren. Die Schlußfolgerung, dann sind die Alten die Starren, stimmt doch mit der Lebenswirklichkeit nicht überein. Ich kenne Alte, die sehr starr sind, und Junge,



    Bundesminister Dr. Norbert Blüm
    die sehr beweglich sind, und ich kenne Alte, die sehr beweglich sind, und Junge, die sehr starr sind.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was sind Sie denn?)

    —Ja, Frau Fuchs, Sie können das Beispiel vom jungen Dreßler und vom alten Blüm nehmen. Ich frage: Wer von den beiden ist beweglicher?

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Heiterkeit bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, sicherlich können wir die Hände nicht in den Schoß legen. Wir müssen darauf achten, daß die Solidarkassen nicht unter Erosion leiden, daß neue berufsständische Versorgungswerke nicht nach der Risikoselektionsmethode gebildet werden: Die Jungen hauen ab. Das ist nicht meine Vorstellung von Solidarität. Solidarität heißt nicht seitwärts ins Gebüsch abhauen; Solidarität funktioniert nicht nach der Aschenputtelmethode: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Solidarität funktioniert nur, wenn gute und schlechte Risiken, jung und alt eine Solidargemeinschaft bilden, die seit über 100 Jahren unsere soziale Sicherheit garantiert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Minister, Ihre angemeldete Redezeit ist zu Ende.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich mache noch einige Bemerkungen und komme dann zum Schluß.

    (Lachen bei der SPD)

    — Ich muß ja im Sinne eines Dialogs antworten.
    Wissen Sie, die Sache mit dem Dienstmädchen höre ich heute zum 25. Mal. Herr Dreßler hat ein Beispiel gebracht, in dem eine arbeitslose Textilarbeiterin aus Plauen oder aus Viersen bei einem Zahnarzt in Hamburg — habe ich es richtig nacherzählt? — Dienstmädchen wird. Ich will Ihnen, Herr Dreßler, folgendes sagen: Wenn eine arbeitslose Textilarbeiterin aus Plauen oder aus Viersen durch eine Anstellung im Haushalt wieder Arbeit bekommt, ist mir das lieber, als wenn sie arbeitslos bliebe. Sie müßte deswegen nicht unbedingt nach Hamburg; es müßte nur dafür gesorgt werden, daß auch die Hauswirtschaft ein Teil des Arbeitsmarktes wird.
    Sie kommen immer mit dem 19. Jahrhundert. So viele Direktoren gibt es gar nicht, wie wir Arbeitsplätze in Haushalten brauchen. Was wir nicht brauchen, sind Ihre alten, verstaubten Klamotten aus dem 19. Jahrhundert. Wir brauchen auch den Haushalt als Arbeitsmarkt, zumal ja viele Frauen berufstätig geworden sind und sich somit hauswirtschaftliche Leistungen über den Arbeitsmarkt besorgen können. Früher wurde diese Tätigkeit von der Hausfrau erledigt.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. —Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das Ganze wird steuerfinanziert!)

    Sie sind im 19. Jahrhundert stehengeblieben. Es tut mir leid, Herr Dreßler, wir werden diese Debatte noch
    in der ganzen kommenden Legislaturperiode führen. Dann will ich einmal, um Ihrer Einleitung gerecht zu werden, sehen, wer von uns beiden ausgebrannter ist. Wenn ich schon nicht Molière zitiere, tröste ich Sie mit Goethe: „Es irrt der Mensch, solang er strebt."

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)