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ID1300601600

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    Plenarprotokoll 13/6 Deutscher Stenographischer Bericht 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 157 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Bestimmung des Verfahrens für die Berechnung der Stellenanteile der Fraktionen (Drucksache 13/ 34) 157A Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 13/35) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Petra Bläss, Manfred Müller, weiterer Abgeordneter und der PDS: Einsetzung von Ausschüssen (Drucksache 13/33) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einrichtung eines Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (Drucksache 13/ 36) 157B Tagesordnungspunkt: Regierungserklärung des Bundeskanzlers (Fortsetzung der Aussprache) Gerhard Schröder, Ministerpräsident (Niedersachsen) 157 D Michael Glos CDU/CSU 163B Margareta Wolf-Mayer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 168C Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 170B Dr. Christa Luft PDS 176A Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU 177D Rudolf Dreßler SPD 180C Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 184A Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 186C Dr. Gisela Babel F D P. 188B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 190 D Anke Fuchs (Köln) SPD 192B Dr. Norbert Blüm CDU/CSU 193A, 195A, 219C Hans-Eberhard Urbaniak SPD . . . 193B, 195B Ernst Hinsken CDU/CSU 194B Dr. Günter Rexrodt F.D.P 196B Otto Schily SPD 197A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU 197D Rudolf Dreßler SPD . . . 198C, 199A, 256B Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . 199C Jörg Tauss SPD 200D, 249B, 250A Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 201 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 203 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 204 A Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 206A Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 208D Birgit Homburger F D P 210C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 212A II Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Jochen Borchert, Bundesminister BML . 213C Horst Sielaff SPD 215A Dr. Gerald Thalheim SPD 215D Egon Susset CDU/CSU 216C Dr. Christa Luft PDS 216D Namentliche Abstimmung 217 C Ergebnis 221 C Ulla Schmidt (Aachen) SPD 217D Waltraud Schoppe BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 218D Michael Glos CDU/CSU 221 A Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 224 A Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 226 C Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . . 228 D Christina Schenk PDS 231 C Maria Eichhorn CDU/CSU 233B Christel Hanewinckel SPD 234 D Walter Link (Diepholz) CDU/CSU . . 237 D Ortrun Schätzle CDU/CSU 238 D Ulla Schmidt (Aachen) SPD 240A Ilse Falk CDU/CSU . . . . . . . . . 241 A Klaus Kirschner SPD 243 A Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 246C Peter Dreßen SPD 247D Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 251A Dr. Dieter Thomae F D P. 252 C Klaus Kirschner SPD 253 C Dr. Ruth Fuchs PDS 254 A Wolfgang Friedrich Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 255 A Dr. Ruth Fuchs PDS 255 B Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 256 A Nächste Sitzung 257 C Berichtigung 257 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 258* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk (PDS) zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 13/35: Einsetzung von Ausschüssen (Zusatztagesordnungspunkt 2) 258* B Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 6. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 157 6. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 24. November 1994 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung Plenarprotokoll 13/5, Seite 149B, letzter Absatz: In der zweiten Zeile ist statt „ Verführer' " „Verschwörer" zu lesen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beucher, Friedhelm SPD 24.11.94 Julius Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 24.11.94 Dr. Eid-Simon, Ursula BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Graf (Friesoythe), Günter SPD 24.11.94 Frhr. von Hammerstein, CDU/CSU 24.11.94 Carl-Detlev Hasenfratz, Klaus SPD 24.11.94 Dr. Höll, Barbara PDS 24.11.94 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 24.11.94 Labsch, Werner SPD 24.11.94 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 24.11.94 Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 24.11.94 Erich Meckel, Markus SPD 24.11.94 Neumann (Gotha), SPD 24.11.94 Gerhard Nickels, Christa BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Saibold, Hannelore BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Schumann, Ilse SPD 24.11.94 Vergin, Siegfried SPD 24.11.94 Volmer, Ludger BÜNDNIS 24.11.94 90/DIE GRÜNEN Vosen, Josef SPD 24.11.94 Wallow, Hans SPD 24.11.94 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 24.11.94 Wieczorek (Duisburg), SPD 24.11.94 Helmut Dr. Zöpel, Christoph SPD 24.11.94 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christina Schenk (PDS) zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 13/35: Einsetzung von Ausschüssen (Zusatztagesordnungspunkt 2) Abg. Christina Schenk (PDS): Ich werde gegen den genannten Antrag stimmen, insbesondere weil ich mich gegen die Zusammenlegung der Ausschüsse Frauen und Jugend einerseits und Familie und Senioren andererseits aussprechen möchte. In der Praxis der Bundesrepublik Deutschland ist die Gleichstellung von Frau und Mann trotz der Verankerung des Gleichberechtigungsgrundsatzes im Grundgesetz noch immer nicht verwirklicht. Nach wie vor bestehen hinsichtlich der sozialen Stellung, in bezug auf die soziale Sicherung und hinsichtlich der Chancen von Frauen und Männern im Beruf, im politischen Leben, in Bildung und Ausbildung und in der Familie sowie hinsichtlich der Möglichkeit, zu selbstbestimmten Lebensentwürfen zu kommen und diese auch umzusetzen, gravierende Ungleichheiten. Eine wachsende Frauenerwerbslosigkeit in Ost und West, die deutliche Zunahme von Gewalttaten gegen Frauen und nicht zuletzt die Negierung des Rechts auf selbstbestimmte Schwangerschaft durch das Bundesverfassungsgericht zeigen sogar einen deutlichen Trend zur Verschlechterung der Lage der Frauen. Um die Selbstbestimmung und Gleichstellung der Frauen gegenüber den gefestigten patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft besser durchzusetzen, ist auf Bundesebene eine Politik erforderlich, die die Frage der Gleichstellung oder besser: Chancengleichheit von Frau und Mann in all en Politikfeldern behandelt. Eine solche Politik ist jedoch nur umsetzbar, wenn es in der Regierung und natürlich auch im Parlament eine strukturelle Grundlage dafür gibt. Daher fordert die PDS hier an dieser Stelle die Einsetzung eines Ausschusses des Bundestages für die Gleichstellung der Geschlechter. Dieser Ausschuß sollte, wie bereits angedeutet, im Querschnitt zu allen anderen Ausschüssen des Bundestages tätig werden und deshalb auch in die Arbeit aller anderen Ausschüsse einbezogen werden und in diesen Mitspracherecht haben. Die Einordnung der Gleichstellungsproblematik in die Fragen, die die Situation von Kindern, Jugendlichen und Senioren betreffen, wird weder ihrer Komplexität noch ihrem Umfang gerecht. Ich werde daher die vorgeschlagene Zusammenlegung der Ausschüsse ablehnen, und ich verbinde das mit der Bitte um Zustimmung zu unserem Antrag auf Einrichtung eines Ausschusses für Gleichstellungsfragen auf Drucksache 13/33.
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    Rede von Dr. Günter Rexrodt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein, Frau Präsidentin, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu.
    Lassen Sie mich zum Herrn Ministerpräsidenten Schröder zurückkommen: Ein Ministerpräsident, in dessen Bundesland die Staatsausgaben überdurchschnittlich gewachsen sind, in dem der Wirtschaftsförderungsfonds, das Landesdarlehensprogramm und ein Technologieprogramm zu Lasten des Mittelstands heruntergefahren werden, ein Mann, der für einen Haushalt verantwortlich ist, in dem die Investitionen unterrepräsentiert sind, ein Mann, der für ein Bundesland steht, das im Bundesrat gegen das Planungsvereinfachungsgesetz gestimmt hat,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

    das die Gentechnik erschwert und das Standortsicherungsgesetz abgelehnt hat, ein solcher Mann will uns hier sagen, wo es langzugehen hat!

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Nicht einmal als Vorsitzender des Vermittlungsausschusses haben Sie sich durchgesetzt, Herr Schröder.



    Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
    Bringen Sie Ihr Bundesland in Ordnung, Herr Ministerpräsident! Inszenieren Sie sich in der Provinz! Sie haben kein Konzept, Sie haben keine Prinzipien, Sie haben keine Visionen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Was kommt von der SPD zusätzlich zur Wirtschaftspolitik, abgesehen von dem in sich nicht schlüssigen Vorwurf von der Umverteilung von unten nach oben, festgemacht am Solidaritätszuschlag? Es gibt zunächst einmal den gebetsmühlenartigen Vorwurf, wir wollten den Sozialstaat demontieren.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt ja auch!)

    Es ist müßig, darauf einzugehen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was sagen die Kirchen?)

    Den großen Wurf sehen Sie dann in Ihrem Vorschlag eines Beschäftigungspaketes zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften, Staat und Bundesbank.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Eine gute Sache!)

    Meine Damen und Herren, abgesehen von dem gefährlichen Versuch der Vereinnahmung der Bundesbank tun Sie so, als ob es den Dialog und die Absprache zwischen den großen gesellschaftlichen Gruppen bei uns nicht gäbe. Die hat es gegeben, die wird es geben, und die werden gerade intensiviert. Wir haben diese Gespräche geführt und werden das weiter tun.
    Ihr eigentlicher Traum dahinter ist aber der große Gesellschaftsentwurf. Das ist die Industriepolitik, bei der im gesellschaftlichen Konsens festgelegt werden soll, was entwickelt, was weniger entwickelt, was gefördert und nicht gefördert und was ausgetrocknet werden soll.
    In diesem großen Gesellschaftsentwurf unterscheiden wir uns. Auch wir führen den intensiven Dialog,

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aber Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt!)

    z. B. zu Fragen der Informationsgesellschaft oder zur Telekommunikation, zur Energiepolitik und zum Verkehr. Aber diese Absprache, dieser Dialog erfolgen vor dem Hintergrund, daß wir den Ausleseprozeß, den Suchprozeß des Marktes, prinzipiell nicht außer Kraft setzen wollen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Letztlich muß der Markt darüber befinden, was in unserer Wirtschaft Bestand haben soll oder nicht. Ausnahmen sind immer möglich, aber eben Ausnahmen und nicht Ideologie und nicht der Traum von der Machbarkeit einer idealen Gesellschaft.
    Lassen Sie mich auf einen dritten, „bedeutenden Vorschlag" Ihrerseits eingehen. Sie kommen immer wieder mit der Kaufkrafttheorie des Lohnes. Aber Sie vergessen in Ihrer Argumentation, daß es auch einen Kosteneffekt der Löhne gibt und daß dieser Kosteneffekt sehr viel größer ist als der Einkommenseffekt. Das darf man nicht vergessen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Heinz Mundorf hat nicht zu Unrecht gesagt, daß Sie mit dieser Kaufkrafttheorie einen Nobelpreis für eine Münchhausentheorie verdient hätten.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich greife auf, was Sie, Herr Schröder, sagen. Als ob ich mich hinstellte und sagte: „Die Löhne müssen herunter"; als ob ich ein Tor wäre;

    (Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt nähert sich die Rede der Wahrheit!)

    als ob wir nicht hohe Löhne bräuchten, um den Absatz von Gütern und Dienstleistungen zu sichern,

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Valium!)

    um den Wohlstand in unserem Land zu erhalten. Das ist doch selbstverständlich. Nur müssen wir in gewissen Zeiten in einer wirtschaftlichen Entwicklung und bei strukturellen Verwerfungen, wie wir sie haben, eine richtige Balance zwischen dem Kosteneffekt und dem Nachfrageeffekt finden. Wenn unsere Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit verlieren — das bestreitet doch niemand —, dann müssen wir auch
    — ich betone: auch — darauf achten, daß unsere Unternehmen von Kosten entlastet werden. Löhne und Gehälter sind nun einmal Kosten, und deshalb müssen vernünftige Abschlüsse getätigt werden,

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    nicht mehr und nicht weniger. Alles andere ist inhaltslose Polemik, ist Zuspitzung dessen, was unserer Wirtschaftspolitik auch im theoretischen Fundament zugrunde liegt.
    Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen unser Konzept erläutern, weil Sie ja Schwierigkeiten haben, es zu verstehen — vielleicht wollen Sie es auch gar nicht verstehen —, und um Ihnen ein bißchen Ermunterung zu geben, damit Sie einen Gegenentwurf machen können und nicht an einigen Stichworten herummäkeln müssen.
    Wir machen eine Politik, die auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen setzt, die Freiräume für unternehmerisches Handeln sucht und nicht Gängelung.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was heißt das?)

    — Ich komme darauf zu sprechen, Frau Fuchs; sofort.
    — Wir sind überzeugt, daß Freiräume notwendig sind, um die Ressourcen zu erwirtschaften, die wir brauchen, u. a. um eine überzeugende Sozialpolitik zu machen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aber bitte konkret!)

    — Sofort, Frau Kollegin.
    Visionen müssen Bestandteil unseres gesellschaftlichen Denk- und Suchprozesses sein; ihre Umsetzung unterliegt aber nicht staatlicher Anordnung, sondern



    Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
    pluralistischer Diskussion. Demokratie und Marktwirtschaft sind die überlegenen Prinzipien; das sind unsere Prinzipien.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Und nun konkret: Wir wollen wettbewerbsfähige Betriebe. Wenn es sie gibt, dann brauchen wir uns um Arbeitsplätze keine Gedanken zu machen, dann wird Arbeit ausreichend nachgefragt. Deshalb konzentrieren wir uns im Ansatz unserer Wirtschaftspolitik auf Rahmenbedingungen, die darauf zielen,

    (Zuruf von der SPD: Welche denn?)

    dieses Land auf das 21. Jahrhundert vorzubereiten. Vieles haben wir in der letzten Legislaturperiode in Gang gebracht. Daran knüpfen wir an.
    In den Koalitionsvereinbarungen geht es um die Rückführung öffentlicher Aufgaben und den Abbau steuerlicher Belastungen, letzteres auch und gerade, um die Wirtschaft zu entlasten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und um Arbeitsplätze zu erhalten.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Unser Ziel ist es, die Staatsquote auf 46 % im Jahr 2000 herunterzubringen. Es geht hier ganz konkret
    — das ist bereits vom Kollegen Waigel und anderen gesagt worden — um die Freistellung des Existenzminimums von der Steuerpflicht und die Fortsetzung der Unternehmensteuerreform, um die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die Rückführung der Gewerbeertragsteuer und den Abbau des Solidarzuschlages so bald wie möglich.
    Die Kommunen sollen ihre Finanzhoheit behalten; sie sollen in bezug darauf nicht beeinträchtigt werden.

    (Zuruf von der SPD: Wie?)

    — Dies wird zu regeln sein. Darüber haben wir zu sprechen. Beispielsweise über die Lohn- und Einkommensteuer. Das sind Möglichkeiten und Ansatzpunkte. Keiner kann erwarten, daß wir dies heute im Detail vorlegen; das wollen wir mit Ihnen diskutieren, mit den Verantwortlichen aus den Gemeinden. Das werden wir voranbringen, weil es sinnvoll ist, weil es notwendig ist, um Arbeitsplätze in unserer Wirtschaft zu schaffen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    — Machen Sie doch einen Entwurf! (Lachen und Zurufe von der SPD)

    — Von Ihnen einmal einen konstruktiven Beitrag und nicht lautes Gegröle zu hören, das wäre sehr hilfreich für das gesamte Parlament.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es sind aber nicht allein die hohen Steuern, die im wahrsten Sinne auf Kosten von Produktion und Beschäftigung gehen. Nach wie vor verteuern unnötige Gesetze und Regeln die Produktion. Der Mittelstand ist besonders betroffen, und deshalb gilt es, ihn
    zu entlasten: in Industrie, in Handwerk, in Handel, Gewerbe, in den freien Berufen. Der Mittelstand ist Beschäftigungsträger Nummer eins in Deutschland. In ihm arbeiten zwei Drittel der Beschäftigten. Er bildet 80 % unserer jungen Menschen aus. Mittelstandspolitische Vorhaben durchziehen alle wirtschaftspolitischen Abschnitte der Koalitionsvereinbarung, meine Damen und Herren.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

    Wir setzen auf der einen Seite auf die bewährten Instrumente der Mittelstandsförderung, auf Eigenkapitalhilfe und die ERP-Kreditprogramme, auf die Unterstützung von Forschung und Entwicklung — das sind konkrete Programme, mit denen dreistellige Millionensummen zur Verfügung gestellt werden — und fügen dem eine Initiative für zusätzliche Existenzgründungen und für mehr Selbständigkeit hinzu.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

    Wir setzen dabei auf die Gleichwertigkeit von beruflicher Ausbildung und akademischer Ausbildung, und wir gießen das in Zahlen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Es ist doch nicht einzusehen, daß die Ausbildung zum Mediziner auf staatliche Kosten erfolgt und die Ausbildung zum selbständigen Orthopädiemeister nur unter erheblichem privaten Verzicht möglich ist. Das soll anders werden!

    (Zurufe von der SPD)

    Wenn wir das in der Vergangenheit nicht so gestaltet haben, dann zeigt das doch, daß wir lernfähig sind.

    (Beifall bei der F.D.P. — Anhaltende Zurufe von der SPD)

    — Ich wiederhole: Das zeigt, daß wir die Probleme des Mittelstandes aufgenommen haben.
    Eine Bundesregierung — auch eine solche, die Sie gestellt haben — muß und wird immer in der Lage sein, ihre eigenen Programme zu ergänzen, ihre eigenen Programme neu einzustellen. Das ist das Selbstverständlichste der Welt. Wenn wir das eine unterlassen haben, was notwendig war, und etwas hinzufügen, dann ist das Ausdruck einer vernünftigen und realen Wirtschaftspolitik.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir wollen fertigwerden mit den Hauptproblemen der mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundesländern, mit dem Mangel an Eigenkapital. Dazu wird ganz konkret ein Förderprogramm eingeführt. Wir wollen zusätzliches Eigenkapital in die neuen Bundesländer lenken durch zusätzliche Anreize, die wir dafür geben, für Menschen in Ost und in West. Die Vorbereitungen dafür sind bereits angelaufen. Wir wollen die Mittelstandsförderung auch transparenter machen, überschaubarer für den einzelnen Unternehmer. Ein Mittelstandsbeauftragter in meinem Ministerium soll diese Arbeiten koordinieren.



    Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
    Die Menschen in den neuen Ländern haben ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Die Bundesregierung wird sie dabei weiter unterstützen, und zwar ganz konkret: mit der modifizierten Verlängerung von Investitionszulagen und Sonderabschreibungen, mit dem weiteren Verzicht auf die Erhebung von Gewerbekapital- und Vermögensteuer, mit der Fortführung des Eigenkapitalhilfeprogramms und mit zusätzlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation und dem zügigen Aufbau der Infrastruktur. Von der Opposition habe ich nie ein alternatives Konzept gehört.

    (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

    Meine Damen und Herren, Sie mäkeln herum an der Arbeit der Treuhand, es werde zuwenig saniert und zuviel und zu schnell privatisiert. Wenn wir nicht saniert hätten, meine Damen und Herren, dann hätten wir am 4. Oktober 1990 bereits 95 Prozent der Industriebetriebe zumachen müssen. Wir haben dreistellige Milliardensummen in die Sanierung der ostdeutschen Industrie gesteckt. Und es ist in einer Rekordzeit und mit einem riesigen Erfolg gelungen, die Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft abzuschließen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Dabei hat es sicherlich Entscheidungen gegeben, über die man diskutieren kann. Aber wenn man die Arbeit der Treuhand insgesamt sieht, dann ist es eine erfolgreiche, eine noch nie dagewesene Arbeit ohne Modell, für die wir in der ganzen Welt bewundert werden, wohin man auch kommt, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Die Strategie in den neuen Ländern hat sich bewährt. 9 % Wachstum in diesem Jahr, 9 % Wachstum im nächsten Jahr, Rekordinvestitionen von 180 Milliarden DM, und die Pro-Kopf-Investitionen liegen in den neuen Ländern über den Pro-KopfInvestitionen in den alten Ländern. Das alles spricht für die Arbeit, die dort geleistet worden ist, und es spricht gegen die Miesmachertour, die die meisten von Ihnen mit Blick auf die Politik in den neuen Bundesländern betreiben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich füge hinzu: Erfolg kann nur unter Bedingungen erzielt werden, die politisch stabil und demokratisch sind. Ich greife das auf, was Kollege Glos gesagt hat. Der Rücktritt von Herrn Gramke zeigt, daß der Schmusekurs mit der PDS, den u. a. Sie, Herr Schröder, betreiben, in ein Desaster — nicht nur für die SPD — führt.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Neue Beschäftigungsfelder gibt es dann, wenn wir uns neuen Technologien zuwenden: in der Telekommunikation, in der Bio- und Gentechnologie, in der Luft- und Raumfahrttechnik, im Umweltschutz. Morgen wird im Bundesrat über eine Gentechnikverordnung entschieden. Die Bundesregierung fordert Sie auf, meine Damen und Herren: Zeigen Sie einmal, wie Sie zu Technik und zu neuen Technologien stehen! Morgen haben Sie dazu Gelegenheit.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir brauchen mehr Technikakzeptanz. Dies muß im übrigen Thema und Inhalt eines sinnvollen technologiepolitischen Dialogs zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaft und Staat sein. Diesen Dialog, den wir im übrigen u. a. über die Petersberger Gespräche seit vielen Jahren führen, werden wir intensivieren.

    (Rudolf Scharping [SPD]: Keine Drohung!)

    Es ist ein Dialog, bei dem man zuhört, bei dem man lernt, in dem wir aber die Verantwortlichkeiten nicht verschieben werden.

    (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Was bringen Sie denn ein?)

    Aber lernen und abstimmen und die Verantwortlichkeit im eigenen Bereich tragen, das wollen wir. Das ist unsere Vorstellung von Technologiepolitik und technologiepolitischem Dialog.
    Meine Damen und Herren, auch im Umweltschutz entstehen neue Wachstums- und Beschäftigungsfelder. Zunächst aber geht es darum, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Wir wissen alle, Umweltschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Damit wir im Umweltschutz vorankommen und die Kosten nicht ausufern, setzen wir in der Umweltpolitik auf marktwirtschaftliche Instrumente und auf weniger Verordnungen und Vorschriften. Wir wollen die Steuerung über den Preis, und wir setzen mehr als bisher auf freiwillige Vereinbarungen zwischen dem Staat und der Wirtschaft. Dies ist gelungen, dies ist eingeleitet, und dies werden wir fortsetzen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wo ist das gelungen?)

    — Das ist in vielen Bereichen gelungen: beim Kreislaufwirtschaftsgesetz, im Automobilbereich bei den Batterien, bei der Verbringung von gefährlichen Abfallstoffen ins Ausland und anderem mehr. Machen Sie sich sachkundig! Pflegen Sie nicht Ihre Vorurteile! Setzen Sie darauf, daß Menschen selbstverantwortlich Vereinbarungen herbeiführen können und daß dabei mehr herausspringt, als ständig ein neues Gesetz, eine neue Verordnung zu beschließen, was Ihrem Gesellschaftsmodell entspricht!

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Der Beschäftigungsstandort Deutschland ist auf eine sichere, kostengünstige und umweltfreundliche Energieversorgung angewiesen. Deshalb brauchen wir — hier geht es wieder um konkrete Wirtschaftspolitik — mehr Wettbewerb in der Energiewirtschaft, bei Strom und bei Gas. Diesen immer noch kartellierten Bereich wollen wir im Dialog auch mit den Kommunen und der Europäischen Kommission angehen. Wir brauchen in der Energiewirtschaft verläßliche Bedingungen für Investitionen. Deshalb brauchen wir endlich den energiepolitischen Konsens in und für Deutschland.
    Herr Ministerpräsident Schröder, die niedersächsische Landesregierung redet gebetsmühlenhaft vom notwendigen energiepolitischen Konsens. Ich sage ganz klar: Die Bundesregierung ist zu diesem energiepolitischen Konsens bereit. Aber zu einem Konsens, Herr Ministerpräsident, gehören immer zwei oder mehrere Parteien, die aufeinander zugehen, die kom-



    Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
    promißbereit sind. Energiepolitischen Konsens und Kompromiß kann es u. a. nur dann geben, wenn eine verantwortliche Lösung für die Entsorgung der bestehenden Kernkraftwerke gefunden wird.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ihre Umweltministerin, Herr Schröder, leitet das Wasser auf die Mühlen der militanten Umweltaktivisten. Sie läuft Gefahr, mit ihrer Kompromißlosigkeit zur Entsorgung die Totengräberin eines energiepolitischen Konsenses zu werden.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Die GRÜNEN und Ihre Landesregierung in Niedersachsen wollen über den Hebel der Entsorgung den Bund und die Energiewirtschaft zwingen, auf die sichere und kostengünstige Kernenergie zu verzichten. Herr Ministerpräsident, wir waren uns in den Konsensgesprächen bereits so weit näher gekommen, daß eine befristete Duldung der Kernenergie von Ihrer Seite — wir meinten: zuwenig; aber immerhin — angeboten wurde. Können Sie mir erklären, wie Sie sich eine Einigung ohne eine gesicherte Entsorgung vorstellen? Wie soll es zu einem Energiekonsens kommen, wenn wir keine Entsorgung sichergestellt haben? Sie entziehen sich Ihrer Verantwortung,

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    indem Sie Ihrer Umweltministerin freien Lauf lassen, indem Sie sich nicht dem Widerstand der Umweltgruppen in Gorleben entgegenstellen,

    (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    sondern — im Gegenteil — noch eine Ermunterung für diese Gruppen aussprechen. Sie gefährden die Sicherheit unserer Bürger,

    (Detlev von Larcher [SPD]: Der weiß nicht, wovon er spricht!)

    indem Sie eine geregelte und wissenschaftlich abgesicherte Entsorgung seit Jahren blockieren.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: So ist es!)

    Schon in wenigen Jahren, meine Damen und Herren, wird die Zeit gekommen sein, in der wir die Versäumnisse der Vergangenheit in der Energiepolitik bereuen werden. Ich darf daran erinnern, daß auch Niedersachsen zu rund 40 % von der Kernenergie abhängig ist. Wir dürfen uns in der Energieversorgung nicht allein von den fossilen Energien abhängig machen.
    Die zusätzlichen CO2-Belastungen durch den Ausbau von Öl-, Gas- oder Kohlekraftwerken wären für die Umwelt nicht tragbar. Wir wollen auf regenerative Energien setzen, und wir sehen auch in der Energieeinsparung ein riesiges, zu großen Teilen noch unerschlossenes Potential.
    Aber, meine Damen und Herren, wer meint, daß wir die Energieprobleme in Deutschland ohne einen sinnvollen Energie-Mix aus allen wichtigen Energieträgern — einschließlich Energieeinsparung; einschließlich regenerativer Energien; Kohle und Öl, aber auch
    der Kernkraft — ohne Kernkraft lösen können, der liegt falsch, der ist schief gewickelt.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir müssen auch in Zukunft in Deutschland in der Lage sein, auf der jeweils sichersten Technologie Kernkraftwerke zu bauen. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um den Endlagerstandort Gorleben und den Transport eines Castor-Behälters haben Symbolwert. Ich hoffe sehr, daß dadurch die Energiekonsensgespräche nicht gestört werden. Wir wollen sie wieder aufnehmen.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als letzten konkreten Punkt — vieles wäre noch hinzuzufügen — darauf hinweisen, daß wir unsere Exportwirtschaft mit konkreten Hilfestellungen flankieren: mit dem Hermes-Instrumentarium, mit den Außenhandelskammern und mit den Beratungsprogrammen.
    Wir gehen als Bundesregierung — viele Parlamentarier sind auch dabei — hinaus in andere Länder. Wir verhandeln hart, und wir klopfen auch an. Niemand kann uns schelten, wir hätten zuwenig getan. Wir waren in China, in Indien, in Thailand, in Taiwan, in Mexiko, in Saudi-Arabien und in vielen anderen Staaten.

    (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Viel zu spät! Nur Aktionismus!)

    Wir haben Milliarden-Aufträge für unsere Unternehmen hereingeholt: der Bundeskanzler, der Finanzminister und der Wirtschaftsminister, mit großen Delegationen von Unternehmern,

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Den Außenminister nicht vergessen!)

    die über alle Maßen angetan waren von dem, was diese Bundesregierung tut, um im Export die Türen aufzustoßen.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.] sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir sind Exportweltmeister, meine Damen und Herren, und viele in diesem Hause und anderswo haben dazu beigetragen.
    Ich sage zusammenfassend: Unsere marktwirtschaftliche Politik ist ohne jede Alternative. Unser Konzept hat sich als richtig erwiesen. Die Beschäftigungswende in Ostdeutschland und in Westdeutschland ist eingeleitet. Von einem alternativen Konzept Ihrerseits habe ich nichts gehört, nur ein Herumstochern an wenigen Themen, keine Visionen und keine Prinzipien.
    Die Wirtschaft in diesem Land ist auf Wachstumskurs. Wir haben den Aufschwung Ost in Gang gebracht. Wir haben die Kompetenz, und Sie reden unsystematisch daher. Dieses Land wird in der Welt um seinen Erfolg in der Wirtschaftspolitik beneidet.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)




    Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
    Es hat zwar Probleme, aber wir werden diese Probleme lösen. Wir werden Deutschland für das 21. Jahrhundert fit machen.

    (Anhaltender Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächste spricht Frau Dr. Christa Luft.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Christa Luft


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will laut Koalitionsvereinbarung und laut den Aussagen des Bundeskanzlers am Ziel festhalten, Vollbeschäftigung zu erreichen. Dies läßt erwartungsvoll aufhorchen, dies ist sehr bemerkenswert, haben doch bis vor kurzem nicht wenige Politiker Vollbeschäftigung als anachronistisch bezeichnet, sie als Relikt der Planwirtschaft verpönt.
    Wir tragen einen solchen Vollbeschäftigungsanspruch selbstverständlich mit. Er entspricht unseren Vorstellungen von einem zivilisierten Gemeinwesen, in dem alle Arbeitswilligen und alle Arbeitsfähigen die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit zu bestreiten und nicht von Alimenten leben müssen. Erwerbsarbeit ist die entscheidende Grundlage, damit der einzelne an Eigentumsbildung teilhaben kann, also an der Grundlage, auf der das marktwirtschaftliche System beruht.
    Wenn Sie nun aber, meine Damen und Herren von der Koalition, ehrlich am Erreichen des Vollbeschäftigungsziels arbeiten wollen, weshalb lehnen Sie dann die Aufnahme eines Rechts auf Arbeit als Staatsziel in die Verfassung ab?
    Während der gesamten Amtszeit dieser Koalitionsregierung war die Massenarbeitslosigkeit ein Alltagsproblem, eine Alltagserfahrung. Das Phänomen Massenarbeitslosigkeit können Sie jedenfalls nicht auf die deutsche Einheit und auf das Hinzukommen des maroden Ostens schieben, wie Sie das so gern bezeichnen.
    Womit gedenkt denn nun die neue/alte Regierungsmannschaft das deklarierte Vollbeschäftigungsziel anzusteuern? Die einzigen, die in Ihrer Beschäftigungspolitik wirklich ins Kraut schießen sollen, sind die privaten Haushalte, die Sie verstärkt für den regulären Arbeitsmarkt und für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gewinnen wollen. Also stellen Männer ihre eigenen Partnerinnen ein oder umgekehrt. Besserverdienende engagieren Dienstmädchen und nutzen die steuerlichen Abzugsmöglichkeiten. Uns steht nicht der Ausbau einer Dienstleistungsgesellschaft ins Haus, die Herr Glos vorhin gefordert hat, sondern es erscheint der Ausbau einer Dienstbotengesellschaft am Horizont.

    (Beifall bei der PDS)

    Eine solche Gesellschaft frei von Tarifen, frei von gewerkschaftlicher Interessenvertretung und ohne Einfluß von Personal- oder Betriebsräten würde das Gesicht dieser Republik tatsächlich verändern, aber nicht das, was Sie uns ständig unterschieben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Heiße Luft!)

    Diese Dienstbotengesellschaft wird vorrangig weiblich, jugendlich und ostdeutsch sein. Das sind schöne
    Aussichten — ein weiterer Abbau von Sozialstandards, ganz auf die kalte Tour. Woher wollen Sie übrigens all die vielen zahlungsfähigen privaten Haushalte nehmen, die die Menschen einstellen sollen, die durch den entstehenden Kostendruck bei Privatisierung im Gesundheitswesen, bei Privatisierung von kommunalen Dienstleistungsunternehmen freigesetzt werden?
    Forschungsergebnisse sollen schneller in verkauf-bare Produkte umgesetzt werden, damit Güter und Leistungen verkauft werden können. Bravo, kann ich nur sagen. Aber haben Sie auch nur einen einzigen Gedanken darauf verwendet, wie viele Patente von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von Forschern und Ingenieuren der früheren DDR bis heute ungenutzt brachliegen? Per 3. Oktober 1990 waren 138 000 Erfindungen aus Ostdeutschland beim Deutschen Patentamt angemeldet. Davon waren zu jenem Zeitpunkt zwei Drittel noch nicht in Produkte umgesetzt, Inzwischen werden monatlich 1 000 Patente gelöscht — künftig sollen es sogar 3 000 in jedem Monat sein —, weil sich die Autoren und Erfinder ihre Aufrechterhaltung finanziell nicht leisten können.
    Wer eigentlich kann es verantworten, daß wertvolle Ideen in einem solchen Ausmaß sehenden Auges versickern? Warum tun Sie nicht endlich etwas zur Rettung und Ausschöpfung dieses Kreativitätspotentials? Der Markt allein, Herr Rexrodt, wird es eben nicht richten. Warum haben Sie nicht längst eine Einkaufsoffensive Ost für diesen Bereich initiiert? Zum Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für den Ausbau wertschöpfender Produktionen wäre das gewiß nicht. Gerade Umbruchprozesse, in denen sich Ostdeutschland gegenwärtig befindet, bedürfen eines Geburtshelfers, bedürfen eines Mitwirkens der öffentlichen Hand.
    Kein Wort findet sich in Ihrer Koalitionsvereinbarung dazu, wie Sie das arbeitsplatzschaffende Innovationsklima in Deutschland prinzipiell verbessern wollen. Sie sehen zu, wie große Konzerne weiter ihr Kapital in Finanzanlagen stecken und an der New Yorker Börse spekulieren, statt langfristige Innovationsrisiken zu wagen. Ohne das Finanzkapital zu entprivilegieren, wird es einen innovativen Nachfrageschub nicht geben können.
    Ein angemessenes Signal für eine wirksame arbeitsmarktpolitische Offensive könnten Sie angesichts dessen, daß auch der Sachverständigenrat für die nächste Zeit keine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt angekündigt hat, setzen, indem Sie sich endlich zum Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors bekennen. Soziale Dienste, Umweltschutz, Jugendarbeit, Stadt- sowie Landschaftsgestaltung und -sanierung könnten dafür Schwerpunkte sein. Das sind Bereiche, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen.
    Ein solcher Sektor, gemischt finanziert aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit, aus Lohnkostenzuschüssen, Sachkostenzuschüssen und Selbstbeteiligung privater Unternehmen, kann von vornherein mit Merkmalen des ersten Arbeitsmarktes gestaltet werden, also mit tariflicher Entlohnung, ohne zeitliche Limitierung der Arbeitsverhältnisse à la ABM, mit Wettbewerb verschiedener Anbieter, mit individuel-



    Dr. Christa Luft
    len Initiativen und mit effizienter, unbürokratischer Organisation. Öffentliche Förderung, meine Damen und Herren, und unternehmerisches Engagement können doch verbunden werden, wenn wir alle uns von ideologischen Dogmen trennen.
    Die Förderung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern soll fortentwickelt werden, der erfolgreich begonnene wirtschaftliche Aufbau fortgesetzt werden, ist eine These der Regierung. Was geht nun jemandem, der aus dem Osten kommt, durch den Kopf, wenn er solches hört? Es trifft zu: Wir haben inzwischen ein buntes, vielfältiges Warenangebot, wir haben neue Straßen, wir haben schönere Häuserfassaden, wir haben bessere Telefonnetze. Dies alles wird geschätzt, und das möchte auch niemand mehr missen. Aber das allein kann doch nicht für den wirtschaftlichen Aufschwung stehen!
    Herr Rexrodt, es nützt auch nichts, wenn Sie für den Osten beeindruckende Zuwachsraten nennen, ohne zu sagen, von welchem Ausgangsniveau das geschehen ist.

    (Beifall bei der PDS)

    Ich erinnere mich bei solchen Aussagen immer an einen Satz meines Statistikprofessors, der sagte: Im Durchschnitt war der Bach 80 cm tief, und trotzdem ist die Kuh ersoffen.
    Wir sind in Ostdeutschland Zeuge der größten Vernichtung von Industrie- und Forschungspotentialen, die es in Friedenszeiten und in so kurzer Zeit je gegeben hat. Meine Damen und Herren, das müssen wir doch festhalten. Ein selbsttragender Aufschwung ist nicht in Sicht. Nach wie vor fließen siebenmal mehr Güter und Leistungen aus den alten Bundesländern in die neuen Länder, als umgekehrt von Ost nach West gehen.
    In der Landwirtschaft sind 80 % der Arbeitsplätze abgebaut worden. In Mecklenburg-Vorpommern — um nur ein Beispiel zu sagen blieb von ehemals sechs Arbeitsplätzen auf dem Lande noch ein einziger übrig.

    (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

    Besonders die Frauen sind von dieser negativen Entwicklung betroffen.
    Sie versündigen sich, meine Damen und Herren, am west- wie am ostdeutschen Steuerzahler, wenn Sie die wahrlich beeindruckenden Finanztransfers nicht endlich in Beschäftigungswirkungen umsetzen.

    (Beifall bei der PDS)

    Dazu gehört erstens, die Qualifikationspotentiale im Osten für einen selbsttragenden Aufschwung nutzbar zu machen, zweitens, die traditionellen Beziehungen ostdeutscher Unternehmen mit mittelosteuropäischen Ländern wieder in Gang zu bringen. Das Instrument der Hermes-Bürgschaft, das auf den Osten ausgedehnt wurde, war natürlich unverzichtbar; aber es war unverantwortlich, daß nicht neue Instrumente, die für die Bewältigung dieses Umbruchprozesses im Außenhandel notwendig gewesen wären, genutzt worden sind.
    Ich erinnere daran, daß private Konsortien sich inzwischen mit einem Clearinghandel beschäftigen, was die Bundesregierung für ihre Ebene von Anfang an abgelehnt hat.
    Drittens ist ein Bekenntnis zur industriellen Wiederaufforstung der neuen Länder notwendig. Das ist die entscheidende Grundlage, um auch industriellen Mittelstand zu befördern. Herr Rexrodt, Sie haben hier wiederum beeindruckende Zahlen der entstandenen mittelständischen Firmen genannt, aber Sie dürfen den Bürgerinnen und Bürgern, die diese Debatte verfolgen, doch nicht verschweigen, was das für Firmen sind. Es sind doch im allergeringsten Maße Firmen aus dem industriellen Bereich. Es sind überwiegend Würstchenbuden, Versicherungsmakler, Erotikshops.

    (Beifall bei der PDS)

    Viertens geht es um die Ingangsetzung neuer Wirtschaftskreisläufe im ländlichen Raum und um die Gewährleistung der Chancengleichheit aller Formen landwirtschaftlicher Produzenten.
    Das ganze Deutschland — nicht nur Ostdeutschland — wird ärmer, wenn sein östlicher Teil lediglich als Altlast entsorgt wird, statt als ökonomisches Potential begriffen zu werden. Und das kann selbst ein schlanker Staat leisten, meine ich, dieses ökonomische Potential mit seinen vielen qualifizierten Menschen im Osten zu nutzen und die Weichen zu stellen, damit sie sich an der Zukunftsentwicklung in diesem Lande beteiligen können.
    Danke schön.

    (Beifall bei der PDS)