*) Anlage 6
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich
Barbe, Angelika SPD 13. 1. 94
Bock, Thea SPD 13. 1. 94
Büchler (Hof), Hans SPD 13. 1. 94*
Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 13. 1. 94
Eimer (Fürth), Norbert F.D.P. 13. 1. 94
Fuchs (Verl), Katrin SPD 13. 1. 94
Gattermann, Hans H. F.D.P. 13. 1. 94
Dr. Gautier, Fritz SPD 13. 1. 94
Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 13. 1. 94
Dr. Glotz, Peter SPD 13. 1. 94
Grünbeck, Josef F.D.P. 13. 1. 94
Hanewinckel, Christel SPD 13. 1. 94
Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 13. 1. 94
Heyenn, Günther SPD 13. 1. 94
Janz, Ilse SPD 13. 1. 94
Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 13. 1. 94
Kiechle, Ignaz CDU/CSU 13. 1. 94
Lamp, Helmut CDU/CSU 13. 1. 94
Löwisch, Sigrun CDU/CSU 13. 1. 94
Lüder, Wolfgang F.D.P. 13. 1. 94
Lummer, Heinrich CDU/CSU 13. 1. 94*
Dr. Matterne, Dietmar SPD 13. 1. 94
Dr. Menzel, Bruno F.D.P. 13. 1. 94
Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 13. 1. 94
Müller (Pleisweiler), SPD 13. 1. 94
Albrecht
Müller (Zittau), Christian SPD 13. 1. 94
Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 13. 1. 94
Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 13. 1. 94
Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 13. 1. 94
Susanne
Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 13. 1. 94
Hermann
Reuter, Bernd SPD 13. 1. 94
Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 13. 1. 94
Ingrid
Schell, Manfred CDU/CSU 13. 1. 94
Dr. von Teichman, F.D.P. 13. 1. 94
Cornelia
Voigt (Frankfurt), SPD 13. 1. 94
Karsten D.
Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 13. 1. 94
Weisskirchen (Wiesloch), SPD 13. 1. 94
Gert
Dr. Wieczorek, Norbert SPD 13. 1. 94
Dr. Wieczorek CDU/CSU 13. 1. 94
(Auerbach), Bertram
Wieczorek (Duisburg), SPD 13. 1. 94
Helmut
Dr. Wisniewski, Roswitha CDU/CSU 13. 1. 94
Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 13. 1. 94
Wolf, Hanna SPD 13. 1. 94
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zu Tagesordnungspunkt 6
(Große Anfrage: Situation der psychisch Kranken
in der Bundesrepublik Deutschland)
Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Seit Veröffentlichung
der Psychiatrie-Enquete sowie seit dem Abschluß des Modellprogrammes der Psychiatrie in der zweiten Hälfte der 80er Jahre hat sich in den alten Bundesländern die Versorgung der psychisch Kranken erheblich verbessert, ohne daß diese bisher als zufriedenstellend bezeichnet werden kann. In den neuen Ländern bedarf die psychiatrische Krankenversorgung einer Weiterentwicklung, um zunächst den Stand der alten Bundesländer zu erreichen. Hier ist insbesondere vordringlich die Neustrukturierung der großen Landeskrankenhäuser sowie der Aufbau eines gemeindepsychiatrischen Versorgungsverbundes zu erwähnen.
Im folgenden seien einige Gedanken angeführt, wohin sich die Psychiatrie in der Bundesrepublik in den nächsten Jahren weiterentwickeln muß:
Erstens. Eine gemeindenahe Psychiatrie muß in Deutschland aufgebaut werden, wobei es hier insbesondere auf eine Vernetzung der ambulanten und stationären Versorgung ankommt. Besonders bedarf es auch psychiatrischer Teilzeiteinrichtungen sowie aufsuchender Dienste, um hier den Besonderheiten psychisch Kranker gerecht werden zu können. Ziel dieser vernetzten Versorgungsstruktur soll u. a. sein:
- Stationäre Behandlungen bei Ersterkrankungen möglichst zu vermeiden oder möglichst zu verkürzen,
- Verbesserung der Behandlungschancen und der Rehabilitation vor allem für chronisch psychisch Behinderte durch untereinander verbundene Hilfen,
- Aktivierung und Stärkung des Selbsthilfepotentials der Betroffenen,
- Vermeidung einer Ausgliederung aus gewohnten Zusammenhängen des Alltags.
Zweitens. Eine zentrale Bedeutung wird, bedingt durch die Alterspyramide in Deutschland, die Alterspsychiatrie in Zukunft einnehmen. Es wird zunehmend Menschen mit psychischen Altersbehinderungen und Verwirrtheit geben. Hier sind alle Anstrengungen zu unternehmen, um für diese Menschen eine Heimaufnahme möglichst zu vermeiden bzw. möglichst weit hinauszuzögern. Insbesondere bedarf es hier der Einrichtung von aufsuchenden Diensten. Hier sollten kurzfristig Fachkrankenschwestern/-pfleger für Psychiatrie an vorhandene Sozialstationen und Sozialdienste angebunden werden, die alterspsychiatrisch erkrankte Menschen in der Wohnung aufsuchen und hier Hilfestellung gewähren. Dies bedeutet konkret psychiatrische Basispflege, aber auch Kontaktaufnahme mit behandelnden Ärzten, Kliniken oder anderen Institutionen.
17530* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1994
Drittens. Es sind die Konzepte der Betreuung von Suchtkranken, und hier der Alkoholkranken, weiterzuentwickeln. Insbesondere bedarf es bei Alkoholkranken einer effizienten und reibungslosen Zusammenarbeit zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und den für die Rehabilitation zumeist zuständigen Rentenversicherungsträgern, um immer noch bestehende unnötige Wartezeiten auf Therapieplätze vermeiden zu helfen. Förderung und Ausbau der Prävention haben dabei Vorrang und sollten flächendeckend realisiert werden. Insbesondere sind hier auch freie Berufe wie niedergelassene Ärzte, niedergelassene Diplompsychologen mit einzubeziehen, wobei entsprechende Honorierungen durch die gesetzliche Krankenversicherung sichergestellt werden müssen.
Viertens. Die psychotherapeutische Versorgung insbesondere auch der psychiatrisch Erkrankten soll durch das vorgesehene psychologische Psychotherapeutengesetz der Bundesregierung weiter verbessert werden und in absehbarer Zeit auch flächendeckend sichergestellt werden.
Fünftens. In weiteren Modellprojekten bedürfen insbesondere drei psychiatrische Risikogruppen besonderer Beachtung, was die Entwicklung psychiatrischer Versorgungskombinationen aus den Elementen psychiatrischer Behandlung, Beratung, sozialer Betreuung, psychiatrischer Pflege und Hilfen im Alltagsbereich angeht. Hier sind insbesondere drei Gruppen zu benennen:
— chronisch psychiatrisch erkrankte und von Chronifizierung bedrohte Menschen im noch erwerbsfähigen Alter,
— psychiatrisch alterskranke Menschen,
— psychiatrisch kranke Kinder und Jugendliche.
Hier sollten für die neuen Bundesländer entsprechende Sonderprogramme vorgehalten werden, um erstmals überhaupt Versorgungsstrukturen zu schaff en.
Sechstens. Konsequent sollte überprüft werden, inwieweit psychiatrische Leistungen der Gesundheitsanbieter, die gegenwärtig noch in Institutionen erbracht werden, beispielsweise an Freiberufler übertragen werden können, die diese individueller und oftmals flexibler als Institutionen anzubieten vermögen.
Fazit: Der gegenwärtige Stand der psychiatrischen Versorgung in den alten Bundesländern hat sich unzweifelhaft in den vergangenen 10 Jahren verbessert, jedoch ist er noch weiter entwicklungs- und verbesserungsbedürftig. In den neuen Bundesländern müssen zunächst erst Versorgungsstrukturen geschaffen werden, damit eine gemeindenahe Psychiatrie ansatzweise entstehen kann. Hier sind insbesondere die psychiatrischen Großkrankenhäuser der neuen Bundesländer zwingend auch bezüglich der baulichen Qualität verbesserungsbedürftig. Die gegenwärtige Einschränkung der ökonomischen Ressourcen im Gesundheitswesen sollte insbesondere die sehr stark betroffenen psychiatrisch erkrankten Menschen (hier z. B. chronisch schizophrene Kranke) nur bedingt betreffen, wobei die Leistungserbringer
gefordert sind, neue Wege in der Versorgung psychiatrisch behinderter Menschen zu gehen.
Dies wird die vordringliche Aufgabe der nächsten Jahre sein.
Anlage 3
zu Protokoll gegebene Reden
zu Tagesordnungspunkt 7
(Entwurf eines Fünften
Gesetzes
zur Änderung des Arzneimittelgesetzes)
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit:
Nur wenige Tage, nachdem sich der Bundesrat mit dem Entwurf zum 5. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes beschäftigt hat, hat es Vorfälle gegeben, die es zwingend erforderlich machen, das Arzneimittelgesetz sehr viel weitgehender zu ändern, als zunächst geplant:
— mangelnde Sorgfalt bis hin zum Verdacht auf vorsätzliche Mißachtung von Sicherheitsstandards beim Umgang mit Blut und Blutprodukten,
— menschliches und technisches Versagen in diesem hochsensiblen Bereich haben verständlicherweise das Vertrauen in die Sicherheitsstandards erschüttert.
Verhaftungen Beteiligter und bundesweite Rückrufaktionen von Blutprodukten sind erfolgt. Wir mußten erfahren, daß der unbestritten hohe Sicherheitsstandard, den wir in Deutschland auch durch entsprechende Regelungen des Arzneimittelgesetzes erreicht haben, durch menschliches und technisches Versagen in Frage gestellt worden ist.
Gefährdungen ausschließen: Angesichts dieser Vorfälle war schnelles Handeln nicht nur erforderlich, es war zwingend notwendig.
— Deshalb haben die Länder sofort die Überwachung
und Kontrolle der Herstellerbetriebe verstärkt.
— Deshalb haben wir dafür gesorgt, daß zum 1. Januar 1994 eine Anordnung zur Quarantänelagerung von lagerfähigen, nicht inaktivierbaren Blutprodukten in Kraft getreten ist. Danach müssen ab spätestens 1. Januar 1995 die entsprechenden Produkte quarantänegelagert sein, wenn sie in Verkehr gebracht werden. Durch diese Quarantänelagerung kann die sogenannte diagnostische Lücke geschlossen werden.
— Deshalb wird durch Verordnung die Chargenprüfung, die bisher nur für Impfstoffe und Sera galt, ausgeweitet auf alle Blutprodukte, die inaktiviert werden können, d. h. in denen das HI-Virus zerstört werden kann.
Mit diesen Sofortmaßnahmen ziehen wir die nötigen Konsequenzen, damit der hohe Sicherheitsstandard, den wir im Umgang mit Blut und Blutprodukten haben, künftig auch eingehalten und verbessert wird.
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1994 17531*
Dennoch sage ich ganz deutlich: Das ist nicht genug. Wir müssen im Zuge dieser 5. AMG-Novelle dafür sorgen, daß das Sicherheitsnetz für Arzneimittel und insbesondere für Blut und Blutprodukte noch enger geknüpft wird. Wir müssen also quasi einen „doppelten Boden" in das Arzneimittelgesetz einziehen und für weitere Verbesserungen im Hinblick auf die Sicherheit im Umgang mit sensiblen Arzneimitteln wie Blut und Blutprodukten sorgen.
Die Sicherheit von Blut und Blutprodukten muß in allen einzelnen Punkten — von der Herstellung solcher Produkte über die Intensivierung der Überwachung bis hin zu Haftungsfragen — auf den Prüfstand.
Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates aufgezeigt, welche Maßnahmen auf den Prüfstand gehören. Ich weiß, daß es zu unseren Vorschlägen im einzelnen noch Diskussionsbedarf gibt.
Und deshalb sage ich sehr deutlich: Es darf nicht bei Diskussionen bleiben. Wir dürfen nicht warten, bis erneut Mißstände ans Tageslicht treten. Hier geht es um die Gefährdung von Menschenleben — das sollten sich all diejenigen in Erinnerung rufen, die glauben, je länger Fälle von konkretem Fehlverhalten zurückliegen, um so geringer werde der Handlungsbedarf.
Eine aidsinfizierte Mutter hat mir im Gespräch mit Tränen in den Augen gesagt: „Sorgen Sie dafür, daß unseren Kindern ein solches Schicksal erspart bleibt."
— Das muß für uns Auftrag und Verpflichtung sein.
Das, was heute schon machbar ist, müssen wir auch heute bereits tun. Darüber hinaus werden wir — sobald Ergebnisse des Untersuchungsausschusses vorliegen — gegebenenfalls weitere gesetzgeberische Konsequenzen ziehen.
Bis dahin aber dürfen wir nicht wertvolle Zeit verstreichen lassen. Und deshalb müssen wir alles, was bereits jetzt in der 5. AMG-Novelle umsetzbar ist, auch angehen.
Im Bereich der Anforderungen an die Herstellung von Blutprodukten können wir zusätzliche Sicherheit bzw. Verbesserungen durch folgende Maßnahmen erreichen:
— das Festschreiben von speziellen Anforderungen im Hinblick auf transfusionsmedizinische Berufserfahrungen von Herstellungsleitern, Kontrolleitern und Stufenplanbeauftragten im Unternehmen, die Blutprodukte gewinnen oder abgeben;
— die Klarstellung, daß für die Gewinnung von Blut und Plasma eine Herstellungserlaubnis zwingend erforderlich ist; dies verdeutlicht zweifelsfrei, daß auch bei der beabsichtigten weiteren industriellen Verarbeitung bereits bei der Entnahme von Blut aus dem menschlichen Körper das Arzneimittelgesetz greift.
— Ferner soll im Arzneimittelgesetz eine amtliche Sammlung von Untersuchungsverfahren verankert werden. Eine solche vom Arzneimittelinstitut zu veröffentlichende Sammlung kann z. B. für bestimmte Untersuchungen doppelte Tests oder Ringversuche als fachlich verbindlichen Stand festschreiben.
Es geht des weiteren um Schritte zur Verbesserung der Risikoüberwachung und zur Erweiterung der Anordnungsbefugnisse der Zulassungsbehörde.
Ich nenne hier insbesondere:
— eine Ausweitung der arzneimittelrechtlichen Meldepflichten bei Nebenwirkungen für pharmazeutische Unternehmer; bei bekannten Stoffen, also auch bei Blutprodukten, sollen auch solche einzelnen Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen angegeben werden, die bereits bekannt, also bereits in der Packungsbeilage angegeben sind.
— Weiterhin nenne ich die Verankerung einer Meldepflicht der Ärzte im Arzneimittelgesetz. Eine solche arzneimittelrechtlich verankerte Meldepflicht für Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen vermittelt der Zulassungsbehörde mehr relevante Informationen aus erster Hand. Durch solche direkten Meldungen wird der dringend gewünschte fachliche Dialog zwischen der Zulassungsbehörde und den meldenden Ärzten erheblich erleichtert.
— Und ich nenne die Erweiterung der Auflagenbefugnis der Zulassungsbehörde in § 28, die insbesondere z. B. bei Blutprodukten die Anordnung von Inaktivierungsverfahren bereits im Rahmen der Risikovorsorge ermöglicht. Dies ist eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme im Vorfeld der eigentlichen Gefahrenabwehr.
Damit wird sichergestellt, daß vorsorglich bereits vor einem begründeten Verdacht Hinweise auf Risiken aus der medizinischen Wissenschaft ausreichen, um Auflagen anordnen zu können. Gefährdungen müssen frühzeitig ausgeschlossen werden. Agieren, nicht reagieren muß die Devise sein.
Ferner geht es um Maßnahmen zur Intensivierung der Überwachung. Dies betrifft insbesondere die Beteiligung von Sachverständigen der Zulassungsbehörde bei der Inspektion von Herstellungsbetrieben. Die bereits derzeit mögliche und teilweise praktizierte Beteiligung von Sachverständigen aus den Zulassungsbehörden bei der Überwachung von Betrieben, die Blutprodukte verarbeiten, soll durch eine „SollVorschrift" verbindlicher gemacht werden. Die Überwachung der Betriebe wird dadurch qualitativ erheblich verbessert.
Wir denken im übrigen daran, die Zuständigkeit für die Zulassung, Risikoüberwachung und Chargenprüfung von Blutprodukten weitgehend beim Paul-Ehrlich-Institut zu konzentrieren. Damit werden die Aufgaben des Bundes für immunologische Arzneimittel und Blutprodukte zusammengefaßt. Dies stärkt die Kompetenz.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist der Import von Blut und Blutprodukten. Um hier größere Sicherheit zu erreichen, sollen Importe von Plasma und Blutprodukten aus Staaten außerhalb der EU ausnahmslos nur noch dann erlaubt sein, wenn ein aussagekräftiges Zertifikat über den Herstellungsbetrieb vorliegt oder deutsche Behörden den Betrieb zuvor inspiziert haben. Zudem soll durch Rechtsverordnung die Einfuhr von Blut oder Plasma aus bestimmten Risikoregionen verboten werden können.
17532* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1994
Und schließlich geht es um die wichtige Frage der Haftung. Die Situation der durch HIV-verseuchte Blutprodukte geschädigten Patienten, das Ringen um eine auch nur im Ansatz angemessene Entschädigung hat uns klar vor Augen geführt, daß die Haftungsbestimmungen des Arzneimittelgesetzes nicht ausreichen.
Es darf nie mehr dazu kommen, daß durch Arzneimittel geschädigte Menschen wie Bittsteller und Bettler von Tür zu Tür geschickt und überall abgewiesen werden, wenn sie finanzielle Entschädigung verlangen. Menschliches Leid können wir nicht lindern. Aber wir müssen dafür sorgen, daß es klare rechtliche Regelungen im Hinblick auf finanzielle Entschädigungen gibt.
Die rechtliche Situation für Geschädigte ist insbesondere dann schwierig, wenn sie mehrere Arzneimittel erhalten haben und nicht festgestellt werden kann, welches dieser Arzneimittel den Schaden verursacht hat.
Ich gebe zu: Auf den ersten Blick erscheint der Vorschlag des Bundesrates, der auf eine Umkehr der Beweislast hinausläuft, verlockend.
Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Mittel- und sogar langfristig ist der Vorschlag nicht umsetzbar. Er verstößt gegen die Grundprinzipien unseres Haftungsrechts. Die Arzneimittelhaftung würde sich damit vom allgemein im Zivilrecht zugrunde liegenden Zurechnungskriterium — dem Verursacherprinzip — weit entfernen. Zudem sind die Probleme, die sich aus der EG-Produkthaftungsrichtlinie ergeben, kaum überwindbar.
Sinnvoller — gerade im Interesse der Menschen — ist es deshalb, hier nach Wegen zu suchen, die kurzbzw. mittelfristig realisierbar sind. Ein Ansatzpunkt ist hier z. B., für einen für den Geschädigten in der Regel erfüllbaren Beweismaßstab zu sorgen. Und es ist erfreulich, daß die Gerichte offenbar bereit sind, den Kausalitätsnachweis in Produkthaftpflichtfällen erheblich zu erleichtern.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, für Sonderfälle neben der Gefährdungshaftung nach § 84 des Arzneimittelgesetzes einen Entschädigungsfonds nach dem Vorbild des „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen" nach § 12 des Pflichtversicherungsgesetzes einzurichten.
Ein solcher Fonds könnte neben den Fällen ungeklärter Ursächlichkeiten auch solche Fallgestaltungen erfassen, in denen der pharmazeutische Unternehmer entgegen dem Arzneimittelgesetz Arzneimittel ohne Zulassung und ohne Deckungsvorsorge in den Verkehr gebracht hat.
Für verbesserungsbedürftig halte ich auch die Rechtslage beim Schmerzensgeldanspruch. Ein Schmerzensgeldanspruch im Rahmen der Arzneimittelgefährdungshaftung wäre am ehesten geeignet, einen gewissen finanziellen Ausgleich für die dem Patienten entstandenen gesundheitlichen Schäden zu schaffen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal all jenen danken, die den Fonds „Humanitäre Soforthilfe" ermöglicht bzw. die sich beteiligt haben. Uns allen ist
aber klar, daß dieser Spezial-Fonds kein Modell für die Behandlung arzneimittelrechtlicher Haftungsfälle sein kann. Vielmehr halte ich hier gesetzliche Regelungen für erforderlich, die besser als bisher die Gerechtigkeit im Einzelfall gewährleisten.
Was ich für den Bereich Blut und Blutprodukte gesagt habe, gilt natürlich auch für alle anderen Arzneimittel: Wir müssen den hohen Stand der Arzneimittelsicherheit und den Patientenschutz ständig weiter entwickeln. Und genau dies tun wir mit der 5. AMG-Novelle, die folgende Schwerpunkte hat.
Zum einen geht es darum, das Arzneimittelgesetz und das Heilmittelwerbegesetz an Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft anzugleichen. Sie wissen, es sind rund 10 neue EG-Richtlinien, die die eine oder andere Gesetzesänderung erforderlich machen. Sie wissen auch, daß das deutsche Recht bereits weitgehend den neuen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen entspricht, so daß es lediglich um einige Ergänzungen geht, für die ich folgende Beispiele nennen möchte:
— Die Kennzeichnung und Packungsbeilage werden EG-einheitlich gestaltet. Dazu gehört etwa auch, daß Durchdrückpackungen bzw. Blisterpackungen in Zukunft über den Hersteller, das Verfalldatum und die Chargennummer informieren müssen.
— In der Packungsbeilage wird der Patient aufgefordert, dem Arzt oder Apotheker jede etwaige Nebenwirkung mitzuteilen, die nicht bereits in der Packungsbeilage aufgeführt ist.
— Aus Gründen des Verbraucherschutzes bei Lebensmitteln tierischen Ursprungs werden weitere Einschränkungen für Herstellung, Anwendung und Verschreibung von Tierarzneimitteln vorgenommen. Bei Tieren, von denen Lebensmittel gewonnen werden, dürfen in Zukunft nur solche Arzneimittel eingesetzt werden, die für die entsprechende Tierart zugelassen sind. Die Anwendung homöopathischer Arzneimittel bleibt weiterhin erlaubt.
— Für die Arzneimittelinformation soll beim Hersteller in Zukunft ein Arzt, Apotheker oder Tierarzt verantwortlich sein.
Soweit zur Umsetzung von EG-Recht.
Im zweiten Schwerpunkt sollen Maßnahmen zur Fortentwicklung des Gesetzes und zur Verbesserung des Vollzugs getroffen werden.
Insbesondere hinsichtlich des Vollzugs haben wir sehr strenge Maßstäbe angelegt und uns auf wichtige Schwerpunkte beschränkt. Die Bundesregierung hat ja mit dem AMG-Erfahrungsbericht 1993 dem Deutschen Bundestag eine umfassende Auswertung und Bewertung der Erfahrungen seit der Zweiten Novellierung im Jahre 1986 vorgelegt und auch mögliche Gesetzesänderungen dargestellt. Der Erörterung dieses Erfahrungsberichts wollten wir prinzipiell nicht vorgreifen. Allerdings wollen wir auf der anderen Seite aber auch mit einigen unaufschiebbaren Änderungen nicht länger warten.
Im wesentlichen geht es dabei um folgende dringliche Änderungen:
Dem Patientenschutz dient die Erhöhung der Mindestversicherungssummen für die Probandenversicherung bei der klinischen Prüfung und der Höchstbeträge bei der Arzneimittelgefährdungshaftung.
Der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit dient die Ausrichtung künftiger Änderungsmöglichkeiten im Nachzulassungsverfahren auf Belange der Arzneimittelsicherheit.
Erleichterungen im Vollzug erreichen wir durch
— die Verlagerung von Verfahrensteilen von der Zulassungsbehörde zum pharmazeutischen Unternehmer bei der Zweitantragsteller-Regelung und
— den Verzicht auf den Rechtsverordnungscharakter des Arzneibuches. Denn dies ermöglicht eine raschere Umsetzung europäischer ArzneibuchMonographien und spart aufwendige Verordnungsverfahren.
Die Regelungen des AMG sind nicht Selbstzweck, sondern sie haben das Ziel, größtmögliche Arzneimittelsicherheit und größtmöglichen Patientenschutz zu gewährleisten.
Dort, wo es auf Grund unserer Erfahrungen möglich ist, müssen wir dafür sorgen, daß unsinnige Regelungen abgeschafft und die Bürokratie auf ein Mindestmaß beschränkt wird.
Auf der anderen Seite aber stehen wir in der Verpflichtung, dort, wo sich Regelungen als verbesserungsbedürftig erwiesen haben, diese zu ändern, um größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten.
Beiden Zielen wird der vorliegende Gesetzentwurf gerecht.
Anneliese Augustin (CDU/CSU): Ein Gesetz kann
noch so gut sein. Niemals wird die Notwendigkeit aus der Welt zu schaffen sein, dieses Gesetz von Zeit zu Zeit zu novellieren, um es neuen Erkenntnissen und neuen Gegebenheiten anzupassen.
Dies trifft auch für das Arzneimittelgesetz aus dem Jahre 1976 zu, dessen 5. Novellierung wir heute in der ersten Lesung beraten.
Mit dem Arzneimittelgesetz aus dem Jahre 1976 und insbesondere mit seiner 2. Novelle aus dem Jahre 1986 haben wir als Gesetzgeber Meilensteine auf dem Weg zu einem Höchstmaß an Arzneimittelsicherheit und einer besseren Überschaubarkeit des Arzneimittelmarktes gesetzt und zugleich ein Klima geschaffen, das Innovationen auf dem Arzneimittelmarkt begünstigt.
Mit der nun heute zur Beratung anstehenden 5. AMG-Novelle, die das Arzneimittelgesetz sowie das Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens an eine Vielzahl von Richtlinien der Europäischen Union angleichen wird, mit dieser 5. AMG-Novelle werden wir den Schutz für den Patienten noch weitreichender verbessern und damit die Arzneimittelsicherheit weiter erhöhen. Ebenso werden wir die Erfahrungen aufgreifen und im weiteren Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen, die wir im vergangenen Jahr durch HIV-verseuchte Blutprodukte leidvoll zur Kenntnis nehmen mußten.
Viel Leid wurde im Fall der HIV-verseuchten Blutprodukte durch verantwortungsloses, ja kriminelles Handeln verursacht. Kriminelles Handeln und menschliche Unzulänglichkeit können wir leider durch kein noch so gutes Gesetz aus der Welt schaffen. Wir können und wir wollen aber durch das nun zur Beratung vorliegende Gesetz die Sicherheitsstandards anheben und die Kontrollen so verstärken, daß die Möglichkeit menschlichen Versagens weitgehend ausgeschlossen wird.
Aus Gründen der Redlichkeit lassen Sie mich an dieser Stelle für die übrigen, insbesondere die stark wirkenden Arzneimittel sagen: Auch bei größter Anstrengung ist eine absolute, daß heißt 100prozentige Arzneimittelsicherheit nicht zu erreichen. Immer werden Nutzen-Risiko-Analysen eine Rolle spielen, immer wird es ein letztes — und mag es noch so klein sein — Restrisiko geben. Dieses Restrisiko zu minimieren, also alles zu tun, um es so klein wie möglich zu halten, ist unser Ziel, das wir mit den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes anstreben.
Lassen Sie mich nun auf einige Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfs eingehen.
Beginnen will ich mit der angestrebten Verbesserung der für Fertigarzneimittel vorgeschriebenen Gebrauchsinformation. Sie muß patientenfreundlicher gestaltet werden.
Ansätze hierzu waren bereits bei der 2. Novelle spürbar. Dort wurde versucht, durch die Schaffung einer sogenannten Fachinformation die bis dahin übliche Packungsbeilage von Informationen zu befreien, die für den Arzt zwar wichtig, die aber für den Patienten eher verwirrend und belastend waren.
Zählt man jedoch heute die Zahl der Patienten, die nach der Lektüre einer solchen neu gestalteten Gebrauchsinformation noch immer verängstigt sind und die vom Arzt verordnete Medizin gar nicht oder nur unterdosiert einnehmen und damit das Behandlungsziel gefährden, müssen wir uns wohl eingestehen, daß wir unser damaliges Ziel nicht erreicht haben.
Wenn wir Packungsbeilagen haben wollen, die patientenfreundlich sind, müssen wir darauf achten, daß in diesen Beilagen eine Sprache gefunden wird, die der Patient versteht.
Dies steht nicht im Widerspruch zur notwendigen Kennzeichnungspflicht, die wir ebenfalls mit dieser Novelle verbessern werden.
Bei radioaktiven Arzneimitteln sind beispielsweise künftig in der Packungsbeilage die Vorsichtsmaßnahmen aufzuführen, die der Verwender und der Patient während der Zubereitung und Verabreichung des Präparates zu ergreifen hat. Ferner muß der Pakkungsbeilage eines Serums zu entnehmen sein, aus welchem Lebewesen das Serum gewonnen wurde. Auch ist bei Virusimpfstoffen das Wirtssystem anzugeben, das zur Virusvermehrung gedient hat. Angaben, die für den behandelnden Arzt von Bedeutung sind.
Ebenso werden künftig Kennzeichnung und Pakkungsbeilage in der Europäischen Union einheitlich
17534* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1994
gestaltet. Dazu gehört auch, daß Durchdrückpackungen bzw. Blisterpackungen in Zukunft über den Hersteller, das Verfallsdatum und die Chargennummer informieren werden.
Auch wird der Patient in der Gebrauchsinformation zukünftig aufgefordert, dem Arzt oder Apotheker jede etwaige unerwünschte Nebenwirkung mitzuteilen, die nicht bereits in der Packungsbeilage aufgeführt ist. Wir wollen insgesamt mit der 5. AMG-Novelle erreichen, daß die Funktion des Arztes und des Apothekers als Arzneimittelfachmann mehr in Anspruch genommen wird.
In diesem Kontext steht auch der Vorschlag, es künftig bei der Arzneimittelwerbung in den Printmedien — so wie heute bereits bei der Fernsehwerbung verwirklicht — beim Hinweis auf die Beratung durch Arzt und Apotheker zu belassen. Sicherlich muß man sich mit dem Einwand auseinandersetzen, hierdurch werde der Informationsanspruch des Patienten, der im Arzneimittel- und Heilmittelwerberecht einen hohen Rang hat, geschmälert.
Aber auch hier ist eine Nutzen-Risiko-Analyse von Vorteil. So haben Untersuchungen gezeigt, daß die gutgemeinten Pflichtangaben in den Printmedien nur von einem kleinen Teil der Leser überhaupt zur Kenntnis genommen werden. Das allein rechtfertigt es natürlich keinesfalls, auf diese Angaben zu verzichten.
Die gezielte Beratung durch Ärzte und Apotheker, auf die die Patienten hingewiesen werden, ist letztendlich immer verständlicher und einleuchtender als ein noch so sehr auf Verständlichkeit „getrimmter" Beipackzettel oder eine mit medizinischen Fachangaben übersättigte Anzeige.
Ein weiteres Anliegen des Gesetzentwurfs ist die Erhöhung der Mindestversicherungssummen für die Probandenversicherung und der Höchstbeträge bei der Arzneimittelgefährdungshaftung.
Ebenso wollen wir künftig Änderungsmöglichkeiten im Nachzulassungsverfahren auf Belange der Arzneimittelsicherheit ausrichten.
Ferner sieht die Novelle Verbesserungen im Vollzug des Gesetzes vor. Dies wollen wir durch die Verlagerung von Verfahrensaufgaben von der Zulassungsbehörde zum pharmazeutischen Unternehmen im Bereich der Zweitantragsteller-Regelung erreichen. Verzichten wollen wir künftig auf den Rechtsverordnungscharakter des Arzneibuches. Dies ermöglicht eine raschere Umsetzung europäischer Arzneibuch-Monographien und spart aufwendige Verordnungsverfahren.
Nicht zuletzt werden wir im Gesetzgebungsverfahren intensiv eine Neuregelung der Gefährdungshaftung bei Arzneimitteln diskutieren. Die Situation der durch HIV-verseuchte Blutprodukte geschädigten Patienten hat deutlich gezeigt, daß die Haftungsbestimmungen des Arzeimittelgesetzes nicht ausreichen. Ich stimme dem Minister ausdrücklich zu, wenn er sagt, daß es nie mehr dazu kommen darf, daß durch Arzneimittel Geschädigte sich wie Bittsteller vorkommen müssen. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die
Initiative des Bundesgesundheitsministers und wird ihn im Gesetzgebungsverfahren unterstützen.
Ich gehe davon aus, daß alle vorgeschlagenen Maßnahmen im Rahmen der AMG-Novelle zügig im Gesundheitsausschuß beraten werden. Nach dem gestrigen Beschluß des Ausschusses werden wir bereits am 2. Februar dieses Jahres eine Anhörung von Sachverständigen durchführen.
Der kranke Mensch muß auf seinen Arzt und sein Arzneimittel vertrauen können. Hierzu werden wir mit diesem Gesetzeswerk unseren Teil beitragen.
Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): In unzähligen Entbindungsstationen in 46 Ländern werden Placenten für die Herstellung von Albumin gesammelt. Ohne Wissen und Zustimmung der Frauen. Das Blut der Placenten wird ausgepreßt und ohne jeglichen Test in die Produktion gegeben. Das französische Unternehmen, das solch riskante Geschäftspraktiken betreibt, ist kein kleiner Fisch am Pharmamarkt, sondern weltweit einer der größten Hersteller von Albuminpräparaten.
Nachdem keine EG-Regelung greift, reagieren Länder wie Frankreich, Großbritannien und die Schweiz. Die Sicherheit, die jetzt die Länder fordern, ist dem Hersteller zu teuer. Am 1. Dezember 1993 stellt das Unternehmen die Produktion von Placenta-Albumin ein.
Ein Lehrstück. Ein Lehrstück für alle, die notwendige Regulierung für eine Überregulierung halten. Ein Lehrstück für alle: Mit der Eigenverantwortung der „Bluthandwerker" (also der Hersteller und Anwender) ist es nicht weit her. Ein Lehrstück für alle: Ohne ein engmaschiges Sicherheitsnetz gibt es weder Arzneimittel-Sicherheit noch Patientenschutz.
Die Antwort des Deutschen Bundestages kann nur heißen: Ein reformiertes Arzneimittelgesetz muß das Sicherheitsnetz so dicht knüpfen, daß ArzneimittelSkandale — wie der Blut-AIDS-Skandal— in Zukunft ausgeschlossen sind.
Zurück zum Ausgangspunkt: Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen bei der Zulassung, Herstellung, Prüfung usw. waren unerwünschte Arzneimittelwirkungen — im Jargon UAW — in der Vergangenheit nicht zu vermeiden.
Ich spreche nicht von Bagatellen. Ich spreche von den 120 000 schwerwiegenden Arzneimittelerkrankungen jährlich. Ich spreche von Arzneimittelerkrankungen, die zu bleibenden Gesundheitsschäden führen. Ich spreche von etwa 7 000 Arzneimittelerkrankungen, die tödlich enden.
Und nun die Frage an Sie: Wie viele von diesen 120 000 schwerwiegenden Arzneimittelerkrankungen erfaßt das BGA? Sie werden es nicht glauben: Im Rahmen der Spontanerfassung lediglich 6 500.
Auch ein Vorgang der letzten Wochen belegt: Von einem funktionierenden Meldesystem kann nicht gesprochen werden. Die berühmt-berüchtigte 373erListe des Gesundheitsministers von HIV-Infektionen durch Blutprodukte dokumentiert ebenfalls sehr eindrucksvoll, daß wir in der Bundesrepublik über kein zuverlässiges Meldesystem verfügen. Wie anders läßt
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1994 17535*
es sich erklären, daß die Firma Behring allein 344 Fälle meldet, bei der Konkurrenz, die noch mehr am Skandal beteiligt ist, dagegen Fehlanzeige?
Fazit: Die Meldepflicht der Unternehmen ist keinen Pfifferling wert. Auch mit der Meldepflicht der Ärzte ist es nicht weit her. Wo aber kommen wir hin mit einer Meldepflicht, die jeder nach eigenem Geschmack anwendet? Wo kommen wir hin, wenn Verstöße gegen die Meldepflicht keinerlei Folgen haben? Werden damit nicht Regierung und Behörden zu Lachnummern? Hier müssen wir Hand an die Wurzel des Übels legen.
Wenn die „Gesundheits-Feuerwehr" in Berlin funktionieren soll, brauchen wir ein neues Meldesystem. Wir brauchen kein neues zu erfinden, wir können von unseren Nachbarn lernen — z. B. von Skandinavien —, die uns vom Melde-System wie auch von der Melde-Dichte haushoch überlegen sind. Aber die Meldepflicht ist nur eine Seite der Medaille. Risikobewertung ist die andere Seite der Medaille. Gerade hier hat das BGA versagt.
Zur Risikobewertung brauchen wir ein RisikoManagement.
Dieses Risiko-Management muß Brände löschen, bevor sie sich ausbreiten können. Gerade das war in den vergangenen Jahren nicht der Fall. Das Strukturdefizit heißt also nach wie vor: Fehlendes Risikomanagement. Für ein wirksames Risiko-Management muß im § 28 des Arzneimittelgesetzes die Eingriffsschwelle gesenkt werden.
Wenn nicht beide Strukturdefizite behoben werden, fahren wir weiter „Spitzenergebnisse" ein: Fünfzig zu eins, sagen uns die Fachleute: Auf 50 Risiken erfolgt vielleicht eine einzige Reaktion der Behörden!
Wenn Risikosignale weiterhin im Verhältnis 50:1 in aktive Maßnahmen zum Patientenschutz umgesetzt werden, dann bleibt es um den Verbraucherschutz schlecht bestellt. Wenn also Anpassung an Europa, dann hier. Auch der Koalition dürfte ein deutliches Nord-Süd-Gefälle in Europa nicht verborgen geblieben sein!
Allein die wenigen Beispiele zeigen: Mit einem Anpassungsgesetz ist es nicht getan! Eine Reform des Arzneimittelgesetzes ist überfällig.
Nicht umsonst hat das Parlament einstimmig den 3. Untersuchungsausschuß beauftragt, Lehren aus dem größten Arzneimittel-Skandal zu ziehen und Vorschläge zu erarbeiten, die eine Wiederholung für die Zukunft ausschließen. Doch von den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses, die heute schon greifbar sind, findet man im Regierungsentwurf nur wenig.
Positiv verbuchen wir die Übernahme der SPD- Vorstellungen in einigen Bereichen:
— die Zuordnung der Blutprodukte zu Sera und Impfstoffen, damit endlich für Blut nicht länger „Pillendreher" zuständig sind, sondern Virologen und Mikrobiologen, die vom Biomaterial Blut etwas verstehen,
— die Beweislasterleichterung bei der Haftung, damit die betroffenen Menschen nicht zum Schaden noch die Beweislast mit allen finanziellen und gerichtlichen Risiken zu tragen haben,
— die Anhebung der Höchstgrenzen bei der Gefährdungshaftung, damit die Opfer nicht weiter mit Taschengeldern abgespeist werden können.
— Und was die Absichtserklärung des Ministers bei der Angleichung des Arzneimittelgesetzes an das EG-Recht bei Blutprodukten angeht: Man wird darauf achten müssen, daß der Absicht auch die konkreten und richtigen Taten folgen.
Zentrale Probleme bleiben weiterhin ungelöst. Die überfällige Schmerzensgeldregelung z. B., damit auch der immaterielle Schaden bei Verlust von Gesundheit oder Leben angemessen berücksichtigt wird, oder eine Reformierung des sogenannten Pharmapools, damit die Pharmaversicherer nicht weiter 350 Millionen DM an Prämien steuerfrei „bunkern" können, während die Opfer mit einem Butterbrot abgespeist werden.
Brauchen wir nicht eine Einrichtung mit öffentlich-rechtlichem Charakter, die an die Stelle des „ Versicherungs-Gewinnmaximierungs-Modells" tritt? Noch besser: Wir schaffen ein Arzneimittelgesetz, das präventiv wirkt und nicht erst handelt, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Nach dem geltenden Arzneimittelgesetz hat der Kaufmann doch allemal die bessere Position: Er hat nur den Beutelschaden, der Patient aber den Gesundheitsschaden.
Wenn wir das Prinzip Schadensbegrenzung vor Schadensregulierung durchsetzen wollen, müssen wir den Gesundheitsschutz unserer Bürgerinnen und Bürger an die allererste Stelle setzen.
Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Die Umsetzung von
insgesamt 11 EG-Richtlinien in bundesdeutsches Recht macht eine Novellierung des Arzneimittelgesetzes notwendig. Die Angleichung des Arzneimittelgesetzes und des Heilmittelwerbegesetzes drängt, weil hierdurch wichtige Regelungen für die Verbraucher in Kraft gesetzt werden.
Neben dieser EG-rechtlichen Seite sind auch die Erkenntnisse, die wir aus den Erfahrungen mit dem Vollzug des Arzneimittelgesetzes gemacht haben, in die AMG-Novelle eingeflossen. Es hat sich herausgestellt, daß in einigen Bereichen die Arzneimittelsicherheit weiter erhöht werden kann und daß andere bürokratische Hemmnisse beseitigt werden können, ohne das Ziel des Schutzes für die Menschen zu gefährden.
Die EG-einheitliche Kennzeichnung der Arzneimittelpackung und der Packungsbeilagen ist aus Transparenzgründen äußerst begrüßenswert. Angaben des Herstellers, der Stärke der Arzneimittel, der Bestandteile sowie Kinderwarnhinweise und Entsorgungshinweise führen allerdings dazu, daß die Ausstattungsmaterialien der Arzneimittelpackungen völlig neu gestaltet werden müssen. Ausreichende Übergangsfristen sind deshalb unumgänglich. Das gilt genauso für die vorgesehene Kennzeichnung von sogenannten Blisterpackungen — also Durchdrückpackungen.
Auch die Aufforderung an den Patienten, dem Arzt oder Apotheker beobachtete Nebenwirkungen mitzu-
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teilen, die nicht bereits in der Packungsbeilage aufgeführt sind, ist ein wichtiger Schritt zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit. Nur wenn diese Informationen schnellstmöglich ausgewertet werden, ist es auch möglich, die notwendigen Konsequenzen hieraus zu ziehen.
Die Packungsbeilagen werden schon seit Jahren als zu unverständlich kritisiert. Hier Abhilfe zu schaffen ist Anliegen der neuen Regelungen. Insbesondere die nunmehr vorgesehenen Hinweise für Fälle falscher Dosierung und auf zu ergreifende Gegenmaßnahmen bei Auftreten von Nebenwirkungen kommen als sinnvolle Angaben hinzu.
Meines Wissens nach haben Bundesfachverband der Arzneimittelhersteller und Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie bereits reagiert und eine Anleitung zur Erstellung von Packungsbeilagen erarbeitet, die auf neuen kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Diesbezüglich darf also mit einer schnellen Umsetzung nach Inkrafttreten des Gesetzes gerechnet werden.
Vorgesehen ist darüber hinaus, künftig eine bestimmte Fachkraft in der Industrie für die Arzneimittelinformation verantwortlich zu machen — ein sogenannter Informationsbeauftragter. Damit wird der EG-Vorschrift Rechnung getragen, daß der pharmazeutische Unternehmer innerhalb seines Unternehmens eine wissenschaftliche Stelle einzurichten hat, die mit der Information über die von ihm in den Verkehr gebrachten Arzneimittel beauftragt wird.
Zu den Aufgaben dieses Informationsbeauftragten gehört z. B. die Einhaltung des Heilmittelwerbegesetzes, das Verbot der Irreführung in § 8 dieses Gesetzes, aber auch die Übereinstimmung der Kennzeichnung, Packungsbeilage, Fachinformation und Werbung mit der Zulassung. Dabei muß allerdings sichergestellt werden, daß funktionierende Arbeitsabläufe hierdurch nicht beeinträchtigt werden und daß sich keine Kompetenzprobleme zwischen den einzelnen Verantwortlichen ergeben.
Im Rahmen der Arzneigesetzgebung kommt selbstverständlich auch haftungsrechtlichen Fragen eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Die in diesem Zusammenhang vorgesehene Verdoppelung der Mindestversicherungssumme für die Probandenversicherung bei der klinischen Prüfung sowie die Höchstbeträge in der Arzneimittelgefährdungshaftung ist vor dem Hintergrund der eingetretenen Preisentwicklungen sicherlich gerechtfertigt.
Ob die Anhebung allerdings de facto viel bewirkt, bleibt dahingestellt. Es hat meines Erachtens bisher keinen Fall gegeben, in dem die Deckungssumme nicht ausgereicht hätte. Die Schwierigkeiten lagen bisher vielmehr häufig in der Frage, ob überhaupt ein versicherungsrechtlicher Schadensfall vorliegt. Durch eine Anhebung der Deckungssummen allein ist diese Frage nicht zu lösen.
Dem Verbraucherschutz bei Lebensmitteln tierischen Ursprungs sollen die vorgesehenen Einschränkungen bei der Herstellung, Anwendung und Verschreibung von Tierarzneimitteln dienen. Zukünftig dürften dann nur noch solche Arzneimittel eingesetzt werden, die für eine bestimmte Tierart zugelassen sind. Wir haben allerdings auch darauf zu achten, daß homöopathische Tierarzneimittel nicht durch Zulassungsfragen oder andere Regelungen de facto diskriminiert werden. Nicht erwünscht kann eine Substitution von diesen Arzneimitteln durch Pharmazeutika sein, die zu chemischen Rückständen in Lebensmitteln führen könnten.
Ich denke, wir alle sind uns einig, daß das Arzneimittelgesetz die Funktion hat, die Menschen soweit wie irgend möglich vor unerwünschten Konsequenzen aus der Verabreichung von Arzneimitteln zu schützen. Die Erkenntnisse, die wir in den letzten Wochen bezüglich der HIV-Kontamination von Blut oder Blutprodukten gewonnen haben, wird sicherlich nicht ohne jegliche Konsequenzen für die Arzneimittelgesetzgebung bleiben.
Wir müssen uns in Ruhe und im einzelnen anschauen, durch welche Maßnahmen die Sicherheit erhöht werden kann, ohne daß dies zu einer totalen Überreglementierung führt. Es liegen Vorschläge auf dem Tisch, die unter diesen Gesichtspunkten geprüft werden müssen. Durch die Feststellung, daß Unternehmen für die Gewinnung von Blut und Plasma eine Herstellungserlaubnis benötigen, würden die Kontroll- und Überwachungsvorschriften des Arzneimittelgesetzes auf Blutpräparate angewandt: vor dem Hintergrund der Qualitätssicherung sicherlich ein sinnvoller Vorschlag. Dem gleichen Ziel dient z. B. eine Erweiterung der Auflagenbefugnis für die Zulassungsbehörde. Sie wäre dann zur Anordnung von Inaktivierungsverfahren berechtigt. Zahlreiche weitere Punkte wie eine Nebenwirkungs-Meldepflicht für Ärzte, ein Importverbot für Blut oder Blutplasma aus Risikoregionen — im Extremfall sogar ein völliges Importverbot —, Fragen der Arzneimittelhaftung, die Einrichtung eines Entschädigungsfonds, um nur einige Vorschläge hier aufzuzeigen, müssen im Hinblick auf ihre Sinnhaftigkeit gründlich untersucht werden. Ich hoffe darauf, daß die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses uns hier zusätzliche Klarheit bringen können.
Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Mit Hilfe der
vorliegenden 5. Novelle des Arzneimittelgesetzes sollen zahlreiche Richtlinien der Europäischen Union in das deutsche Arzneimittelrecht umgesetzt werden. Zugleich enthält sie auch Änderungen des nahe verwandten Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens. Insgesamt zielt das zur Debatte stehende Gesetz auf eine dringend notwendige weitere Erhöhung der Arzneimittelsicherheit und kann deshalb prinzipiell und in vielen seinen Teilen nur begrüßt werden.
Ungeachtet dessen enthält es aber auch Fragwürdiges, Ungereimtheiten und Fehlsteuerungen. Einige äußerst dringliche Fragen scheint es nach wie vor ungeregelt zu lassen.
Als ein Beispiel, das stellvertretend für viele der vorgenommenen Verbesserungen stehen kann, sei die Einführung eines „Informationsbeauftragten" in den arzneimittelherstellenden Unternehmen genannt. Damit wird gewährleistet, daß ein Fachmann mit erforderlicher Sachkenntnis und Zuverlässigkeit speziell für die wissenschaftliche Information über die
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Arzneimittel verantwortlich ist. Insbesondere trägt er dafür Sorge, daß Bezeichnung oder Aufmachung eines Medikamentes nicht irreführend sind und daß Kennzeichnung, Packungsbeilage oder Fachinformationen für ein Arzneimittel jeweils nur in Übereinstimmung mit der Zulassung und Registrierung erfolgen. Diese Verfahrensweise gab es in der DDR seit dem Arzneimittelgesetz vom 27. November 1986, und sie hatte sich sehr schnell als eine äußerst zweckmäßige Regelung erwiesen.
Unbefriedigend dagegen bleiben die neugefaßten Vorschriften zur Packungsbeilage. Auch in der jetzt gefundenen Fassung gibt es keine Verpflichtung für den Hersteller, seine Angaben zu den Nebenwirkungen in einfacher, für den Patienten gut verständlicher Sprache abzufassen und auf solche zu begrenzen, die wirklich häufig auftreten und deshalb im täglichen Gebrauch entsprechend relevant sind. Das Streben der Hersteller nach juristischer Absicherung bekommt eher ein noch größeres Übergewicht und wird weiterhin dazu führen, die Anwender zu verunsichern, und sie veranlassen, ihre Medikamente nicht oder nur mangelhaft einzunehmen. Daraus ergibt sich bekanntlich ein hoher Arzneimittelverbrauch, der in keinerlei therapeutischen Nutzen umschlägt, sich aber um so nachhaltiger im Budget der gesetzlichen Krankenversicherungen auswirkt. Hier sollten und können Regelungen getroffen werden, die die Compliance nicht behindern, sondern fördern und zugleich allen Beteiligten — den Herstellern, Ärzten, Apothekern und Patienten — die notwendige Sicherheit geben und das Budget der Krankenversicherung durch Verunsicherungen aller beteiligten Seiten nicht belasten. Das gilt übrigens nicht nur für die Nebenwirkungen, sondern auch für die vorgeschriebenen Angaben zu Anwendungsgebieten, Gegenanzeigen oder Wechselwirkungen.
Vorgesehen ist mit dieser Novelle, auch die Vorschriften für die Arzneimittelwerbung in Printmedien denen in Funk und Fernsehen anzugleichen. Die inzwischen berühmt-berüchtige Sentenz: „Zu Risiken und Nebenwirkungen . " soll künftig auch in den Printmedien ausreichend sein. Also wahrhaftig ein zielgerichteter Schritt in eine grundfalsche Richtung. Die Werbung für Arzneimittel in den Printmedien oder in Radio und Fernsehen weckt bekanntlich oft Bedürfnisse, für die es dann keine medizinische Begründung gibt. So führt sie über Ansprüche nach Wunschverschreibungen zu Spannungen zwischen Ärzten und Patienten, belastet unnötig die gesetzlichen Krankenkassen und nützt lediglich den Herstellern. Wenn man weiß, daß sich auch die Bundesärztekammer sehr klar gegen Laienwerbung in Druckerzeugnissen und audiovisuellen Medien ausgesprochen hat, dann erhebt sich schon die Frage, wer denn der Bundesregierung bei solchen Neuregelungen wohl die Feder geführt hat. Wir treten dafür ein, daß sich Werbung für Arzneimittel nur innerhalb einer gut definierbaren Fachöffentlichkeit abspielen sollte — sprich beim Arzt und beim Apotheker bzw. in deren Fachpresse und auf deren Fachkongressen. Denn nur dort kann sie wirklich Sinn machen.
Hochgradige Verwunderung, mehr wohl aber tiefes Erschrecken löst für mich die Nachricht aus, Arzneimittelwerbung neuerdings auch für Jugendliche unter 18 Jahren zu erlauben. Das ist geradezu unfaßbar, wenn man bedenkt, daß — Zitat Bundesärztekammer — „der unkritische Umgang mit Arzneimitteln in der Altersklasse unter 18 Jahren zunehmend als Einstieg in den Suchtmittelkonsum angesehen wird".
Kritisch muß auch ein weiterer Punkt angesprochen werden. Trotz der im bestehenden Gesetz durchaus enthaltenen, eindeutig begrenzenden Formulierungen zur Überlassung von Arzneimittelmustern an Ärzte und Krankenhäuser ufert dieses Verfahren oft geradezu zu einem zweiten Versorgungsweg aus. Wer einmal einen Ärztemusterschrank besichtigt oder gar ausgeräumt hat, weiß, wovon ich rede. Letztlich führt es dazu, daß ein Großteil der weggeworfenen Arzneimittel aus meist noch unangebrochenen Ärztemustern resultiert. Für die Industrie sind das bekanntlich steuerlich absetzbare Werbungskosten. Belastet mit dieser Verschwendung wird letztlich wieder nur der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung und natürlich auch der Staat, wenn er sich der Beseitigung dieses nicht immer ungefährlichen Problemmülls annimmt.
Hier hätte man sich endlich eine vernünftigere Lösung gewünscht. Entweder man schafft die Arzneimittelmuster ganz ab — dafür hat sich übrigens auch Umweltminister Töpfer schon einmal ausgesprochen; er wird sicher wissen, warum —, oder man schränkt sie wenigstens drastisch ein, etwa in dem Sinne, daß Muster nur noch für neu zugelassene Arzneimittel überlassen werden dürfen und daß die Beseitigung nicht verbrauchter Exemplare auf Kosten der Hersteller zu erfolgen hat.
Auch mit dieser 5. Novelle des Arzneimittelgesetzes werden immer noch nicht alle heute schon möglichen und notwendigen Schlußfolgerungen für die Arzneimittelsicherheit gezogen, die sich spätestens aus dem Skandal um die HIV-verseuchten Blutprodukte ergeben haben. So ist seit längerem klar, daß eine dieser Konsequenzen in der Einführung einer staatlichen Chargenprüfung analog zu Sera und Impfstoffen auch bei den Blutzubereitungen sein muß. Es gibt zwar mit Datum vom 22. November 1993 einen ersten Referentenentwurf einer entsprechenden Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums. Aber für die Gerinnungsfaktorenpräparate kann sie frühestens am 1. Juli 1994, für Blutzubereitungen, die Humanalbumine als arzneilich wirksamen Bestandteil enthalten, sogar frühestens erst am 1. Januar 1995 wirksam werden. Wer übernimmt eigentlich die politische Verantwortung für diese weiterhin zugelassenen Verzögerungen bei der Einführung von elementar wichtigen Maßnahmen auf dem Gebiet der Arzneimittelsicherheit, die in vielen anderen Ländern schon seit langem selbstverständlich sind?
Weitere Schlußfolgerungen aus dem Drama um verseuchte Blutprodukte werden in der Gesetzesnovelle nach wie vor völlig vermißt. Von ihnen hören wir in der Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates lediglich, daß sie von der Bundesregierung noch geprüft werden. Ja, wie lange denn eigentlich noch! Dazu gehören immerhin solche unstrittigen und längst überfälligen Maßnahmen wie
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die Erhöhung der Auflagenbefugnis der zuständigen obersten Bundesbehörden — z. B. zur Anordnung von Inaktivierungsverfahren —, die Erweiterung von ärztlichen Meldepflichten oder die Anerkennung eines Schmerzensgeldanspruches im Zusammenhang mit der Arzneimittelgefährdungshaftung.
Wie schlecht diese Regierung und die sie tragende Koalition dieses Land mittlerweile regieren, wird inzwischen sogar am Detail solcher Fachgesetzgebungen wie dem Arzneimittelrecht sichtbar. Ich hoffe sehr, daß im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens alle Möglichkeiten noch genutzt werden, die notwendigen Nachbesserungen vorzunehmen. Alles andere käme einem erneuten Skandal gleich.
Karl Hermann Haack (Extertal) (SPD): Seit fast einem Jahr wird im zuständigen Fachausschuß für Gesundheit des deutschen Bundestages die 5. Novelle zur Reform des Arzneimittelgesetzes von 1976 angekündigt. Seit ungefähr einem Jahr wird schwerpunktmäßig über die Einordnung von Blut und Blutprodukten in einer Reform des Arzneimittelgesetzes geredet.
Die Frage nach der Qualität des deutschen Arzneimittelgesetzes hat sich vor dem Hintergrund des Skandals um verseuchtes Blut und Blutprodukte gestellt. Wir sollten alle darauf bedacht sein, die 5. Novelle des Arzneimittelgesetzes unter dieser Fragestellung zu sehen: Was erwartet die Öffentlichkeit wegen der kritischen Berichterstattung von uns Politikern von diesem Gesetz?
Zunächst einmal ist festzustellen, daß die Bundesregierung einer Beschlußempfehlung des Bundestages anläßlich der Zweiten Änderung des Arzneimittelgesetzes nicht nachgekommen ist. Die Bundesregierung war aufgefordert, einen umfangreichen Erfahrungsbericht über das Arzneimittelgesetz seit 1976 zu geben. Des weiteren sollten zu dem Problem „Verbrauch und Werbung" eine Darstellung gegeben werden. Zum Thema Zulassungsstau von Arzneimitteln am BGA wurde ebenfalls ein Bericht angefordert.
Diese Berichte sind in dem ArzneimittelgesetzErfahrungsbericht von 1993 zusammengefaßt. Dazu ist festzustellen, daß seit über 10 Jahren Teile dieses Berichtes überfällig sind. Hier ist die Frage nach dem Amtsverständnis der Vorgänger von Herrn Minister Seehofer aufzuwerfen.
Hier bewertet meine Fraktion das Handeln der Bundesregierung seit über 10 Jahren als fahrlässig gegenüber der Öffentlichkeit. Dieses Handeln der Regierung trägt nicht dazu bei, Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit der Regierung zu fördern.
Ich möchte eine Feststellung treffen: Der hier vorliegende Gesetzentwurf, den wir in der ersten Lesung heute beraten, hat bereits seine schlußendliche Beratung im Bundesrat erfahren. Seit Dezember letzten Jahres liegt die Gegenäußerung der Regierung zu der Stellungnahme des Bundesrates vom September 1993 vor. Im wesentlichen sind die Bedenken des Bundesrates übernommen worden. In einigen Punkten, so die Bundesregierung, soll noch weiter diskutiert werden. Ich möchte daher für meine Fraktion feststellen, daß die unterschiedlichen Auffassungen weniger zwischen den Fraktionen hier im Bundestag liegen als insbesondere zwischen dem Bundesrat in seiner Gesamtheit und der Bundesregierung.
Ich erlaube mir einige Punkte anzusprechen, die die SPD im Rahmen dieser 5. Novelle geklärt wissen will.
Erstens. Mein Kollege Schmidbauer wird sich zu dem Thema Blut und Blutprodukte schwerpunktmäßig äußern, da dieses Thema im 3. Untersuchungsausschuß ist. Die öffentliche Frage, die sich an diese Diskussion anschließt, ist: warum ist eigentlich nicht vorher gehandelt worden?
Zum zweiten möchten wir eine erneute Debatte um den Arzneimittelbegriff in die Öffentlichkeit einführen. Aus dem Arzneimittelgesetz-Erfahrungsbericht von 1993 ist zu entnehmen, daß der Zulassungsstau beim Arzneimittelinstitut auf einen zu weit gefaßten Arzneimittelbegriff zurückzuführen ist. Die Gesetze in der EU wie auch in anderen Ländern, wie z. B. den USA, verwenden einen wesentlich restriktiveren Arzneimittelbegriff. Hier wollen wir im Rahmen der Anhörung klären, inwieweit nicht Handlungsbedarf besteht. Dieser Sachverhalt war schon einmal Gegenstand unserer Beratungen. Wir sehen uns hier in einer Linie mit dem Beratungsunternehmen Mummert und Partner, das mit einer Organisationsuntersuchung des Arzneimittelinstitutes beaufragt war.
Dem schließt sich als drittes eine notwendige Debatte zur Bioverfügbarkeit an. Auch hier beziehen wir uns auf den Arzneimittelgesetz-Erfahrungsbericht. Ausgelöst durch das Festbetragssytem im GRG ist es zu einer Ausweitung des Generica-Marktes gekommen. Billig-Anbieter sind am Markt. Es liegen uns fachwissenschaftliche Publikationen vor, die es angeraten erscheinen lassen, über ein System zur Bioverfügbarkeit im Zuge der Zulassung zu entscheiden.
Ferner teilen wir — viertens — die Auffassung des Bundesrates, daß im Rahmen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln die 5. Novelle des Arzneimittelgesetzes nicht die entsprechenden Regelungen der Europäischen Gemeinschaft übernimmt. Wir sind der Auffassung, daß die Beweislastumkehr zu Lasten der Unternehmen in der Frage geregelt werden muß. Es darf nicht sein, daß das Bundesgesundheitsamt, hier das Arzneimittelinstitut, mit Schularbeiten belastet werden, die im Grunde der anmeldende pharmazeutische Unternehmer zu leisten hat. Es ist klar zu regeln, daß der pharmazeutische Hersteller im Rahmen der Prüfung die klinische, pharmakologische und toxikologische als auch die pharamazeutische Qualität nachzuweisen hat und nicht der prüfende Sachbearbeiter beim Bundesgesundheitsamt.
Wir schließen uns — fünftens — der Auffassung des Bundesrates an, es bei der derzeitigen Formulierung des Heilmittelwerbegesetzes im § 4 zu belassen ist. Dieser trifft eine Unterscheidung zwischen den Printmedien einerseits und den audiovisuellen Medien andererseits. Es geht darum, daß in den audiovisuellen Medien der bekannte Text zu Nebenwirkungen gut lesbar eingeblendet werden muß, der da lautet: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Ihren Apotheker". Dagegen muß in
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den Printmedien ein Weiteres an Informationen erfolgen, die zumindest eine Beschreibung der Nebenwirkungsrisiken beinhaltet. Wir halten diese Auffassung des Bundesrates mit der Begründung des Verbraucherschutzes für richtig. Daß die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die EG-Regelung übernimmt, nämlich einen Informationsbeauftragten im Herstellerbetrieb zwingend vorzuschreiben, begrüßen wir außerordentlich. Dies wird in Herstellerkreisen zu einem hohen Maß an Sensibilität gegenüber den Interessen der Verbraucher führen.
Sechstens. In der heutigen Ausgabe der „Frankfurter Rundschau" ist auf Seite 1 folgende Überschrift zu lesen: „Alete muß für Karies haften, Bundesgerichtshof urteilte über gesüßten Kindertee". Seit Jahren wird in der Bundesrepublik eine Debatte darüber geführt, inwieweit speziell für gesüßte Kindertees die Hersteller für Schäden am Gebiß der Kinder, resultierend aus einem Übermaß an Genuß, verantwortlich sind. Diese Frage ist nun endgültig vom Bundesgerichtshof entschieden worden. Die Hersteller sind auch bei übermäßigem Gebrauch schadenersatzpflichtig, auch wenn sie in ihrer Werbung auf eventuelle Schäden hingewiesen haben.
Dies berührt aus der Sicht der SPD einen generellen Punkt der Novelle: die Haftpflichtregelung im Bereich von Arzneimitteln. Wir halten es als SPD für richtig, daß entsprechend der EG-Haftungsrichtlinie eine Beweislastumkehr zugunsten der Patienten auf dem Arzneimittelsektor stattfindet. Dagegen hält die Bundesregierung ihren Text in der 5. Novelle des Arzneimittelgesetzes für ausreichend, der Bundesrat in seiner Gesamtheit nicht. Wir stellen dazu fest, daß der Bundesrat damit die Rolle des Vorreiters für den Verbraucherschutz übernommen hat.
Zu diesen sechs Punkten werden wir eine einvernehmliche Regelung im Ausschuß suchen und dann zur Abstimmung stellen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zu Tagesordnungspunkt 8 a und b
(Gesetzentwurf Neuordnung zentraler Einrichtungen
des Gesundheitswesens und Antrag:
Reorganisation des Bundesgesundheitsamtes)
Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit:
Die Sicherstellung eines umfassenden Gesundheitsschutzes für die Bevölkerung bedeutet rechtzeitige Gefahrenabwehr, bedeutet Vorsorge, wenn der Verdacht auf Gefährdungen besteht. Agieren, nicht reagieren, muß die Devise sein. Und genau dies — das haben die Vorfälle um HIV-verseuchte Blutproben im September/Oktober letzten Jahres deutlich gezeigt, ist mit der Mammutbehörde Bundesgesundheitsamt nicht mehr ausreichend gewährleistet: Überlange Entscheidungswege, überflüssige Bürokratie und zum Teil auch fehlende Sensibilität in Fragen von Gesundheitsrisiken, diese Schwachstellen sind uns
allen im September/Oktober 1993 auf erschreckende Weise überdeutlich vor Augen geführt worden.
Hier ging und geht es nicht um Lapalien — hier ging und geht es um Fragen auf Leben und Tod. Das sollten sich all diejenigen ins Gedächtnis rufen, die statt schnellem Handeln nun „ergebnisoffene Diskussionen" fordern.
Ich möchte kurz an die Ereignisse erinnern, die zu der Entscheidung geführt haben, die grundlegende Neustrukturierung des bisherigen Bundesgesundheitsamtes — die ja schon seit langem geplant ist — voranzutreiben:
Bis September 1993 bin ich davon ausgegangen, daß in dem auf Grundlage von Informationen und Bewertungen des Bundesgesundheitsamtes und der zuständigen Abteilung meines Hauses im November 1992 vorgelegten Bericht zur Infektionsgefährdung durch Blutprodukte nichts verwischt, nichts verschwiegen und nichts übersehen worden ist. Und ich bin davon ausgegangen, daß nach den bitteren Erfahrungen Anfang der 80er Jahre nun neuen Fällen einer HIV-Infektion durch Blutprodukte mit äußerster Sensibilität nachgegangen wird.
Erste Zweifel kamen mir durch eine Pressemeldung vom 6. September 1993, in der über zwei Verdachtsfälle mit Blutprodukten berichtet wurde — dies hat sich Gott sei Dank nicht bestätigt.
Plötzlich tauchten bei weiteren Nachforschungen jedoch neue klärungsbedürftige Fälle auf. Ich erfuhr, daß bei der Testung von Blutplasmaspenden das Aids-Zentrum des BGA und ein Hersteller einige Male zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind und diese auch für das Arzneimittel-Institut höchst wichtigen Informationen weder nach dort noch an die zuständigen Landesbehörden weitergegeben wurden.
Dann erhielt ich die Nachricht, daß diese Firma über längere Zeit das Präparat verkauft hat, obwohl sie die Zulassung längst an ein anderes Unternehmen verkauft hatte.
Am 5. Oktober 1993 schließlich präsentierten mir Mitarbeiter des BGA nach einer Sitzung zu fast mitternächtlicher Stunde eine Liste von 373 HIVSerokonversionen nach Anwendung von Blutpräparaten, die bis dahin weder dem BGA-Präsidenten noch meinem Hause bekannt war. Diese Liste enthielt ausführliche Daten über Einzelfälle, die wichtige Hinweise für weitergehende Maßnahmen zur Risikominimierung gaben. Doch die Bedeutung dieser Liste, die meinem Hause spätestens im Herbst 1992 hätte vorgelegt werden müssen, hatte offenbar niemand erkannt.
Dies, meine Damen und Herren, war Auslöser für meine Entscheidung einer völligen Neustrukturierung des BGA.
Meine Entscheidung über die Auflösung des BGA ist bestätigt worden durch einen weiteren gravierenden Vorgang Mitte Oktober 1993: Am 18. Oktober wurde das Bundesgesundheitsministerium darüber informiert, daß dem BGA bereits 1990 Hinweise auf PPSB-Produkte einer Firma vorgelegen hätten, die aus HIV-verseuchtem Ausgangsmaterial hergestellt
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worden waren. Es ergaben sich offene Fragen hinsichtlich der Methode zur Abtötung von HI-Viren, die diese Firma angewendet hatte. Kurz zuvor war eine Charge des Produkts als infektiös aufgefallen. Deshalb hätte über weitere Maßnahmen zur Risikominimierung nachgedacht werden müssen. Doch was tat das BGA? Es heftete diese Informationen unbearbeitet ab.
Dies alles, meine Damen und Herren, mußte Konsequenzen haben. Deshalb ist der Untersuchungsausschuß eingesetzt worden, um nun lückenlose Aufklärung zu betreiben.
Und deshalb müssen nun so schnell wie möglich organisatorische Konsequenzen gezogen werden, die sicherstellen, daß in Sachen Gesundheitsschutz künftig schnell und zielsicher agiert wird, wenn Gefahren drohen:
Wir müssen die Informationswege verkürzen, die unmittelbaren Verantwortlichkeiten der Institute stärken und Bürokratie abbauen, damit es insgesamt zu überschaubaren Arbeitseinheiten kommt. Es darf nicht — wie es in der Vergangenheit ja bereits öfter passiert ist — dazu kommen, daß die hohe Kompetenz der einzelnen Experten im Dickicht der Bürokratie erstickt wird. Wir brauchen kleinere, schlagkräftigere Einheiten, die rasch reagieren können, in denen die gute Facharbeit der Mitarbeiter auch tatsächlich zum Tragen kommt.
Die Notwendigkeit zur Umstrukturierung besteht ja nicht erst seit September/Oktober 1993. Schon seit langem wird von allen eine Reform des BGA befürwortet, die den wachsenden Schwierigkeiten der Behörde, schnell und treffsicher zu handeln, ein Ende bereitet — Schwierigkeiten, die vor allem durch stetige quantitative und qualitative Erweiterungen des BGA entstanden sind.
Im Gründungsjahr 1952 bestand das Bundesgesundheitsamt aus drei Instituten, dem Robert Koch-, dem Pettenkofer-Institut sowie dem Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, mit insgesamt ca. 400 Bediensteten. Seitdem ist das BGA angewachsen auf heute sechs Institute — hinzugekommen sind die Institute für Sozialmedizin und Epidemiologie, für Veterinärmedizin und für Arzneimittel — sowie auf weitere Einheiten wie das Aids-Zentrum und zahlreiche Außenstellen, die insbesondere aus ehemaligen DDR-Instituten hervorgegangen sind. Das somit immer größer und verzweigter gewordene Amt umfaßt heute ca. 2 700 Dauer- und Zeitstellen, fast siebenmal soviel wie zu Beginn.
Aber nicht nur quantitativ ist das BGA enorm gewachsen, sondern auch qualitativ. Eine Vielzahl immer neuer gesetzlicher Aufgaben des gesundheitlichen Patienten- und Verbraucherschutzes ist hinzugekommen. Ich nenne nur das Bundes-Seuchengesetz 1961, das Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände- sowie das Arzneimittelgesetz in den 70er Jahren, das Betäubungsmittelgesetz 1981 und das Gentechnik-Gesetz im Jahr 1990.
Dieses quantitative und qualitative Wachstum hat dazu geführt, daß die Behörde immer schwerer durch den „Überbau" regierbar geworden ist. Diese Probleme haben die einzelnen Institute und viele Mitarbeiter schon vor einiger Zeit thematisiert. Und auch das Bundesgesundheitsministerium hat die Schwierigkeiten schon seit längerem gesehen.
Vorschläge zur Organisationsreform einzelner Institute, nicht zuletzt vom BGA selbst, lagen vor. Allerdings waren alle Vorschläge nicht des Rätsels Lösung; sie hätten keinen Abbau der Bürokratie gebracht, sondern z. T. sogar ein „mehr" an Bürokratie bedeutet. Deshalb war im Bundesgesundheitsministerium eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, deren Arbeiten an einem Organisationsvorschlag, der zu einer größeren Eigenverantwortung der Institute führen sollte, in vollem Gange waren. Anfang 1994 sollten ohnehin die Entscheidungen fallen. Doch die Vorgänge im Herbst des vergangenen Jahres haben gezeigt, daß keine weitere Zeit mehr verstreichen darf, daß aus Handlungsbedarf Handlungszwang geworden ist.
Die immer größer gewordene Mammutbehörde BGA gleicht heute einem schwerfälligen Tanker, der den vielfältigen Anforderungen schneller Manövrierfähigkeit nicht mehr gerecht wird. Deshalb gilt es, das allzu große Amt in neu zugeschnittene Institute mit gestärkter Eigenständigkeit und schnellerer Reaktionsfähigkeit für die Erfüllung ihrer Amts- und Forschungsaufgaben aufzuteilen. Der Supertanker soll gleichsam durch wendige Forschungsschiffe ersetzt werden.
Das Konzept sowohl des heute zur Debatte stehenden Initiativgesetzentwurfs wie auch des Regierungsentwurfs haben wir in enger Kooperation mit den Gesundheitsobleuten der Koalitionsfraktionen erstellt. Dem Bundesministerium für Gesundheit werden künftig drei Institute zugeordnet: das RobertKoch-Institut — Hauptaufgabe: infektiöse und nichtübertragbare Krankheiten einschließlich der Gentechnik und der Epidemiologie —, ein Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, bestehend aus dem Pettenkofer- und dem Ostertag-Institut des BGA — Hauptaufgabe: Lebensmittel- und Veterinärangelegenheiten — und ein Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte — Hauptaufgabe: Sicherheit der Arzneimittel und der neuen Gruppe „Medizinprodukte".
Das bisherige Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene mit der Hauptaufgabe „Umwelt und Gesundheit", über das schon bisher das Bundesumweltministerium weitgehend die Fachaufsicht hatte, wird in das Umweltbundesamt eingegliedert.
Alle bisherigen Institutsaufgaben sollen auf die jeweiligen Nachfolgeeinrichtungen übergehen. Zudem soll eine Aufgabenkonzentration erfolgen. Wir werden auch prüfen, wie wir die Arbeit innerhalb der Institute sowie die Zusammenarbeit und Koordination effizienter machen können. Es geht dabei darum, Aufgaben zusammenzufassen, Entscheidungswege zu straffen und Informationswege zu verkürzen. Es geht nicht an, daß ein und dasselbe Thema unter verschiedenen Blickwinkeln in verschiedenen Instituten beleuchtet wird und letztlich die Ergebnisse nicht zusammenlaufen. Deshalb müssen in den Instituten Schwerpunkte gebildet werden.
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Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Wir wollen nun die Zuständigkeit für die Zulassung, die Risikoüberwachung und die Chargenprüfung von Blutprodukten weitgehend beim Paul-Ehrlich-Institut konzentrieren. Damit werden die Aufgaben des Bundes für immunologische Arzneimittel und Blutprodukte zusammengefaßt. Das stärkt die Kompetenz.
Insgesamt sollen die Institute aufgabenorientiert gegliedert werden, damit klare Verantwortlichkeiten geschaffen werden.
Der bisherige Präsidialbereich und die Zentralabteilung des BGA werden aufgelöst und einschließlich des Sachhaushalts entsprechend dem Aufgabenumfang und -bedarf der neuen Bundesinstitute auf die Nachfolgeeinrichtungen des BGA verteilt. Und ich denke, daß die Auflösung des BGA, die letztlich eine Verteilung von wenig mehr als 200 Stellen der ehemaligen Zentralabteilung auf die Bundesinstitute bedeutet, weder den Bundesgesundheitsminister noch das Parlament überfordern wird.
Ich sage hier noch einmal ganz deutlich: Durch diese Umstrukturierung wird kein Bediensteter des Bundesgesundheitsamtes — gleich, ob Beamter, Angestellter oder Arbeiter — seinen Arbeitsplatz verlieren, weder ein Beschäftigter in den Instituten und Außenstellen noch einer im Zentral- und Präsidialbereich. Und ebenso wichtig ist: Es wird keine Beschneidung der einzelnen Institute in Fachfragen geben.
In zahlreichen besorgten Stellungnahmen und Resolutionen haben wissenschaftliche Fachgesellschaften und Verbände die Sorge geäußert, bei einer Auflösung des Bundesgesundheitsamtes und unmittelbaren Unterstellung der neuen Bundesinstitute unter das BMG könne die Freiheit der Forschung in den Instituten durch politische Einflußnahmen des Ministeriums gefährdet werden. Ich versichere: Diese Sorge ist unbegründet. Durch das Gesetz wird die selbständige Bundesoberbehörde BGA durch drei ebenfalls eigenständige Bundesoberbehörden — sowie das Umweltbundesamt, für welches dasselbe gilt — ersetzt.
Selbstverständlich werden auch die neuen Bundesinstitute als nachgeordnete Behörden der Dienst- und Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit unterstehen.
In diesem Rahmen können und müssen manchmal auch Weisungen ergehen, aber nicht in wissenschaftlichen Fachfragen. Dies war bisher so, und das wird auch so bleiben.
Es gibt genügend gute Beispiele dafür, daß eine solche Zuordnung in der Praxis reibungslos funktioniert. Ich nenne nur das Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt und auch das dem Bundesumweltministerium unterstellte Umweltbundesamt. Beide Einrichtungen sind direkt dem zuständigen Ministerium zugeordnet. Niemand in diesen Einrichtungen spricht von Bevormundung. Es gibt keinerlei Probleme im Zusammenwirken. Und ich sage es noch einmal: Was für diese Einrichtungen gilt, gilt auch für die neuen Bundesoberbehörden: Es wird keine Einmischung des Ministeriums in wissenschaftliche Fachfragen geben.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Wir stellen mit dem Gesetzentwurf Kosteneutralität sicher. Das heißt, es entstehen keine Personalmehrkosten, die den Steuerzahler belasten, wenn wir nun aus einer Zentralbehörde mit einer Zentralverwaltung mehrere verwaltungsmäßig autarke Einzelinstitute machen.
Wir sind uns alle einig, daß eine Umstrukturierung des BGA zwingend erforderlich ist. Bei dieser Umstrukturierung, das möchte ich insbesondere den Damen und Herren der Opposition noch einmal deutlich sagen, darf es keine Halbherzigkeiten geben. Es ist nicht damit getan, dem „Kind" einen neuen Namen zu geben und hier und da ein bißchen die Zuständigkeiten zu verschieben; denn damit wird keines der Probleme, die ich eingangs erläutert habe, gelöst.
Mit Ihrem Antrag zur Reorganisation des Bundesgesundheitsamtes und der Pressemitteilung der Herren Kollegen Haack und Kirschner vom 22. Dezember 1993 erwecken Sie den Eindruck, daß Sie die Probleme auch gar nicht lösen, sondern lieber weiter vor sich herschieben wollen. Sie werfen unserem Entwurf „Oberflächlichkeit aus der Hektik vorschneller Entscheidungen" vor, nennen den Entwurf einen „Schnellschuß". Nun: Wir haben in der Tat schnell gehandelt, aber keineswegs vorschnell. Die rasche, entschlossene Entscheidung der Koalition von Mitte Oktober beruht auf einem langen Vorlauf an Erfahrungen, Vorschlägen und Untersuchungen. Seit langer Zeit wird über Umstrukturierungen diskutiert. Die Ereignisse im Herbst letzten Jahres haben uns überdeutlich gezeigt, daß wir nicht länger nur diskutieren dürfen, sondern handeln müssen. Was soll denn noch alles passieren, bis sich diese Einsicht auch bei Ihnen in der Opposition endlich durchsetzt? Wollen Sie warten, bis es erneut zur Gefährdung von Menschenleben kommt, weil sich die Bürokratie selbst auf den Füßen steht?
Hinzu kommt: Wir erheben mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf doch nicht den Anspruch, heute eine Lösung für alle Zeiten und jedes Einzelproblem vorzulegen. Wir legen heute ein Rahmenkonzept vor, das genügend Spielraum für weitere Gestaltung bietet, so z. B. bei speziellen Abgrenzungs- und Zuständigkeitsfragen der Institute. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben uns ja auch sehr deutlich gemacht, daß wir flexible Konzepte brauchen, die an veränderte Rahmenbedingungen angepaßt werden können. Diese notwendige Flexibilität ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gewährleistet.
Zum Thema Forschung: Sie werfen uns ja vor, wir würden die Forschungsaufgaben der Institute als „zweitrangig" einstufen. Das ist schlichtweg falsch. Wir wollen lediglich eines verhindern: Nämlich daß die Institute nur noch forschen und sich um die Umsetzung der Gesetze, die die Sicherheit der Menschen gewährleisten, nicht mehr kümmern. Deshalb sind wir der Ansicht — und ich denke dies ist auch ein ureigenes Interesse des Parlamentes — daß die Amtsaufgaben, die sich aus unseren Gesetzen ergeben — ich nenne als Beispiel nur die Arzneimittelzulassung nach dem Arzneimittelgesetz — in der Tätigkeit der Institute Vorrang haben müssen vor freier Forschung. Die Forschung in den Instituten soll ja eben-
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falls dazu dienen, konkrete Hinweise auf Verbesserungen des Gesundheitsschutzes zu geben. Grundlagenforschung der Institute ist damit keinesfalls ausgeschlossen.
Nun zu Ihrem Antrag selbst. Nach dem Antrag der Opposition soll bereits bis Ende März — 1994 wohlgemerkt! — eine Expertenkommission den Gesundheits-Forschungsbedarf im Bereich des bisherigen BGA prüfen und außerdem eine effiziente Organisationsstruktur für das Amt entwerfen. Die international zusammengesetzte Kommission soll auch aus Vertretern französischer, amerikanischer und japanischer Forschungseinrichtungen bestehen.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich bin ein großer Befürworter internationaler Zusammenarbeit und grenzüberschreitenden Erfahrungsaustauschs. Deshalb haben wir bei der Erarbeitung des heute vorliegenden Gesetzentwurfs auch ausländische Erfahrungen, z. B. aus Amerika, berücksichtigt. Ich bin aber auch der Meinung, daß das Parlament in der Lage ist und auch in der Lage sein muß, nach der Auseinandersetzung mit in- und ausländischen Erfahrungen eine eigene, kompetente Entscheidung zu treffen. Dies kann uns kein Experte aus dem Ausland abnehmen. Zudem gibt es in jedem Land ganz spezifische Gegebenheiten, die sich auf die Strukturen niederschlagen. Deshalb sind Erfahrungen aus Japan, Amerika und Frankreich nicht vorbehaltlos auf unsere spezifisch deutschen Strukturen übertragbar.
Das alles zeigt: Es ist wichtig und richtig, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Dies ist eine Entscheidungshilfe, kann uns aber nicht von der Pflicht, eigene, unseren Verhältnissen entsprechende Entscheidungen zu treffen, entbinden. Wir müssen doch in der Lage sein, eigene Konzepte zu entwickeln. Welches Selbstverständnis haben wir denn in Deutschland noch, wenn wir nicht mehr den Mut zu eigenen Entscheidungen aufbringen und nur noch darauf hoffen, daß ausländische Experten für uns entscheiden?
Und, meine Damen und Herren von der Opposition, seien Sie doch einmal realistisch: Es würde doch inzwischen kaum vor März möglich sein, Mitglieder für eine internationale Experten-Kommission zu gewinnen und die Kommission einzuberufen. Ich wage keine Prognose, bis wann dann endlich ein Konzept stehen würde.
Es würde jedenfalls wieder eine Menge Zeit ins Land gehen, ohne daß sich irgend etwas ändert. Und deshalb sage ich noch einmal: Ich denke, das Parlament ist durchaus in der Lage, selbst kompetent zu entscheiden, zumal es ja im Rahmen der parlamentarischen Beratungen dieses Gesetzentwurfs auch eine Experten-Anhörung geben wird.
Insgesamt mutet der SPD-Vorschlag zur Errichtung eines Bundesamtes für Gesundheitsschutz, in den offenbar das Konzept eines von Ihnen beauftragten Gutachters eingegangen ist, geradezu grotesk an: Sie glauben doch nicht im Ernst, daß es zu einer Straffung der Entscheidungswege kommt, wenn wir acht Fachbereiche einrichten, in denen die eigentliche Arbeit zu leisten wäre, darüber eine „Abteilung Koordination" setzen und darüber dann Vizepräsident und Präsident?
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie nennen unseren Entwurf ein „Konzept der kurzen Leine". Unsere Erfahrungen haben uns deutlich gezeigt, daß die Verkürzung der Informations- und Entscheidungswege zwischen Instituten und Ministerium zwingend notwendig ist. Und die Erledigung mancher Amtsaufgabe muß auch am kürzeren Zügel geführt werden, damit Gesundheitsvorsorge kein leeres Wort bleibt. Und wenn Sie mir nun ein „Konzept der kurzen Leine" vorhalten, so möchte ich Sie eindringlich warnen: Huldigen Sie nicht dem „Prinzip der langen Leitung".
Dr. Paul Hoffacker (CDU/CSU): Am 13. Oktober des vergangenen Jahres hat der Bundesminister für Grundheit mit Zustimmung der Koalitionsfraktionen die Auflösung des Bundesgesundheitsamtes sowie die Neustrukturierung seines Aufgabenbereiches angekündigt. Der heute als Initiative der Regierungsfraktionen eingebrachte Gesetzentwurf löst diese Ankündigung ein.
Wir werden im Gesundheitsausschuß durch zügige und konzentrierte Beratung dafür Sorge tragen, daß dieses vordringliche Gesetz unverzüglich in Kraft treten kann. Vordringlich und unverzüglich auch deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, weil dieser quälende und langwierige Diskussionsprozeß um das Bundesgesundheitsamt niemandem mehr hilft. Aber auch die Sache, Gesundheitsschutz und Versorgung der Bevölkerung, erfordern es dringend, daß Aufgaben wie beispielsweise die Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit von effizienten, dynamischen und damit schlagkräftigen Instituten wahrgenommen werden.
Anlaß der Entscheidung, das Bundesgesundheitsamt aufzulösen, waren die Vorfälle des vergangenen Herbstes zum Thema HIV-Infektionsgefährdung von Blut und Blutprodukten. Ich darf mir die Wiedergabe der Chronik dieser Ereignisse heute abend ersparen. Fazit ist jedoch, daß in puncto Arzneimittelsicherheit von Blut und Blutprodukten an dem Geschäftsgebaren des Bundesgesundheitsamtes, trotz unstreitig hoher Qualifikation der hier in Frage stehenden Mitarbeiter des Amtes, erhebliche Zweifel zurückgeblieben sind.
Nicht ausreichende, d. h. vollständige und schnelle Information über entscheidungserhebliche Fakten sowie mangelnde gesundheitspolitische Sensibilität bei der Bewertung vorliegender Fakten sind einige der wesentlichen Stichworte, um die es hier ging. Der auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingesetzte parlamentarische Untersuchungsausschuß befaßt sich nun seit geraumer Zeit mit den hier anstehenden Fragen der Arzneimittelsicherheit, der Haftung und Entschädigung sowie dem Gesamtkomplex dessen, was sich unter dem Stichwort Vergangenheitsbewältigung an Erfreulichem und vorwiegend weniger Erfreulichem verbirgt.
Beweggrund der Entscheidung, das Bundesgesundheitsamt aufzulösen, ist vielmehr die auf harten Fakten beruhende und über Jahre wachsende Über-
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zeugung, daß eine Großbürokratie wie das Bundesgesundheitsamt bereits aufgrund ihrer Struktur nicht mehr dazu geeignet ist, die ihr zugewiesenen Aufgaben optimal zu erfüllen. Die gesundheitspolitischen Aufgaben von Gegenwart und Zukunft sind mit den gewachsenen und tradierten zentralistischen Bürokratiestrukturen des Bundesgesundheitsamtes nicht mehr mit ausreichender Sicherheit zu bewältigen. Das ist im Interesse des Gesundheitsschutzes unserer Bevölkerung nicht hinnehmbar.
Dabei ist unstreitig, daß dem Bundesgesundheitsamt, insbesondere seinem Präsidenten, seinen Institutsdirektoren und all seinen Mitarbeitern, in der Vergangenheit bei der Bewältigung der nicht unerheblichen Aufgaben des Amtes zweifelsohne Verdienste zukommen. Diese sollen hier keinesfalls geschmälert werden. Für die Arbeit und das Bemühen um den gesundheitspolitischen Erfolg schulden wir vielmehr Dank und Anerkennung.
Gleichwohl ist nicht zu bestreiten, daß das Bundesgesundheitsamt als Amt seit Jahren in der Kritik ist. So ist beispielsweise das Arzneimittelinstitut in den zurückliegenden Jahren wegen des Zulassungs- und Nachzulassungsstaus bei Arzneimitteln immer wieder in die gesundheitspolitische Schußlinie geraten. Die Wasserstandsmeldungen über den Antragsstau bei der Arzneimittelnachzulassung sind jedem der sich mit Gesundheitspolitik befaßt, nur allzugut aus leidvoller Erfahrung heraus bekannt. Auch die teilweise widersprüchlichen Einlassungen des Amtes zum Thema BSE im vergangenen Jahr waren immer wieder eine Schlagzeile und Überraschung wert.
Externe und interne Organisationsuntersuchungen waren das Ergebnis dieser vielfältigen Kritik. So haben der Bundesrechnungshof und auch ein privates Wirtschaftsberatungsinstitut ihr Glück bei der Durchforstung dieses bürokratischen Dschungels versucht. Der praktische Nutzen dieses Bemühens ging leider weitgehend gegen null.
Auch die Ministerialbürokratie befaßt sich seit Jahren mit diesem Thema. Mitte des vergangenen Jahres kulminierte dieses Bemühen in der Einsetzung einer weiteren internen Expertenkommission und Arbeitsgruppe des Ministeriums, die die Aufgabe hatten, das Bundesgesundheitsamt nunmehr endlich flott zu machen. Diese Arbeiten wurden jedoch letztendlich von den genannten Vorfällen zur Arzneimittelsicherheit von Blut und Blutprodukten im vergangenen Jahr überrollt. Eine Bewertung der Bestrebungen, das Bundesgesundheitsamt zu erhalten und als Großbürokratie durch interne Reformen zu modernisieren, kann ich mir daher ersparen.
Tatsache ist, daß die Entscheidung, das Bundesgesundheitsamt aufzulösen und diesen Aufgabenbereich neu zu ordnen, überfällig war. Bereits wenige Fakten machen das signifikant. Das Amt hat sich seit seiner Errichtung im Jahre 1952 von 400 auf rund 2 700 Dauer- und Zeitstellen mit steigender Tendenz aufgebläht. Grund dieses quantitataiven Wachstums des Personalhaushaltes war auch die ständige Zuweisung des Vollzugs weiterer Aufgabenbereiche an das Amt durch die Politik. Das Arzneimittelgesetz sowie das Gentechnikgesetz mit der zentralen Kommission für die biologische Sicherheit sind nur drei Beispiele
aus den zurückliegenden Jahren. Daß ein derartiges Amt mit einem so weitgespannten und heterogenen Aufgabenspektrum präsidial nicht effektiv geführt und dargestellt werden kann, liegt nach meinen Erfahrungen auf der Hand.
Denn Faktum ist, daß sich zentralistische hierarchische Großbürokratien allein schon aufgrund ihrer Struktur im Regelfall nicht bewähren. Das bürokratische Dickicht erstickt Eigeninitiative und Verantwortung der Mitarbeiter, Frustration und Gleichgültigkeit machen sich breit, alles Symptome, die jedem, der sich mit derartigen Großorganisationen befassen muß, nur allzugut bekannt sind. Und im übrigen ist das Bundesgesundheitsamt nur eine in der Reihe der Behörden, die hier ohne weiteres um einige nicht unbedeutende Beispiele erweitert werden könnte.
Es freut mich daher, daß die Opposition mit uns in der grundsätzlichen Einschätzung übereinstimmt, daß das Bundesgesundheitsamt und seine Aufgaben reformbedürftig sind. Der Gesundheitsschutz und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung gebieten diesen Schritt. Darin sind wir uns glücklicherweise einig. Nur sind die von Ihnen angebotenen Rezepte nach meiner Auffassung nicht überzeugend. Im Gegensatz zu mir halten Sie die Großbürokratie Bundesgesundheitsamt für reformierbar. Eine Strukturreform an „Haupt und Gliedern" ist Ihrer Meinung nach entbehrlich. Ich habe dargelegt, warum ich mich diesem — frommen — Glauben nicht anzuschließen vermag.
Das von Ihnen zur Klärung der hier anstehenden Fragen angebotene Mittel halte ich jedoch für nahezu grotesk. Sie fordern — mal wieder — die Einsetzung einer Expertenkommission, um die Mammutbehörde Bundesgesundheitsamt zu reformieren. Mammuts und schon gar nicht bürokratische Dinosaurier, wie das Bundesgesundheitsamt einer ist, haben vor Experten auch in der geballten Form von Kommissionen keine Angst. Und Warum? Um Himmels willen, gerade wieder eine Kommission? Erklären Sie mir das bitte, helfen Sie mir? Kommissionen und Experten haben sich mit diesem Amt in ausreichender Zahl befaßt. Woran es fehlt, sind lediglich Entscheidungen.
Unser Vorschlag, das Amt als Einheit und Zentralbehörde aufzulösen und die bisherigen Institute zu konzentrieren und zu verselbständigen, ist daher nur konsequent. Ziel dieser gesetzgeberischen Maßnahmen ist es, Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsschutz der Bevölkerung durch Erhöhung der Effizienz der Aufgabenerfüllung zu verbessern.
Die Auflösung der bisherigen zentralen Strukturen des Amtes sowie die rechtliche Verselbständigung der neu zu gliedernden Aufgabenbereiche wird dieses gewährleisten. Ziel ist es, die derzeitigen Zentraleinheiten des Bundesgesundheitsamtes aufzulösen sowie die bisher dem Amt nachgeordneten Institute in rechtlich selbständige, direkt dem jeweils federführenden Ministerium nachgeordnete Einrichtungen mit konzentriertem Aufgabenzuschnitt umzuwandeln.
Ergebnis dieser aufgabenbezogenen Trennung der bisherigen Strukturen sollen folgende Institute sein:
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Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das Robert-Koch-Institut sowie das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin.
Aufgabe der neu zu gründenden Institute wird sowohl — selbständige — Forschung als auch Administration im jeweiligen Aufgabenbereich sein. Im Rahmen der Aufgabenzuweisung zu den Instituten werden sowohl Forschung als auch Verwaltung eigenständige und gleichgewichtige Aufgabe dieser Einrichtungen sein. Zu betonen ist, daß das Ziel dieser Neuordnung nicht, wie teilweise insbesondere von wissenschaftlichen Fachgesellschaften befürchtet, eine Bevormundung von wissenschaftlicher Tätigkeit in diesen Instituten oder gar die straffere Anbindung von Forschung an die jeweils aufsichtsführenden Ministerien ist. Die Forschung auf Grund ministerieller Weisung entspricht keinesfalls unseren gesundheits- und forschungspolitischen Vorstellungen. Forschungsergebnisse per „Ordre de mufti" wird es nicht geben. Dazu ist der Gesundheitsschutz ein viel zu wichtiges Anliegen, das bürokratische Einmischung nicht verträgt. Ich bin davon überzeugt, daß die eigenständige wissenschaftliche Forschung der Institute im Rahmen ihrer Aufgaben ihren selbständigen Stellenwert haben muß.
Strukturprinzip der Neuordnung ist daher die dezentrale, eigenverantwortliche Erfüllung der zugewiesenen wissenschaftlichen und administrativen Aufgaben. Es ist Ziel der CDU/CSU-Fraktion, wissenschaftlich herausragende selbständige Institutionen zu schaffen, die national sowie international in ihrem jeweiligen Tätigkeitsspektrum führend sein können.
Ich erwarte daher, daß seitens des Bundesministeriums für Gesundheit im Rahmen der parlamentarischen Beratungen im Bundestagsausschuß für Gesundheit Vorschläge unterbreitet werden, wie dieses Ziel durch die möglichst effektive und zielorientierte Organisation der neu zu errichtenden Institute erreicht werden kann. Gerade insofern wird von herausragender Bedeutung sein, wie der durch das hier eingebrachte Gesetz formulierte Rahmen der Organisationsreform dieses Aufgabenbereiches durch verwaltungsinterne Entscheidungen und Maßnahmen mit Leben erfüllt wird, das zumindest den hier skizzierten Vorstellungen entspricht.
Wir werden daher seitens des Gesundheitsausschusses des Bundestages auch den Sachverstand und die Erfahrungen führender ausländischer Institute zu Rate ziehen. Ich kann daher der Hoffnung Ausdruck geben, daß wir im Gesundheitsausschuß im Rahmen eines internen Expertengespräches den Präsidenten des Pasteur-Institutes in Paris sowie den Präsidenten der Food-and-Drug-Administration in Washington sowie den Präsidenten des japanischen KitasutoInstitutes werden anhören können. Auch daraus vermag man zu erkennen, daß es uns um die Sache, d. h. um die effiziente Organisation der hier in Frage stehenden Bereiche im Interesse des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung geht.
Ich bitte Sie daher, den Antrag zur Beratung dem federführenden Gesundheitsausschuß zu überweisen.
Karl-Hermann Haack (Extertal) (SPD): Zunächst
möchte ich eine politische Eingangsbemerkung machen: Seit einem Jahr erleben das Parlament und die interessierte Öffentlichkeit einen Gesundheitsminister, der in Stakkato dieser Republik ständig Horrormeldungen verkündet. Als Beispiel will ich sagen: AIDS und Blutskandal und als ein weiteres daraus folgend die Auflösung des Bundesgesundheitsamtes, in der Publizistik Zerschlagung des Bundesgesundheitsamtes genannt. Der Minister erntet von der erstaunten Öffentlichkeit Beifall. Endlich geht jemand gegen die Bürokratie vor. Der Minister antwortet auf Kritik: „Ich stelle mich der Verantwortung, laufe nicht vor der Verantwortung fort". Die Öffentlichkeit staunt und sagt: Da handelt jemand in Bonn. Jedoch bei genauerem Hinsehen entdeckt man einige Ungereimtheiten, die das Bild des handelnden Ministers Seehofer trüben.
Wir erinnern uns des Zahlenspiels zwischen dem Minister und der zuständigen Abteilung des Bundesgesundheitsamtes. Dabei wurde im Rahmen einer Sondersitzung eine Zahl von 371 neuen AIDS-Fällen dargestellt. Ferner wurde die Auflösung des Bundesgesundheitsamtes als eine Konsequenz dieses Falles verkündet. In der Öffentlichkeit wurde suggeriert, daß nunmehr das Faß zum Überlaufen gebracht sei. An Aufklärung erfolgte bis heute nichts. Einer von drei suspendierten Mitarbeitern mußte inzwischen rehabilitiert werden.
Zunächst einmal hat die SPD dieses Vorgehen des Ministers als Befreiungsschlag begrüßt. Dies vor dem Hintergrund, daß ohnehin im Ausschuß zu diesem Zeitpunkt Eckwerte für eine Neuorganisation des Bundesgesundheitsamtes anstanden. Jedoch ist erkennbar, daß der Minister einen anderen Weg beschreitet als im Ausschuß verabredet. Deutlich wird dies am heute vorliegenden Entwurf: Die Einrichtungen des vormaligen Bundesgesundheitsamtes sollen an die kurze politische Leine genommen und der Politik verfügbar gemacht werden. Voraussetzung dafür ist die Auflösung des Präsidialbüros und der Gesamtleitung des Bundesgesundheitsamtes selbst.
Das Presse-Echo in der Republik ist geteilt. Die seriöse Presse, so würde ich feststellen wollen, ist auf Distanz zum Minister gegangen. Vokabeln wie „Hektik" und „Unbesonnenheit" beherrschen die Kommentierungen in der Presse. Die Presse fragt nach Motiven, die außerhalb dieses Sachverhaltes liegen und des Rätsels Lösung offenbart der Minister selbst im „Spiegel"-Interview zum Ausgang des letzten Jahres. Dort trifft er die Feststellung, daß er sich demnächst vom grundsätzlichen her in die Politik einmischen will, d. h. im Klartext die Aktionen des letzten halben Jahres 1993 waren mehr der Beförderung der eigenen Karriere zugedacht als tatsächlicher Problemlösung.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, als politische Eingangsbemerkung zur Hintergrundbeurteilung. Nun zur Sache selbst:
Seit eineinhalb Jahren berät der Ausschuß für Gesundheit des Deutschen Bundestages den Fahrplan zur Neuorganisation des Bundesgesundheitsamtes. Für die SPD selbst war dieses ein Thema ständiger Beratungen mit Fachgesellschaften, Wissenschaftlern und den Beschäftigten im Bundesgesundheitsamt.
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Für die SPD hat dabei immer im Vordergrund gestanden, mit den Betroffenen und der Fachöffentlichkeit als auch den Medien eine Konsenslösung zu erreichen, da es vor dem Hintergrund der Tradition dieses Bundesgesundheitsamtes als unfair erscheint, Ad-hoc-Lösungen, wie jetzt praktiziert, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Zumal der angebotene Lösungsweg kein Königsweg ist.
Verabredet war, im November letzten Jahres ein Zwischenergebnis im Ausschuß zu beraten. Dazu ist es nicht gekommen. Kernpunkt sollte die Frage sein: Kann die derzeitige Struktur des Bundesgesundheitsamtes erhalten bleiben, ja oder nein? Durch die Presseerklärung des Ministers vom 13. Oktober letzten Jahres ist gewissermaßen im Schnellschuß die Diskussion im Fachausschuß beendet worden. Feststeht: Seit dieser Zeit ist viel Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Bundesgesundheitsamtes zerschlagen worden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind verunsichert worden, das internationale Ansehen des Bundesgesundheitsamtes mit seinen eigenen einzelnen Fachinstituten ist beschädigt. Dies alles, Herr Minister, geht auf Ihre Kosten.
Sie machen in dem Gesetz aus sechs Instituten vier selbständige Institute, lösen das Präsidialbüro und die Zentralabteilung auf und binden die einzelnen verbliebenen Institute in die jeweiligen Bundesministerien, für Bundesministerium Gesundheit und Bundesministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit ein. Sie begründen die Einbindung der einzelnen Institute in die Ministerien damit, daß dadurch ein kurzer Dienstweg sichergestellt wird und schnelle Entscheidungen zum Schutz der Verbraucher getroffen werden können.
Die Kritik am BGA und die daraus resultierenden Erwartungen zur Neuordnung bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch der politischen und fachorientierten Öffentlichkeit war dagegen auf mehr Selbständigkeit, Eigenverantwortung der Institute gerichtet, auf mehr Selbständigkeit des Bundesgesundheitsamtes in seiner Gesamtheit, als auf eine Mehranbindung an die Politik. Sie setzen sich dem Verdacht aus, Herr Minister, daß die politische Einflußnahme auf Fachentscheidungen der einzelnen Institute das tragende Motiv der Neuordnung ist.
Ich will Ihnen dazu ein Beispiel geben: Wir wissen alle, daß es eine Auseinandersetzung gegeben hat im Hinblick auf Salmonellose, verursacht durch infizierte Hühnereier. Regeln sollte das die sogenannte „Eierverordnung". Der fachwissenschaftliche Streit ging um die Frage, ab wann Eier gekühlt gehandelt werden sollen: ab 18 oder ab 10 Tagen. Aus fachlichen Gründen hat sich das Bundesgesundheitsamt dafür ausgesprochen, eine Nichtkühlung der Eier bis zu 10 Tagen zu erlauben. Nach politischer Einmischung durch das Landwirtschaftsministerium wurde diese Grenze auf 18 Tage erhöht und damit die Infektionsgefahr durch Salmonellose beim Verzehr von Hühnereiern politisch bewußt in Kauf genommen — dies, aus der Interessenlage heraus, daß das Landwirtschaftsministerium glaubte, die Legebatteriehalter schützen zu müssen. Wo bleibt da der Verbraucherschutz?
Es gibt inzwischen eine Menge Vorschläge, die neben den Vorschlägen des Ministers und der SPD stehen. Ein Großteil dieser Vorschläge ist charakterisiert durch verdeckte Interessenwahrnehmung, der Bonn-Berlin-Beschluß spielt dabei eine Rolle. Dieser Sachverhalt, Herr Minister, sollte Anlaß sein, den Weg, den wir bisher im Gesundheitsausschuß gegangen sind, nämlich im Konsens miteinander als auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamtes und der fachinteressierten Öffentlichkeit einen gemeinsamen Weg zu suchen, das Bundesgesundheitsamt durch eine Neuorientierung aus dessen Strukturkrise herauszuführen. Das heißt konkret: zunächst einmal die Schwachstellenanalyse zur Lage des Bundesgesundheitsamtes abschließen, danach im Rahmen eines Anhörungsverfahrens mit der fachinteressierten Öffentlichkeit und den Verbrauchern sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamtes Eckdaten für eine Reorganisation dieses Amtes entwickeln, um dann letztendlich politisch zu entscheiden, in welch einer Form wir uns eine Neuorganisation der Arbeit des Amtes vorstellen. Gemeint ist damit auch ein Lückenschluß zu vergleichbaren Weltinstituten. Qualifizierung ist das Stichwort dazu. Die SPD legt in ihrem Antrag Eckdaten vor, sie resümieren gewissermaßen den Zwischenschluß einer Diskussion unserer Arbeitsgruppe.
Wir möchten generell die Umwandlung des Bundesgesundheitsamtes in ein Bundesamt für Gesundheitsschutz. Hier soll deutlich gemacht werden, daß eine industriell verfaßte Gesellschaft mit einem Mehr an industriellen Produkten zu einem Mehr an Gesundheitsgefährdung führt. Hinzu kommen individuelle Lebensweisen, die ebenfalls eines besonderen Gesundheitsschutzes bedürfen.
Schwerpunktmäßig soll dieses Amt den Vollzug von Hoheitsaufgaben durchführen, auf der Basis bestehender Gesetze und Verordnungen. Ferner soll es die Riskoerfassung und die Risikoabschätzung vornehmen. Hier heben wir ab auf die zunehmende Risikobedeutung von Produkten in unserer industriellen Arbeitswelt als auch in unserer Konsumwelt, die gesundheitsgefährdend wirken. Das kommende Medizinproduktegesetz ist dafür ein Beispiel. Ferner sind wir der Auffassung, daß ein solches Bundesamt für Gesundheitsschutz der Politikberatung dienen soll, sowohl den Parlamenten als auch der fachinteressierten Öffentlichkeit und den Verbrauchern. Wichtig ist für uns, daß wir in diese Arbeit hineinnehmen wollen die Tätigkeiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Wir meinen hier, daß dieser Aspekt mit berücksichtigt werden sollte.
Herr Minister, nun muß man bei einer solchen schwierigen Aufgabe auch behutsam vorgehen, zumal bereits genug Porzellan zerschlagen ist. Deshalb schlagen wir die Einsetzung einer Expertenkommission vor, die den Ausschuß in seinen Entscheidungen beraten soll. Diese Expertenkommission soll klären, welcher Bedarf an Eigen- und Fremdforschung besteht, und versuchen, daraus unter Herbeiziehung der vorgenannten vier Aufgaben des neuen Bundesamtes für Gesundheitsschutz eine neue Organisationsstruktur für das Amt selbst zu entwerfen. Hierbei wird schwerpunktmäßig die Frage nach der Koordi-
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nierung der Arbeit aller einzelnen Institute zu beantworten sein.
Wichtig für uns als Gesundheitspolitiker ist, daß wir davon ausgehen, daß Gesundheitspolitik eine öffentliche Angelegenheit ist und sich somit auch in der Neustruktur des Bundesamtes für Gesundheitsschutz die Öffentlichkeit wiederfinden muß. Deswegen schlagen wir die Errichtung eines Kontroll- und Beratungsgremiums in Unabhängigkeit vom neuen Amt vor, um sicherzustellen, daß nicht Partikularinteressen die Entscheidungen der jeweiligen Ämter beherrschen.
Wir sind der Auffassung, daß diese Arbeit bis zum 31. März dieses Jahres geleistet werden kann, da, um nochmals daran zu erinnern, die Ministerialbürokratie schon erhebliche Vorarbeit in Form einer Schwachstellenanalyse geleistet hat. Diese könnte zur Grundlage der Arbeit der Expertenkommission werden.
Der von uns unterbreitete Vorschlag zur Reorganisation des Bundesgesundheitsamtes ist ergebnisoffen, er ist getragen von einer Strategie der Gewinnung des Vertrauens der fachorientierten Öffentlichkeit, als auch der Verbraucher und der Politik. Wir sehen in einem solchen Verfahren einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der gesamten Situation des Gesundheitsschutzes in der Bundesrepublik.
Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Der nun eingebrachte
Gesetzentwurf hat ja, wie Sie alle wissen, eine lange Vorgeschichte, auch wenn das Tüpfelchen auf dem i die bekanntgewordenen Informationsdefizite zwischen Bundesgesundheitsamt und Bundesgesundheitsministerium im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der HIV-Infektionen durch Blut oder Blutprodukte waren.
1985 hat der Haushaltsausschuß des Bundestages eine Sonderprüfung durch den Bundesrechnungshof bewirkt, weil die Bundesregierung besorgt über die Desorganisation des Bundesgesundheitsamtes war. Dabei haben sich gravierende Mißstände im Amt und Konzeptionslosigkeit in weiten Bereichen herausgestellt. Danach kommt es 1987 zu einer Welle von Zulassungsanträgen von Arzneimitteln, der das BGA- Arzneimittelinstitut nicht gewachsen ist. 1989 sind es dann bereits 11 000 unbearbeitete Zulassungsanträge, die in Containern eingelagert werden. Immer wieder habe ich darauf hingewiesen, daß dies ein unhaltbarer Zustand ist und daß zahlreiche Mängel im Bereich des Arzneimittelinstitutes ein effizientes Arbeiten nicht möglich machen. Und dies ist auch der Grund, warum bekanntlich auf Drängen der F.D.P. ein Gutachten bei der Unternehmensberatungsgesellschaft Mummert & Partner in Auftrag gegeben worden ist, das zu einem harten Urteil kam. Die Verbesserungsvorschläge des Bundesrechnungshofes von 1987 sind nicht verwirklicht worden. Es bestehen massive Defizite im Bereich der Organisation, der Information, der Kommunikation und der EDV.
Vor dem Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages muß der Leiter des BGA-Arzneimittelinstituts 1992 zugeben, daß es nicht gelungen ist, von 1985 bis zu diesem Zeitpunkt eine leistungsfähige EDV aufzubauen. Daß dies auch eine ganze Menge mit effizientem Arbeiten zu tun hat, dürfte jedem klar sein.
Ganz besonders ärgerlich sind aber die Informationsprobleme gewesen, die es immer wieder zwischen BGA und Ministerium, aber auch zwischen BGA und Politik gegeben hat. Es kann nicht angehen, daß die Presse zum Teil über drohende Gefahren besser und schneller informiert ist als wir. Eine wichtige Aufgabe des Bundesgesundheitsamtes liegt nun einmal in der Vermeidung von Gefahren für die Bevölkerung. Eine solche Vermeidung ist aber nur möglich, wenn die für entsprechende rechtliche Änderungen Zuständigen frühestmöglich umfassend informiert werden.
Es ist also keinesfalls so, wie aus Interessensgründen in der letzten Zeit immer wieder dargestellt, daß die Umstrukturierung des Bundesgesundheitsamtes ein Ziel an sich sei, sondern wir verbinden damit die Erwartung, Gesundheitsschutz und Gesundheitsvorsorge sowie Verbraucher- und Patientenschutz besser zu gewährleisten, als dies mit den zahlreichen vorangegangenen Pannen möglich war. Sogar der BGA- Vizepräsident Joachim Welz hat bei der Jahrespressekonferenz des BGA im Oktober letzten Jahres eine Häufung von Pannen zugegeben, die auf organisatorische Schwächen schließen lassen. Und auch die Kollegen von der SPD Klaus Kirschner, Horst Schmidbauer und Karl Hermann Haak haben in einer Pressemitteilung vom 13. Oktober ja die Absicht, das Bundesgesundheitsamt aufzulösen und die einzelnen Institute des Amtes der Fach- und Dienstaufsicht des Gesundheitsministeriums direkt zu unterstellen, als längst überfällig bezeichnet und dies deshalb begrüßt. Es freut mich, daß wir, was das Ziel anbelangt, einen so breiten Konsens haben. Ich bin allerdings der Auffassung, daß es für die Setzung von Rahmenbedingungen zur Neuordnung des Bundesgesundheitsamtes, wie sie in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist, nicht der Einsetzung einer Expertenkommission bedarf, wie Sie, Meine Damen und Herren von der SPD, dies wünschen. Wie schnell Expertengruppen arbeiten, darin haben wir alle, denke ich, genügend Erfahrung sammeln können. Zudem bietet eine Vielzahl von Fachleuten auch keine Gewähr dafür, daß dann im Endeffekt etwas Sinnvolles dabei herauskommt.
Trotz aller Kritik am BGA — ich darf an dieser Stelle an Holzschutzmittel, Mineralfasern und Amalgam erinnern — muß man natürlich auch berücksichtigen, unter welch großem Druck diese Behörde steht, wenn wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Um so wichtiger ist es dann aber, daß die Strukturen nicht noch zusätzliche Schwierigkeiten aufwerfen. Ich will gar keine Böswilligkeit bei den vorgefallenen Pannen unterstellen; man muß sich doch nur einmal die Entwicklung anschauen.
Das Bundesgesundheitsamt hat sich im Laufe der Jahre zu einer riesigen Institution ausgeweitet. Von 400 Stellen im Jahre 1952 ist die Anzahl der Beschäftigten auf mittlerweile rund 3 000 angewachsen. Eine solche Behörde mit 6 Instituten ist durch eine zentrale Struktur nur äußerst schwer lenkbar. Die Ergebnisse haben wir alle in den letzten Jahren gesehen. Es erscheint von daher sinnvoll und geboten, eine Neu-
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organisation der Institute vorzunehmen. Ich begrüße es, daß insgesamt nur noch 4 Institute bestehen sollen. Aus sachlichen Erwägungen heraus war eine solche Zusammenlegung einzelner Aufgaben bzw. Institute gut möglich. Ich begrüße es auch, daß das bisherige BGA-Institut für Wasser-, Boden und Lufthygiene in das Umweltbundesamt eingegliedert werden soll.
Die Neustrukturierung der Institute muß für mich verschiedene Kriterien erfüllen. Dazu gehören insbesondere folgende Punkte.
Erstens. Es hat eine aktualisierte Festlegung der künftigen Amtsaufgaben zu erfolgen. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, daß die Institute wissenschaftlich und administrativ unabhängig sind, insbesondere im Hinblick auf die Veröffentlichungen wissenschaftlicher Bewertungen im Dienste des Gesundheits- und Verbraucherschutzes.
Zweitens. Notwendig ist darüberhinaus eine erhöhte Reaktionsfähigkeit der Institute durch vermehrte Selbständigkeit sowie der Abbau der bisherigen vertikalen Hierarchie der Institutszuordnung. Neue Erkenntnisse und Anforderungen müssen schnellstmöglich umsetzbar sein, damit vergleichbare Entwicklungen, wie bei der HIV-Infizierung durch Blut oder Blutprodukte, vermieden werden können.
Drittens. Wir brauchen eine effiziente Koordination der Instituts- bzw. fachübergreifenden Aufgaben.
Das Gesetz deckt nur einen Teil der Kriterien ab. Überall dort, wo schnell und flexibel auf Änderungen reagiert werden muß, erscheint eine Festlegung in Verwaltungserlassen sinnvoll. Wir werden sehr peinlich darauf achten, daß dies in unserem Sinne geschieht, und das heißt für mich insbesondere auch, daß eine Möglichkeit geschaffen wird, bei Bedarf institutsübergreifende Aufgaben gemeinsam zu bewältigen und — wo notwendig — externe Sachverständige beratend hinzuzuziehen. Ob dies in einer administrierten Form erfolgen muß oder z. B. über einen Beirat — da bin ich offen. Wichtig ist allein, daß für eine kompetente Koordination gesorgt wird.
Wenn wir von den Leitern der Institute erwarten, daß sie Managementfähigkeiten mitbringen — und ich denke, da sind wir uns einig, daß es ohne diese Qualifikation nicht funktioniert —, müssen sie auch entsprechend bezahlt werden. Wer ständig Entscheidungen zu treffen hat, die steuernde Wirkungen auch auf die Industrie und Unternehmen haben, kann nicht mit dem Gehalt eines Referatsleiters nach Hause geschickt werden. Dies vereinbart sich nicht damit, Verantwortlichkeit und Kompetenz in hohem Maße auf die Institute zu verlagern.
Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Das Bundesgesundheitsamt ist in der jüngsten Vergangenheit mehrfach in die Kritik geraten. Ich denke an die Expertisen zu Asbeststaub, Formaldehyd oder Holzschutzmittel. Zuletzt stand es im Zusammenhang mit den HIV-verseuchten Blutprodukten im Kreuzfeuer.
Wirklich schlimm ist, daß das BGA dabei mehrfach in den Verdacht geriet, die Interessen der Verbraucher nach Schutz ihrer Gesundheit wirtschaftlichen Interessen von Herstellern bestimmter Produkte untergeordnet zu haben, und daß der Vorwurf erhoben werden konnte, die Führung des BGA habe sich nicht ausreichend von politischen Einflußnahmen freigehalten. Es ist also nicht zu bestreiten, daß seitens der Leitung des BGA gravierende Fehler gemacht wurden, daß es Mängel und Mißstände gibt.
Allerdings muß auch gesagt werden, daß von einem Teil der Vorwürfe bei späterer genauer Überprüfung kaum etwas übriggeblieben ist. Auch die von Minister Seehofer in der Öffentlichkeit genannten Anlässe für die Auflösung des Amtes haben sich weitgehend als unhaltbar erwiesen. Wie man inzwischen erfahren konnte, haben sich die gemaßregelten Wissenschaftler keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht.
Eine unverantwortlich handelnde Sensationspresse hat allerdings inzwischen mit pauschalen Vorwürfen der Korruption und fachlichen Inkomptenz Tausende Mitarbeiter diskreditiert, die Bevölkerung verunsichert und das Vertrauen in die Arbeit dieser wichtigen Bundesbehörde erst einmal gründlich zerstört.
In dieser künstlich geschaffenen, falschen Atmosphäre findet die nun vorgesehene Zerschlagung des BGA nicht wenig populistischen Anklang, ja sogar die politische Unterstützung der Koalitionsfraktionen. Über diesen Anklang sollte sich allerdings niemand täuschen. Ein Beifall aus Teilen der fehlinformierten Öffentlichkeit meint gar nicht so sehr das BGA. Viel plausibler scheint, daß sich hier angesichts der vielen Enttäuschungen und Verdrossenheiten mit der Politik lediglich ein lang aufgestauter Frust gegen Behörden und politische Institutionen schlechthin abreagiert. Sehr wahrscheinlich könnte man also ganz ähnlichen Beifall auch für den Vorschlag erwarten, die Bundesregierung oder vielleicht ganz speziell das Bundesgesundheitsministerium aufzulösen.
Mit dem Vorstoß zur Beseitigung des BGA ist letztlich nichts weiter geschehen, als daß gewollt oder ungewollt ein im geradezu biblischen Sinne klassischer Sündenbock benannt wurde. Auf den können nun alle möglichen Verfehlungen, vielleicht gar solche des eigenen Ministeriums, abgeladen werden.
Mit sachkundiger, verantwortungsvoller und seriöser Politik hat all das nichts zu tun. Man kann es gar nicht klar genug sagen: Die vorgesehene Auflösung des BGA und die Zuordnung einzelner Institute in die unmittelbare Fach- und Dienstaufsicht des Ministeriums ist ein schwerer gesundheits- und wissenschaftspolitischer Fehler.
Das Grundübel des Amtes, seine in der Tat zu kritisierende Politik- und Industrienähe, wird durch Auflösung nicht nur nicht beseitigt — ganz im Gegenteil, es werden günstigere Bedingungen für seine weitere Ausbreitung geschaffen. Zugleich muß die Zersplitterung der Kapazitäten früher oder später zu einer Minderung der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit und Kompetenz führen. Mit der vorgesehenen Zuordnung des Institutes für Wasser-, Boden- und Lufthygiene zum Umweltministerium würde ein für die Gesundheit der Menschen eminent wichtiger Bereich aus der Verantwortung der Gesundheitspolitik herausgenommen.
Mit anderen Worten, die Aufgaben zur Abwehr von Gesundheitsgefahren, denen das BGA verpflichtet ist, verlangen von der Sache her ganz zwingend ein
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komplexes, gut koordiniertes interdisziplinäres und kein zersplittertes Herangehen. Diese Koordinierung der zwangsläufig nicht selten in ihren Ansichten und Bewertungskriterien voneinander abweichenden Wissenschaftler und Institute kann und sollte aber nicht im Gesundheitsministerium erfolgen. Sie gehört nun einmal in die Hand der Wissenschaftler.
Hinzu kommt: Die Aufteilung des BGA in mehrere kleinere, vermeintlich leichter handhabbare Institute birgt natürlich die Gefahr in sich, daß auch eine unmittelbare politische Einflußnahme auf Stellungnahmen und Forschungsergebnisse größer wird. Nach Aussagen der Mitarbeiter des veterinärmedizinischen Instituts — getroffen in einem offenen Brief — hat sie teilweise jetzt schon ein unerträgliches Maß erreicht. Was wir aber brauchen, ist die gesetzlich garantierte und praktisch respektierte Selbständigkeit und volle Eigenverantwortung des BGA für seine wissenschaftlichen Gutachten, Empfehlungen und Ergebnisberichte. Herr Minister, die von Ihnen mehrfach geäußerte Überzeugung, daß die Unabhängigkeit der Institute nicht beeinträchtigt werden soll, mag subjektiv wirklich so gemeint sein. Realistisch ist sie leider nicht, vielmehr reines Wunschdenken.
Ein stärkerer Einfluß der Tagespolitik auf die fachliche Arbeit würde sich aber schon mittelfristig negativ auf Niveau und Ruf des Amtes auswirken müssen. Übrigens: Wirkliche Spitzenleute lassen sich unter solchen Bedingungen kaum noch gewinnen.
Noch hat die Arbeit des BGA einen anerkannt hohen Wert. Aber wer die Spielregeln des Wissenschaftsbetriebs kennt, weiß: Die jetzt vorgesehene Auflösung ist auch der Anfang vom Ende der Institute als leistungsfähige Einrichtungen.
Sollte dies alles nicht sogar die Politik dieser Regierung in ihrer unendlichen Weisheit doch einmal anfechten? Soll wirklich die Kompetenz der Wissenschaft einfach zurückgewiesen und durch die Arroganz der Politik ersetzt werden?
Die PDS/Linke Liste sagt:
Erstens. Die Beobachtung komplex verursachter gesundheitlicher Risiken aus der Umwelt und die damit zusammenhängende Politikberatung wird an Bedeutung noch erheblich zunehmen. Eine einheitliche, oberste Bundesbehörde ist deshalb für die Gesundheitsschutz-Funktion des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik unverzichtbar.
Zweitens. Wirksamer Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz kann nur durch eine unabhängige und selbst wissenschaftlich forschende Institution gewährleistet werden.
Drittens. Die Diskussion um die Zukunft des BGA muß auf eine sachliche Ebene zurückgeführt werden. Politik, die auf dem Boden fälschlich geschürter, irrationaler Ängste der Bevölkerung gemacht wird, wird zwangsläufig zu Fehlentscheidungen führen.
Ich wiederhole deshalb unsere Forderung vom Oktober 1993 nach Einsetzung einer Expertenkommission, die sich gründlich mit Arbeitsweise und Struktur des BGA befaßt und sorgfältig erarbeitete Schlußfolgerungen für seine Reorganisation vorlegt. Das Amt kann und muß neu geordnet und effizienter gestaltet werden. Die Einbeziehung auch internationaler Experten kann dabei nur dienlich sein.
Dazu braucht es allerdings nicht kleinerer, sondern größerer Auflagen- und Kontrollbefugnisse.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalition verfolgt bereits vom Ansatz her eine falsche Richtung. Er sollte ersatzlos zurückgezogen werden. Der Antrag der SPD sollte dagegen die Grundlage weiterer Überlegungen sein.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zu Tagesordnungspunkt 9 (Gesetzentwurf über
Krebsregister)
Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin
beim Bundesminister für Gesundheit: Jedes Jahr erkranken in Deutschland mehr als 300 000 Menschen an Krebs. Und in jedem Jahr sterben bei uns 200 000 Patienten an den Folgen von Krebserkrankungen.
Diese Zahlen zeigen: Von einer Beherrschung des Krebsproblems kann keine Rede sein. Trotz vieler Fortschritte in der Therapie und der Erforschung der Risikofaktoren stößt die Medizin oft genug an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Wir wissen heute zum Beispiel sehr viel über einzelne Einflußfaktoren wie das Rauchen. Es ist unbestritten, daß Rauchen zu Krebserkrankungen führen kann. Aber bis heute ist viel zuwenig über die ursächlichen Zusammenhänge, die zu einer Krebserkrankung führen, bekannt.
Deshalb brauchen wir ein Netz von regionalen Krebsregistern in ganz Deutschland. Denn die Forschung braucht die Daten aus diesen Registern, um den Ursachen von Krebserkrankungen besser auf die Spur zu kommen. Sie braucht diese Daten auch, um den Nutzen diagnostischer und therapeutischer Strategien überprüfen zu können. Das gilt unter anderem auch für die einzelnen Bereiche des Krebsfrüherkennungsprogramms.
Und schließlich könnten die Register die Aufgaben eines Frühwarnsystems wahrnehmen, mit dem schneller und zuverlässiger als heute Trends in der Entwicklung von Krebskrankheiten sichtbar gemacht werden könnten. Sogenannte „Krebsnester", also besonders oft auftretende Erkrankungen an bestimmten Orten, sind leichter zu entdecken, wenn wir auf die Informationen aus regionalen, aber flächendeckenden Registern zurückgreifen können.
Alle diese Aufgaben können durch die schon bestehenden oder entstehenden Klinik- und Nachsorgeregister nicht geleistet werden. Denn hier werden nicht die Daten aus einem definierten Einzugsgebiet gesammelt. In diesen Registern werden nur die Daten von Patienten gespeichert, die in diesen Krankenhäusern behandelt werden, aber durchaus an einem ganz anderen Ort ihren Wohnsitz haben können. Über die Häufigkeit von Krebserkrankungen oder auch beson-
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dere Auffälligkeiten in einem bestimmten Gebiet sagen diese Register deshalb viel zuwenig aus.
Wenn die Krebsregistrierung wirklich allen zugute kommen soll, dann brauchen wir Informationen, die weit über das hinausgehen, was mit diesen Registern erreicht werden kann. Das zeigen auch die Erfahrungen ausländischer Krebsregister wie in Dänemark, Schweden und Finnland. Dort bestehen schon seit langem funktionierende, bevölkerungsbezogene Krebsregister, die zum Beispiel wichtige Erkenntnisse zum gehäuften Vorkommen von Krebs in bestimmten technischen Arbeitsbereichen wie im Straßenbau oder in holzverarbeitenden Betrieben geliefert haben.
Das alles zeigt: Wir haben Nachholbedarf. Und fest steht auch, daß die alten Länder ihre Möglichkeiten zum Aufbau zuverlässiger regionaler Krebsregister leider nicht im notwendigen Umfang genutzt haben.
Nach wie vor beruhen alle unsere Berechnungen über das Krebsaufkommen in diesem Teil Deutschlands auf den Daten des Krebsregisters im Saarland. Es ist das einzige Register der alten Länder, das internationalen Ansprüchen genügt und epidemiologisch nutzbar ist. Zwar haben auch andere Länder wie Nordrhein-Westfalen und Hamburg Krebsregistergesetze erlassen, aber die Praxis sieht dort leider anders als die Theorie aus. Denn von einer zufriedenstellenden Registrierung kann dort zumindest bislang keine Rede sein.
Eine zufriedenstellende Krebsregistrierung werden wir nur dann erreichen, wenn wir uns alle an einheitlichen Maßstäben orientieren. Das haben die Erfahrungen mit dem „Nationalen Krebsregister" der ehemaligen DDR, das jetzt in veränderter Form als gemeinsames Register von den neuen Ländern und Berlin fortgeführt wird, sehr deutlich gezeigt.
Und es waren auch diese Erfahrungen, die die Mitglieder des Deutschen Bundestages davon überzeugt haben, daß so schnell wie möglich eine für ganz Deutschland gültige Krebsregistrierung geschaffen werden muß. Die Bundesregierung ist diesem einstimmigen Beschluß des Bundestages vom 12. November 1992 im Herbst 1993 nachgekommen.
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der von einem einheitlichen Basisdatensatz ausgeht, wobei alle Personen-Daten im Register chiffriert werden, der ein einheitliches Meldeverfahren vorsieht, um die gesammelten Daten vergleichbar zu machen und der vor allem eine flächendeckende Registrierung durch den Verbund regionaler Register bis 1999 vorsieht. Dieser Entwurf erfüllt sowohl die Ansprüche an eine zuverlässige und funktionsfähige Registrierung als auch die notwendigen Anforderungen des Datenschutzes.
Ich weiß, daß die alten Bundesländer das anders sehen. Die Ablehnung des Entwurfs im Bundesrat durch diese Länder hat ja eine deutliche Sprache gesprochen. Da hieß es: zu teuer, nicht nötig, zu aufwendig wegen der vorgeschriebenen Einheitlichkeit.
Zum Kostenargument: Es ist jedem von uns klar, die Krebsregistrierung ist nicht zum Null-Tarif zu haben. Natürlich sehen wir die Probleme, die deshalb für die Länder entstehen können. Deshalb sage ich hier noch einmal: Die Bundesregierung ist jederzeit bereit, im Laufe der parlamentarischen Beratungen alle Möglichkeiten der Kosteneinsparung noch einmal zu überprüfen. Schon jetzt aber möchte ich hervorheben: Eine realistische Kostenschätzung der Krebsregistrierung nach dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Modus liegt bei ca. einem Drittel der Hochrechnung der Länder.
Zum Argument, eine flächendeckende Registrierung sei nicht nötig: Ich glaube, die Vorteile dieser Lösung liegen auf der Hand. Wir sollten alles dafür tun, damit auch bei uns die Menschen nicht länger auf eine Maßnahme warten müssen, die gezieltere Präventionsansätze ermöglicht und ein Wegbereiter für neue Erkenntnisse in der Krebsbekämpfung sein kann.
Zum dritten Argument: Natürlich erfordert so ein Vorhaben auch einen gewissen technischen Aufwand. Eine landesweite Registrierung, die dafür sorgen muß, daß die gesammelten Daten zum Teil chiffriert, mit denen in anderen Ländern abgeglichen und zudem der Forschung zur Verfügung gestellt werden können, ist etwas anderes als der Aufwand für ein Klinikregister. Die heutigen Möglichkeiten der modernen Technologie erlauben es, diese Aufgaben ohne überhöhte Mittel durchzuführen. Die Bundesregierung ist aber bereit, zu prüfen, ob eine Öffnungsklausel auch für andere Lösungen eingeführt werden kann.
Aber ich sage noch einmal: Auch die Länder stehen in der Verantwortung, alles dafür zu tun, um eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen besser in den Griff zu bekommen.
Deshalb appellieren wir nachdrücklich vor allem an die alten Länder: Stimmen Sie einem Gesetz zu, mit dem wir gemeinsam die Voraussetzungen schaffen können, die gefürchteten Krebserkrankungen beherrschbarer zu machen.
Dr. Else Ackermann (CDU/CSU): Zunächst einmal
möchte ich der Kollegin Frau Dr. Bergmann-Pohl, die als Vertreterin der Bundesregierung den Entwurf zum Krebsregistergesetz vorgestellt und dessen Notwendigkeit motiviert hat, ganz herzlich für ihre Ausführungen danken.
Es besteht kein Zweifel, daß Krebs, wie es im Amtsdeutsch des Gesetzentwurfs steht, eine gemeingefährliche Erkrankung ist, die unbehandelt zum Tode führt. Krebserkrankungen sind in allen Industrieländern in einer ständigen Zunahme begriffen. Nahezu 90 % aller Krebsursachen sind durch exogene Ursachen bedingt. Ein berühmter Krebsforscher prägte deshalb die Formulierung: Wir leben in einer kanzerogenen Suppe, und ich setze hinzu, die verraucht ist und Alkohol enthält.
Die Inzidenzzunahme ist für alle Gesellschaften gesundheitspolitisch bedrohlich, zumal bahnbrechende, kausale Therapiestrategien nicht in Sicht sind. Die größten Chancen, diese Entwicklung anzu-
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halten, bestehen in Prävention und Früherkennung. Wenn man die Krankheit verhindern will, muß man ihre Ursachen kennen und Zusammenhänge aufdekken.
Die erste Voraussetzung dafür ist die Registrierung, die eine Meldepflicht oder ein Melderecht voraussetzt.
Die zweite Voraussetzung zur Bekämpfung der Krebserkrankungen ist die epidemiologische Krebsforschung unter Nutzung eines bevölkerungsbezogenen Krebsregisters.
Die Krebsursachenforschung ist eine wichtige Aufgabe von Krebsregistern, die in der Bundesrepublik zuwenig gewürdigt wird. Im Vergleich zu anderen Ländern hat Deutschland einen Nachholbedarf. Jetzt befindet sich die Bundesregierung in einem gesetzgeberischen Zugzwang, weil sie durch den Einigungsvertrag das Nationale Krebsregister der DDR übernommen hat, dessen weltweit größter Datenschatz in einem Krebsregistersicherungsgesetz vom 12. November 1992 zeitlich begrenzt gesichert worden ist. Der einmalige Datenschatz ist nun juristisch gesichert, aber dem Tod in den Grabkammern der Archive ausgesetzt, weil alle wissenschaftlichen Mitarbeiter, die das Register aufgebaut und betreut haben, entlassen worden sind. Dieses gesicherte Krebsregister hätte eine Art „Grüner Pfeil" im Gesundheitswesen sein können, wenn nicht „Grüner Pfeil", dann doch wenigstens Verpflichtung, um den internationalen Anschluß nicht zu verlieren.
Eine nationale Datensammlung ist trotz jahrelanger Forderungen der Krebsforscher in der Bundesrepublik nicht vorhanden. Begründet ist der Mangel durch Hemmnisse, die im Datenschutz liegen. So hat auch in dem vorliegenden Gesetzentwurf der Datenschutz Priorität vor dem gesundheitspolitischen und wissenschaftlichen Anliegen eines Krebsregisters.
Über die sich daraus ergebenden Schwächen vor allem für die Krebsforschung, die uns ja Informationen über Zusammenhänge zwischen Umfeld und Erkrankung geben soll, müßte nochmals nachgedacht werden. Dazu einige Beispiele:
Im Kebsregistergesetzentwurf ist eine Trennung von Vertrauens- und Registrierstellen vorgesehen. Es genügt doch, regionale Registrierstellen mit zwei getrennten Dateien einzurichten, die datenschutzrechtlichen und internationalen Anforderungen genügen.
Auch die Konzeption, daß in den Registrierstellen nur durch billige Meßknechte registriert und nicht wissenschaftlich gearbeitet wird, entspricht nicht internationalen Erfordernissen und läßt eine Billigvariante vermuten, die sich später als teuer erweist.
Unerläßlich sind vollständige Geburts- und Sterbedaten, um auch rückwirkend nach Jahren eine Identifikation zu ermöglichen. Andernfalls ist die eindeutige Zuordnung zu einem Fall nicht gewährleistet. Der Datenschutz fängt im Register an.
Auf keinen Fall dürfen Identitätsdaten aus datenschutzrechtlichen Gründen nach drei Monaten gelöscht werden. Zur Verifizierung von Befunden auch noch viele Jahre nach der Datenerhebung muß der Zugang zu den Identitätsdaten gewährleistet sein.
Die geforderte Löschung nach der Kodierung setzt aber eine fehlerfreie Erhebung der Identitätsdaten voraus, was allen Erfahrungen im Gesundheitswesen widerspricht.
Es sei vermerkt, daß die beiden funktionierenden Krebsregister in Hamburg und im Saarland eine Löschung nicht vorsehen.
Wichtig für die Zuverlässigkeit des Registers ist außerdem die verbale Formulierung der Diagnose und des histologischen Befundes. Der Zugang zu dieser verbalen Befundung muß auch nach der Kodierung für wissenschaftliche Arbeiten gesichert sein.
Unnötiger bürokratischer Aufwand, der kostenintensives Personal bindet und die Forschung behindert, sollte vermieden werden.
Wir brauchen regionale Registrierstellen, die im Wechsel einen bundesdeutschen Bericht erarbeiten. Dies zwingt zur Zusammenarbeit, verhindert Machtkonzentration und wirkt vielleicht wachstumshemmend für die Bürokratie. Wenn eine zentrale Registrierstelle erforderlich ist, dann nur dort, wo die größte Erfahrung ist. Lassen Sie uns bald beginnen, sonst läuft uns der Krebs davon.
Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Der Schatz
des DDR-Krebsregisters ist gesichert. Die Basis für ein Krebsregister für die gesamte Bundesrepublik bleibt dagegen unsicher. Das kommt davon, wenn man Ratschläge außer acht läßt. Der Ratschlag war: Ein Gesetz, wie das Krebsregistergesetz, kann wegen seiner weitreichenden Wirkungen nur im Konsens geschaffen werden. Konsens heißt auch: Konsens mit den Bundesländern.
Konsens war auch wegen der verfassungsrechtlichen Frage angezeigt. Ob eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gegeben ist, muß noch eindeutig geklärt werden. Weil sich die Bundesregierung um einen Konsens mit den Ländern nicht hinreichend bemüht hat, bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Der bittere Nachgeschmack entsteht aber auch, weil den Ländern ein Gesetz übergestülpt werden soll: Übergestülpt werden soll ein Meldeverfahren, das nicht erprobt und mit großen Unsicherheiten behaftet ist. Übergestülpt werden soll ein flächendeckendes Verfahren ohne Rücksicht auf Wirtschaftlichkeit und Kosten-Nutzen-Analyse. Übergestülpt werden soll den Ländern die finanzielle Last. Bonn macht das Gesetz, die Länder sollen zahlen. Der Hinweis aus dem Ministerium, man wird im weiteren Verfahren die Möglichkeit der Kostenreduzierung prüfen, klingt wie Hohn. Da geht es doch nicht um 1 oder 2 Millionen, sondern um Größenordnungen von 60 bis 100 Millionen DM im Jahr.
Dabei waren wir uns doch in dem Ziel einig: Krebs ist die Volkskrankheit, die es zu bekämpfen gilt. Das hohe Risiko an Krebs zu sterben, zeigt sich daran, daß die Krebssterblichkeit ca. ein Viertel der Gesamtsterblichkeit ausmacht. In der Todesursachenstatistik steht Krebs an zweiter Stelle.
Dem hohen Krebsrisiko steht das unzureichende Wissen gegenüber. Die Menschen erwarten doch von uns keinen Streit um Zahlen, sondern wollen wissen: Was bringt uns ein solches Krebsregister?
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Beim Ziel- und Maßnahmenteil hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Ein Krebsregister, das diesen Ziel- und Maßnahmenteil vernachlässigt, ist für uns nicht akzeptabel. Nicht umsonst habe ich am 12. November 1992 im Plenum darauf hingewiesen, daß wir das „Dünnbrettbohren" der Regierung nicht akzeptieren. Diese Kritik ist mehr als berechtigt:
Dem Zweck des Registers aber widmet die Bundesregierung ganze zehn Zeilen. Es bleibt mehr oder weniger offen, zu welchem Zweck der Millionenaufwand betrieben wird, zu welchem Zweck die Daten erfaßt werden sollen.
Der Gesetzentwurf sieht allenfalls eine beschreibende epidemiologische Nutzung vor. Auch die unpräzisen Vorschriften des § 10 reichen da nicht aus. Gesundheitsaufklärung ist gefragt.
Anders als vielfach vermutet, bewirken Umwelteinflüsse nur 2 bis 5 % aller aufgetretenen Krebserkrankungen. Das Gros der Krebserkrankungen wird durch eigene Verhaltensmuster beeinflußt. Angesichts dieser Tatsache sind die Krebsregister zu einem integralen Bestandteil der Gesundheitsaufklärung zu machen wie in Skandinavien.
Ähnlich finster sieht es bei der Nutzung der Register für die Effizienzkontrolle aus. Es ist internationale Erkenntnis, daß bei einer langfristigen Beobachtung von Patienten festgestellt werden kann, ob neue Therapien die Lebenserwartung steigern können. Doch die Effizienzkontrolle kurativer Maßnahmen für erkrankte Patienten wird nur in einem Adjektiv erwähnt. Genauso könnte man mit Hilfe von Krebsregistern feststellen, ob Früherkennungsverfahren zu einer nennenswerten Verminderung von neuen Krebserkrankungen im fortgeschrittenen Stadium führen. Auch hier Fehlanzeige.
Also: Ein Meldegesetz allein macht noch keinen Sinn. Dabei kann der gesellschaftliche Konsens nur hergestellt werden, wenn die Ziele klar sind. Für die Menschen muß sichtbar werden, was sie damit gewinnen. Im Klartext: Die Struktur des künftigen Krebsregisters wird wesentlich davon abhängen, daß ein gesellschaftlicher Konsens hergestellt wird. Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Frage werden wir konstruktiv an der Realisierung arbeiten. Das sind wir den Menschen schuldig. Ich möchte einen Weg aufzeigen. Dazu nenne ich einige Punkte:
Erstens. Wir wollen kein Meldeverfahren zementieren, das nicht erprobt ist. Wir wollen ein offenes Verfahren. Deshalb plädieren wir für eine Erprobungsphase und den Aufbau eines aufeinander abgestimmten Netzwerks von Krebsregistern in den Bundesländern.
Zweitens. Unabhängig vom Verfahren ist die Meldedichte das zentrale Anforderungsprofil an ein Krebsregister. Um die erforderliche Meldedichte von 90 bis 95 % aller Erkrankten in einem Land oder einer Region zu erreichen, ist für die meldenden Ärzte ein finanzieller Anreiz zu schaffen.
Drittens. Der Bund und die Länder verständigen sich über Art und Umfang der zu erhebenden Daten und Anonymisierungsverfahren. Die verschiedenen
Modelle der Länder werden praktisch erprobt, eventuell mit einer wissenschaftlichen Begleitung.
Viertens. Nach Beendigung der Testphase wird das Meldesystem festgeschrieben, das sich am besten bewährt hat.
Fünftens. Wir wollen die flächendeckende Struktur des DDR-Krebsregisters erhalten. Mit dem Register des Saarlandes und den vorhandenen und geplanten regionalen Krebsregistern in einzelnen Bundesländern werden mindestens 30 % der Bevölkerung erfaßt.
Sechstens. Anders als die Bundesregierung sind wir der Auffassung: Nicht in allen Bundesländern muß eine 100prozentige Flächenerfassung in der ersten Phase erfolgen. Ob für ein aussagefähiges Krebsregister 30, 40 oder 100 Prozent der Bevölkerung erfaßt werden müssen, wird ein Vergleich der Aussagen von regionalen Krebsregistern in den alten Bundesländern und den Aussagen vom flächendeckenden Krebsregister in den neuen Ländern ergeben.
Lassen Sie uns die Aufgabe gemeinsam angehen!
Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Die Diskussion um die
Errichtung von Krebsregistern dauert nunmehr bereits mehr als zehn Jahre. In dieser Zeit ist es den Ländern nicht gelungen, flächendeckend Krebsregister nach einem einheitlichen Schema aufzubauen. Um aber Erkrankungstrends systematisch erfassen zu können und damit zeitlich und regional gehäufte Erkrankungen zu entdecken, ist eine flächendekkende Auswertung spezifischer Krankheitsdaten dringend erforderlich.
Ich habe von daher kein Verständnis für die Haltung der Länder, die weder eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes noch ein Bedürfnis für eine bundeseinheitliche Regelung des Meldeverfahrens sehen. Wer Hinweise auf mögliche ursächliche Faktoren auch regionaler Art gewinnen will, ist unabdingbar auf diese Angaben angewiesen. Insbesondere auch unter dem Aspekt, daß verstärkt Einflüsse von Umweltbedingungen auf Krebserkrankungen vermutet werden, muß es möglich sein, verschiedene Regionen mit unterschiedlichen Umweltbelastungen gegenüberzustellen.
Auch im Bereich der Prävention kommt einem einheitlichen Krebsregister große Bedeutung zu. Nur wenn es hierdurch gelingt, regionale Unterschiede sichtbar zu machen, können Ansätze für sinnvolle und effiziente Präventivmaßnahmen getroffen werden. Systematische epidemiologische Untersuchungen brauchen eine solide Datenbasis. Diese Datenbasis kann man durch eine flächendeckende, bevölkerungsbezogene Krebsregistrierung, wie sie im Gesetzentwurf vorgesehen ist, erhalten. Es ist eben nicht damit getan, daß zum Teil völlig isoliert nebeneinanderher unterschiedlichste Daten in einzelnen Bundesländern auf verschiedene Art und Weise erfaßt und verarbeitet werden.
Das Krebsregistergesetz berücksichtigt in sinnvoller Weise die unterschiedlichen Interessen der Betroffenen. Es ermöglicht eine wissenschaftliche Erforschung der Krebserkrankungen sowie die Ableitung von präventiven und therapeutischen Maßnahmen
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unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Belange. Durch die organisatorische Trennung der Krebsregister in Vertrauensstellen und Registrierstellen und die Anwendung asymmetrischer Chiffrierverfahren wird eine Speicherung unverschlüsselter Identitätsdaten von Patienten verhindert. Kein Bürger braucht Angst zu haben, daß seine ganz persönlichen Daten in falsche Hände geraten.
Zudem sind nur solche melderechtlichen, organisatorischen und datenschutzrechtlichen Vorgaben gemacht, die für die Krebsregister der Länder unabdingbar einheitlich sein müssen. Eine Ablehnung dieses Gesetzes würde uns in Erforschung und Therapie von Krebserkrankungen weit zurückwerfen. Insbesondere in den neuen Bundesländern dürfte für ein solches Verhalten kein Verständnis vorhanden sein, denn dort hat man bereits Erfahrungen mit Krebsregistern gesammelt und weiß, wie wichtig diese sind.
Auch der von den Ländern ins Feld geführte Kostenaspekt besticht nicht. Die vom Bundesrat errechneten 100 Millionen DM pro Jahr sind ohne weiteres drastisch reduzierbar, wenn die angebotene Möglichkeit des Gesetzes, ein gemeinsames Register zu führen, genutzt wird — also kurzum, eine effiziente Organisation der Krebsregistrierung nicht an kleinkarierten Partikularinteressen scheitert.
Wir alle sind uns bewußt, mit welchen tückischen Erkrankungsformen wir es bei den verschiedenen Krebsformen zu tun haben. Lassen Sie uns mit der Schaffung eines Rahmens für eine gesicherte und einheitliche Datenbasis den Grundstein legen für eine Bekämpfung dieser Krankheit. Alles andere ist den Menschen, die große Furcht davor haben, an Krebs zu erkranken, die krebskranke Angehörige haben oder selbst hiervon betroffen sind, nicht verständlich zu machen.
Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Das Ziel dieses
Gesetzes ist die Verbesserung der Voraussetzungen für die praktische Bekämpfung, aber auch für die wissenschaftliche Erforschung der Krebskrankheiten. Die stufenweise Einrichtung epidemiologischer Krebsregister durch alle Bundesländer soll nunmehr zu einer flächendeckenden Erfassung in ganz Deutschland führen. Dem ist zunächst einmal uneingeschränkt zuzustimmen. Auch machen, wie mit dem vorliegenden Gesetz angestrebt, bundesweite einheitliche Vorgaben Sinn, denn nur so kann Vergleichbarkeit und damit der wissenschaftliche und praktische Wert dieser Datensammlungen erst richtig gesichert werden.
Zu begrüßen ist auch, daß mit diesem Gesetz das Nationale Krebsregister der DDR in eine für das ganze Bundesgebiet geltende Regelung eingebettet und auf sicherer Grundlage fortgeführt werden kann. Damit wird es möglich sein, nicht nur generelle Entwicklungstrends der Krebshäufigkeit in ganz Deutschland, sondern sehr rasch auch neu entstehende regionale Auffälligkeiten und Unterschiede festzustellen oder örtlich aufgetretene Verdachtsmomente mit der gebotenen wissenschaftlichen Sorgfalt unverzüglich zu prüfen und gegebenenfalls auch zu entkräften. Nur auf ausgewählte Regionen begrenzte Register könnten dieses nicht leisten.
Zur Kostendiskussion kann ich nur sagen: Wenn sich wirtschaftlich schwächere Länder — wie Finnland oder eben auch die ehemalige DDR — komplette, nach WHO-Kriterien geführte Krebsregister leisten können bzw. konnten, dann stellen sich meiner Meinung nach doch ziemlich ernste Fragen hinsichtlich der Prioritäten, die in diesem Land Geltung besitzen.
Selbstverständlich muß bei alledem dem Datenschutz und der informationellen Selbstbestimmung der Menschen in gebührender Weise Rechnung getragen werden.
Was ist am vorliegenden Gesetzentwurf — vor allem unter dem Gesichtspunkt von Aufwand und Praktikabilität — kritisch zu vermerken und sollte im parlamentarischen Verfahren noch einmal überdacht bzw. korrigiert werden?
Erstens. Solche Register stehen und fallen in ihrem Aussagewert mit einer möglichst hohen Erfassungsquote aller Erkrankungsfälle. Aber allein schon das vorgesehene Melderecht der Ärzte verbunden mit Einspruchsmöglichkeit des Patienten gefährdet dieses Ziel. Erfahrungsgemäß kommt hinzu, daß der mit solchen Regelungen verbundene hohe Aufwand, der frustrierenderweise oft genug noch nicht einmal zum Ergebnis führt, sehr schnell zu einer Demotivation auch ursprünglich durchaus aufgeschlossener Ärzte führen kann.
Meines Erachtens sollte noch einmal überlegt werden, ob nicht doch eine Meldepflicht einfuhrbar ist; mindestens aber wäre zu bedenken, ein Melderecht nicht noch zusätzlich durch komplizierte Einwilligungslösungen so zu befrachten, daß die Praktikabilität verlorengeht.
Zweitens. Die vorgesehene räumliche und personelle Trennung der Registrierung in Vertrauensstelle und Registerstelle und die relativ rasche Vernichtung der Daten in den Vertrauensstellen können den Datenfluß erheblich erschweren und damit zusätzlich die Qualität des Registers gefährden. Schließlich müssen alle Folgemeldungen an das Register, die sich auf denselben Erkrankten beziehen, immer wieder eineindeutig zugeordnet werden können. Und auch dabei muß der Aufwand vertretbar bleiben.
Drittens. Das relativ restriktiv gefaßte Verweigerungsrecht für die Einbeziehung der Daten einer Person in spezielle epidemiologische Untersuchungen kann tendenziell forschungshemmend wirken. Die notwendige Repräsentativität von Stichproben wird auf diese Weise kaum erreichbar sein.
Viertens. Die in § 10 formulierten Aufgaben sollten erweitert werden. Eine solche „Zentrale Stelle" sollte nicht nur deskriptiv arbeiten können, sondern auch in der Lage sein, selbst Forschungsprojekte durchzuführen bzw. entsprechende Vorhaben anderer Wissenschaftler qualifiziert zu unterstützen.
Fünftens. Die Aufzählung des zu erfassenden Datensatzes — der übrigens schon jetzt als ziemlich umfangreich erscheint — sollte nicht im Gesetz, sondern in Ausführungsbestimmungen verankert wer-
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den. Das würde mehr Flexibilität für notwendige Modifizierungen schaffen.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Rede
zu Tagesordnungspunkt 10
(Antirassismusgesetz)
Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Seit geraumer Zeit, besonders nach den zahlreichen verbalen und physischen Attacken gegen Einwanderer und Flüchtlinge seit etwa zwei Jahren, findet die Forderung nach einem Antidiskriminierungs-Gesetz immer mehr Zustimmung. Bereits am 23. Mai 1988 hatte der CDU-Sozialausschuß ein Antidiskriminierungs-Gesetz gefordert. Auch die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschäftigt sich seit längerem mit dieser Frage.
Ziel muß es sein, Äußerungen, Maßnahmen und Verhaltensweisen, in denen sich Ausländerfeindlichkeit ausdrückt, zu verhindern und das Unrechtsbewußtsein in Hinblick auf Ausländerfeindlichkeit in der deutschen Bevölkerung zu schärfen. Diskriminierung findet auf der strukturellen wie auf der personalen Ebene statt. Das erste meint die Benachteiligung von Menschen aufgrund von Auswahlkriterien beim Zugang zu gesellschaftlichen Rechten und Gütern und findet seinen Ausdruck in Gesetzen, Verordnunge und Erlassen. Das zweite meint die benachteiligende, herabwürdigende oder aggressive Behandlung von Menschen im sozialen Verkehr aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Diese alltägliche Diskriminierung in den sozialen Beziehungen ist in einem engen Zusammenhang zu sehen mit der strukturellen: Denn offizielle Diskriminierungen erwecken den Anschein der Legitimität, des rechtlich und moralisch Erlaubten. Deshalb verbessert also eine offizielle Antidiskriminierungs-Politik nicht nur die Rechte von Menschen, sie entzieht der personalen Diskriminierung auch ihre Legitimation.
Es gibt zumindest zwei sehr unterschiedliche Interpretationen, was antidiskriminierende Maßnahmen betrifft: zum einen Antidiskriminierung im Sinne der Strafjustiz und durch ein Sanktionssystem der Geld- und Freiheitsstrafe für diskriminierende Handlungen und Äußerungen in der Öffentlichkeit, speziell in den Medien usw., zum anderen das AntidiskriminierungsGesetz im Sinne eines Bürgerrechtsgesetzes wie in den USA oder teilweise in den Niederlanden. Dieses Gesetz soll die Gleichbehandlung aller gesellschaftlichen Gruppen garantieren. So werden z. B. für Betriebe ab einer bestimmten Größe Quoten für Arbeitsplätze, u. a. für ethnische Minderheiten, festgeschrieben. Oder es wird bei Benachteiligung und Diskriminierung am Arbeitsplatz ein zivilrechtlicher Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld garantiert.
Im Bereich der Diskriminierung von Einwanderern und Flüchlingen besteht die wichtigste Aufgabe daher in der schrittweisen Aufhebung aller Bestimmungen, die die Zugewanderten diskriminieren. Das bedeutet auch den ungeschmälerten Zugang zu allen Bürgerrechten.
Zum Kampf gegen die alltägliche personale Diskriminierung ist aber eine sehr viel weiter gefaßte Politik notwendig, die insbesondere die Selbstvertretung der Einwanderer und ihre selbstbestimmte kulturelle Entwicklung stärkt, die politische Bildungsarbeit unterstützt und Vertreterinnen und Vertreter von Minderheiten in allen Körperschaften, auch in leitenden Positionen, berücksichtigt und Instanzen zur Überprüfung von Diskriminierung im Alltag, insbesondere durch Behörden, einrichtet.
Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beurteilt das hier vorliegende Konzept der PDS, vorrangig mit Hilfe des Strafrechts und der Strafjustiz rassistischen Anschauungen und Äußerungen begegnen zu wollen, sehr skeptisch. Es ist insbesondere auch rechtspolitisch zweifelhaft und müßte gerade in der Bundesrepublik Deutschland nachdenklich stimmen. Wir glauben, daß repressive Maßnahmen kein geeignetes Mittel sind, um wirkungsvoll und dauerhaft Haltungen und Einstellungen zu verändern. Die vergeblichen Versuche der SED in der DDR belegen das doch.
Es ist zu Recht kritikwürdig, daß in zahlreichen Fällen die Exekutive als Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols Flüchtlingsunterkünfte wenig effektiv geschützt hat. Wir sind aber der Auffassung, daß Leib und Leben von Einwanderern und Flüchtlingen keineswegs effektiver geschützt wären, wenn die von der PDS vorgesehenen Strafnormen und Sanktionen eines Antirassismusgesetzes in Kraft gesetzt würden. Denn wir verfügen in Deutschland doch bereits über ein mannigfaltiges strafrechtliches Instrumentarium, durch das entsprechende Delikte geahndet werden könnten. Entscheidend ist die konsequente Anwendung; darin sehen wir Handlungsbedarf.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnt neue Sondergesetze im Sinne des Strafgesetzbuches ab. Wir sind der Meinung, daß ein ganzheitlicher Ansatz, wie er z. B. in der „Hate and Speech Crime"-Gesetzgebung der USA festgelegt ist, für die Situation in der Bundesrepublik Deutschland viel geeigneter ist und wirklich etwas bewirken würde.
Wir schlagen folgende erste Schritte für eine konsequente Antidiskriminierungspolitik vor:
Erstens. Ausstattung der Stellen der Bundes- und Landesbeauftragten in einem Umfang, der sie in die Lage versetzt, als Ombudsmann/frau bei Diskriminierungsfällen zu fungieren und Handlungsalternativen für eine Antidiskriminierungspolitik entwerfen zu können; zweitens Überprüfung der Gesetze, Verordnungen und Erlasse auf jene Bestimmungen, die Zuwanderinnen und Zuwanderer diskriminieren. Dem muß die umgehende Novellierung entsprechender Gesetze usw. folgen. Insbesondere ist wichtig, daß Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen der Zuwanderinnen und Zuwanderer in öffentlich-rechtlichen Institutionen, z. B. in Rundfunkräten, vertreten sind; drittens Anregung entsprechender Regelungen im Rahmen der EG; viertens Überprüfung der Effektivität und der Erfahrungen, die andere Länder mit
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einem Antidiskriminierungsgesetz oder Antirassismusgesetz gemacht haben.
Anlage 7
Antwort
des Staatssekretärs Clemens Stroetmann auf die Frage der Abgeordneten Jutta Müller (Völklingen) (SPD) (Drucksache 12/6538 Frage 26):
Wann wird die Bundesregierung, wie schon oft angekündigt, durch Rechtsverordnung eine Rücknahmepflicht für gebrauchte Batterien und schadstoffhaltige Verpackungen einführen?
Die Rechtsverordnung zur Rücknahme gebrauchter Batterien wird voraussichtlich noch im ersten Quartal dieses Jahres vom Bundeskabinett beschlossen.
Bezüglich der Rücknahmepflicht für Verpackungen für schadstoffhaltige Füllgüter — gemeint sind hier keine schadstoffhaltigen Verpackungen — hat die Bundesregierung bisher keinen Zeitpunkt für den Erlaß einer Verordnung genannt; zur Vorbereitung dieser Verordnung sind noch einige Fragen zu klären. Dies gilt aktuell besonders vor dem Hintergrund der derzeit anstehenden Novelle zur Verpackungsverordnung, deren § 2 — Ausschluß bestimmter Verpackungen aus dem Anwendungsbereich der VerpackVO — unmittelbare Auswirkungen auf den Regelungsbereich der vorgesehenen Schadstoffverpackungsverordnung haben wird. Die Bundesregierung wird daher diese Verordnung erst dann weiterverfolgen, wenn die Novellierung der VerpackVO abgeschlossen ist.
Anlage 8
Antwort
des Staatssekretärs Clemens Stroetmann auf die Frage des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) (Drucksache 12/6528 Frage 27):
Wann wird die Bundesregierung, wie schon öfters angekündigt, durch Rechtsverordnung eine Rücknahmepflicht für Elektronikschrott einführen, und wann ist mit dem Erlaß der sogenannten Mehrwegverordnung zu rechnen?
1. Zur Elektronikschrott-Verordnung
Mit der künftigen Elektronikschrott-Verordnung sollen erstmals langfristige Konsum- und Investitionsgüter nach dem Vorbild der bisher schon nach § 14 Abfallgesetz erlassenen Rücknahme- und Verwertungsregelungen erfaßt werden. Damit stellen sich zahlreiche Fragen über die Auswirkungen einer solchen Verordnung für Hersteller, Vertreiber und Konsumenten, die sehr eingehend geprüft werden müssen. Die Gespräche des Bundesumweltministeriums mit den betroffenen Wirtschaftskreisen, den entsorgungspflichtigen Körperschaften und den beteiligten Ressorts dauern an. Ein definitiver Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Verordnung kann — auch in Hinblick auf die noch ausstehende Befassung des Bundesrates gegenwärtig nicht genannt werden. 2. Zur Getränke-Mehrweg-Verordnung
Nach eingehender Auswertung der sogenannten Ökobilanz-Studie, die im September 1993 vorgestellt wurde, wird die Ressortabstimmung zum Verordnungsverfahren des Entwurfs der Getränke-Mehrwegverordnung fortgesetzt werden.
Anlage 9
Antwort
des Staatssekretärs Clemens Stroetmann auf die Frage des Abgeordneten Ludwig Stiegler (SPD) (Drucksache 12/6538 Frage 28):
Wie ist der Stand der Vorbereitungen der Altautoverordnung, und bis wann ist mit der Verabschiedung der bereits für 1993 angekündigten Verordnung zum Autoschrottrecycling zu rechnen?
Der vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vorgelegte Entwurf einer Verordnung über die Vermeidung, Verringerung und Verwertung von Abfällen aus der Altautoentsorgung befindet sich gegenwärtig in der Abstimmung mit den Bundesressorts. Am 5. November 1993 wurde die Anhörung der Bundesländer durchgeführt. Nach abgeschlossener Ressortabstimmung wird sich das Bundeskabinett mit der Altautoverordnung befassen. Anschließend erfolgt die Beteiligung des Bundesrates.
Anlage 10
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Joachim Günther auf die Fragen des Abgeordneten Heinrich Lummer (CDU/ CSU) (Drucksache 12/6538 Fragen 29 und 30):
Für welchen Pegelstand war der Hochwasserschutz der sog. „Schürmannbauten" bei Beginn des sog. „Jahrhunderthochwassers" vom Dezember 1993 ausgelegt, und in welchem Verhältnis stand dieser Wert zur Höhe eines unter Baustatikern branchenüblichen Hochwasserschutzes?
Ist es zutreffend, daß angesichts der Überschreitung des Hochwasserschutzes durch den Pegelstand des Rheins eine Entscheidung zur Flutung des Bauwerks getroffen werden mußte und dies nur durch Einreißen des eigentlichen Hochwasserschutzes möglich war?
Zu Frage 29:
Der endgültige Hochwasserschutz der sog. „Schürmannbauten" ist auf den Pegelstand 53,85 üNN ausgelegt. Die Höhe dieses Schutzes ist entsprechend der Vorgaben der Hochwasserschutzverordnung von den beteiligten Fachingenieuren festgelegt worden und liegt 50 cm über dem Stand des höchsten Hochwassers von 1926. Damit ist auch der in der Rechtsprechung vorgesehene Vergleich über die letzten 20 Jahre berücksichtigt.
Zu Frage 30:
Der Rhein hat am 23. Dezember 1993 im Bereich der Baustelle der „Schürmannbauten" mit seinem zu diesem Zeitpunkt höchsten Pegelstand das Hochwasser von 1926 noch um 3 cm überschritten, jedoch die
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1994 17555*
Höhe des geplanten endgültigen Hochwasserschutzes bei weitem nicht erreicht.
Wie das Bundesbauministerium erst am 6. Januar 1994 erfahren hat, war der endgültige Hochwasserschutz in Bereichen noch nicht fertiggestellt. Wie die BBD berichtet, waren die Arbeiten am Hochwasserschutz in dem fraglichen Bereich im Januar 1993 ohne Hinweis auf Mängel oder Restarbeiten durch die ABE (Bauleitung) abgenommen worden, aber nicht ausgeführt. Trotz des nicht fertiggestellten Hochwasserschutzes waren ausreichende andere Schutzvorrichtungen nicht getroffen worden, so daß Oberflächenwasser zwischen Rohbau und Baugruben-Dichtwand eintreten und Druck aufbauen konnte, der den Rohbau hob. Die Entscheidung der Bundesbaudirektion zur Flutung des Bauwerkes hat eine noch ungünstigere Verlagerung des Rohbaues verhindert.
Hierfür wurden provisorische Wände eingerissen, die im Zuge des Hochwassers vorsorglich zum Verschluß der Baustellenzufahrt zum Schutz gegen Oberflächenwasser errichtet worden waren.
Sofort nach dem Bekanntwerden unzureichender Hochwasserschutzvorkehrungen hat das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau die Bundesbaudirektion angewiesen, ein Beweissicherungsverfahren einzuleiten.
Anlage 11
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Joachim Günther auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (PDS/Linke Liste) (Drucksache 12/6538 Fragen 31 und 32).
Entsprechen die im Dezember 1993 erfolgten umfangreichen Wohnungsprivatisierungen an Dritte, zum Beispiel der Verkauf von über 2 967 Wohnungen in der Berliner Karl-Marx-Allee an die Deutsche Pfandkreditbank, der Intention des Altschuldenhilfe-Gesetzes, nach der es um den Verkauf von Wohnungen in Ostdeutschland an die derzeitigen Nutzer geht?
Was tut die Bundesregierung, um erfolgte Wohnungsverkäufe in Ostdeutschland an Dritte — ohne Mieterinnen und Mietern den Vorrang einzuräumen — zu stoppen bzw. rückgängig zu machen?
Zu Frage 31:
Die Bildung individuellen Wohneigentums ist ein zentrales wohnungspolitisches Ziel der Bundesregierung, insbesondere auch für die neuen Bundesländer. Mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz sollen deshalb die Voraussetzungen auch für die Privatisierung und die Bildung individuellen Wohneigentums für Mieter verbessert werden. Wohnungsunternehmen, die eine Teilentlastung beantragen, müssen sich verpflichten, 15 % ihres Wohnungsbestandes vorrangig an die Mieter zu veräußern. Dies entspricht dem Auftrag des Einigungsvertrages, die Privatisierung des Wohnungsbestandes auch zur Förderung der Bildung individuellen Wohneigentums beschleunigt durchzuführen. Gleichwohl sind Verkäufe von Wohnungen an private Investoren und Vermieter nicht ausgeschlossen. Verkäufe vor dem 1. Januar 1994 werden nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz auf die Privatisierungsquote angerechnet, wenn ein bearbeitungsfähiger
Antrag auf Eigentumsumschreibung beim Grundbuchamt gestellt worden ist.
Zu Frage 32:
Über Verkäufe von Wohnungen in den neuen Ländern an private Investoren können allein die Wohnungsunternehmen und Kommunen als die jeweiligen Eigentümer entscheiden.
Anlage 12
Antwort
der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die Frage des Abgeordneten Ortwin Lowack (fraktionslos) (Drucksache 12/6538 Frage 35):
Hat die Bundesregierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Maastricht-Vertrag vom 12. Oktober 1993 zusammen mit der Ratifikationsurkunde hinterlegt, und welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich nach Auffassung der Bundesregierung aus dieser gemeinsamen Hinterlegung?
Die Bundesregierung hat die Ratifikationsurkunde zum Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1993 am 13. Oktober 1993 bei der Regierung der italienischen Republik hinterlegt.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht hinterlegt worden. Eine Beantwortung des zweiten Teils der Frage erübrigt sich somit.
Anlage 13
Antwort
der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die Frage des Abgeordneten Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU) (Drucksache 12/6538 Frage 36).
Welche sicherheits- und verteidigungspolitischen Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Ankündigung des russischen Verteidigungsministers, die russischen Streitkräfte nicht auf 1,5 Millionen Soldaten abzurüsten?
VM Gratschow hat sich gegen bisherige Planungen ausgesprochen, die russischen Streitkräfte auf 1,5 Millionen zu reduzieren. Diese Zahl war im September 1992 im „Gesetz der russischen Föderation über die Verteidigung" als Höchststärke festgeschrieben worden (1 % der Bevölkerung). VM Gratschow votierte jetzt für Streitkräfte in einer Stärke von 2,1 Millionen. Die Verwirklichung dieser Forderung würde zunächst entsprechende Gesetzesänderungen erfordern.
In der „Abschließenden Akte der Verhandlungen über Personalstärken der Konventionellen Streitkräfte in Europa" (KSE-Ia-Abkommen) hat sich Rußland verpflichtet, das Personal seiner Land- und Luftstreitkräfte in Europa auf 1,45 Millionen Mann zu begrenzen. Dieses Abkommen erfaßt nicht die russischen Seestreitkräfte und die jenseits des Urals stationierten Streitkräfte. Das Votum von VM Gratschow, Rußland brauche Streitkräfte von etwa 2,1 Millionen Mann, bezieht sich offenkundig auf den Gesamtpersonalbestand auf dem gesamten Territorium Rußlands, also auch einschließlich des asiatischen Lan-
17556 * Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1994
desteils. Die Bundesregierung sieht kein Anzeichen dafür, daß RUS seine im KSE-Ia-Abkommen eingegangenen Verpflichtungen zur Begrenzung seines Personalbestands in Europa zum vereinbarten Zeitpunkt im November 1995 nicht einhalten wird. Sie beurteilt daher VM Gratschows Ankündigung nicht als eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Europa. Sie wird allerdings die weitere Entwickung der russischen Streitkräfteplanung aufmerksam mit Blick auf die Bedingungen strategischer Stabilität in Europa verfolgen.
Anlage 14
Antwort
der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Klaus Kübler (SPD) (Drucksache 12/6538 Fragen 37 und 38):
Wie beurteilt die Bundesregierung die soziale und wirtschaftliche Situation der indigenen Völker Mexikos (der Indianer Mexikos), und worin sieht sie die Ursachen für den „Aufstand" der Indianer?
Welche Möglichkeiten wird die Bundesregierung ergreifen, um die Vollstreckung des Todesurteils eines iranischen Gerichts gegen den Deutschen Helmut Szimkus wegen angeblicher Spionagetätigkeit zugunsten des Irak zu verhindern, und wird sie auf seine Freilassung hinwirken?
Zu Frage 37:
Nach Angabe der Weltbank leben 20 Prozent der Mexikaner, d. h. 16,8 Millionen Menschen, in extremer Armut. 40 Prozent von diesen Armen leben in ländlichen Gebieten — neben Chiapas in den Bundesstaaten Oaxaca, Guerrero, Campeche, Yucatan, Puebla, Veracruz, Tabacso, San Luis Potosi, Hidalgo und Zacatecas — wo sie zum größten Teil Subsistenzwirtschaft betreiben. Drei Viertel der Bevölkerung in den genannten Staaten sind Analphabeten bzw. haben die Primärschule nicht beendet. Ihr Durchschnittseinkommen ist außerordentlich niedrig. Zu einem großen Teil, jedoch nicht ausschließlich, setzt sich diese Gruppe aus indianischer Bevölkerung zusammen. In Chiapas ist die sozioökonomische Situation der marginalisierten Bevölkerung besonders schlecht.
Die geschilderte wirtschaftliche Lage und die Unzufriedenheit der armen ländlichen Bevölkerung mit den aus ihrer Sicht ungenügenden Maßnahmen der Behörden zur gerechteren Verteilung des Bodens und zur Förderung der Landwirtschaft dürfte eine wesentliche Rolle beim Entstehen und bei der Aktion des „Zapatistischen Nationalen Befreiungsheeres" (EZLN) gespielt haben. Besonders kontrovers ist das Verhältnis der armen Bevölkerung zu den örtlichen Großgrundbesitzern und Viehzüchtern und dem in der Region stationierten Militär. Klare Aussagen, wie es konkret zur Entstehung des EZLN kam, wer sie finanziert und anführt und wer die Aktion vom Neujahrstag 1994 beschlossen hat, lassen sich bisher nicht machen.
Nach bisherigen Erkenntnissen über die Vorgänge in Chiapas kann man nicht von einem Aufstand „der Indianer" sprechen, da der größere Teil der städtischen und ländlichen indianischen Bevölkerung sich mit Zielen und Methoden des EZLN keineswegs solidarisiert.
Zu Frage 38:
Die Bundesregierung hat unmittelbar bei Bekanntwerden der Bestätigung des Todesurteils gegen Herrn Helmut Szimkus durch das Oberste Gericht des Iran hochrangig interveniert, um eine Begnadigung des deutschen Staatsangehörigen zu erreichen.
Hierzu übergab der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, Rainer Funke, dem die Bestätigung bei seinem Besuch in Teheran (15. bis 19. Dezember 1993) vom Chef der iranischen Judikative, Ayatollah Yazdi, eröffnet wurde, eine Kopie des von den Söhnen von Herrn Szimkus eingereichten Gnadengesuches. Ayatollah Yazdi sagte zu, er werde versuchen, sehr bald eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden.
Am 6. Januar 1994 erneuerte der Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes gegenüber dem iranischen Botschafter namens der Bundesregierung das Gnadengesuch.
Das Anliegen der Bundesregierung war darüber hinaus Gegenstand der Gespräche des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Dr. Kastrup, mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im iranischen Parlament, Larijani, am 10. Januar 1994 in Bonn.
Die Bundesregierung wird weiterhin wie bisher auf eine Begnadigung von Helmut Szimkus drängen. Nächste Gelegenheit hierzu bietet das für kommenden Freitag, den 14. Januar 1994 vorgesehene Gespräch zwischen Herrn Bundesminister Dr. Kinkel und dem stellvertretenden Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im iranischen Parlament, Larijani.
Anlage 15
Antwort
der Staatsministerin Ursula Seiler-Albring auf die Frage des Abgeordneten Hans Wallow (SPD) (Drucksache 12/6538 Frage 39):
In welcher Form wird die Bundesregierung die Initiativen der Vereinigten Staaten von Amerika bei den Vereinten Nationen und gegenüber den 44 Ländern, in denen Minen produziert werden, unterstützen, um ein weltweites Moratorium von drei bis vier Jahren für den Export, Verkauf und Transfer von Landminen durchzusetzen?
Die Bundesregierung hat die amerikanische Initiative zu einem weltweiten Exportmoratorium für AntiPersonenminen von Anfang an unterstützt und dem entsprechenden amerikanischen Resolutionsentwurf in der 48. VN-Generalversammlung zugestimmt.
Bereits heute unterliegen Produktion und Export von Landminen den strengen Bestimmungen unseres Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG). Schon bisher sind deshalb AntiPersonenminen nur in sehr geringem Umfang aus Deutschland exportiert worden. Für
Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 202. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Januar 1994 17557*
die Industrie wäre ein Exportmoratorium wirtschaftlich unbedeutend.
Die Bundesregierung beabsichtigt jedoch noch weiter zu gehen und ein Exportmoratorium für AntiPersonenminen zu verhängen. Dies würde einen weiteren konkreten Schritt und zugleich auch ein sichtbares politisches Signal gegen die Verbreitung von Landminen darstellen.
Die beteiligten Bundesministerien bereiten derzeit einen entsprechenden Kabinettsbeschluß vor.