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    Plenarprotokoll 12/191 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 191. Sitzung Bonn, Dienstag, den 23. November 1993 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Dr. Joachim Grünewald . . . . 16451 A Eintritt des Abgeordneten Dr. Norbert Herr in den Deutschen Bundestag 16451 A Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksachen 12/5500, 12/5870) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/6001, 12/6030) 16451 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/ 6002, 12/6030) 16451 C Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/6003, 12/ 6030) Einzelplan 08 Bundesministerium der Finanzen (Drucksachen 12/6008, 12/6030) . . . 16451 D in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksache 12/6025) Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksache 12/6029) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 12/ 6020, 12/6030) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 16452A Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . 16457A, 16469 D Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 16464B Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . 16467 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16469C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 16473 C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16476C Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 16478C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16479B Manfred Hampel SPD 16480 D Arnulf Kriedner CDU/CSU 16484 A Manfred Hampel SPD 16484 D Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . 16486A Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 16486D Einzelplan 31 Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (Drucksachen 12/6024, 12/6030) Doris Odendahl SPD 16487 D Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 16491A Doris Odendahl SPD 16492C Carl-Ludwig Thiele F D P 16493 B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 16495C Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16496C Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 16497 B Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär BMBW 16498D II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. November 1993 Einzelplan 30 Bundesministerium für Forschung und Technologie (Drucksachen 12/6023, 12/6020) Dr. Emil Schnell SPD 16501 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16505A Dietrich Austermann CDU/CSU 16505 C Werner Zywietz F D P 16508 D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 16510D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 16511D Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister BMFT 16512C Jürgen Timm F.D.P. (Erklärung nach § 31 GO) 16515B Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksachen 12/6010, 12/6020) Ernst Kastning SPD 16516A Ulrich Heinrich F D P 16519 C Bartholomäus Kalb CDU/CSU 16520 A Günther Bredehorn F D P 16521 A Ernst Kastning SPD . . . . 16522C, 16525 B Dr. Sigrid Hoth F D P 16523 B Jochen Borchert, Bundesminister BML 16524 C Jan Oostergetelo SPD 16526 C Gottfried Haschke (Großhennersdorf) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) . 16527D Nächste Sitzung 16528 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16529* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I (Haushaltsgesetz 1994) — Einzelplan 10 — Geschäftsbereich Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . . 16529* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. November 1993 16451 191. Sitzung Bonn, den 23. November 1993 Beginn: 14.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 23. 11. 93 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 23. 11. 93* Wilfried Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 23. 11. 93 Clemens, Joachim CDU/CSU 23. 11. 93 Ehrbar, Udo CDU/CSU 23. 11. 93 Ganschow, Jörg F.D.P. 23. 11. 93 Gleicke, Iris SPD 23. 11. 93 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 23. 11. 93 Großmann, Achim SPD 23. 11. 93 Günther (Duisburg), CDU/CSU 23. 11. 93 Horst Dr. Herr, Norbert CDU/CSU 23. 11. 93 Heyenn, Günther SPD 23. 11. 93 Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 23. 11. 93 Hilsberg, Stephan SPD 23. 11. 93 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 23. 11. 93 Jaunich, Horst SPD 23. 11. 93 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 23. 11. 93 Kastner, Susanne SPD 23. 11. 93 Kiechle, Ignaz CDU/CSU 23. 11. 93 Kronberg, Heinz-Jürgen CDU/CSU 23. 11. 93 Kuessner, Hinrich SPD 23. 11. 93 Mascher, Ulrike SPD 23. 11. 93* Matschie, Christoph SPD 23. 11. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 23. 11. 93 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 23. 11. 93** Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 23. 11. 93 Poß, Joachim SPD 23. 11. 93 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 23. 11. 93** Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 23. 11. 93 Ingrid Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 23. 11. 93 Schmidt (Salzgitter), SPD 23. 11. 93 Wilhelm Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 23. 11. 93 Dr. Soell, Hartmut SPD 23. 11. 93** Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 23. 11. 93 Steiner, Heinz-Alfred SPD 23. 11. 93** Dr. von Teichman, F.D.P. 23. 11. 93 Cornelia Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 23. 11. 93 Wetzel, Kersten CDU/CSU 23. 11. 93 Wohlleben, Verena SPD 23. 11. 93 Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 23. 11. 93 Wollenberger, Vera BÜNDNIS 23. 11. 93 90/DIE GRÜNEN * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I (Haushaltsgesetz 1994) Einzelplan 10 Geschäftsbereich Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Der Rotstift wurde auch beim Agrarhaushalt angesetzt, allerdings so, daß die Agrarbetriebe und Bauern vorerst nicht unmittelbar von den Kürzungen betroffen sind. Hier stellt sich die Frage: Wie lange geht das noch? - zumal an den Fingern abzählbar ist, daß es nicht nur mit dem Haushalt 1994 Probleme geben wird. Unser agrarpolitischer Sprecher, Dr. Fritz Schumann, hat bereits zur ersten Lesung festgestellt, daß die PDS/Linke Liste von der Unausweichlichkeit der mittelfristigen Senkung der Gesamtagrarausgaben - EG-, Bundes- und Landesmittel - ausgeht. Alle gegenteiligen Beteuerungen der Verantwortlichen in Bonn und Brüssel sind Augenauswischerei. Er schlußfolgerte, daß letztlich nur über eine Neuorientierung der Agrarpolitik die erforderlichen Einsparungspotentiale erschließbar sind, und nannte dazu auch die aus Sicht der PDS/Linke Liste erforderlichen Grundbedingungen. Ich will diese hier nicht wiederholen; das gestattet auch mein Zeitfonds nicht. Vielmehr möchte ich einen Gedanken ergänzen. Betrachtet man die Entwicklung der Einkommen der Bauern, der Erzeugerpreise und der Verbraucherpreise im Zusammenhang, wird ein Übel sichtbar, das es bei der Wurzel zu packen gilt: Während sich das verfügbare Einkommen je Haushaltsmitglied der Privathaushalte insgesamt zwischen 1972 und 1992 verdreifachte, haben sich die Einkommen der Bauern - bezogen auf das alte Bundesgebiet - nur gut verdoppelt. Lagen ihre Einkommen je Haushaltsmitglied im Jahre 1972 um 15 Prozent unter dem aller Privathaushalte, betrug der Rückstand 1992 bereits 41 Prozent. Das entsprach immerhin 10 300 DM weniger Einkommen zum Durchschnitt und gar 38 800 DM weniger als pro Kopf in Haushalten anderer Selbständiger. Hinter den Bauern rangierten nur noch die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger. Eine Erklärung ist das wachsende Mißverhältnis zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen. Dazu wenige Beispiele: 1991 gegenüber 1970 entwickelten sich im Bereich Rindfleisch die Preise für Rindslendenfilet auf 261 Prozent, für Schmorfleisch auf 184 Prozent und für Suppenfleisch auf 167 Prozent. Dagegen stieg der Erzeugerpreis für Lebendvieh Rind lediglich auf 111 Prozent. Das gleiche Bild bei Getreide: Dort ging der Erzeugerpreis leicht zurück - 99 Prozent -, bei Brotweizen sogar auf 96 Prozent. Dagegen stiegen die Verbraucherpreise für Brötchen auf 299 Prozent und für dunkles Mischbrot auf 270 Prozent. Die Frage ist, wo bleibt die Differenz zwischen dem, was die Bauern bekommen, und dem, was die Bevölkerung im Laden bezahlen muß? Klar ist, daß ein Teil der Differenz in die raschere Lohnentwicklung bei Arbeitern und Angestellten ging. Aber damit allein ist die ganze Differenz nicht erklärbar. Immerhin betrug Anfang der 70er Jahre der Anteil der Verkaufserlöse der Landwirtschaft an den Verbraucherausgaben für 16530* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. November 1993 Nahrungsmittel noch über 50 Prozent; laut Berechnungen des Bauernverbandes waren es im Wirtschaftsjahr 1991/92 gerade mal noch 31 Prozent. Mit meinen Feststellungen sage ich nichts Neues. Sowohl Abgeordnete der Regierungskoalition wie der SPD beklagen gleichermaßen diesen Zustand. Nur ihre Schlußfolgerung ist mir zu einseitig, nämlich daß eigentlich höhere Verbraucherpreise für Nahrungsgüter angemessen wären. Bevor man so etwas ins Auge faßt, sollte man eine saubere Analyse der Gewinnraten in der Kette vom Bauern bis zum Ladentisch unter Einbeziehung des Vorleistungsbereiches in Auftrag geben. Diese Ergänzung zeigt, daß Umverteilungen in der Produktion und Zirkulation selbst tragfähigere Lösungen als Umverteilungen im Haushalt erbringen könnten. Allerdings kollidiert das mit Interessen von offensichtlich einflußreichen Kapitalgruppen, speziell im Bereich der großen Handelsketten. Ein zweites Problem betrifft den Haushaltsvollzug. Fakt ist, daß kein produzierender Bereich in so hohem Maße abhängig von direkten oder indirekten Subventionen ist wie die Landwirtschaft. Mit der EG-Agrarreform hat diese Abhängigkeit eine neue Qualität erreicht. Indem die teilweise drastisch reduzierten Erzeugerpreise produktionsneutral durch umfangreiche Kompensationszahlungen ausgeglichen werden, ist eine neue Abhängigkeit der Bauern und ein gravierendes betriebswirtschaftliches Problem entstanden. Sowohl diese Zahlungen wie auch der soziostrukturelle Einkommensausgleich im Westen bzw. die Anpassungshilfen im Osten und andere öffentliche Mittel kommen erst am Jahresende zur Auszahlung. Der Landwirtschaftsbetrieb hat aber im Herbst ganz konkrete Ausgaben, z. B. für die Herbstbestellung oder für die im September fälligen Pachtzahlungen — was übrigens im Osten ein besonderes Problem ist, da die Pachtquote doppelt so hoch wie im Westen liegt und bei juristischen Personen sogar gen hundert tendiert. Gerade in den letzten Tagen wurde ich bei Veranstaltungen von Thüringen bis Brandenburg sehr massiv mit diesem Problem konfrontiert. Mir wurde geschildert, daß Betriebe teilweise nicht in der Lage sind, Lohn zu zahlen, und die Betroffenen auf Dezember vertrösten, von Betrieben des Vorleistungsbereiches Betriebsmittel und Leistungen gegen spätere Bezahlung einkaufen — und diese Gefälligkeit muß oft zusätzlich bezahlt werden — oder gezwungen sind, Kredite zur Zwischenfinanzierung aufzunehmen. Im Freistaat Sachsen waren zum 30. September 1993 vom korrigierten Plan aller EG-, Bundes- und Landesmittel für den Agrar- und Ernährungsbereich erst 23,6 Prozent auch ausgegeben. Die PDS/Linke Liste hält es deshalb für unerläßlich, daß mit dem Haushalt 1994 die Auszahlung staatlicher Mittel neu geregelt wird. Es ist eine bestimmte Kontinuität nötig, z. B. quartalsweise oder mindestens halbjährliche Auszahlung. Zum Abschluß möchte ich zum wiederholten Male darauf verweisen, daß die Altschuldenregelung nach wie vor unakzeptabel ist. Mir sind aus den genannten Veranstaltungen vor Ort Beispiele bekanntgeworden, daß inzwischen die rechnerisch aufgelaufene Zinslast für Altkredite bereits höher als die erste Rate der Teilentschuldung durch die Treuhandanstalt ist. Auch wenn diese Zinsen nicht unmittelbar fällig werden, müssen sie ja nach der Waigelschen Besserungsscheinregelung — wenn auch mit Zeitverzögerung — aufgebracht werden. Das führt in der Praxis oftmals dazu, daß aus betriebswirtschaftlicher Verantwortung das Risiko gescheut wird, im erforderlichen Umfang neu zu investieren. Abgesehen davon, daß die Banken weiter Zurückhaltung üben. Ich will das hier nicht vertiefen, möchte aber ankündigen, daß unsere Gruppe die Initiative ergreifen wird, die gesamte Altschuldenproblematik erneut zu beleuchten und in die parlamentarische Diskussion zu bringen.
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    Rede von Dr. Emil Schnell


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte den Impuls dieser Anregung aufnehmen und vorweg meinen Mitberichterstattern, den Kollegen Austermann von der CDU/CSU und Zywietz von der F.D.P., und natürlich den engagierten Mitarbeiterinnen und Mit-



    Dr. Emil Schnell
    arbeitern des Forschungsministeriums für die konstruktive und gute Zusammenarbeit recht herzlich danken. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß die konstruktive Kritik, die ich hier sicherlich mit einbauen werde, durchaus so gemeint ist, wie sie gesagt wird, und keine Polemik darstellt.
    Wir haben in den Beratungen natürlich auch gemerkt, daß die Gemeinsamkeiten der Koalition im wesentlichen erschöpft waren, sowohl bei der Frage, wie man mit Forschung und Technologie umgehen und wie viele Mittel man für bestimmte Schwerpunkte einsetzen soll, als auch bei der Frage, welche Gesamthöhe der Plafond des Einzelplanes 30 haben soll, obwohl der Kanzler — andere auch — mehrfach gewisse Standortbeziehungen festgestellt hat, Fragen bezüglich Forschung und Technologie und der Bedeutung des Standortes Deutschland betreffend. Ich denke, trotz dieser Abstimmungsschwierigkeiten gab es im Haushaltsausschuß aber im wesentlichen ein gutes und sachbezogenes Klima, was wir natürlich in erster Linie unserem Vorsitzenden Rudi Walther zuzuschreiben haben.
    Ich möchte kurz zur Analyse des Einzelplanes in den Jahren 1991 bis 1994 kommen. Wenn man die Haushaltsreden der letzten Jahre zu Forschung und Technologie verfolgt, kann man feststellen, daß die Koalition mit dem Einzelplan im wesentlichen zufrieden war. Sie hat trotzdem jedes Jahr etwas aus dem Einzelplan herausgeschnitten, um ihr Einsparziel zu erreichen. Sie hat den Anteil des Einzelplanes am Gesamthaushalt kontinuierlich zurückgefahren. Sie hat dadurch eigentlich deutlich gemacht, daß Forschung und Technologie zwar interessant sein mögen, für sie aber nicht vorrangig von Bedeutung sind.
    Der Finanzminister konnte immer ohne Widerstand aus den eigenen Reihen den Forschungshaushalt als Steinbruch mißbrauchen.

    (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Ja, herumbaldowern!)

    Ich erinnere daran — Minister Waigel ist jetzt leider nicht da —: Er hat auch dieses Jahr wieder versucht, den armen Minister Krüger — arm sage ich deshalb, weil der Haushalt entsprechend aussieht —, gleich nachdem er Platz genommen hatte, über den Tisch zu ziehen, indem er ihm vorgeschlagen hat: Spar mal kräftig ein; das, was wir dann zusammenkriegen, geben wir nach Bayern für den Weltraum. Er hat sich im Prinzip als größter bayerischer Weltraumlobbyist dargestellt. Ich denke, das war eine unschöne Sache. Wir konnten im Ausschuß dieses Problem Gott sei Dank korrigieren und diesen Fehler beheben. Dafür bin ich dankbar.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Warum protestieren die dann im Norden?)

    Der Zusammenhang zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung, universitärer Forschung, Industrieforschung und innovativen, weltmarktfähigen Produkten wurde in der Vergangenheit sträflich nicht erkannt oder heruntergespielt. Das Prinzip des Handelns lautete für die Bundesregierung: Von der Hand in den Mund; oder, anders gesagt, wenn die Katastrophe naht oder uns schon erreicht hat, dann erst ist die Bundesregierung bereit, erste,
    meist unzureichende Schritte in die richtige Richtung zu unternehmen. Das gilt übrigens für viele Problembereiche, die im Zusammenhang mit der deutschen Einheit aufgetaucht sind und auch vorhersehbar waren. Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, das darf so nicht weitergehen.
    Die Bedeutung von Forschung und Technologie für den vieldiskutierten Standort Deutschland wurde von der Koalition nur teilweise erkannt. Das Ergebnis dieser Einsicht lautet: reale Kürzung des Haushaltes — also weiter so wie bisher —, Substanzverzehr in erschreckender Weise. Durch mehr Einsicht, Umdenken, Industrie- und Produktnähe der Forschung sollen die neuen Ergebnisse erzielt werden. Das allein wird natürlich nicht fruchten können, weil das deutsche Forschungssystem nicht nur auf Einsicht, Freude und Glück beim Forschen basiert. Natürlich drängen wir alle gemeinsam darauf, daß wir schneller vom Gedanken zum Produkt kommen. Wir warnen die Koalition jedoch nochmals ausdrücklich davor, bei ihrem Sparforschungshaushalt zu bleiben, und fordern sie auf, sich für den Standort Deutschland zu entscheiden, d. h. unserem Antrag zum Forschungshaushalt zuzustimmen. Ich gehe auf diesen Antrag nachher noch einmal kurz ein.
    Stetigkeit und Berechenbarkeit sind übrigens nicht nur im Forschungsbereich vonnöten. Die Haushaltspolitik der Bundesregierung ist insgesamt eine Wellblechpolitik, ohne klare Perspektiven und Verläßlichkeiten für den Standort Deutschland, für die Wirtschaft. Das wird übrigens auch von vielen führenden Wirtschaftsvertretern immer wieder bestätigt. Diese Wellblechpolitik setzt sich bei den Personalentscheidungen fort. Einen neuen Minister pro Quartal vertragen nicht einmal die Beamten im Ministerium. Zunehmende Resignation und Unmut sind auszumachen.

    (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Ja, das ist wahr!)

    Alle spüren, es geht dem Ende entgegen.

    (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Ja, auch das ist wahr! — Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Das gilt auch für deine Rede, Emil!)

    Auch das hat natürlich etwas mit Standortqualität zu tun.
    Wie sehen die Zahlen aus?

    (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Schlecht sehen sie aus!)

    Von 1986 bis 1994 fällt der Anteil des Einzelplans 30 am Bundeshaushalt von 2,74 % auf — historisch niedrige — 1,98 % und liegt somit immer noch unter 10 Milliarden DM. Die Steigerung gegenüber 1993 ist gleich Null. Wenn man die Inflationsrate berücksichtigt, weiß man, was das bedeutet.
    Die internationale Konkurrenz kann sich freuen. Amerikaner und Japaner wissen inzwischen, welche Signale für ihren jeweiligen Standort von Bedeutung sind, und handeln entsprechend. Sie setzen voll auf Bildung, Forschung, Technologie, Kooperation — und natürlich auch auf die entsprechenden Mittel, die dafür benötigt werden. Eine Nullrunde bei Löhnen und Gehältern ist sicherlich ein diskussionswürdiges



    Dr. Emil Schnell
    Zeichen in dieser schwierigen Zeit, eine Nullrunde beim Forschungshaushalt eben gerade nicht.

    (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Sehr gilt!)

    Auch muß die Frage gestellt werden, ob die forschungsfremden Elemente des Einzelplans 30 nicht endlich ausgelagert werden müssen. Die Einsicht ist eigentlich übergreifend vorhanden gewesen. Aber der Finanzminister und der Forschungsminister haben diesen Schritt nicht gemeinsam erreichen können. Es dient der Klarheit und Wahrheit nicht, wenn z. B. die Mittel für die Beseitigung der Altlasten, die mit Forschung und Technologie herzlich wenig zu tun haben, den Etat aufblasen und die Schrumpfung der für Forschung tatsächlich zur Verfügung stehenden Mittel verschleiern.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ulrich Briefs [fraktionslos])

    Zudem fordern wir die Bundesregierung und die Energieversorger nachdrücklich auf, eine stärkere Industriebeteiligung an den Kosten der Altlastensanierung und an der anlagenbezogenen Forschung im Kernenergiebereich festzumachen.
    Der Kanzler sagte am 5. November vor dem Bundesrat

    (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Ja, wo ist er denn eigentlich?)

    — ich möchte es zitieren —:
    In der nächsten Woche findet im Rahmen der Haushaltsberatungen des Deutschen Bundestages die „Bereinigungssitzung" statt. Ich gehe davon aus, daß wir dabei eine vernünftige Lösung zur Erhöhung von Mitteln finden, wobei ich den ausdrücklichen Wunsch habe, daß diese Mittel nicht zuletzt auch für die neuen Länder eingesetzt werden.
    Ich frage die Kollegen hier — Sie haben nachher noch die Möglichkeit, Herr Kollege Austermann, darauf zu antworten —, was aus diesem Versprechen geworden ist, ob es nicht schon gebrochen ist.

    (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: So demontieren die den Kanzler!)

    Die Forschungspolitiker aller Parteien haben einvernehmlich eine deutliche Erhöhung des Plafonds gefordert und detailliert untersetzt. Auch die Koalition hat, glaube ich, eine Erhöhung um etwa 260 Millionen DM gewollt. Der Kollege Austermann hat dementsprechend den Versuch mit unternommen, bei den Beratungen im Berichterstattergespräch Vorschläge in diese Richtung mitzutragen. Sein Fehler war nur: Er hatte sich nicht oder nur unzureichend mit seinen Kollegen der Haushaltsarbeitsgruppe abgestimmt, so daß die Ergebnisse des Berichterstattergesprächs im Haushaltsausschuß schließlich völlig über den Haufen geworfen wurden. Es wurde ein willkürlich vorgegebenes Einsparziel für alle Haushalte stur, ohne Sinn und Verstand, durchgepeitscht. Das ist eine Niederlage für die deutsche Forschung, aber auch eine Niederlage für die Koalitionskollegen. Die Kraft und
    die Gemeinsamkeit der Koalition, Schwerpunkte zu setzen, sind in der Tat verbraucht.

    (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist aber sehr schade für Herrn Austermann!)

    Das Mittel der globalen Minderausgabe ist alles, was bleibt. Fünf Milliarden DM globale Minderausgabe zu den schon vorhandenen wurden von der Koalition mehr aus Verzweiflung und fehlendem Mut am letzten Tag der Haushaltsberatung über bestimmte Gruppen des Haushalts verhängt. Besonders trifft es die Zuwendungsempfänger, die z. B. einen wesentlichen Teil des Forschungshaushalts ausmachen. Es ist zu befürchten, daß hier erhebliche Einschränkungen für alle forschenden Institute kommen werden.
    Fünf Milliarden DM werden also am Parlament vorbei nach Gutdünken im Dezember von der Regierung gestrichen. Das ist eine bedenkliche Sache.

    (Beifall bei der SPD — Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein, das ist eine falsche Aussage!)

    — Das ist keine falsche Aussage, Kollege Austermann. Diese Kürzungen der Bundesregierung werden dem Parlament, wenn es hochkommt, zur Kenntnis gegeben, und das ist es dann gewesen. Ich sehe nicht, daß die explizite Zustimmung des Haushaltsausschusses und des Parlaments eingeholt werden muß. Insofern, meine ich, liege ich schon richtig.
    Ich frage noch einmal: War das die vernünftige Lösung, die der Kanzler angekündigt hat? Oder meint er etwa die SED-Parteigelder, die er im Prinzip noch gar nicht hat — wenn ich einmal sagen darf, was ich gehört habe? Die Kommission ist sich noch nicht einig darüber, was mit dem Geld eigentlich passieren soll. Insofern sind es Ankündigungen, die uns nicht weiterhelfen, die auch nicht der Industrieforschung oder irgendeiner anderen Forschung zugute kommen können. Ich kann in dem Zusammenhang nur hoffen, daß die für die Chemiezentren in Adlershof gefundenen Übergangslösungen und das Bessy-II-Projekt — auch in Adlershof — nicht doch noch dem Rotstift zum Opfer fallen.
    Mit dieser Vorgehensweise ist eigentlich das relativ starke parlamentarische Haushaltsrecht von den Kollegen der Koalition auf den Kopf gestellt worden.

    (Zuruf von der SPD: Das ist richtig!)

    Die Hörigkeit von Parlamentariern gegenüber der Regierung stellt nicht gerade eine Sternstunde der Demokratie dar.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, die Kontrolle der Regierung zur Vermeidung von Fehlern darf auch von den Koalitionsabgeordneten ausgeübt werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist kein Vorrecht der Opposition. Auch Sie sind dazu verpflichtet, Schaden von Deutschland abzuwenden.

    (Zurufe von der SPD: Sehr gut! Sehr richtig!)




    Dr. Emil Schnell
    Die Überschriften in den Fachzeitschriften zur Forschung und Technologie lauten etwa so: „Noch fehlen klare technologiepolitische Zielvorstellungen", „Stiefkind Wissenschaft", „Orakel aus Fernost" usw. — Sie kennen das alles. Das hat auch seine Gründe. Es ist nicht nur das Singen dieses schlimmen Liedes, sondern es ist etwas dran. Die Situation ist in der Tat sehr schwierig und wird noch schwieriger werden.
    Dabei ist klar, wo die Zukunftstechnologien des 21. Jahrhunderts angesiedelt sind. Zahlreiche Studien zeigen diese Felder auf: Informationsverarbeitung, Materialforschung, Biotechnologie, Verkehrstechnologie usw. Wenn man sich den Delphi-Bericht genauer anschaut, wird klar, welche großartigen neuen Möglichkeiten bevorstehen. Ich möchte ein paar aufzählen, damit es nicht allzu trocken ist.
    Im Jahre 2001 soll das dreidimensionale Fernsehen ohne Brille kommen; im Jahre 2002 der Ein-GigabitSchaltkreis — dann können Sie Ihre Festplatten in den Sondermüll werfen. Es wird die Begrünung von Wüsten geben.
    Im Jahre 2003 kommen die dezentrale Trinkwasseraufbereitung aus Meerwasser, stufenlose Getriebe, die photokatalytische Produktion von Wasserstoff aus Wasser, im Jahre 2004 der Roboter für alle Bereiche, zum Feuerlöschen, der Bauroboter, der Roboter für Blinde und für die Krankenpflege bis hin zum Babyroboter, über den sich dann viele trefflich streiten werden, schließlich die künstliche Lunge.
    Im Jahre 2005 gibt es die Hochtemperaturkunststoffe, Solarzellen mit 30 % Wirkungsgrad, künstliches Blut.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wann kommt der künstliche Mensch?)

    — Der künstliche Mensch, Kollege Weng, kommt später, wahrscheinlich gar nicht.

    (Zuruf von der SPD: Warm kommt der synthetische Abgeordnete?)

    Für das Jahr 2006 ist die Aidsheilung angepeilt; die meisten Krebsarten sind heilbar. Vieles wird durch die Biotechnologie möglich. Im Jahr 2007 werden die Tierversuche ersetzt; Wälder erholen sich vom sauren Regen. Liebe Kollegen, hören Sie genau hin!
    Ab 2012 gibt es die perfekten Übersetzungscomputer. Fast alle Allergien werden heilbar sein. Man kann das Absterben von Gehirnzellen verhindern usw.
    Warum zähle ich alle die Dinge auf? Weil ich in erster Linie von den Möglichkeiten der technologischen Zukunft im Dienste der Menschheit fasziniert bin. Wir sollten gemeinsam das politische Klima für die Technologiezukunft in Deutschland täglich verbessern helfen.

    (Beifall des Abg. Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD])

    Die Analysen und strategischen Dialoge helfen aber allein nicht weiter, wenn Sie nicht endlich aus der Verkrustung herauskommen, das vorhandene sowie zusätzliches Geld in die Hand nehmen und entsprechend massiv in den oben genannten Bereichen fördern, wieder mehr Risiko wagen und den Erfolg kontrollieren.
    Zur Industrieforschung möchte ich noch folgendes sagen: Im Bericht der Bundesregierung zur Situation der Forschung in den neuen Ländern lautet die Überschrift dazu: „Kritische Lage der Forschung in der ostdeutschen Wirtschaft". Von rund 86 000 Beschäftigten in F und E in der Wirtschaft waren 1992 weniger als 24 000 beschäftigt. Im Vergleich zu den alten Ländern müßten etwa 70 000 in FuE beschäftigt sein. Ich bin in den letzten Jahren immer wieder auf die drängenden Probleme der Industrieforschung eingegangen. Ich werde auch nicht müde, es heute wieder zu tun.
    Wir haben sinnvolle Vorschläge unterbreitet wie z. B. die zeitweilige Sockelfinanzierung der Forschungs-GmbH, stärkere Beteiligung von Technologieunternehmen am Innovationsrisiko, stärkere Förderung des Zuwachses der Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in der Wirtschaft, besonders im Mittelstand, Verstärkung der Verbundforschung, echte Kredithilfen etc. Weitere Vorschläge sind in unserem Antrag enthalten. Ich möchte Sie bitten, diesem Antrag auch deshalb zuzustimmen.
    Natürlich haben auch die Industrie und die Treuhandanstalt in diesem Bereich eine ganz besondere Verantwortung, die aber ganz offensichtlich nicht wahrgenommen wurde. Der Wirtschaftsminister, der ja auch etwas mit Industrieforschung zu tun hat — das sollte man ihm noch einmal sagen —, hat im wesentlichen nach Gründen gesucht, warum bestimmte, oben vorgeschlagene Instrumente nicht in die alten Denkstrukturen passen. Er hat den Markt voll wirken lassen und nichts Intelligentes unternommen, um den drastischen Rückgang der Zahl von ForschungsGmbHs auf jetzt 47, also ein Drittel zu stoppen.
    Dazu hat sich der Verband innovativer Unternehmen in den neuen Bundesländern und Berlin zu Recht kritisch geäußert. Ich möchte das jetzt nicht vortragen, sondern nur darauf hinweisen, daß auch in dieser Stellungnahme sehr sachdienliche Hinweise enthalten sind, die aufzeigen, was zu tun ist, um für die Industrieforschung und speziell für die ForschungsGmbH eine mittelfristige Perspektive zu schaffen.
    Zum Schluß möchte ich ganz kurz noch etwas zum Transrapid sagen. In vielen Reden der vergangenen Wochen und in einer Reihe von Pressemeldungen war der Transrapid als Exempel für eine unzureichende Koordinierung innerhalb der Bundesregierung, aber auch zwischen Wirtschaft und Politik angeführt worden — zu Recht, so meine ich. Denn der Transrapid ist ein Verkehrsmittel der Zukunft, mit Eigenschaften, die wir alle hoch schätzen: geringer Energieverbrauch, geringer Landschaftsverbrauch, sicherer als jedes andere Verkehrsmittel usw. Sie kennen das im wesentlichen. Hier ist der Forschung in den letzten 20 Jahren mit viel Kraft und Geld ein Technologiesprung von der Mechanik zur Elektronik gelungen, ein Quantensprung sozusagen.
    Die Frage ist, wie beherzt die Regierenden mit einer großen Innovation umgegangen sind. Typisch deutsche Bedenkenträgerei in allen Reihen hat verheerende Auswirkungen, besonders für den Standort Deutschland. Aber man streitet sich um Geld, das um ein Vielfaches wieder nach Deutschland zurückfließen könnte.





Rede von Renate Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Schnell, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

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    Rede von Dr. Emil Schnell


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Wenn das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.