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    Plenarprotokoll 12/191 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 191. Sitzung Bonn, Dienstag, den 23. November 1993 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Dr. Joachim Grünewald . . . . 16451 A Eintritt des Abgeordneten Dr. Norbert Herr in den Deutschen Bundestag 16451 A Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksachen 12/5500, 12/5870) Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt (Drucksachen 12/6001, 12/6030) 16451 B Einzelplan 02 Deutscher Bundestag (Drucksachen 12/ 6002, 12/6030) 16451 C Einzelplan 03 Bundesrat (Drucksachen 12/6003, 12/ 6030) Einzelplan 08 Bundesministerium der Finanzen (Drucksachen 12/6008, 12/6030) . . . 16451 D in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld (Drucksache 12/6025) Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksache 12/6029) in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof (Drucksachen 12/ 6020, 12/6030) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 16452A Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . . 16457A, 16469 D Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 16464B Helmut Wieczorek (Duisburg) SPD . 16467 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16469C Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 16473 C Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16476C Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 16478C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16479B Manfred Hampel SPD 16480 D Arnulf Kriedner CDU/CSU 16484 A Manfred Hampel SPD 16484 D Horst Jungmann (Wittmoldt) SPD . . 16486A Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 16486D Einzelplan 31 Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (Drucksachen 12/6024, 12/6030) Doris Odendahl SPD 16487 D Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 16491A Doris Odendahl SPD 16492C Carl-Ludwig Thiele F D P 16493 B Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 16495C Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16496C Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 16497 B Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär BMBW 16498D II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. November 1993 Einzelplan 30 Bundesministerium für Forschung und Technologie (Drucksachen 12/6023, 12/6020) Dr. Emil Schnell SPD 16501 D Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 16505A Dietrich Austermann CDU/CSU 16505 C Werner Zywietz F D P 16508 D Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . 16510D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 16511D Dr.-Ing. Paul Krüger, Bundesminister BMFT 16512C Jürgen Timm F.D.P. (Erklärung nach § 31 GO) 16515B Einzelplan 10 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Drucksachen 12/6010, 12/6020) Ernst Kastning SPD 16516A Ulrich Heinrich F D P 16519 C Bartholomäus Kalb CDU/CSU 16520 A Günther Bredehorn F D P 16521 A Ernst Kastning SPD . . . . 16522C, 16525 B Dr. Sigrid Hoth F D P 16523 B Jochen Borchert, Bundesminister BML 16524 C Jan Oostergetelo SPD 16526 C Gottfried Haschke (Großhennersdorf) CDU/CSU (Erklärung nach § 31 GO) . 16527D Nächste Sitzung 16528 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16529* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I (Haushaltsgesetz 1994) — Einzelplan 10 — Geschäftsbereich Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Dr. Dietmar Keller PDS/Linke Liste . . . 16529* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. November 1993 16451 191. Sitzung Bonn, den 23. November 1993 Beginn: 14.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 23. 11. 93 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 23. 11. 93* Wilfried Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 23. 11. 93 Clemens, Joachim CDU/CSU 23. 11. 93 Ehrbar, Udo CDU/CSU 23. 11. 93 Ganschow, Jörg F.D.P. 23. 11. 93 Gleicke, Iris SPD 23. 11. 93 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 23. 11. 93 Großmann, Achim SPD 23. 11. 93 Günther (Duisburg), CDU/CSU 23. 11. 93 Horst Dr. Herr, Norbert CDU/CSU 23. 11. 93 Heyenn, Günther SPD 23. 11. 93 Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 23. 11. 93 Hilsberg, Stephan SPD 23. 11. 93 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 23. 11. 93 Jaunich, Horst SPD 23. 11. 93 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 23. 11. 93 Kastner, Susanne SPD 23. 11. 93 Kiechle, Ignaz CDU/CSU 23. 11. 93 Kronberg, Heinz-Jürgen CDU/CSU 23. 11. 93 Kuessner, Hinrich SPD 23. 11. 93 Mascher, Ulrike SPD 23. 11. 93* Matschie, Christoph SPD 23. 11. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 23. 11. 93 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 23. 11. 93** Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 23. 11. 93 Poß, Joachim SPD 23. 11. 93 Reddemann, Gerhard CDU/CSU 23. 11. 93** Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 23. 11. 93 Ingrid Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 23. 11. 93 Schmidt (Salzgitter), SPD 23. 11. 93 Wilhelm Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 23. 11. 93 Dr. Soell, Hartmut SPD 23. 11. 93** Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 23. 11. 93 Steiner, Heinz-Alfred SPD 23. 11. 93** Dr. von Teichman, F.D.P. 23. 11. 93 Cornelia Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 23. 11. 93 Wetzel, Kersten CDU/CSU 23. 11. 93 Wohlleben, Verena SPD 23. 11. 93 Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 23. 11. 93 Wollenberger, Vera BÜNDNIS 23. 11. 93 90/DIE GRÜNEN * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt I (Haushaltsgesetz 1994) Einzelplan 10 Geschäftsbereich Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Der Rotstift wurde auch beim Agrarhaushalt angesetzt, allerdings so, daß die Agrarbetriebe und Bauern vorerst nicht unmittelbar von den Kürzungen betroffen sind. Hier stellt sich die Frage: Wie lange geht das noch? - zumal an den Fingern abzählbar ist, daß es nicht nur mit dem Haushalt 1994 Probleme geben wird. Unser agrarpolitischer Sprecher, Dr. Fritz Schumann, hat bereits zur ersten Lesung festgestellt, daß die PDS/Linke Liste von der Unausweichlichkeit der mittelfristigen Senkung der Gesamtagrarausgaben - EG-, Bundes- und Landesmittel - ausgeht. Alle gegenteiligen Beteuerungen der Verantwortlichen in Bonn und Brüssel sind Augenauswischerei. Er schlußfolgerte, daß letztlich nur über eine Neuorientierung der Agrarpolitik die erforderlichen Einsparungspotentiale erschließbar sind, und nannte dazu auch die aus Sicht der PDS/Linke Liste erforderlichen Grundbedingungen. Ich will diese hier nicht wiederholen; das gestattet auch mein Zeitfonds nicht. Vielmehr möchte ich einen Gedanken ergänzen. Betrachtet man die Entwicklung der Einkommen der Bauern, der Erzeugerpreise und der Verbraucherpreise im Zusammenhang, wird ein Übel sichtbar, das es bei der Wurzel zu packen gilt: Während sich das verfügbare Einkommen je Haushaltsmitglied der Privathaushalte insgesamt zwischen 1972 und 1992 verdreifachte, haben sich die Einkommen der Bauern - bezogen auf das alte Bundesgebiet - nur gut verdoppelt. Lagen ihre Einkommen je Haushaltsmitglied im Jahre 1972 um 15 Prozent unter dem aller Privathaushalte, betrug der Rückstand 1992 bereits 41 Prozent. Das entsprach immerhin 10 300 DM weniger Einkommen zum Durchschnitt und gar 38 800 DM weniger als pro Kopf in Haushalten anderer Selbständiger. Hinter den Bauern rangierten nur noch die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger. Eine Erklärung ist das wachsende Mißverhältnis zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen. Dazu wenige Beispiele: 1991 gegenüber 1970 entwickelten sich im Bereich Rindfleisch die Preise für Rindslendenfilet auf 261 Prozent, für Schmorfleisch auf 184 Prozent und für Suppenfleisch auf 167 Prozent. Dagegen stieg der Erzeugerpreis für Lebendvieh Rind lediglich auf 111 Prozent. Das gleiche Bild bei Getreide: Dort ging der Erzeugerpreis leicht zurück - 99 Prozent -, bei Brotweizen sogar auf 96 Prozent. Dagegen stiegen die Verbraucherpreise für Brötchen auf 299 Prozent und für dunkles Mischbrot auf 270 Prozent. Die Frage ist, wo bleibt die Differenz zwischen dem, was die Bauern bekommen, und dem, was die Bevölkerung im Laden bezahlen muß? Klar ist, daß ein Teil der Differenz in die raschere Lohnentwicklung bei Arbeitern und Angestellten ging. Aber damit allein ist die ganze Differenz nicht erklärbar. Immerhin betrug Anfang der 70er Jahre der Anteil der Verkaufserlöse der Landwirtschaft an den Verbraucherausgaben für 16530* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 191. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 23. November 1993 Nahrungsmittel noch über 50 Prozent; laut Berechnungen des Bauernverbandes waren es im Wirtschaftsjahr 1991/92 gerade mal noch 31 Prozent. Mit meinen Feststellungen sage ich nichts Neues. Sowohl Abgeordnete der Regierungskoalition wie der SPD beklagen gleichermaßen diesen Zustand. Nur ihre Schlußfolgerung ist mir zu einseitig, nämlich daß eigentlich höhere Verbraucherpreise für Nahrungsgüter angemessen wären. Bevor man so etwas ins Auge faßt, sollte man eine saubere Analyse der Gewinnraten in der Kette vom Bauern bis zum Ladentisch unter Einbeziehung des Vorleistungsbereiches in Auftrag geben. Diese Ergänzung zeigt, daß Umverteilungen in der Produktion und Zirkulation selbst tragfähigere Lösungen als Umverteilungen im Haushalt erbringen könnten. Allerdings kollidiert das mit Interessen von offensichtlich einflußreichen Kapitalgruppen, speziell im Bereich der großen Handelsketten. Ein zweites Problem betrifft den Haushaltsvollzug. Fakt ist, daß kein produzierender Bereich in so hohem Maße abhängig von direkten oder indirekten Subventionen ist wie die Landwirtschaft. Mit der EG-Agrarreform hat diese Abhängigkeit eine neue Qualität erreicht. Indem die teilweise drastisch reduzierten Erzeugerpreise produktionsneutral durch umfangreiche Kompensationszahlungen ausgeglichen werden, ist eine neue Abhängigkeit der Bauern und ein gravierendes betriebswirtschaftliches Problem entstanden. Sowohl diese Zahlungen wie auch der soziostrukturelle Einkommensausgleich im Westen bzw. die Anpassungshilfen im Osten und andere öffentliche Mittel kommen erst am Jahresende zur Auszahlung. Der Landwirtschaftsbetrieb hat aber im Herbst ganz konkrete Ausgaben, z. B. für die Herbstbestellung oder für die im September fälligen Pachtzahlungen — was übrigens im Osten ein besonderes Problem ist, da die Pachtquote doppelt so hoch wie im Westen liegt und bei juristischen Personen sogar gen hundert tendiert. Gerade in den letzten Tagen wurde ich bei Veranstaltungen von Thüringen bis Brandenburg sehr massiv mit diesem Problem konfrontiert. Mir wurde geschildert, daß Betriebe teilweise nicht in der Lage sind, Lohn zu zahlen, und die Betroffenen auf Dezember vertrösten, von Betrieben des Vorleistungsbereiches Betriebsmittel und Leistungen gegen spätere Bezahlung einkaufen — und diese Gefälligkeit muß oft zusätzlich bezahlt werden — oder gezwungen sind, Kredite zur Zwischenfinanzierung aufzunehmen. Im Freistaat Sachsen waren zum 30. September 1993 vom korrigierten Plan aller EG-, Bundes- und Landesmittel für den Agrar- und Ernährungsbereich erst 23,6 Prozent auch ausgegeben. Die PDS/Linke Liste hält es deshalb für unerläßlich, daß mit dem Haushalt 1994 die Auszahlung staatlicher Mittel neu geregelt wird. Es ist eine bestimmte Kontinuität nötig, z. B. quartalsweise oder mindestens halbjährliche Auszahlung. Zum Abschluß möchte ich zum wiederholten Male darauf verweisen, daß die Altschuldenregelung nach wie vor unakzeptabel ist. Mir sind aus den genannten Veranstaltungen vor Ort Beispiele bekanntgeworden, daß inzwischen die rechnerisch aufgelaufene Zinslast für Altkredite bereits höher als die erste Rate der Teilentschuldung durch die Treuhandanstalt ist. Auch wenn diese Zinsen nicht unmittelbar fällig werden, müssen sie ja nach der Waigelschen Besserungsscheinregelung — wenn auch mit Zeitverzögerung — aufgebracht werden. Das führt in der Praxis oftmals dazu, daß aus betriebswirtschaftlicher Verantwortung das Risiko gescheut wird, im erforderlichen Umfang neu zu investieren. Abgesehen davon, daß die Banken weiter Zurückhaltung üben. Ich will das hier nicht vertiefen, möchte aber ankündigen, daß unsere Gruppe die Initiative ergreifen wird, die gesamte Altschuldenproblematik erneut zu beleuchten und in die parlamentarische Diskussion zu bringen.
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    Rede von Helmut Wieczorek


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, ich würde ja gerne Ihrer Aufforderung nachkommen und hier eine launige Rede halten. Ich glaube, ich würde es noch hinkriegen, Sie alle so zu unterhalten, wie Sie, Herr Finanzminister, uns unterhalten haben beim 65. Geburtstag von Herrn Walther. Ich verspreche Ihnen, wenn es Ihnen nützt: Ich halte die Rede zu Ihrem 60. Geburtstag — egal, auf welcher Seite des Hauses Sie dann sitzen und wo Sie dann gerade sind.

    (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist ja noch 20 Jahre hin! — Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    — Sie haben dann Gelegenheit, genug zu lachen.
    Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Es ist schon ein eigenartiges Parlamentsverständnis, wenn wir die zweite Lesung des Bundeshaushaltes im Parlament mit einer Erklärung des Finanzministers beginnen.

    (Dr. Nils Diederich [Berlin] [SPD]: Das war die Flucht nach vorn aus Angst!)

    — Ich denke, es war wirklich so etwas — Angst will ich nicht sagen — wie die Flucht nach vorn. Der Finanzminister wollte uns die Themen vorgeben, mit denen wir uns beschäftigen sollen.

    (Rudolf Purps [SPD]: Das tun wir nicht!)

    Herr Finanzminister, wenn Sie einmal Ihr eigenes Parlamentsverständnis zugrunde legen, müssen Sie eigentlich zu dem Ergebnis kommen, daß die zweite Lesung die Stunde des Parlaments ist.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt fangen Sie doch einfach einmal an!)

    Sie haben uns den Haushalt aufgestellt. Sie haben ihn uns in der ersten Lesung hier vorgestellt. Wir haben darüber beraten.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt fangen Sie einmal an!)

    — Eigentlich, Herr Schäuble, müßten Sie jetzt darauf drängen, daß der Haushaltsausschuß in seiner Gesamtheit Ihnen sagt, was er eigentlich beraten hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber Sie haben kein Parlamentsverständnis mehr, Herr Schäuble. Das kann man im Haushaltsausschuß genau beobachten.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Sie bringen doch mittlerweile als Koalition Regierungsvorschläge als Gesetze ein, und dann legen Sie, so wie Sie das beim letzten Mal mit dem Standortsicherungsgesetz gemacht haben, 225 Seiten Änderungen zu Ihren eigenen Vorschlägen vor. Sie haben kein Parlamentsverständnis mehr. Sie verwechseln nämlich Ihre Beschlüsse in Ihren Koalitionskungelkreisen mit dem deutschen Parlament.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Daß Sie so etwas auch noch institutionalisieren, ist das, was uns traurig macht.
    Traurig macht uns aber auch Ihr Haushalt insgesamt, den Sie uns vorlegen; denn dieser Bundeshaushalt 1994 ist nicht nur der letzte Etat dieser Wahlperiode, sondern er ist gleichzeitig die Bilanz aus elf Jahren konservativer Politik der Regierung Kohl. Deshalb ist dies zugleich auch eine Debatte über die Lage der Nation im wiedervereinigten Deutschland.
    Unser Land leidet an der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Diese Krise umfaßt inzwischen alle Lebensbereiche und gefährdet die wirtschaftliche und politische Stabilität unseres Landes. Unter der dreifachen Wucht von selbstverschuldeter Vereinigungskrise, stärkster wirtschaftlicher Rezession der Nachkriegszeit und grassierender Massenarbeitslosigkeit versinkt der Bundeshaushalt im Schuldenchaos. Diese Regierung ist unfähig, den Teufelskreis aus Wirtschafts-, Sozial- und Finanzkrise zu durchbrechen.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Mangel an Wahrhaftigkeit in Ihrer Politik hat zu millionenfacher Enttäuschung und zu einem Verlust an Grundvertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates geführt.

    (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das sind doch alles Sprüche!)

    Die Rückgewinnung des Vertrauens bei den Enttäuschten setzt aber die Lösung ihrer sozialen Probleme voraus. Sie dagegen wollen die Krise der Gesellschaft zu einer Frischzellenkur für konservative Politik machen, so wie Ihr Standortbericht in Wahrheit bloß eine Neuauflage des Lambsdorff-Papiers von 1982 ist.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Hätte man das nur konsequenter gemacht! — Zuruf von der F.D.P.: Das war nicht schlecht!)

    An Ihrer rückwärtsgewandten Wirtschafts- und Sozialpolitik droht der gesellschaftliche Konsens in Deutschland zu zerbrechen. Der soziale Friede ist



    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    aber nicht nur ein positiver Standortfaktor erster Ordnung, sondern er ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft.

    (Beifall bei der SPD)

    Ohne sozialen Frieden zerbricht das Modell Deutschland.
    Meine Damen und Herren, mit Ihrer Politik wird die Nation erneut gespalten — nicht nur in Ost und West, sondern auch in Arm und Reich, in die, die noch Arbeit haben, und die, die millionenfach Arbeit suchen, in die, die noch ein Dach über dem Kopf haben, und die, die eine preiswerte Wohnung suchen. Das alles ist die tagtägliche Erfahrung von Millionen Menschen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: So ist das!)

    Zur Überwindung der ökonomischen und politischen Krise gehört Wahrhaftigkeit, gehören politische Handlungsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit. Das verlangt einfach eine neue Politik, die umfassend und entschlossen die Strukturreform in allen Lebensbereichen anpackt.
    Nach elf Jahren konservativ-liberaler Koalition haben wir in allen Lebensbereichen des Staates ein Defizit an Strukturreformen, einen Reformstau. Die gesamtwirtschaftliche Verantwortung der Finanzpolitik versinkt im Schuldenchaos. Das Steuerrecht ist sozial ungerecht und investitionsfeindlich. Die Modernisierung der Wirtschaft bleibt auf der Strecke. Es fehlt eine ökologische Politik zur Energie- und Ressourceneinsparung, eine Reform des öffentlich geförderten Arbeitsmarktes und seiner Finanzierung,

    (Beifall bei der SPD)

    eine Reform der beruflichen Bildung und der Forschungsförderung, eine Industriepolitik für den Aufbau Ost ebenso wie für die sozial gerechte Finanzierung der deutschen Einheit. All dies gehört zusammen und muß zusammengeführt werden.
    Mit solchen Projekten würde das Gesicht unseres Landes neu gezeichnet. Das ist ein Lösungsweg zur Mobilisierung der wirtschaftlichen Kräfte, zur Eindämmung der Beschäftigungskrise und damit zur Rückführung der strukturellen Defizite in den öffentlichen Haushalten. Das sind sozialdemokratische Antworten, die wir den konservativen Herausforderungen gegenüberstellen. Die alte sozialdemokratische Losung „Wer morgen sicher leben will, muß heute für Reformen kämpfen" war nie so aktuell wie heute.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie versuchen, die Defizite Ihrer Politik hinter einer neuen Debatte über alte Werte zu verstecken. Da beklagen Sie, Herr Bundeskanzler, der große gesellschaftliche Konsens sei verlorengegangen. Ich bitte Sie: Es war doch Ihr katastrophaler Fehler, bei dem fälschlich so genannten Solidarpakt im Frühjahr dieses Jahres auf die Beteiligung und den Konsens zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften, Unternehmern, Bundesbank, Kommunen und Parteien zu verzichten.

    (Zustimmung bei der SPD — Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Es war schon schwierig genug mit euch!)

    Die Bündelung und die Zusammenführung der nationalen Kräfte für die deutsche Einheit, für Arbeitsplätze, für Wohnungen, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit ist seit 1990 zentrale Forderung der Sozialdemokraten in diesem Parlament.

    (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ihr müßt mal etwas tun dafür!)

    Sie haben die Angebote, Herr Kollege Rossmanith, selbstherrlich ausgeschlagen. Ja, Sie gehen diesen Weg sogar noch weiter, indem Sie mit Ihren Spargesetzen zum Bundeshaushalt 1994 die Zusage brechen, keine gesetzlichen Regelleistungen zu kürzen.
    Meine Damen und Herren, wieder sparen Sie auf Kosten der Menschen mit den geringen Einkommen, der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Ihnen fehlt jede Empfindung dafür, was es für diese Menschen bedeutet, auf 20 oder 30 DM im Monat verzichten zu müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Was Sie für ein Trinkgeld halten, davon müssen diese
    Menschen möglicherweise einen ganzen Tag leben.
    Da geben 60 Abgeordnete Ihrer Fraktion zu Protokoll, sie hätten den Spargesetzen nur in der Erwartung zugestimmt, daß die Mehrheit des Bundesrates im Vermittlungsausschuß — ich zitiere — „die noch notwendigen Korrekturen zur besseren Sozialverträglichkeit der beiden Gesetzentwürfe durchsetzen" wird.

    (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Unverschämtheit!)

    Zur Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit, meine
    Damen und Herren, hoffen 60 Koalitionsabgeordnete
    auf die sozialdemokratische Mehrheit im Bundesrat!

    (Beifall bei der SPD)

    Und da stellt sich der Finanzminister her und beklagt, daß der Bundesrat von Sozialdemokraten gebraucht wird, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Da wird doch die Bankrotterklärung von ihm zu Protokoll gegeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, Ihre Spargesetze sind nicht nur unsozial, Sie gefährden damit auch noch das einzig halbwegs stabile Konjunkturaggregat, nämlich die private Nachfrage. Mit Kürzungen und Steuererhöhungen entziehen Sie rund 35 Milliarden DM an Kaufkraft. Damit schaden Sie der Konjunktur und produzieren neue Haushaltslöcher, Herr Kollege Waigel, die bis in die Größenordnung von 20 Milliarden bis 25 Milliarden DM gehen. Können Sie denn nicht einmal im Gesamtzusammenhang denken? Können Sie eigentlich nur sektoral Ihren engen Bereich sehen, und müssen Sie die volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhänge außer acht lassen?
    Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung muß das nachholen, was Sie längst aufgegeben haben, nämlich die gesamtwirtschaftliche Bewertung Ihrer konfusen Finanzpolitik. Herr Finanzminister, Ihre Finanzpolitik hat sich in dem neuen deutschen magischen Viereck aus Finanzierung der deutschen Ein-



    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    heit, Finanzierung der Arbeitslosigkeit, Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und gleichzeitig Konsolidierung der Staatsfinanzen völlig verfangen. Sie haben in diesem magischen Viereck weder Konzepte noch Prioritäten gesetzt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ihr mit dem Föderalen Konsolidierungsprogramm erhobener Anspruch, einen im Verhältnis von Bund, Ländern und Gemeinden ausgewogenen Konsolidierungsfortschritt zu erreichen, wird mit dem Bundeshaushalt 1994 faktisch aufgekündigt. Mit Ihren Begleitgesetzen wälzen Sie nämlich die sozialen Lasten der Wirtschaftskrise in Höhe von 4 Milliarden DM, künftig 6 Milliarden DM, auf die Kommunen ab. Da wird Ihre Forderung nach Eindämmung der konsumtiven Leistungen doch zu einer unwahren Formel und wird auch nicht dadurch richtiger, daß Sie die „Möblierung" der Innenstädte dagegensetzen. Daran gehen die Städte nicht kaputt, sondern an den Lasten, die Sie ihnen aufbürden, für die sie keine Finanzausstattung haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Verschiebebahnhof trifft mit konjunkturellen Steuerausfällen und einem Rückgang des Länderfinanzausgleichs zusammen. Als Folge werden die sicher geglaubten Finanzgrundlagen der Ostländer erneut erschüttert. Die neuen Länder und Gemeinden werden im nächsten Jahr ein Defizit von 40 Milliarden DM aufweisen. Das lähmt den Aufbau Ost. Nicht die konsumtiven Leistungen, nein, die dringend zum Aufbau benötigten Investitionen müssen zwangsläufig zurückgeschnitten werden.
    Sie wälzen die Bewirtschaftung der Arbeitslosigkeit auf die Kommunen ab, indem Sie die Kommunen verpflichten, Sozialhilfeempfängern Arbeit zu geben. Mit einem Federstrich machen Sie die Kommunen zum größten Arbeitgeber in der Bundesrepublik. Das hat doch mit kooperativem Föderalismus nichts mehr zu tun.

    (Beifall bei der SPD)

    Damit fahren Sie nicht nur die Kommunen gegen die Wand, sondern produzieren Lohndumping und den dritten Arbeitsmarkt, wobei Sie bei dem zweiten schon große Probleme haben.
    Meine Damen und Herren, Sie tragen damit die Verantwortung auch für die Folgen dieses Verschiebebahnhofes: für den zwangsläufigen Anstieg von Gebühren und kommunalen Steuern. Das ist Gift für die Konjunktur. Aber Sie haben es so gewollt.
    Sie kündigen gleichzeitig für die Wirtschaft Steuersenkungen wie die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer an. Sie wissen doch ganz genau, daß das überhaupt nicht zu finanzieren ist, weder heute noch morgen. Das treibt nur die Staatsverschuldung weiter hoch und geht letztlich wieder zu Lasten der Kommunen.
    Meine Damen und Herren von der Koalition, in Ihrer Finanzpolitik stimmt nichts mehr. Da ist nur noch Untergangsstimmung und sonst nichts. Innerhalb der letzten vier Jahre stiegen die geplanten Ausgaben für den Haushalt 1994 von 421 Milliarden DM auf nunmehr 480 Milliarden DM an. Auch die haben Sie nur
    erreicht, Herr Kollege Roth, weil die Koalition im Haushaltsausschuß in einer Nacht- und Nebelaktion eine Haushaltssperre über 5 Milliarden DM verhängt hat.

    (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Das war am hellichten Tag! Vormittags!)

    Diese Sperre ist willkürlich. Sie ist ohne Sinn und Verstand und dient einzig dem Ziel, die Neuverschuldung optisch unter 70 Milliarden DM zu treiben.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie waren doch auf Grund Ihrer inneren Zerstrittenheit und Entscheidungsunfähigkeit nicht in der Lage, während der achtwöchigen Beratungen auch nur 1 % des Haushaltsvolumens konkret zu kürzen. Damit wird erneut ein Haushalt verabschiedet, der nicht beschlußfähig ist. Die Stunde der Wahrheit kommt noch.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Ihr wolltet immer drauflegen!)

    — Es ist falsch, wenn Sie sagen, wir wollten drauflegen. Frau Kollegin Albowitz, wir haben keinen einzigen Antrag gestellt, bei dem die Nettokreditaufnahme erhöht werden muß.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie sollten keine Behauptungen in den Raum stellen, sondern Sie sollten sich vorher überzeugen.

    (Zuruf von der SPD: Sie war ja nie da!)

    Die Bundesregierung geht aber weiter: Sie spart nicht bei sich, sondern sie spart bei anderen — das ist ja viel einfacher —, bei denen nämlich, bei denen sich der Staat zur Erfüllung seiner gesellschaftlichen Aufgaben bedient. Wer der Jugendhilfe, den Wohlfahrtsverbänden oder den Institutionen der Entwicklungshilfe Geld entzieht, der muß einfach damit rechnen, daß dann seine Aufgaben nicht mehr durchgeführt werden.

    (Thea Bock [SPD]: Das sind aber staatliche Aufgaben!)

    Deshalb ist das natürlich auch ein Signal an die Wirtschaft, aber ein negatives. Die Sperre schafft erneut Unsicherheit. Sie blockiert die Haushalte der Zuwendungsempfänger. Sie zieht einen Rattenschwanz von Auftragsstornierungen nach sich, Aufträge, von denen die Wirtschaft lebt und die Arbeitsplätze sichern. Die Rezession wird multiplikativ verstärkt.
    Natürlich muß gespart werden. Auch die SPD bejaht das Sparziel von 5 Milliarden DM. Wir haben unsere Mithilfe im Haushaltsausschuß angeboten. Wir haben eine ganze Latte von Vorschlägen für den Abbau von Subventionen, von Steuervergünstigungen und -minbrauch vorgelegt. Keinen einzigen haben Sie aufgegriffen.
    Meine Damen und Herren, die Rückführung der strukturellen Defizite verlangt, daß die Staatsausgaben langsamer wachsen als das Sozialprodukt. Das setzt aber zweierlei voraus: ein glaubwürdiges Programm zur Begrenzung der Staatsausgaben und eine Politik, die für ausreichendes Wirtschaftswachstum zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sorgt. Über beides verfügen Sie nicht. Selbst die beschlossenen



    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    Sozialkürzungen setzen nicht am strukturellen, sondern am konjunkturellen Defizit an.
    Herr Bundesfinanzminister, Ihr Konsolidierungsziel, das Sie auch heute nachmittag wieder beschworen haben, ist das eines durchschnittlichen Ausgabenanstiegs von 2,5 % jährlich. Das ist reine Makulatur, und Sie wissen das selbst. Wir haben Ihnen das in der letzten Debatte schon vorausgesagt. Im Durchschnitt der letzten vier Jahre stiegen die Ausgaben des Bundes, Herr Kollege Roth, um jährlich 6 %; nicht um 2,5 %, sondern um jährlich 6 %.

    (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Und davor?)

    Im laufenden Jahr beschleunigt sich der Anstieg Ihrer Ausgaben sogar auf 8 %.

    (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Und von 1982 bis 1983?)

    1994 sind es bisher 6 %, allerdings ist Ihre Haushaltssperre da schon eingerechnet. Auch im Jahr 1994, Herr Kollege Roth, werden Sie nicht unter insgesamt 7 % am Jahresende wegkommen. Ich sage Ihnen das heute schon.
    Sie treiben immer wieder das gleiche Spiel: Die Ausgabenentwicklung wird grundsätzlich zu niedrig angesetzt, um Erfolge zu signalisieren. Wenn die positiven Annahmen dann zu negativen Ergebnissen beim Haushaltsvollzug geworden sind, setzt sich das Spiel fort: Die Konsolidierung wird schlicht und einfach ein paar Jahre weiter nach vorne geschoben.

    (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das hat Herr Stoltenberg auch schon gemacht!)

    So waren Sie bei der Nettokreditaufnahme im Bundeshaushalt 1994 vor zwei Jahren noch bei 30 Milliarden DM. Jetzt sind Sie bei 70 Milliarden DM. Im laufenden Jahr sind Sie deutlich über 70 Milliarden DM. Bei ehrlicher Veranschlagung der Kosten für die Arbeitslosigkeit und der Einnahmenseite werden es 1994 weit über 80 Milliarden DM sein. Herr Finanzminister, die 8 Milliarden DM bei der Bundesanstalt für Arbeit

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Neun!)

    — 9 Milliarden DM sogar — haben Sie doch da nur geparkt, damit Sie sie nicht in Ihre Nettokreditaufnahme einrechnen müssen.

    (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das ist Täuschung!)

    Ich sage Ihnen: Sie werden mit diesen Beträgen nicht hinkommen. Wir werden schon nach einem halben Jahr des Haushaltsvollzuges sehen können, daß die 90 Milliarden DM im nächsten Jahr für Sie kein Fremdwort sein werden. Das macht uns große Sorgen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Leider wahr!)

    Wenn ich alle Ihre Nebenhaushalte dazunehme, Herr Minister, dann wird sicherlich auch Ihnen schwindlig. Dann kommen Sie nämlich deutlich auf über 150 Milliarden DM Nettokreditaufnahme in einem Jahr. 150 000 Millionen DM nehmen Sie in nur einem Jahr über die zusätzliche Verschuldung auf.
    Mittelfristig sind die steigenden Finanzierungsbeiträge für Europa, für die Bahnreform, die Kosten des Entschädigungsfonds und auch die konjunkturellen Steuerausfälle noch nicht berücksichtigt. Das sind alles Risiken in der Größenordnung von zweistelligen Milliardenbeträgen.
    Die Staatsfinanzen können kollabieren, ohne daß Sie imstande sind, klare Antworten zu geben und Zukunftsvertrauen zu erwecken. Ein Aufschwung, Herr Minister, ist leider nicht in Sicht. Für eine Belebung fehlen alle Anzeichen. Der Sachverständigenrat hat das ebenfalls gesagt. Kommen da neue Steuern und Abgaben, um die Defizite zu begrenzen, frage ich Sie. Bei den Einsparungen haben Sie selbst das Ende der Fahnenstange signalisiert.
    Wie reagieren die Verbraucher auf weiter sinkende Realeinkommen, wie die Finanzmärkte, wenn wieder Nüchternheit über die Bewertung Ihrer Spargesetze einkehrt? Sie haben sich in eine ausweglose Schuldenfalle manövriert. Aus ihr wird sich diese Regierung nicht mehr befreien können.

    (Beifall bei der SPD)

    „Endstation Staatsbankrott", so nannte die CSU 1980 eine Wahlkampfanzeige. Den Text möchte ich Ihnen gerne einmal vorlesen. Ich zitiere:
    Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte liegt jetzt annähernd bei der Ziffer, welche uns Hitler als Ergebnis seines Wahnsinnskrieges hinterlassen hatte, bei 400 Milliarden DM.

    (Rudolf Purps [SPD]: Hätten wir die doch nur!)

    Das war der Stil der politischen Auseinandersetzung zu Zeiten, als Sie in der Opposition waren: Vergleiche zwischen Hitler und einer demokratisch gewählten Regierung.
    Herr Bundesfinanzminister, in der Sprache von damals wären Ihre 2 150 Milliarden DM Staatsverschuldung jetzt doch bestimmt der Weltuntergang.

    (Beifall bei der SPD)

    Für all diese Schuldentürme kann weder die Sondersituation der deutschen Einheit noch allein die wirtschaftliche Rezession haftbar gemacht werden. Es ist die Quittung für ein Politikversagen Ihrer Regierung seit den 80er Jahren, als Sie die stabile Konjunkturlage, Herr Finanzminister, nicht zu Strukturreformen angesichts der sich abzeichnenden Fehlentwicklungen in Staat und Gesellschaft nutzten.

    (Beifall bei der SPD)

    Statt dessen wurde eine Politik der Klientelbedienung betrieben und auf Pump finanziert. Da liegen die eigentlichen Ursachen für die große Verschuldungskrise. Das ist die Quittung für Unterlassungen, Fehlentscheidungen und Versäumnisse beim Aufbau Ostdeutschlands. Das zusammen ist die wahre Erblast, die Sie dem deutschen Volk aufgebürdet haben und



    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    die eine neue Regierung ab 1995 wird abtragen müssen.

    (Beifall bei der SPD — Karl-Heinz Spilker [CDU/CSU]: Das haben Sie schon ein paarmal gesagt!)

    Herr Bundesfinanzminister, Sie nehmen wie selbstverständlich die Ausnahmeregelung von der Schuldenbegrenzung nach Art. 115 des Grundgesetzes in Anspruch. Die Bindung der Kreditaufnahme an die Investitionsausgaben nach Art. 115 geht von der Erwartung aus, daß die Investitionen rentierlich sind, weil sie produktiv in die Zukunft wirken und damit sich selbst tragen.
    Konsequenterweise ist die Schuldenbegrenzung dann aufgehoben, wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nachhaltig gestört ist und mit der Neuverschuldung eine Politik finanziert wird, die nachvollziehbar und glaubwürdig zur Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes führt. Damit sollte die optimale Entfaltung des Wachstumspotentials einer Volkswirtschaft ermöglicht werden.
    Bei dieser Zielsetzung wäre es auch gerechtfertigt, die kommenden Generationen, die den Nutzen einer so verstandenen Wachstumspolitik haben werden, an ihrer Finanzierung über Zins und Tilgung der Verschuldung zu beteiligen. Diese Voraussetzungen sind bei Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht mehr gegeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Ihre Schuldenpolitik führt zu einer Lähmung der Staatstätigkeit und nicht zur Wiedergewinnung von Wachstum und Beschäftigung. Dies läßt sich unschwer an der Entwicklung der Zins-Steuer-Quote ablesen: Von 1990 bis 1995 wird die Zinslast des Staates auf 160 Milliarden DM mehr als verdoppelt sein. Die Zins-Steuer-Quote des Bundes liegt schon 1995 nach Ihrer eigenen Finanzplanung bei 24 %. Die Tendenz geht danach realistischerweise gegen 30 %. Das bedeutet, daß mindestens ein Viertel des Steueraufkommens durch Zinsen aufgefressen wird,

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Dicker Hund!)

    Steuern, die hart erarbeitet werden müssen und dennoch nicht zur Verbesserung der Lebenschancen der Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen.
    Zur Durchbrechung der Finanzkrise bedarf es einer Politik umfassender Strukturreformen von Staat und Gesellschaft. In einem solchen Zusammenhang, Herr Finanzminister, stellt sich auch die Frage nach der Staatsschuld anders dar. In einem solchen Konzept ist Verschuldung zukunftsorientiert, weil sie Arbeits- und Lebensmöglichkeiten eröffnet, weil die Staatsfinanzen künftig solide über Steuereinnahmen finanziert werden. Weil aber Ihre desolate Finanzpolitik die Chancen auf die Zukunft verstellt, steht Ihre Verschuldungspolitik längst nicht mehr im Einklang mit unserer Verfassung.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wichtige Strukturreformen bleiben einfach liegen. Forschung und Technologie sowie Bildung und Wissenschaft sind für die
    Stärkung der deutschen Position auf den Weltmärkten von entscheidender Bedeutung. Alle reden von Innovationen,

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die SPD bringt sie!)

    von neuen Produkten und neuen Ideen. Geschehen ist nichts, alles nur Rhetorik.

    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Gentechnikgesetz!)

    Der Forschungs- und der Bildungsetat gehen zurück. Sozialdemokratische Vorstöße werden abgebügelt. Tagtäglich Erfindungsreichtum und Innovationsbereitschaft anzumahnen, die inneren Reformen des Forschungs- und Bildungsbereichs jedoch liegenzulassen und gleichzeitig das materielle Fundament dafür zu zerschlagen: Das alles, meine Damen und Herren, paßt doch einfach nicht zusammen.

    (Beifall bei der SPD — Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unverantwortlich!)

    Was Sie auch vergessen, meine Damen und Herren: Der Mensch lebt nicht von Brot allein.

    (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ein Gläschen Wein gehört dazu!)

    Ich frage Sie, Herr Finanzminister: Sind Sie sich eigentlich klar darüber, in welchem Maße Phantasie für Innovationsarbeit nötig ist? Wissen Sie eigentlich, wo man Phantasie bildet? Beispielsweise im Kulturbereich. Wissen Sie, daß der Staat durch Theater, durch bildende Künste wichtige Voraussetzungen schaffen muß, um Innovationen zu erreichen? Gehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, eigentlich den richtigen Weg, indem Sie gewachsene Kulturstätten in Ostdeutschland rigoros sterben lassen?

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Seit wann ist der Bund hierfür ausschließlich zuständig?)

    Darf man das auf die Frage des Finanzausgleichs reduzieren, Herr Finanzminister?

    (Beifall bei der SPD)

    Würden Sie hier den gleichen Maßstab anlegen wie beim Erhalt der Bundeswehr nach Beendigung der weltweiten Bedrohung, so kämen Sie wohl zu einem ganz anderen Ergebnis.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ergänzend zu einem anderen wichtigen Thema kommen, dem Steuerrecht.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Es ist doch jetzt schon zuviel!)

    Ihr Steuerrecht ist zu einer Wachstumsbremse geworden.

    (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Das ist wohl wahr!)

    „Steuerchaos", „Wegwerfgesetze" und „Mißbrauch" sind Schlagworte, die von denen in die Welt gesetzt werden, die mit Ihrem Steuerrecht umgehen müssen, die Ihre Gesetze anwenden müssen und die davon sprechen, daß Ihr Steuerrecht nicht nur ungerecht ist, sondern auch investitionsfeindlich und daß es jede



    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft verhindert.
    „Leistung muß sich wieder lohnen", haben Sie früher einmal gesagt. Doch gerade die am dringendsten benötigten Leistungen, vermehrter Einsatz von Arbeit und vermehrte Anstrengungen zum Umweltschutz, machen Sie durch Ihre Politik besonders unrentabel. Sie fördern mit Ihrer Steuergesetzgebung die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Zerstörung der Umwelt. In falscher Solidarität mit den Interessenverbänden der Unternehmen und durch Klientelpolitik räumen Sie der steuerlichen Begünstigung von Geldkapital Vorrang gegenüber dem produktiven Sachkapital ein.

    (Beifall bei der SPD)

    Der geradezu widersinnige Akt, die Begünstigung der Finanzanlagen durch Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer bei gleichzeitiger Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen, wurde von der SPD eben noch verhindert. Die Mineralölsteuer wird bei Ihnen zu einem rein fiskalischen Finanzierungsinstrument ohne jede verkehrspolitische oder ökologische Steuerungsfunktion.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist leider wahr!)

    Die Einführung einer Energiesteuer wird einfach ad acta gelegt. In Ihrem Steuerdickicht bleibt zunehmend die Gerechtigkeit auf der Strecke. Das Gesetz zur Bekämpfung des Steuermißbrauchs ist eine reine Farce.

    (Detlev von Larcher [SPD]: Ein Feigenblatt!)

    Sie haben ein Klima erzeugt, in dem Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft einen Umfang angenommen haben, daß die gesellschaftliche Akzeptanz des Steuersystems ausgehöhlt wird.
    Meine Damen und Herren, den größten Flop hat sich der Bundesfinanzminister mit der Zinsabschlagsteuer geleistet.

    (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Das kann man wohl laut sagen!)

    Dieser Flop setzt allem die Krone auf.

    (Rudolf Purps [SPD]: Ja! Unglaublich!)

    Er erweist sich wirklich als der größte Flop in der Steuerpolitik.

    (Beifall bei der SPD — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Luxemburg läßt grüßen!)

    Wenn Ihnen hier 12 Milliarden DM in der Kasse fehlen, Herr Finanzminister, dann haben nicht Ihre Beamten falsch gerechnet, sondern dann steht dahinter eine Kapitalflucht in einer Größenordnung von fast 400 Milliarden DM. Diese ist dadurch bedingt, daß Ihre Gesetze unwirksam waren. Das war von vornherein eine Anstiftung zur Steuerflucht.

    (Beifall bei der SPD — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Und das ist strafbar!)

    Meine Damen und Herren, nicht die Höhe der Steuerquote ist für uns das zentrale Thema in diesem
    Land, sondern die ungerechte und investitionsfeindliche Verteilung der Steuerlast. Deshalb wollen wir Sozialdemokraten eine grundlegend neue Ausrichtung unserer Steuerpolitik.

    (Beifall bei der SPD)

    Es besteht auch kein Zweifel, daß die von Ihnen zu verantwortende fehlerhafte Abstimmung von Finanz- und Geldpolitik zu einer entscheidenden Wachstumsbremse geworden ist. Weil der Finanzpolitik ein glaubwürdiges Programm zur Eindämmung der öffentlichen Defizite fehlte, trug die Bundesbank allein die Last der Stabilität der Währung. Die Ursache für das überhöhte Zinsniveau liegt bei Ihnen.

    (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Wo ist denn das Zinsniveau überhöht?)

    Aber, meine Damen und Herren, die Geldpolitik darf nicht einseitig das Ziel der Preisstabilität verfolgen; auch Wachstum und Beschäftigung müssen durch sie gestützt werden. Die Entscheidung der Bundesbank, trotz der Rezession die Leitzinsen 1992 zu erhöhen, hat die Krise verschärft, die Arbeitslosigkeit verstärkt und dem europäischen Einigungsprozeß Schaden zugefügt. Die Erhöhung des Außenwertes der D-Mark um durchschnittlich 16 % in den letzten anderthalb Jahren hätte nur durch eine Kostenreduzierung im entsprechenden Umfang aufgefangen werden können. Dazu hätte es aber beispielsweise einer Lohnstückkostenreduzierung um rund 40 % bedurft. Eine solche Reduzierung gibt es in keinem Unternehmen, weder in Deutschland noch in Japan, noch sonst irgendwo auf der Welt.

    (Beifall bei der SPD)

    Derartige von der Finanz- und Geldpolitik zu verantwortende Verwerfungen können weder auf der Kostenseite noch durch das technologische Zukunftspotential der Exportwirtschaft kurzfristig wettgemacht werden. Für die exportorientierte Wirtschaft wurden deshalb sehr viel mehr Probleme durch die Währungspolitik verursacht, als jemals Gewerkschaften mit Lohnabschlüssen hätten verursachen können.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Was wir Ihnen hier vorwerfen, ist die bewußte Verharmlosung dieser Zusammenhänge.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!)

    Sie konzentrieren die Debatte statt dessen auf einen einzigen Punkt, nämlich auf die angebliche Lohnkostenkrise. Die deutschen Löhne — lassen Sie sich das einmal vom „Handelsblatt" sagen — sind im Durchschnitt der Jahre national nicht aus dem Ruder gelaufen. Zum Problem wird die Kostenstruktur nach Umrechnung in fremde Währungen. Laden Sie deshalb nicht finanzpolitisches Versagen bei den Gewerkschaften ab!

    (Beifall bei der SPD)

    Da sind Sie nicht anders als manche im Arbeitgeberlager, die das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen



    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    mit der Brechstange als Gipfel der Kreativität und Innovation ansehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie merken gar nicht, daß Sie an dem Ast sägen, auf dem Sie sitzen.

    (Rudi Walther [Zierenberg] [SPD]: Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, Sie haben auch das ökonomische Einmaleins vergessen. Die Nachfrage steigt nicht, wenn Löhne und Sozialleistungen sinken. Das führt nur immer tiefer in die Rezession und in eine Nachfragekrise.
    Im übrigen: Wo bleiben denn Ihre konstruktiven Vorschläge,

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Die haben sie nicht!)

    mit dem Gewerkschaftslager ins Gespräch zu kommen, wenn es beispielsweise um die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital geht? Da ist bei Ihnen Sendepause auf der ganzen Linie.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Die Bundesregierung betreibt mit ihrem ständigen Jammern über zu hohe Löhne, zu hohe Sozialleistungen, zu hohe Umweltstandards, zu wenig Innovation, zu wenig Forschung schlicht eine Standortzersetzung. Sie wurden nicht zum Miesmachen gewählt, sondern zum Handeln!

    (Beifall bei der SPD)

    Statt dessen produzieren Sie Papiere: Herr Rexrodt natürlich über die Sozialpolitik, über Arbeitsvermittlung und Nebenkosten; Herr Blüm antwortet im Gegenzug mit Thesen zur Wirtschaftspolitik, zum Subventionsdschungel und zum Steuerchaos.
    Ich will Ihnen nicht Absicht unterstellen, aber mit all Ihrem Getue erzeugen Sie bei den Menschen nichts als Angst und Verdrossenheit.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)

    Herr Waigel, eine Politik, die Angst und Abwendung erzeugt, statt Zuversicht zu vermitteln, ist eine gescheiterte Politik.

    (Beifall bei der SPD)

    Unser Land, meine Damen und Herren, braucht jetzt eine verläßliche Orientierung, eine gesamtdeutsche Strategie für Wachstum, Beschäftigung und Erneuerung. Damit werden wir Sozialdemokraten die öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der CDU/CSU: Vorschläge!)

    Ich will hier keine Nachhilfe betreiben,

    (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wenngleich Sie alle es natürlich nötig hätten.


    (Beifall bei der SPD — Erneuter Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    — Na gut, versuchen wir es mal. Ob Sie es begreifen, weiß ich nicht. Aber ich will Ihnen sagen, wie wir die Probleme anpacken würden.

    (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir hören!)

    Nur dann, wenn durch die Überwindung der Rezession die Steuereinnahmen verbessert und die Kosten der Arbeitslosigkeit verringert werden, kann eine durchgreifende Konsolidierung der Staatsfinanzen, Herr Finanzminister, gelingen. Deshalb ist die Finanzpolitik bei der Sanierung der Staatsfinanzen auf eine wirksame Wirtschaftspolitik angewiesen, nicht auf eine Wirtschaftspolitik, die in der Gastwirtschaft gemacht wird.

    (Beifall bei der SPD — Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Jawohl, Rexrodt muß weg! — Zuruf von der CDU/CSU: Werden Sie doch einmal konkret!)

    Die Sozialdemokraten stellen die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit an die erste Stelle. Dieser Herausforderung müssen sich alle anderen Aufgaben unterordnen — nicht weil sie weniger wichtig wären, sondern weil sie sonst nicht gelingen. Weder der Aufbau Ost noch die Angleichung der Lebensverhältnisse noch der ökologische Umbau der Industriegesellschaft, weder die Sanierung der Staatsfinanzen noch die Einigung Europas ist ohne eine Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit möglich.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wer den Menschen die Angst vor dem Verlust ihrer Arbeit nicht nehmen kann, Herr Finanzminister, kann sie auch nicht für andere Aufgaben und für andere, neue Ziele gewinnen.

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb haben Sozialdemokraten die Ziele Arbeit und Umwelt immer miteinander verknüpft. Wir zeigen den Menschen, daß ökologische Modernisierung einer Volkswirtschaft eine Technologie der Zukunft ist,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Blabla!)

    die Arbeit sichert und neue Arbeitsplätze schafft.
    Im übrigen, Herr Waigel: Wie wollen Sie die Menschen eigentlich für Europa begeistern, wenn es sich um ein „Europa der Arbeitslosigkeit" handelt?

    (Rudolf Purps [SPD]: Das überläßt er dem bayerischen Ministerpräsidenten! Der kann das!)

    Glauben Sie wirklich, daß die Menschen diesem Europa ihre Währung anvertrauen wollen? Deshalb brauchen wir nicht den nationalen, sondern den europäischen Beschäftigungspakt.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Sanierung der Staatsfinanzen verlangt nach einer mittelfristig angelegten Konsolidierungsstrategie. Wir wollen — in Abhängigkeit von der konjunkturellen Lage — die Begrenzung des Ausgabenanstiegs auf eine Zuwachsrate, die spürbar unter dem Nominalzuwachs des Bruttosozialprodukts liegt. Dies erfordert aber eine durchgreifende Durchforstung der Staatsaufgaben und Einsparungen auch bei den Per-



    Helmut Wieczorek (Duisburg)

    sonalausgaben, insbesondere durch den Abbau personeller Überkapazitäten.
    Dazu gehören Einsparungen wie die Kürzung der Rüstungsausgaben auf Grund neuer sicherheitspolitischer Konzeptionen und eine weitere Verringerung des Streitkräfteumfangs.

    (Zuruf von der F.D.P.: Das ist eine uralte Leier!)

    Dazu gehören auch die degressive Ausgestaltung und zeitliche Befristung von neuen Subventionen und der schrittweise Abbau bestehender Subventionen.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU])

    Dazu gehört aber auch, Frau Kollegin Albowitz, der Abbau überflüssiger Steuervergünstigungen, gegen den Sie sich immer wehren,

    (Beifall bei der SPD)

    das Schließen von Steuerschlupflöchern, die bessere Erfassung von Spekulationsgewinnen, die energische Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Subventionsbetrug sowie ein entschiedenes Vorgehen gegen Schwarzarbeit und den Mißbrauch staatlicher Leistungen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir wollen eine Unternehmensteuerreform für Innovationen und Zukunftsinvestitionen, eine ökologische Steuerreform, die neue Wachstumsmärkte erschließt und den Faktor Arbeit entlastet.
    Und schließlich: Es muß dabei immer gerecht zugehen. Die Finanzierungslast des Staates muß wieder gerecht verteilt werden.
    Meine Damen und Herren, Finanzpolitik muß Politik für Menschen möglich machen. Sie darf nicht spalten, sondern muß die Lebensverhältnisse bessern helfen. Wir können die Bedürfnisse der Menschen nicht wegsparen, sondern müssen versuchen, sie zu befriedigen. Gute Politik und gute Finanzpolitik muß von den Menschen verstanden werden können, wenn sie akzeptiert werden soll. Deshalb wissen wir, daß wir unsere Ziele nur in Solidarität und im gesellschaftlichen Konsens verwirklichen können.
    Ich danke Ihnen sehr.

    (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster spricht unser Kollege Adolf Roth.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Adolf Roth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Ausschußsacharbeit besteht zwischen den Haushaltspolitikern der Koalition und der Opposition mehr Gemeinsamkeit, als man nach den wortreichen Attacken meines Vorredners vermuten könnte. Der Kollege Wieczorek ist gekommen und hat sozialdemokratische Antworten angekündigt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hat es versucht!)

    Wir waren sehr gespannt darauf, solche Antworten zu hören, denn eben erst hatte ja der neue Sprecher aus dem Saarland auf dem Parteitag öffentlich zugegeben, daß es sozialdemokratischen und sozialistischen Regierungen in ganz Europa bisher nirgends gelungen ist, Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen oder gar zu beseitigen. Deshalb waren wir auf die Antworten der SPD, die Sie angekündigt hatten, gespannt. Aber Sie haben hier nur eine Suada von Beschimpfungen abgeliefert. Dies ist keine Alternative.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich wäre froh, wenn wir in drei Punkten Übereinstimmung hätten. Ich will versuchen, sie konkret zu benennen.
    Erstens. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist unausweichlich und vorrangig, und wir brauchen Vertrauen, Vertrauenssignale, wenn wir den wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland schaffen wollen.
    Zweitens. Wir müssen die Sparstiefel anbehalten, weil höhere Schulden oder zusätzliche Steuern in dieser Situation kein Ausweg, sondern ein Irrweg sind.
    Drittens. Weil die konjunktur- und strukturbedingten Wachstumsengpässe den Verteilungsspielraum inzwischen auf Null gebracht haben, sind wir auf Umschichtungsspielräume und öffentliche Ausgabenbeschränkungen angewiesen.
    Meine Damen und Herren, das sind die Grundfragen, über die jetzt in der Haushaltsdebatte gestritten werden muß: um die besseren Lösungen für eine Politik des Wiederaufschwungs in Deutschland.
    Uns verbindet im Haushaltsausschuß über die Fraktionen hinweg ein Grundverständnis von der Wahrnehmung des parlamentarischen Budgetrechts. Wir hätten — das will ich eingangs mit einem Ausdruck von wirklich kollegialer Freundlichkeit anmerken — den ungewöhnlichen Beratungsmarathon von 120 Stunden zum Haushalt 1994 nicht erfolgreich zum Abschluß bringen können, wenn wir nicht in Rudi Walther von der SPD einen ungewöhnlich guten Ausschußvorsitzenden hätten.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei der SPD)

    So etwas sagen wir offen und ehrlich. Wir scheuen nicht vor einem Lob zurück, denn Rudi Walther, eben erst 65 Jahre jung geworden, führt seit inzwischen zehn Jahren den Haushaltsausschuß souverän und unangefochten. Es ist ein wichtiger Stuhl. Er steht traditionell der Opposition zu,

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Dann kannst du ja schon üben!)

    und diese Tradition sollte auch dann, wenn Rudi Walther im nächsten Jahr, wie er angekündigt hat, aus dem Parlament ausscheidet, ein guter Nachfolger aus den Reihen der SPD wahrnehmen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Lieber Rudi Walther, dies ist Ihre letzte große Haushaltsrunde mit dem Etat 1994, Anlaß genug, persönlichen Dank auszusprechen für die straffe und stets kollegiale Abwicklung unseres voluminösen



    Adolf Roth (Gießen)

    Beratungsstoffes. Ich finde — man kann das ruhig einmal hier im Parlament sagen —, an Rudi Walther kann sich jeder Nachfolger und jede Nachfolgerin eine Scheibe abschneiden.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Ich möchte in den Dank gerne auch all die übrigen einbeziehen, die eine Hervorhebung verdient haben: den bewährten Vizevorsitzenden des Ausschusses, Klaus Rose, unsere Kolleginnen und Kollegen aus der gemeinsamen Arbeitsgruppe der CDU/CSU und F.D.P., insbesondere Dr. Wolfgang Weng, den Sprecher der F.D.P., mit der wir gerade bei dieser schwierigen Haushaltsrunde immer wieder zu vernünftigen Kompromissen gekommen sind.

    (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das war aber dringend nötig!)

    Unsere Arbeit war stets von Effektivität und Zielbezogenheit geprägt.
    In den Dank einschließen möchte ich aber auch alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Abgeordnetenbüros, in den Stäben der Arbeitsgruppen, im Sekretariat des Haushaltsausschusses. Sie alle haben ziemlich rackern müssen, und sie haben Streßresistenz bewiesen. Mit solchen Mitarbeitern kann man Staat machen. Sie verdienen unsere Anerkennung.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, ich möchte auch dem Bundesfinanzminister Theo Waigel ein Wort des Dankes aussprechen;

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nee, nee!)

    denn er hat in dieser konjunkturell schwierigen Situation und in dieser wichtigen Aufbauphase in Deutschland nach der Wiedervereinigung mit den schwierigsten Part im Regierungsgeschäft zu tragen. Dies gilt auch für seine Leitungs- und Führungsstäbe, für seine beiden Staatssekretäre, den tatkräftigen Parlamentarischen Staatssekretär Jürgen Echternach und den neuen beamteten Staatssekretär Dr. Overhaus, unseren langjährigen Mitstreiter als Haushaltsdirektor. Aber auch all die vielen Mitarbeiter im Ministerium, insbesondere in der Haushaltsabteilung, haben große Mühe aufgewandt, um mit uns gemeinsam, in der Partnerschaft zwischen Regierung und Parlament — je in eigener Verantwortung — die Politik des Haushaltsabschlusses herbeizuführen. Wir sehen, daß wir gerade jetzt in der deutlichen Beschränkung öffentlicher Ausgaben einen Schwerpunkt unserer Politik setzen müssen, wenn wir den begonnenen und sich in vielen Details Gott sei Dank schon abzeichnenden Prozeß des konjunkturellen Umschwungs und Aufschwungs meistern wollen.
    Meine Damen und Herren, die von den Koalitionsparteien getroffenen haushaltspolitischen Beschlüsse sprechen eine auf Zukunft und Stabilität gerichtete Sprache. Erst letzte Woche hat der Sachverständigenrat die verläßliche und umfassende Konsolidierung der Staatsfinanzen über Ausgabekürzungen als die wichtigste politische Aufgabe bezeichnet. Diese Aufgabe, so sagt der Sachverständigenrat, duldet jetzt keinen zeitlichen Aufschub, wenn man nicht auf Jahre
    hinaus den Spielraum der Finanzpolitik noch stärker einengen will, als dies in Deutschland bereits der Fall ist.
    In der Opposition und bei einigen sogenannten alternativen Sachverständigen gibt es allerdings Stimmen, die besagen, in der gegenwärtigen Wirtschaftslage müsse der Staat zunächst seine Konsolidierungsanstrengungen zurückstellen und auf der expansiven Spur nachfragestützender Ausgaben verhauen.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das Ende der D-Mark!)

    Genau das gleiche hat eben der Kollege Wieczorek eingebracht,

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, das stimmt nicht!)

    indem er kritisierte, daß durch die Politik der entschlossenen Sparsamkeit und Konsolidierung auf Deutschland angeblich ein Nachfrageausfall von 35 Milliarden DM zukäme.

    (Rudolf Purps [SPD]: Wieder völlig falsch verstanden!)

    Meine Damen und Herren, dieses Denken, diese Positionen sind für uns nicht neu. Wir kennen sie sattsam noch aus den 70er Jahren. Sie waren teuer, und sie waren im Ergebnis fruchtlos.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Rudolf Purps [SPD]: Da klatschen ja nur zweie!)

    Im Gegensatz zur Politik der SPD hat die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. in den 80er Jahren empirisch deutlich unter Beweis stellen können, wie man durch eine strikte Begrenzung der staatlichen Ansprüche und durch eine Rückführung der Ausgaben Vertrauen schaffen und Wachstumskräfte freisetzen kann. Die Reduzierung von Staatsdefiziten behindert das wirtschaftliche Wachstum nicht, sie ist im Gegenteil eine Politik, die positive Vertrauenseffekte und stabile Erwartungen bei der investierenden Wirtschaft nährt und damit Vertrauen auf den Märkten schafft. Solidität und Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik fördern den Aufschwung und die privatwirtschaftliche Dynamik. Genau darauf sind wir in Deutschland nach der Wiedervereinigung angewiesen. Deshalb hätte ich gerade von der SPD erwartet, daß sie nicht nur die Politik der Bundesregierung in einem Totalverriß kritisiert, sondern mit einem eigenen stabilen Konzept in die Debatte eingreift.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Die haben doch keines! — Rudolf Purps [SPD]: Sie müssen zuhören!)

    Meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat hält es für das durchschlagende Rezept, und er fordert dies auch mit besonderer Dringlichkeit ein. Er bestreitet, daß eine Politik wachsender Defizite einer konjunkturellen Erholung überhaupt dienlich sein könne. Eine Ausweitung des Staatsdefizits sei nicht nur wirkungslos — so sagt der Sachverständigenrat —, sondern kontraproduktiv, weil auf längere Sicht mit einer erhöhten Abgabelast zu rechnen sei und dies



    Adolf Roth (Gießen)

    den Spielraum der privaten Aktivitäten einschränken würde.
    Schaut man sich unter diesem Blickwinkel die Etatbeschlüsse der Koalition genauer an, dann verdeutlichen sie den schwierigen, aber — wie ich finde — gelungenen Balanceakt zwischen Sparzwang und Konjunkturstabilisierung. Das Ausgabevolumen des Haushalts 1994 in Höhe von 480 Milliarden DM mit einer Steigerung von 4,8 % brutto, reduziert um die durchgeleiteten Aufwendungen der Bahnreform von 2,9 %, signalisiert die Bereitschaft der Koalition, unter Wahrung strikter Stabilitätskriterien die Folgen der gravierenden Arbeitsmarkteinbrüche sozial aufzufangen, zugleich aber den Prozeß des haushaltspolitischen Umdenkens ohne Rücksicht auf anstehende Wahltermine zu beschleunigen.
    Nach dem Föderalen Konsolidierungsprogramm ist auch das Spar- und Wachstumspaket der Koalition mit Entlastungen von zunächst 21 Milliarden DM, später ansteigend auf 29 Milliarden DM, lückenlos parlamentarisch umgesetzt worden.
    Übrigens profitieren, Herr Kollege Wieczorek, Länder und Gemeinden durch die hierin enthaltenen Entlastungen mit einem Gesamtvolumen zwischen 4 und 6 Milliarden DM. Man sollte das erstens nicht verschweigen und zweitens auch die Länder an ihre Pflichten gegenüber den Kommunen erinnern; denn dort liegt ja der engste Verwaltungszusammenhang begründet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Darüber hinaus haben CDU/CSU und F.D.P. im Haushaltsverfahren den sachlich unausweichlichen Sparprozeß weiter vorangetrieben. Zusätzlichen Ausgabewünschen ist seitens der Koalition konsequent ein Riegel vorgeschoben worden. Durch harte Sparschritte und gezielte Ansatzreduzierungen wurden bei Einnahmen und Ausgaben insgesamt Etatentlastungen von 10 Milliarden DM erzielt. Insbesondere auch die ausgebrachte globale Minderausgabe in Höhe von 5 Milliarden DM bei den sächlichen Verwaltungsausgaben und Zuschüssen ist ein vertrauensbildender Schritt von großer Bedeutung. Damit wird die Einhaltung einer Defizitgrenze von unter 70 Milliarden DM ermöglicht und zugleich ein Signal an die Geldpolitik gegeben, die schrittweise Rückbildung des Zinsniveaus in Deutschland fortzusetzen.
    Meine Damen und Herren, in einer Zeit, da sich die Bürger wirtschaftlichen Einschränkungen unterwerfen müssen, setzen wir mit diesem Kürzungsbeschluß ein unmißverständliches Zeichen dafür, daß auch der Staat seinen eigenen Bereich von umfassenden Sparanstrengungen nicht verschonen kann und nicht verschonen wird.
    Zusammen mit den hierfür ausgebrachten Haushaltssperren verschärft die globale Minderausgabe die öffentliche Ausgabendisziplin. Wir wissen, daß dies ein harter, aber letztlich unausweichlicher Eingriff ist. Sämtliche Einzelpläne der Ressorts müssen einen fairen Teil des Einsparvolumens erbringen, unter angemessener Schonung zukunftsorientierter Vorhaben der deutschen Politik.

    (Zuruf von der SPD: Wie denn?)

    Die Möglichkeit der Verlagerung der Sperre erlaubt zudem in der Praxis auch eine flexible Handhabung.

    (Zuruf von der SPD: Ohne Parlament!)

    Im Aufdecken eigener Schwachstellen sind jetzt die Häuser aufgefordert, Phantasie und Kreativität walten zu lassen. Insbesondere müssen auch Zuschüsse und Zuweisungen mit Subventionscharakter noch einmal scharf unter die Lupe genommen werden.
    Der Vorwurf der Opposition, soeben vom Kollegen Wieczorek wiederholt, dieser vom Parlament auf erlegte, für manchen in der Tat überraschend deutliche Sparbeschluß stelle eine Bankrotterklärung dar,

    (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist es!)

    wird für die SPD zum politischen Bumerang.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Er fällt auf jene SPD-Regierungen und jene Kommunen zurück, die den Konsolidierungszwängen durch Blockadepolitik auszuweichen versuchen.
    Unser Beschluß ist ein Signal auch an den Bundesrat. Er verschärft den sachlichen Druck, die Spar- und Wachstumsgesetze ohne Abstriche nun im Vermittlungsverfahren passieren zu lassen. Der Bundeshaushalt kann sich nicht durch die Blockadepolitik der Lander weitere Defizite aufdrängen lassen.
    Meine Damen und Herren, dennoch sind diese Sparschritte und die verhängte Haushaltssperre nicht in der Lage, die Nettokreditaufnahme des Bundes 1994 auf ein wirklich verträgliches Maß zu reduzieren. Mit 69,1 Milliarden DM bleibt die Kreditaufnahme überhöht und liegt außerhalb des ursprünglich festgelegten Zielkorridors. Dies hat aber Gründe, und zwar, wie ich finde, Gründe, über die man offen diskutieren muß. Der wichtigste Grund ist der von der deutschen Politik geleistete Aufbaubeitrag in Ostdeutschland. Ich glaube, daß uns diese Zukunftsinvestitionen, die sich in von Jahr zu Jahr verstärkten Transfers für die neuen Bundesländer niederschlagen, auch eines Tages eine positive Erfolgsbilanz im Sinne einer wirtschaftlichen Modernisierung und Revitalisierung liefern werden.
    Über die im Regierungsentwurf enthaltenen Ansätze hinaus mußten aber auch deutliche Ausgabeerhöhungen und Verminderungen der Steuereinnahmen hingenommen werden, die nach der jüngsten Schätzung um 2,7 Milliarden DM für 1994 niedriger ausgefallen sind als erwartet.
    Meine Damen und Herren, allein für die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit mußten zusätzliche 7 Milliarden DM eingeplant werden, und die aktualisierten Mehrausgaben im Sozialhaushalt bringen mit einer Summe von 2 Milliarden DM auch spiegelbildlich zum Ausdruck, welche Dynamik unsere Sozialleistungsgesetze in einer Periode wirtschaftlicher Wachstumsschwäche haben. Wo konjunkturelle Impulse ausbleiben, kann auch der Haushalt nicht zaubern. Dies muß offen eingeräumt werden. Aber



    Adolf Roth (Gießen)

    genauso gilt der Satz, daß fehlendes Geld nicht durch Parteitagsbeschlüsse ersetzt werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, ohne das massive Gegensteuern bei den ausgabeträchtigen Leistungsgesetzen und ohne die konsequente Absage an jedwede Plafonderweiterung wäre die Nettokreditaufnahme 1994 auf die Rekordmarke von 100 Milliarden DM hochgeschnellt. Dies hätte niemand politisch verantworten können. Gerade Deutschland kann sich kein stabilitätswidriges Verhalten gegenüber den Finanzmärkten leisten. Immerhin hat auch die SPD dem Bundesfinanzminister im Haushaltsausschuß anerkennend bescheinigt, mit seiner Politik die Turbulenzen auf den Währungsmärkten in diesem Sommer erfolgreich in den Griff bekommen zu haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir schließen uns dieser anerkennenden Bestätigung gerne an. Nach wie vor gehört die D-Mark zu den stabilsten Spitzenwährungen der Welt. Darauf sind wir stolz.
    Herr Kollege Wieczorek, wie Sie das in Ihrem Redebeitrag als Ausdruck einer in Deutschland verworfenen Finanzpolitik darstellen können, bleibt Ihr Geheimnis. Jeder weiß, daß in diesem Sommer ohne den von der Bundesregierung und der Koalition eingeschlagenen Weg der Konsolidierung die deutsche Bundesbank nicht in der Lage gewesen wäre, innerhalb von zehn Monaten siebenmal die Leitzinsen abzusenken. Die politischen Bemühungen zur Verbesserung des Standorts Deutschland erfordern im weiteren konzentrierte Anstrengungen, um die seit 1989 dramatisch veränderten Quoten bei Staatsausgaben, Steuern und Sozialbeiträgen wieder nach unten zu korrigieren. Auch dieses Ziel setzt rasche Erfolge bei der Begrenzung der Ausgabendynamik voraus. Wir wollen und müssen eine Ausgabenlinie unterhalb des nominalen Wirtschaftswachstums erhalten, d. h. wir müssen den Ausgabenzuwachs des Bundeshaushalts bis 1997 im Schnitt auf jährlich 2,5 % begrenzen. In der Phase von 1983 bis 1989 haben wir schon einmal diese Konsolidierungslinie unter heftigem Dauerprotest der SPD-Opposition und unter zum Teil wüsten Kaputtsparbeschimpfungen konsequent durchgehalten. Es hat sich in konsolidierten Finanzen und in einer mehrstufigen Politik der Steuersenkung niedergeschlagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Vier Millionen Arbeitslose!)

    — Verehrter Herr Kollege Wieczorek, Sie sollten bei der Wahrheit bleiben. 1989 haben wir drei Millionen mehr Arbeitsplätze gehabt als zu dem Zeitpunkt, als Sie ihre Regierungsverantwortung in Deutschland abgeben mußten. Das ist die Situation.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Vier Millionen Arbeitslose haben Sie!)

    Jetzt endlich, auf dem SPD-Parteitag in Wiesbaden, hat Herr Scharping mit zehnjähriger Verspätung die Richtigkeit der Koalitionslinie bestätigt und in sein
    eigenes Programmvokabular aufgenommen, nämlich die Steigerung der öffentlichen Ausgaben unterhalb des Potentialzuwachses der Wirtschaft zu halten.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie tun es ja nicht!)

    Meine Damen und Herren und Frau Matthäus Maier, ich kann nur hoffen, daß Sie nicht weitere zehn Jahre verstreichen lassen, bis Sie aus diesem qualvollen Prozeß des Umdenkens endlich auch praktische politische Schlüsse ziehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da lachen ja die Hühner!)

    Für uns jedenfalls gilt: Mit den ab 1995 neu justierten bundesstaatlichen Finanzbeziehungen muß auch ein Zielkonzept 2000 in Gang gesetzt werden, das die Rückführung der Staatsquote, die Rückführung der Steuer- und Abgabenlast sowie der tolerierbaren Haushaltsdefizite in festgelegten Prozeßschritten auf die Basiswerte von 1989 wieder verbindlich macht.