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    Plenarprotokoll 12/171 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 171. Sitzung Bonn, Dienstag, den 7. September 1993 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Rolf Koltzsch und Dr. Hans Stercken 14683 A Verzicht der Abgeordneten Dr. Harald Schreiber, Wolfgang Roth und Gerhard O. Pfeffermann auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 14683 B Eintritt der Abgeordneten Walter Schell, Kurt Palis, Christa Lörcher und Wolfgang Erler (Waldbrunn) in den Deutschen Bundestag 14683 B Benennung des Abgeordneten Dr. Uwe Jens als ordentliches Mitglied im Infrastrukturrat beim Bundesminister für Post und Telekommunikation 14683 B Benennung des Abgeordneten Dietrich Austermann zum Mitglied im Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank . . 14683 C Erweiterung der Tagesordnung 14683 D Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1994 (Haushaltsgesetz 1994) (Drucksache 12/5500) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1993 bis 1997 (Drucksache 12/5501) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms — 1. SKWPG — (Drucksache 12/5502) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms — 2. SKWPG — (Drucksache 12/5510) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz) (Drucksache 12/5630) Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 14684 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 14694 D Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 14702 A Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 14707 B Ingrid Matthäus-Maier SPD . 14708A, 14718B Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14708C, 14720B Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . . 14712B Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14715 A II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. September 1993 Hans Peter Schmitz (Baesweiler) CDU/ CSU 14716D Joachim Poß SPD 14721 A Hans H. Gattermann F.D.P. . 14722C, 14728 D Hermann Rind F.D.P. 14724 A Joachim Poß SPD 14724B, 14726C Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU 14726 A Detlev von Larcher SPD 14726D Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14730B Georg Gallus F.D P 14730 D Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 14731 B Nächste Sitzung 14732 C Berichtigung 14732 Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14733* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 171. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. September 1993 14683 171. Sitzung Bonn, den 7. September 1993 Beginn: 14.00 Uhr
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    Berichtigung 167. Sitzung, Seite III, linke Spalte: Bei Anlage 2 ist hinter dem Namen „Bodo Seidenthal" der Name „Dr. Fritz Gautier" sowie „SPD" einzufügen. Auf Seite 14416D ist in Zeile 1 hinter dem Namen „Bodo Seidenthal" der Name „Dr. Fritz Gautier" sowie in der Klammer zusätzlich das Wort „beide" einzufügen. Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bartsch, Holger SPD 7. 9. 93 Becker (Nienberge), SPD 7. 9. 93 Helmuth Dr. Blunk (Lübeck), F.D.P. 7. 9. 93 Michaela Börnsen (Bönstrup), CDU/CSU 7. 9. 93 Wolfgang Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 7. 9. 93* Clemens, Joachim CDU/CSU 7. 9. 93 Ebert, Eike SPD 7. 9. 93 Dr. Fischer, Ursula PDS/LL 7. 9. 93 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 7. 9. 93 Dr. Gautier, Fritz SPD 7. 9. 93 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 7. 9. 93 Jaunich, Horst SPD 7. 9. 93 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Koschnick, Hans SPD 7. 9. 93 Kretkowski, Volkmar SPD 7. 9. 93 Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 7. 9. 93 Michels, Meinolf CDU/CSU 7. 9. 93* Dr. Müller, Günther CDU/CSU 7. 9. 93* Opel, Manfred SPD 7. 9. 93** Pfuhl, Albert SPD 7. 9. 93 Reuschenbach, Peter W. SPD 7. 9. 93 Dr. Riedl (München), CDU/CSU 7. 9. 93 Erich Dr. Scheer, Hermann SPD 7. 9. 93* Seiler-Albring, Ursula F.D.P. 7. 9. 93 Stachowa, Angela PDS/LL 7. 9. 93 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 7. 9. 93 Gert Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 7. 9. 93 *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Weng


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein, Herr Kollege Ullmann, da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Wenn das vorhersehbar gewesen wäre, hätten wir in einer Reihe von Dingen sicher politisch anders gehandelt, als wir es getan haben. Hinterher zu sagen, es sei vorauszusehen gewesen, ist relativ einfach. Sie finden in der Politik wie in den Medien natürlich immer welche, die es vorausgesagt haben. Das ist aber genau der Typ Kassandra: Wer Schlechtes voraussagt, hat irgendwann einfach recht. Im Grundsatz konnte eine solche Voraussage, wie Sie sie hier anmahnen, damals nicht gemacht werden.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. UweJens Heuer [PDS/Linke Liste])

    Die Schulden des Bundes steigen im vorgelegten Etat 1994 bedrohlich. Deswegen können auch ausbleibende Steuereinnahmen nicht beliebig durch höhere Verschuldung ausgeglichen werden.
    Es stellen sich aus heutiger Sicht zwei Fragen.
    Erstens. Springt die Wirtschaft tatsächlich in der zweiten Jahreshälfte spürbar an, ist die Talsohle überwunden? Ich hoffe sehr, daß sich das angekündigte Licht am Ende des Tunnels nicht als Glühwürmchen mitten im Tunnel entpuppt. Die Haushaltsprobleme würden dann eklatant größer.
    Zweitens. Es bleibt die Frage, ob es uns gelingt, den Standort Bundesrepublik so auszugestalten, daß möglichst schnell und auf längere Sicht wieder Wachstum in Zukunftsbranchen stattfindet, daß neue



    Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

    Arbeitsplätze in moderner industrieller Fertigung entstehen können und daß damit auch die Basis für den weiteren Ausbau im Dienstleistungsbereich geschaffen wird. Im anderen Fall wird das Wohlstandsniveau unserer Bürger nicht zu halten sein. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Es ist gut, daß in dieser Situation die Bundesregierung auf Vorlage des Bundeswirtschaftsministers ein Papier zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland vorgelegt hat. Es ist schade, daß im Kabinett einige der genannten und notwendigen Maßnahmen verbessert und ein wenig auf der Zeitachse hinausgeschoben worden sind. Ich nenne nur als Beispiel das immer wieder beliebte Thema des Subventionsabbaus. Für die Zukunft ist hier eine ganze Menge versprochen. Im Augenblick gibt es offene Wünsche.
    Im Bereich Subventionsabbau gibt es auch interessante Einzelheiten. Unser Kollege Carl-Ludwig Thiele hat entdeckt, daß entgegen dem erklärten politischen Willen des Bundestages ein Teil der sogenannten Zonenrandförderung immer noch weiterläuft. Im Jahr 1991 ist seinerzeit beschlossen worden, die Zonenrandförderung auslaufen zu lassen. Eine geschickte Regie hat hier erreicht, daß steuermindernde Rücklagen von 50 % von beabsichtigten Investitionen gebildet werden dürften, auch wenn diese Investitionen erst bis zum Jahre 1997 getätigt werden. Die dem Staat entstehenden Einnahmeverluste hieraus werden auf weit über 1 Milliarde DM geschätzt. Kein Zweifel, daß es für die Betroffenen, im wesentlichen wohl in Bayern, angenehm ist, aber es geht an dem, was wir hier erklärt und gewollt haben, vorbei.

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Der Mann hilft mir im Wahlkampf!)

    – Der Zwischenruf des Herrn Bundesfinanzministers, ich helfe ihm damit im Wahlkampf, läßt mich schließen, daß man hier die richtige Sache angetippt hat und wir diese noch mit Sorgfalt nachverfolgen müssen.
    Meine Damen und Herren, die Vorlage aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist in weiten Teilen von allen Sachverständigen für richtig erachtet worden, vor allem auch von den Sachkundigen aus der Wirtschaft selbst. Daß parteipolitisch motivierte Kritik sofort aufkam, als die Springer-Presse einen einzelnen Punkt, nämlich das Stichwort Renten, thematisierte, war zu erwarten. Nun kann man trefflich darüber diskutieren, ob es im Augenblick der richtige Zeitpunkt war, über die mögliche Rentensituation des Jahres 2010 zu spekulieren. Ich hoffe sehr, daß nicht größere Zahlen von Mitarbeitern im Bundeswirtschaftsministerium derzeit mit Fragen der Rentenhöhe im Jahre 3000 beschäftigt sind. Aber wenn das Thema Renten schon angesprochen war, dann kann man es konsequenterweise ehrlich diskutieren und sollte es nicht mit der Hoffnung auf kurzfristigen Wahlkamfspeck mit einem Tabu belegen.
    Das Standortpapier macht hierzu Aussagen; sie sind nicht ganz so klar. Die Frage bleibt im Raum, wie das System künftig verändert werden muß, um den Generationenvertrag zu erhalten. Dabei gibt es eine Reihe von Größen, die heute nicht abschließend bekannt sind, z. B. die Frage der Zuwanderung. Jeder weiß, daß Lebensarbeitszeit und Bevölkerungsentwicklung, daß vor allem aber die Zahl der Arbeitsplätze und natürlich die Beitragshöhe in direktem Bezug zum zukünftigen Rentenniveau stehen. Dies bedarf keiner Erläuterung. Jeder weiß auch — und hierfür stehen erklärtermaßen alle politischen Parteien in der Bundesrepublik —, daß die Menschen in Zukunft sicher sein können, eine gerechte Altersversorgung zu erhalten. Frau Matthäus-Maier, was Sie heute erneut versucht haben, ist schäbig, nämlich Zweifel und Angst hieran zu säen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Bei dem Stichwort Standortsicherung aus Haushältersicht stellen sich für die Zukunft Fragen, die die Politik in den kommenden Jahren wird beantworten müssen. Dabei geht es auch um das Bild Deutschlands, um das deutsche Ansehen in der Welt. Die Bundeshauptstadt Berlin hat sich um die Ausrichtung der olympischen Spiele im Jahre 2000 beworben. Wir hoffen, daß dieses internationale Fest der Jugend tatsächlich in Berlin stattfinden kann. Das wird aber bedeuten, daß der Bund helfen muß. Und das wird dann heißen: Einsparungen in Bereichen, in denen sie bisher nicht vorgesehen sind.
    Nach der Entscheidung über den Austragungsort der Olympiade müssen dann die Überlegungen bezüglich des Umzugs von Bundestag und Bundesregierung nach Berlin ausgestaltet werden. Das heißt, es muß dann auch der Öffentlichkeit klargemacht werden, wann, in welchem Zeitraum und zu welchen Kosten dieser Umzug stattfinden soll.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover hat sich mit Unterstützung der Bundesregierung vor der Wiedervereinigung um die Ausrichtung der EXPO 2000 bemüht. Sie hat den Zuschlag erhalten. Nach der Wiedervereinigung ließe sich dieses Projekt als Schaufenster deutscher Leistungskraft für die ganze Welt unter Einbeziehung neuer Bundesländer noch besser gestalten. Natürlich müssen das Land Niedersachsen und die Stadt Hannover den notwendigen Anteil an Vorleistungen erbringen und vor allem auch politisch uneingeschränkt hinter dieser EXPO stehen. Es kommt nicht in Frage, daß die Landesregierung mit gespaltener Zunge spricht, die GRÜNEN gegen das Projekt agieren und dann, wenn der Bund finanziell zur Hilfe aufgefordert wird, sich der Ministerpräsident in dem sonnt, was der Bund unterstützt. Aber es wäre nach meinem Erachten peinlich, wenn die wichtige Wirtschafts- und Exportnation Deutschland eine solche Chance der weltweiten Selbstdarstellung nicht nutzen würde; denn der Standort Deutschland wird ganz wesentlich durch das internationale Ansehen, durch die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer exportierenden Wirtschaft bestimmt. Auch hier ist neuer Anschub notwendig.
    Lassen Sie mich hierzu einige einleuchtende Beispiele der jüngeren Vergangenheit nennen, die direkt oder indirekt mit dem Bundeshaushalt zu tun haben.



    Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

    Zum Beispiel die Magnetbahn Transrapid. Wir haben die Entwicklung dieser Magnetschwebebahn mit enormen Summen aus dem Bundeshaushalt finanziert, und jetzt gilt der Transrapid als einsatzbereit. Es ist allgemeine Auffassung, daß eine Referenzstrecke in Deutschland erforderlich ist, weil dieses Hochtechnologieprodukt sonst schwer oder gar nicht zu exportieren sein dürfte, und es besteht die Gefahr, daß die Firma ihr mit der Unterstützung aus dem Bundeshaushalt erworbenes Know-how abgibt.
    Ich weiß, daß in der Vergangenheit aus der Wirtschaft bezüglich der Verwirklichung sehr vollmundige Versprechungen gemacht worden sind, die sicherlich so nicht eingehalten werden. Ich weiß aber auch, daß es keine Referenzstrecke geben wird, wenn hierzu nicht der politische Wille vorhanden ist, wenn sich nicht die Politik, z. B. der Bundesverkehrsminister, an die Spitze dieser Bewegung setzt. Mit Dampflokomotiven, meine Damen und Herren, wird die deutsche Exportindustrie keine Exportmärkte erobern.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

    Zum Beispiel der Intercity-Express. Wir alle hören mit Freude, daß es in den Vereinigten Staaten großes Interesse an diesem Zug gibt, der vermutlich das Beste ist, was derzeit auf dem Weltmarkt als Hochgeschwindigkeitszug angeboten wird. Ich habe auch mit Interesse gelesen, daß sich Taiwan sehr stark für diesen Zug interessiert. Ein tatsächlicher Exporterfolg wäre ein wichtiges Signal. Aber das uns befreundete und sehr eng verbundene Südkorea hat sich zunächst für das französische Konkurrenzmodell entschieden. Diese Entscheidung bedeutet gerade auch aus der Sicht asiatischer Mentalität eine bittere Niederlage für Deutschland. Vielleicht hätten frühzeitige politische Signale von höherer Ebene dem deutschen Angebot noch mehr Gewicht gegeben. Besonders in Asien achtet man auf solche Signale.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir haben durchaus weiterhin Grund, selbstbewußt aufzutreten, aber gerade weil wir diesen Grund haben, müssen wir auch asiatischen Freunden klarmachen, daß es im Handel keine totalen Einbahnstraßen geben darf. Vor allem Japan, aber auch Korea und andere Länder schotten ihre Märkte partiell ab, sind dafür aber teilweise mit Dumping-Methoden mit ihren Produkten auf anderen Märkten vorhanden. Dies dürfen wir bei aller Freundschaft nicht auf Dauer hinnehmen.
    Zum Stichwort „selbstbewußtes Auftreten" erlauben Sie mit noch ein Wort zur deutschen Selbstdarstellung im Ausland: Immer nur Negativ-Darstellungen verstärken natürlich das Gefühl, daß in Deutschland eine Art Weltuntergang herrsche — ein Gefühl, das sich weltweit tatsächlich ausbreitet. Dabei läßt sich doch trotz aller Schwierigkeiten und trotz aller Probleme für viele Menschen in unserem Land die bisherige Bewältigung der deutschen Einheit in schwieriger weltpolitischer Lage durchaus positiv darstellen. Ich sage Ihnen: Gerade in einem anderen geteilten Land, in Koera, beobachtet man diese
    Bewältigung sehr aufmerksam, und da ist es sicherlich
    nicht gut, wenn Negativ-Darstellungen überwiegen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es beeindruckt in anderen Ländern auch nicht, wenn eine große Zahl deutscher Ministerpräsidenten und halbe Landtage anreisen, um den staunenden Gastgebern deutsche parlamentarische Streitkultur vorzuführen. Und wenn ein früherer Bundeskanzler ins ferne Korea reist, um den Menschen dort zu erzählen, wie schlimm es in der Bundesrepublik aussieht, nicht ohne den peinlichen Hinweis, daß, wenn er noch Kanzler wäre, natürlich alles besser ginge, dann bringt das das Bild Deutschlands und damit auch den Standort Deutschland nicht voran.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Die Außendarstellung der Bundesrepublik Deutschland sollte zuallererst durch die Bundesregierung stattfinden, die Außenpolitik durch den Herrn Bundesaußenminister; der macht das auch am besten.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wenn sich Herr Kinkel, wie in seinem Interview in dieser Woche angekündigt, künftig im Ausland etwas stärker für deutsche Wirtschaftsbelange einsetzen will, ist dies kein Fehler.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Die Reisediplomatie von Kommunal- und Landespolitikern dagegen bringt die Bundesrepublik nicht voran.
    Auch nach der erneuten Absenkung der Ausgaben bleibt der Haushalt des Verteidigungsministeriums einer der großen Einzeletats. Ich möchte an dieser Stelle erneut den jetzigen und früheren Angehörigen der Bundeswehr den ausdrücklichen Dank der F.D.P. aussprechen. Wer sich vor Augen hält, in welcher Weise die neue Situation der äußeren Sicherheit in Mitteleuropa eine große Zahl von Menschen persönlich belastet hat, ihre Lebensplanung verändert hat, der muß voller Hochachtung für diese Bereitschaft sein, solche Lasten zu tragen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich weiß nicht, ob es in der Geschichte ein einziges Beispiel gibt, daß eine Armee auf Grund politischer Vorgaben so radikal — und im Effekt bei uns: so problemlos — verkleinert wurde, wie das in Deutschland infolge der Zwei-plus-Vier-Vereinbarung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung erforderlich war.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die Leistung des Bundeskanzlers!)

    Verteidigungsbereitschaft, aber auch zukünftige Aufgaben der Bundeswehr in einer veränderten Welt haben weiterhin ihren Preis. Wir Abgeordneten haben mit Blick auf die Haushaltssituation immer wieder die Frage vor uns — wir bekommen sie immer wieder gestellt —, warum wir uns z. B. die Einsätze der



    Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

    Bundeswehr in anderen Ländern leisten, wenn doch überall gespart werden muß.

    (Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS/Linke Liste]: Ja!)

    Ich bin der Überzeugung — und das entspricht auch der Beschlußlage der F.D.P. —, daß die deutsche Politik in der Lage sein muß, alle möglichen Plfichten der Vereinten Nationen zu erfüllen. Bei den anstehenden Hilfeleistungen dürfen wir dann auch nicht hintanstehen. Leicht fallen uns diese Ausgaben aus Haushaltssicht nicht. Aber wir können doch sicher nicht solche Leistungen von anderen, viel ärmeren Ländern in der Welt verlangen, ohne selbst mitzuhelfen, wenn es z. B. in Somalia darum geht, Tausende von Menschen vor dem Verhungern zu retten.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    In Zeiten knappen Haushalts muß die Situation der nationalen Rüstungsindustrie neu definiert werden. Diejenigen, die sich mit dem Etat befassen, wissen, daß die Beschaffungen gegenüber dem, was früher war, extrem verringert worden sind. In anderen Ländern führt eine vergleichbare Situation, wie man ständig der Presse entnehmen kann, zu einer massiven Ausweitung des Rüstungsexports. Dies wollen wir für Deutschland nicht. Aber dann muß eine Schwerpunktbildung stattfinden. Ich glaube, sie muß im Bereich Forschung liegen. Dies ist ebenso wichtig wie die Tatsache, daß die industriellen Partner Anspruch auf langfristige Planung und auf ehrliche Partnerschaft haben. Der Verteidigungsetat in seinem verkleinerten Umfang wird künftig stärker als in der Vergangenheit auch industriepolitische Überlegungen über längere Zeiträume berücksichtigen müssen.
    Meine Damen und Herren, die Haushaltspolitik der F.D.P.-Fraktion hat sich in der Vergangenheit immer sehr stark an den Aussagen der Deutschen Bundesbank orientiert. Für die Stabilitätspolitik der Deutschen Bundesbank gibt es für uns keine Alternative. Eine Inflationspolitik, wie sie Helmut Schmidt einmal propagiert hat, kommt für uns nicht in Frage. Eine solche Politik zerstört nämlich nicht nur das Vertrauen im In- und Ausland, sie zerstört auch das Vermögen der Menschen, die im Vertrauen auf den Staat Konsumverzicht geleistet und ihr Geld gespart haben. Daß die stabile Deutsche Mark in der Übergangsphase nach der deutschen Einheit auch den Zufluß ausländischen Kapitals nach Deutschland erleichtert, ist naheliegend. Wir hoffen, daß dieser Zufluß bald nicht mehr in gleichem Umfang notwendig ist. Im Augenblick aber brauchen wir ihn und sind dankbar dafür.
    Die Deutsche Bundesbank hat die Politik der Bundesregierung in den vergangenen Jahren natürlich auch kritisiert. Manche der kritischen Äußerungen stellen sich im nachhinein als berechtigt dar. Auch der damalige Umtauschkurs der Ost-Mark erweist sich jetzt in vieler Hinsicht als zu hoch. Daß die Bundesbank aber trotzdem ihre Zinspolitik jetzt verändert, daß sie ihren Zinskurz ein wenig gelockert hat, zeigt uns, daß die jetzt eingeleitete Wende, daß die von uns beschlossenen Maßnahmen richtig sind und daß insbesondere das verabschiedete Sparpaket der richtige Weg ist.
    Die Kürzungen im Sozialbereich innerhalb dieses Pakets sind erwartungsgemäß heftig kritisiert worden. Ich glaube, daß das Kürzungsvolumen bei einem Gesamtumfang von Sozialleistungen in der Bundesrepublik von über 1 000 Milliarden DM im Jahr 1992 trotzdem noch erträglich ist.

    (Widerspruch des Abg. Ottmar Schreiner [SPD])

    Die Ausgaben im Bundeshaushalt steigen ja sogar weiter an, nur ist der Umfang dieser Steigerung verringert worden.
    Natürlich werden weitere finanzpolitische Anstrengungen erforderlich sein. Und natürlich hoffen wir auch, daß uns weitere Zinssenkungsschritte durch die Deutsche Bundesbank helfen. Die Kritik, die von dort an den Zinssubventionen aus dem Bundeshaushalt kommt, nehmen wir ernst. Die Bundesregierung ist aufgefordert, es in diesem Bereich jetzt genug sein zu lassen. Der Geldmarkt kommt sonst zusätzlich in Unordnung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Es muß allgemein gestrichen werden!)

    Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung beinhaltet Risiken. Meine Damen und Herren, ein Risiko betrifft natürlich die Politiker selbst innerhalb wie außerhalb der Regierung. Wir wissen, welche Einsparungen im Regierungsentwurf am schwersten gefallen sind. Wir wissen, welche Forderungen nach Mehrausgaben am populärsten sind. Die Frage wird sein, ob die Koalition ihrem selbstgesteckten Ziel treu bleibt, nämlich keine Ausweitung der Ausgaben ohne Finanzierung zuzulassen. Dies hat das Bundeskabinett beschlossen. Dies haben die Koalitionsfraktionen beschlossen und mehrfach bekräftigt und verstärkt. Hieran müssen wir uns dann messen lassen, wenn unsere Beratungen zu Ende sind.
    Dies betrifft im Haushaltsverfahren auch die bisher als Einsparung vorgeschlagenen Positionen Schlechtwettergeld, Arbeitnehmersparzulage, Zuschüsse für den Erhalt von Kulturgütern in Ostdeutschland und anderes mehr.
    Die Forderung allein nach Mehrausgaben ist wohlfeil, egal wie gut sie begründet ist. Ich will auf Gegenargumente in der Sache in diesem Zusammenhang verzichten, weil ich nicht den Eindruck erwekken will, als stelle sich die F.D.P. inhaltlich grundsätzlich gegen solche Forderungen. Im Gegenteil, Sie wissen, sie sind teilweise von meinen Kollegen erhoben worden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es richtig!)

    Aber wenn wir alle geforderten, notwendigen und wünschenwerten Dinge zusätzlich nur als Ausgaben in den Bundeshaushalt aufnehmen würden, ohne sie durch Kürzungen an anderer Stelle auszugleichen, dann hieße dies weiteres rapides Anwachsen der Nettoneuverschuldung. Die Signalwirkung hieraus wäre negativ, und da Haushaltskonsolidierung ja auch ein Teil Standortsicherung ist, würden wir unseren eigenen erklärten politischen Zielen entgegenhandeln.



    Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)

    Dies ist auch ein Appell an die Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag in den Fachausschüssen: Schlagen Sie uns für unsere Beratungen im Haushaltsausschuß bitte keine Mehrausgaben vor, ohne im Bereich Ihrer eigenen Etats hierfür auch Kürzungsvorschläge mitzuliefern!
    Ein letzter Satz an den Herrn Bundesfinanzminister. Sie haben, Herr Bundesfinanzminister, signalisiert, daß nach den Steuererhöhungen bei der Mineralölsteuer und dem Solidaritätszuschlag, den die F.D.P., wie Sie wissen, gerne befristet hätte, die Steuerschraube für die nächsten Jahre aus Ihrer Sicht nicht weiter angezogen werden darf.

    (Zuruf von der SPD)

    Diese Aussage ist notwendig, sie ist wichtig. Sie ist auch aus unserer Sicht richtig.
    Sollten aber, was ich nicht hoffen will, die erwarteten Einnahmen hinter den heutigen Steuerschätzungen zurückbleiben, so müßte nach unserer Überzeugung zur Sicherung des Haushalts erneut über weitere Einsparungen geredet werden. Insofern hoffen wir sehr, gemeinsam mit den Kollegen von der Union, daß eine positive wirtschaftliche Entwicklung uns vor dieser Last bewahrt.
    Die F.D.P.-Bundestagsfraktion und in ihrem Auftrag die Abgeordneten der F.D.P. im Haushaltsausschuß werden zusammen mit der Union die Detailberatungen am Bundeshaushalt 1994 mit großer Sorgfalt aufnehmen. Wir wissen, daß wir von der Opposition hier keine Hilfe in der Arbeit erwarten können. Bisher aber hat die Mehrheit der Koalition im Haushaltsausschuß nach 1982 noch jede Regierungsvorlage deutlich verbessert.
    Hieran wollen wir erneut mitwirken. Hierfür wollen wir und hierfür werden wir sorgen. Dies soll auch für den Bundeshaushalt 1994 erneut so werden.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat nunmehr die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Barbara Höll


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Haushalts- und Finanzdebatte soll nach dem Willen der Bundesregierung und der Koalition ganz im Zeichen der Auseinandersetzung über die Zukunft des angeblich stark gefährdeten Standorts Deutschland stehen. Da auch die SPD-Bundestagsfraktion eine Arbeitsgruppe „Standort Deutschland" eingerichtet hat, scheint die Lage sehr ernst zu sein.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nur deswegen?)

    — Scheint! — So aktuell diese Debatte auch sein mag, so ist sie Ouvertüre nur zur Neuinszenierung eines alten Stücks.
    Ich möchte meinen Beitrag zu dieser Debatte mit einem etwas längeren Zitat beginnen:
    Die Grundlinien des Reformplans der Regierung
    sind ein vollkommen ausgeglichener Haushaltsplan, Selbständigmachen der Arbeitslosenversicherung, Sparsamkeit auf allen Gebieten, auch an den Gehältern, Vereinfachung des behördlichen Apparates, insbesondere auf dem Gebiet der Steuerverwaltung, eine Steuerpolitik, die den Produktionsprozeß nicht unerträglich belastet, vielmehr die Kapitalbildung ... fördert.
    In dieser Rede forderte der Kanzler unter anderem,
    daß eine gewisse Beweglichkeit in die Gehälter und Löhne gebracht werde. Die Aufgabe, die zu hohen Preise für deutsche Produkte den Preisen auf dem Weltmarkt anzugleichen, sei für unsere wirtschaftliche Gesundung so wichtig, daß sie selbst dann durchgeführt werden müsse, wenn alle Bevölkerungsschichten unbequeme Opfer tragen müßten. Sozialpolitik um ihrer selbst willen sei ein Gebilde im luftleeren Raum.
    Es war jedoch nicht der Kanzler Helmut Kohl, der dies forderte, sondern der Kanzler Heinrich Brüning, der im Oktober 1930 vor dem Reichstag mit diesen Worten seine erste Notverordnung, der weitere folgten, verteidigte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wenn wir nur auf ihn gehört hätten, wäre uns viel erspart geblieben!)

    In einer Denkschrift mit dem Titel „Aufstieg oder Niedergang" heißt es:
    Ausgangspunkt für alle Maßnahmen der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik ist unter den für die deutsche Wirtschaft gegebenen Umständen die Förderung der Kapitalbildung. Sie ist die Voraussetzung für die Steigerung der Produktion und liegt daher im Interesse aller Schichten des deutschen Volkes. Die deutsche Wirtschaft muß von allen unwirtschaftlichen Hemmungen befreit werden.
    Diese am 2. Dezember 1929 vom Reichsverband der Deutschen Industrie veröffentlichte Denkschrift würde auch in Ton und Diktion in die grundlegend veränderte politische Landschaft im Jahre 3 des größer gewordenen Deutschlands passen. Unverkennbar sind die ideologischen Parallelen zwischen 1929 und 1993.
    Es war zwar nicht der Reichsverband der Deutschen Industrie, sondern dessen bundesdeutsche Variante, die am vergangenen Montag die Entwurfsfassung des Standortberichtes der Bundesregierung als nicht ausreichend kritisierte, aber die Motive, die hinter solchen Denkschriften und Erklärungen stecken, sind die gleichen wie 1929. Der Anteil der Sozialausgaben und der Staatsschulden am Bruttosozialprodukt soll gesenkt werden, damit der Staat den Unternehmern zwecks Profiterzielung zusätzliche Subventionen, steuerliche Vergünstigungen und zinsgünstige Kredite finanzieren kann.
    Der von der Bundesregierung vorgelegte Haushaltsentwurf 1994 und das zweiteilige Sparpaket stehen in der Traditionslinie der Brüningschen Notverordnungen. Damals wie heute gipfelt die haushaltspolitische Regierungskunst in Kürzungen bei Leistungen für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Damals wie heute werden Unternehmer mit Steuergeschenken überhäuft. Die Sparbeschlüsse der Bundes-



    Dr. Barbara Höll
    regierung bedeuten eine Kürzung der real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte. Sie werden im kommenden Jahr zu einem Rückgang des privaten Verbrauchs und zu einem Wachstumsverlust von einem Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts führen. Durch die Kürzungen bei den Lohnersatzleistungen sowie das Einfrieren der Sozialhilferegelsätze werden immer mehr Menschen der Armut preisgegeben. Durch den Rückzug des Staates aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik wächst die Zahl der Arbeitslosen. Der von der Bundesregierung durch Leistungskürzungen über den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit erhoffte Spareffekt von 10 Milliarden DM wird nicht erzielt. Weitere noch gnadenlosere Sparbeschlüsse zu Lasten der abhängig Beschäftigten und der Sozialhilfeempfänger werden folgen, wie Herr Waigel heute ankündigte. Der Preis der Ware Arbeitskraft soll weiter gedrückt, sprich: die Löhne sollen gekürzt und Arbeitszeitbeschränkungen sollen rückgängig gemacht werden. Durch Kürzung von Arbeitlosengeld und Arbeitslosenhilfe sowie durch Sozialhilfezahlungen unterhalb des Bedarfs soll der Druck auf die Beschäftigten erhöht werden, sich hierbei den verschärften Arbeitsbedingungen willig zu unterwerfen. Menschen ohne Arbeit werden als Schmarotzer gebrandmarkt, gegen die gar nicht hart genug vorgegangen werden kann.
    Die Unterordnung und Disziplinierung der Menschen wird sowohl durch ökonomischen Druck als auch durch eine ideologische Umerziehung bewirkt, die leider bereits Früchte zeigt. Umfragen signalisieren eine verstärkte Opferbereitschaft der Menschen zugunsten von Maßnahmen für eine Stärkung des Standorts Deutschland. Auch Reichskanzler Brüning hatte 1932 angesichts einer von ihm diagnostizierten weltweiten Strukturkrise an die Opferbereitschaft der — so wörtlich — „kleinen Existenzen" appelliert.
    Das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung hat Anfang Juli die neuen Konturen der wirtschaftspolitischen Diskussion in Deutschland umrissen und eine vermeintliche Struktur- und Kostenkrise in Westdeutschland ausgemacht. Unbestritten ist hierbei auch aus Sicht der PDS, daß die bundesdeutsche Wirtschaft vor strukturelle und konjunkturelle Probleme gestellt ist.
    Es gehört allerdings unserer Meinung nach schon ein gehöriges Maß an professioneller Blindheit dazu, um zu übersehen, daß die wirtschaftliche Situation in Ostdeutschland ganz andere Ursachen hat als die in Westdeutschland. Im Osten bestehen die Probleme auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft. Dort geht es um die Frage der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. In Westdeutschland dominiert dagegen eine Nachfrageschwäche, die aus einem Konflikt von Geld- und Lohnpolitik resultiert.
    Ich zitiere aus dem Bericht:
    Die Wirtschaftspolitik ist in Gefahr, auf der Basis einer falschen Diagnose zu handeln und damit Therapien anzuwenden, deren Wirkungen die Konstitution einer im Prinzip gesunden Volkswirtschaft erheblich schwächen können.
    Es gibt in Westdeutschland auch keine Kostenkrise; denn nur zweimal in den vergangenen 25 Jahren sind die Lohnstückkosten stärker gestiegen als im Durchschnitt der 18 wichtigsten Industrieländer. Die in ihrer Wettbewerbsfähigkeit angeblich so gefährdete westdeutsche Wirtschaft hat immerhin den ostdeutschen Markt erobert.
    Da die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung darauf ausgerichtet ist, die Interessen und Wünsche der Unternehmer zu befriedigen, und zu diesem Zwecke lediglich die Kampfbegriffe wechselt, die die Angriffe auf sozialstaatliche Errungenschaften legitimieren sollen, würde eine Debatte über Haushaltstitel und Einzelpläne mehr vernebeln als erklären.
    Welche Ideologie hinter den Aussagen der Bundesregierung zum gesamtwirtschaftlichen und finanzpolitischen Rahmen ihrer Haushalts- und Finanzpolitik steckt, ist den einzelnen Formulierungen ihres Finanzberichts zu entnehmen. Eine Folge des Zusammenbruchs der realsozialistischen Staaten ist nach Aussage der Bundesregierung, daß die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung langfristig neu strukturiert wird. In den osteuropäischen Ländern fürchtet sie — so wörtlich — „neue Konkurrenten im weltwirtschaftlichen Wettbewerb " um die erfolgversprechendsten Kapitalverwendungen.
    Es geht also um die Neuaufteilung der Reviere für die Profitjäger. Es geht um den verschärften, gnadenlosen Konkurrenzkampf im Weltmaßstab, dessen Verlierer und Opfer schon nicht mehr interessieren. Diese Konkurrenz umfaßt auch Kapitalverwertungsbedingungen. Das Kapital, dieses scheue Reh, darf nicht verschreckt werden. Damit es sich weiterhin lohnt, überschüssiges Kapital in der Bundesrepublik und nicht im Ausland möglichst gewinnträchtig anzulegen, gewährt die Bundesregierung deshalb Unternehmern Steuererleichterungen und verschont alle Gutverdienenden mit höheren Steuern, einer Arbeitsmarkt- oder Ergänzungsabgabe, die deren Einkommen mindern würde.
    Während diese Bundesregierung die Sozialleistungen kürzt, unternimmt sie nichts, um die steuerlichen Vorteile aus dem Ehegattensplitting, die sich für 1993 auf etwa 40 Milliarden DM beziffern lassen, abzubauen. Sie unternimmt nichts, um gegen die Steuerhinterziehung von Unternehmern wirksam vorzugehen. Würde die steuerliche Erfassungsquote nur um einen Prozentpunkt steigen, könnten Mehreinnahmen von 2,5 Milliarden DM realisiert werden. Die sogenannte Schattenwirtschaft führt zu jährlichen Steuerausfällen in einer Größenordnung von bis zu 130 Milliarden DM. Doch wenn, wie geschehen, der Bundeskanzler seinen Freunden aus Industrie und Wirtschaft aus guter Kameradschaft versprochen hat, daß er zum eisernen Sparen entschlossen ist, dann heißt das für die Besitzenden in diesem Lande Entwarnung.
    Nichts spricht stärker für diese These als ein Blick in die drei Gesetzentwürfe, die der Deutsche Bundestag in dieser Woche beraten soll. Nur die wenigsten der im Juli von der Bundesregierung beschlossenen Sparmaßnahmen gehen überhaupt zu Lasten der Bezieher höherer Einkommen.



    Dr. Barbara Höll
    Ein Subventionsabbau in nennenswertem Umfang erfolgt nicht. Sämtliche Kürzungen sozialer Leistungen, die über die Bundesanstalt für Arbeit abgewikkelt werden, sowie die Streichungen beim Kinder- und Erziehungsgeld bedürfen überdies nicht der Zustimmung der Länderkammer.
    Die SPD tönt zwar laut, sie wolle den Sozialabbau nicht mitmachen, und verweist dabei auf ihre Mehrheit im Bundesrat. Diese Bundesratsmehrheit würde allerdings bestenfalls Sozialkürzungen in Höhe von 685 Millionen DM verhindern können, denen Kürzungen in Höhe von rund 22,7 Milliarden DM entgegenstehen, die der Bund ohne Zustimmung der Länder im Bundestag beschließen lassen kann.
    Die beiden uns vorliegenden Gesetzentwürfe zur Umsetzung des Sparpakets enthalten ein Haushaltsvolumen von insgesamt rund 23,4 Milliarden DM im Jahre 1994, steigend auf 27,9 Milliarden DM bis 1997. Von dieser Summe könnte der Bundesrat einen Anteil zwischen 2,9 % und maximal 5,6 % durch sein Abstimmungsverhalten beeinflussen. Er könnte!
    Grausamer kann jedoch meines Erachtens die Bundesregierung hierbei ihre Lieblingsopposition SPD nicht blamieren als dadurch, daß sie exakt die Sozialkürzungen durch die Koalitionsmehrheit im Bundestag beschließen läßt, deren Verhinderung die Sozialdemokraten als Ergebnis ihres segensreichen Mitwirkens beim Solidarpakt bejubelten.
    Daß angesichts der wachsenden Zahl Arbeitsloser 1994 Kürzungen der arbeitsmarktpolitischen Ausgaben in einem Umfang von 13,7 Milliarden DM wirksam werden sollen, beweist den totalen Angriff der Bundesregierung auf die Bezahlung der menschlichen Arbeit.
    Es hat keinen Zweck, hier ausschließlich seiner moralischen Empörung Luft zu verschaffen. Die Bundesregierung handelt nicht etwa wider besseres Wissen, wenn sie Lohnersatzleistungen zusammenstreicht, sondern in treuer Pflichterfüllung gegenüber den Interessen der bundesdeutschen Wirtschaft. Die Arbeitslosen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, werden unter das Existenzminimum gedrückt — übrigens auch hier mit Unterstützung der SPD.
    Unterversorgung der Menschen ohne Arbeit und der Menschen, die als Flüchtlinge den Weg in dieses reiche Land gefunden haben — das ist das Programm dieser Bundesregierung, dem die SPD nur in Nuancen widerspricht. Deutsche Stammtische jubeln, wenn — auch hier hat die SPD den Weg freigemacht — Flüchtlinge die Sozialhilfe nicht mehr bar, sondern in Form von Sachleistungen erhalten.
    Mit dem im Solidarpakt bereits angekündigten Kampf gegen den angeblichen Mißbrauch sozialer Leistungen blies die Koalition zur Offensive gegen angebliche Schmarotzer und Sozialbetrüger.
    „Schmarotzer" — damit ist nicht jenes Drittel der Mitte Juni von der Bundesanstalt für Arbeit geprüften Unternehmen gemeint, bei dem es Rechtsverstöße wie Lohndumping zu Lasten von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie illegale Leiharbeit gab. „Sozialbetrüger" — das sind nicht jene Unternehmen, deren Baustellen nur auf dem Papier standen. Nein, der Angriff gilt den abhängig Beschäftigen, obwohl das Sündenregister der ebenfalls kontrollierten 12 500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ergab, daß nur 145 Bezieher von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe illegal arbeiteten. Das heißt, ganze 1,16% gehören zu dieser angeblichen Kategorie der Schmarotzer.
    Der Bundesarbeitsminister bescheinigte demgegenüber in einem Brief an den Präsidenten des Deutschen Groß- und Außenhandelsverbandes „einer Reihe von Arbeitgebern ... ein großes Maß an krimineller Energie, um die Solidargemeinschaft zu betrügen". Aber Konsequenzen zu Lasten dieser Unternehmen finden sich in den uns vorliegenden Gesetzentwürfen nicht.
    Das Mißbrauchs- und Steuerbereinigungsgesetz, das uns am Montag auf den Tisch flatterte, soll Konsequenzen in dieser Richtung nur vortäuschen.
    Diese Gesellschaft steht vor der größten Zäsur der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Solange die DDR und die anderen sozialistischen Staaten existierten, war die Bundesrepublik, sowohl materiell als auch ideologisch unterstützt durch die USA, verpflichtet, sich gegenüber Ostdeutschland als Schaufenster zu präsentieren. Es gab zwar keine gerechte Vermögensverteilung, aber den westdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wurde über Lohnzuwächse und verbesserte Sozialgesetzgebung vorgegaukelt, sie könnten an dem durch ihre Arbeit geschaffenen Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft teilhaben.

    (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

    Jetzt steht dieses Wirtschafts- und Gesellschaftssystem nahezu konkurrenzlos da. Westdeutsche Unternehmen können nun für die Kosten eines deutschen Arbeitnehmers zwei Ostdeutsche, zehn Ungarn, 17 Tschechen, 18 Polen, 38 Bulgaren oder 70 Russen beschäftigen. Die Folgen sind bekannt.
    Die Haushalts- und Finanzpolitik der Bundesregierung, der sie tragenden Koalition und der ihr in Grundfragen nicht widersprechenden SPD führt dazu, daß diese Gesellschaft in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt wird. Ostdeutschland wird eine Industriebrache, in ganz Deutschland verlieren Millionen Menschen ihre Arbeitsplätze, und diejenigen, die noch Arbeit haben, haben die Freiheit, sich zwischen den immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen und einem Leben unterhalb des Existenzminimums zu entscheiden.
    Wer nicht spurt, dem drohen Zwangsdienste, die zunächst noch „zweiter Arbeitsmarkt" genannt werden, damit die SPD zustimmen kann. Anpassung, Verzicht, Unterordnung — so wird den Menschen eingetrichtert — zahlen sich aus, sichern den Arbeitsplatz und stärken die deutsche Nation, an die inbrünstig jeder glauben soll, wer sich in dieser Gesellschaft nicht mehr zurechtfindet. Für die Anpassung und Ohnmacht entschädigt die Härte, mit der „die da oben" endlich mit allen aufräumen, die nicht mitmachen wollen, und das mittlerweile weltweit — siehe Somalia.



    Dr. Barbara Höll
    Ich möchte abschließen. Der Haushalt 1994 und die ihn begleitenden Gesetze lenken den Generalangriff auf den Sozialstaat. „Wir müssen die Krise nutzen, denn jetzt sind die Menschen reif ", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Dagegen werden wir Widerstand leisten!

    (Beifall bei der PDS/Linke Liste)